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Daten zur Bev¨olkerungsentwicklung

2.Die Entwicklung der Bev¨olkerungszahl.

3.Geburten- und Sterbef¨alle.

4.Buchf¨uhrungsgleichungen und Migrationsvorg¨ange.

5.Gliederungen nach Geschlecht und Alter.

6.Ver¨anderungen in der Altersstruktur.

Zu den elementaren Aufgaben der empirischen Sozialforschung geh¨oren Untersuchungen demographischer Prozesse, zun¨achst zur zeitlichen Ent-wicklung der Anzahl der Menschen, aus denen Gesellschaften bestehen, und ihrer Gliederungen nach dem Alter und dem Geschlecht. In diesem Kapitel besprechen wir im ersten Abschnitt einige Definitionen zur Kon-zeption und Charakterisierung demographischer Prozesse, dann werden Daten zur Bev¨olkerungsentwicklung in Deutschland dargestellt. Weitere Uberlegungen folgen in sp¨ateren Kapiteln.¨

5.1 Einige Begriffe der Demographie

1. Der begriffliche Rahmen. Um demographische Prozesse explizit definie-ren zu k¨onnen, ist ein zeitlicher und r¨aumlicher Kontext erforderlich. Als zeitlichen Kontext setzen wir in diesem Kapitel eine diskrete ZeitachseT voraus, deren Elemente auf Zeitstellen (z.B. Tage, Monate oder Jahre) ver-weisen; und als r¨aumlichen Kontext verwenden wir einen topographischen RaumR, der aus Raumstellen besteht, in denen Menschen leben k¨onnen.1 Wie bei den Zeitstellen ist auch bei diesen Raumstellen zun¨achst keine

1Ausf¨uhrliche Erl¨auterungen zu den Begriffsbildungen und Notationen f¨ur Zeitachsen und Zeitreihen findet man im Abschnitt 4.2.

5.1 EINIGE BEGRIFFE DER DEMOGRAPHIE 71

genaue Definition erforderlich. Nat¨urlich ist es zur Betrachtung von Mi-grationsvorg¨angen erforderlich, dass es mindestens zwei Raumstellen gibt, zwischen denen Wanderungsbewegungen stattfinden k¨onnen; solange von solchen Wanderungen abgesehen wird, gen¨ugt aber bereits die Vorstellung, dassRnur eine Raumstelle enth¨alt.

Schließlich soll Ωt die Gesamtheit der Menschen bezeichnen, die w¨ahrend der Zeitstelle t innerhalb des Raums R leben. Elemente von Ωt sind also Namen, die auf jeweils bestimmte Menschen verweisen. Der Zeitindextist erforderlich, weil sich nicht nur der Umfang, sondern auch die Zusammensetzung dieser Bev¨olkerungsmengen im Zeitablauf ver¨an-dern kann. Dabei gehen wir von folgenden Konventionen aus: Wenn ein Kind in einer Zeitstelletgeboren wird, ist es Mitglied von Ωt, aber nicht von irgendeiner fr¨uheren Bev¨olkerungsmenge; und wenn ein Mensch in ei-ner Zeitstellet stirbt, ist er Mitglied von Ωt, aber nicht von irgendeiner sp¨ateren Bev¨olkerungsmenge. Ωt umfasst also alle Menschen, deren Le-benslinien sich mit der Zeitstelletganz oder partiell ¨uberschneiden, d.h.

die vor dem Ende vontgeboren wurden, aber nicht bereits vor dem Beginn vontgestorben sind.

Eine analoge Definition wird verwendet, wenn sich Ωt nur auf einen TeilraumR⊂ Rbezieht, so das Zu- und Abwanderungen m¨oglich sind.

tumfasst dann alle Menschen, die w¨ahrend einer Zeitspanne, die sich mit der Zeitstellet¨uberschneidet, innerhalb des TeilraumsRleben.2

Zur Veranschaulichung der Begriffsbildungen kann man sich eine kleine Insel vorstellen, die nur von wenigen Menschen bewohnt wird. Gelegentlich wird ein Kind geboren oder ein Mensch stirbt, und gelegentlich verl¨asst ein Bewohner die Insel oder jemand kommt als ein neuer Bewohner auf die In-sel. Man kann sich vorstellen, dass ein Chronist ¨uber diese Vorg¨ange Buch f¨uhrt. Wir nehmen an, dass nur j¨ahrliche Angaben erfolgen (so dass es sich bei den Zeitstellen der vorausgesetzten Zeitachse um Jahre handelt) und dass die Chronik im Jahr 1960 beginnt und bis zum Jahr 1985 fort-gesetzt wird. Im ersten Jahr macht der Chronist eine Bestandsaufnahme und stellt fest, dass die Insel von 10 Personen bewohnt wird. Die folgende Tabelle zeigt ihre Namen, ihr Alter (in vollendeten Lebensjahren) und ihr Geschlecht (0 = m¨annlich, 1 = weiblich):

Name ω1 ω2 ω3 ω4 ω5 ω6 ω7 ω8 ω9 ω10

Alter 40 38 4 16 63 70 25 8 63 11

Geschlecht 0 1 1 0 1 0 1 0 1 0

Diese Tabelle bildet den Anfang der Chronik. In den folgenden Jahren nimmt der Chronist immer dann neue Eintr¨age vor, wenn ein demogra-phisch relevantes Ereignis (eine Geburt, ein Todesfall oder eine Zu- oder

2ur empirische Bev¨olkerungsz¨ahlungen kann es nat¨urlich sinnvoll sein, weitere Pr¨ azi-sierungen und Einschr¨ankungen vorzunehmen und sich z.B. nur auf dieWohnbev¨ olke-rung“ zu beziehen.

72 5 DEMOGRAPHISCHE PROZESSE

Tabelle 5.1-1 Chronik der fiktiven Insel 1960 – 1985.

Jahr Name Alter Geschlecht Art des Ereignisses

1961 ω4 17 0 verl¨asst die Insel

1963 ω6 73 0 stirbt

1964 ω11 30 0 wird neuer Bewohner

1966 ω12 0 1 wird geboren

1970 ω13 0 0 wird geboren

1971 ω9 74 1 stirbt

1975 ω8 23 0 verl¨asst die Insel

1975 ω14 26 1 wird neuer Bewohner

1980 ω15 0 0 wird geboren

1982 ω16 0 1 wird geboren

1985 ω5 88 1 stirbt

Abwanderung) stattfindet. Tabelle 5.1-1 zeigt die Eintr¨age bis zum Ende der Chronik im Jahr 1985.

2. Definitionen demographischer Prozesse. Der in §1 eingef¨uhrte begriff-liche Rahmen erlaubt einfache Definitionen demographischer Prozesse, in-dem man sich auf zeitliche Folgen der Bev¨olkerungsmengen Ωt bezieht, wobei der Zeitindex tWerte in einer Zeitachse T annehmen kann. Wir unterscheiden zwei Varianten:

– Eine zeitliche Folge von Bev¨olkerungsmengen Ωt wird ein demographi-scher Prozess ohne externe Migrationgenannt, wenn Ωtstets alle Men-schen umfasst, die innerhalb eines als Kontext vorausgesetzten topogra-phischen RaumsRleben.

– Eine zeitliche Folge von Bev¨olkerungsmengen Ωt wird ein demographi-scher Prozess mit externer Migration genannt, wenn sich Ωt auf einen TeilraumR ⊂ Rbezieht, so dass auch Migrationsvorg¨ange zwischen diesem Teilraum und seiner r¨aumlichen UmgebungR \ Rstattfinden k¨onnen.3

Es sei angemerkt, dass demographische Prozesse nicht unmittelbar auch statistische Prozesse sind, worunter wir zeitliche Folgen statistischer Varia-blen verstehen (vgl. Abschnitt 4.2). Statistische Prozesse entstehen jedoch, sobald man die Bev¨olkerungsmengen Ωt als Referenzmengen statistischer Variablen verwendet.

3. Definitionen der Bev¨olkerungszahl. Der Begriff einer Bev¨olkerungszahl bezieht sich auf die Anzahl der Menschen, die w¨ahrend einer Zeitstelle

3Mit der SchreibweiseR \ Rist die Menge aller Elemente vonRgemeint, die nicht zur MengeRgeh¨oren.

5.1 EINIGE BEGRIFFE DER DEMOGRAPHIE 73

in einem bestimmten Gebiet leben. Dabei gibt es haupts¨achlich zwei Un-sch¨arfen. Die erste betrifft die Formulierung”in einem bestimmten Gebiet leben“. Offenbar sind Unterscheidungen m¨oglich. In der Bev¨olkerungsstati-stik wird insbesondere zwischen der ortsanwesenden und der Wohnbev¨olke-rung unterschieden.

Problematischer ist die Bezugnahme auf Zeitstellen, denn Zeitstellen haben stets eine mehr oder weniger große zeitliche Ausdehnung, so dass sich die Bev¨olkerungszahl w¨ahrend einer Zeitstelle ver¨andern kann. F¨ur dieses Problem gibt es keine einfache L¨osung. Wir verwenden je nach An-wendungskontext eine von drei unterschiedlichen Definitionen.

a) Die erste Definition geht von den in §1 eingef¨uhrten Bev¨olkerungs-mengen aus:nt:=|Ωt|.4Bei dieser Definition istnt die Anzahl aller Menschen, die w¨ahrend der Zeitstelletin dem Gebiet, auf das Bezug genommen wird, gelebt haben. Dabei kann es sich auch um eine kurze Zeitspanne innerhalb der Zeitstelle t handeln, so dass durch nt auch Menschen erfasst werden, die w¨ahrendtgeboren werden, sterben, oder zu- oder abwandern.

b) Bei Zeitstellen, die eine gr¨oßere zeitliche Ausdehnung aufweisen (bei-spielsweise Jahre), kann es sinnvoll sein, sich auf die Bev¨olkerungszahl zum Beginn oder zum Ende der Zeitstelle zu beziehen. Wir verwenden dann die Notationen:

n`t := Anzahl der Menschen zu Beginn der Zeitstellet nat := Anzahl der Menschen zum Ende der Zeitstellet

und legen die definitorische Gleichsetzungnat =n`t+1zugrunde. Werden Zeitstellen als Jahre aufgefasst, kann man sich unter n`t und nat die Bev¨olkerungszahlen am 1. Januar bzw. am 31. Dezember vorstellen.

c) Schließlich kann man versuchen, die durchschnittliche Bev¨olkerungs-zahl w¨ahrend einer Zeitstelle zu definieren. Wir verwenden daf¨ur die Notation ¯nt, ohne damit irgendeine bestimmte Definition zu implizie-ren. Den wichtigsten Anwendungsfall bilden die jahresdurchschnittli-chen Bev¨olkerungszahlen der amtlijahresdurchschnittli-chen Statistik, bei deren Berechnung von unterschiedlichen Definitionen ausgegangen wird.5

4In diesem Text werden die Zeichen ‘=’ und ‘:=’ unterschieden. Ein Gleichheitszeichen mit vorangestelltem Doppelpunkt wird verwendet, um anzudeuten, dass eine definito-rische Gleichsetzung vorgenommen wird, d.h. der Ausdruck auf der linken Seite wird durch den Ausdruck auf der rechten Seite definiert. Dagegen setzt ein einfaches Gleich-heitszeichen voraus, dass beide Seiten schon definiert sind.

5Im definitorischen Apparat der STATIS-Datenbank findet man folgende Hinweise:

Der Bev¨olkerungsstand gibt die Zahl der Personen an, die zur Bev¨olkerung geh¨oren, nachgewiesen zu verschiedenen Zeitpunkten. Der Bev¨olkerungsstand im Jahresdurch-schnitt insgesamt ist das arithmetische Mittel aus zw¨olf Monatswerten, die wiederum Durchschnitte aus dem Bev¨olkerungsstand am Anfang und Ende jeden Monats sind.

74 5 DEMOGRAPHISCHE PROZESSE

4. Buchf¨uhrungsgleichungen. Weiterhin verwenden wir folgende Bezeich-nungen f¨ur Geburten und Sterbef¨alle:

bt := Anzahl der Kinder, die in der Zeitstelletgeboren werden dt := Anzahl der Menschen, die in der Zeitstelletsterben

Somit kann f¨ur einen demographischen Prozess ohne externe Migration zun¨achst folgendeBuchf¨uhrungsgleichung formuliert werden:

nt+1=nt+bt+1−dt (5.1)

F¨ur einen demographischen Prozess mit externer Migration werden außer-dem die Bezeichnungen

mit := Anzahl der Menschen, die intnachReinwandern mot := Anzahl der Menschen, die intausRauswandern

verwendet, so dass die Buchf¨uhrungsgleichung folgende Form annimmt:

nt+1=nt+bt+1−dt+mit+1−mot (5.2) Zuwanderungen werden wie Geburten und Abwanderungen werden wie Sterbef¨alle verbucht. Dementsprechend werden Personen, die in der glei-chen Zeitstelle t zuwandern und wieder auswandern (oder sterben), als Mitglieder der Bev¨olkerungsmenge Ωtbetrachtet.6

Anstatt sich mitntauf die Bev¨olkerungsmengen Ωtzu beziehen, kann man auch die Bev¨olkerungszahlen zum Beginn und Ende der Zeitstellen verwenden. Die Buchf¨uhrungsgleichung bekommt dann die Form

n`t+1 = nat = n`t +bt−dt+mit−mot (5.3) Zur Berechnung des durchschnittlichen Bev¨olkerungsstandes nach Altersjahren und Ge-schlecht wird ein vereinfachtes Verfahren angewendet: Es werden lediglich die arithmeti-schen Durchschnittswerte aus dem Bev¨olkerungsstand jeder Gruppe zum Jahresanfang und -ende gebildet und mit einem Korrekturfaktor multipliziert. Dieser Korrekturfak-tor ist der Quotient aus dem durchschnittlichen Bev¨olkerungsstand insgesamt und der Summe aller vereinfacht berechneten Durchschnittswerte des Bev¨olkerungsstandes in den einzelnen Altersjahren.“

Die Definitionen und Berechnungsmethoden haben sich im Laufe der Zeit ver¨andert:

In den Jahren 1961, 1970 und 1987 wurden keine Durchschnittwerte gebildet, sondern die Ergebnisse der jeweiligen Volks- und Berufsz¨ahlungen nachgewiesen.“Bis 1953 und von 1956 bis 1960 wurde zur Berechnung des Bev¨olkerungsstandes im Durchschnitt ins-gesamt das arithmetische Mittel aus jeweils vier Vierteljahreswerten gebildet; dagegen wurde der Bev¨olkerungsstand von 1953 bis 1955, von 1962 bis 1969 und wird seit 1971 – wie oben beschrieben – als Durchschnitt aus Monatswerten berechnet.“

ur die ehemalige DDR wird mitgeteilt:

Als Bev¨olkerungsdurchschnittszahl f¨ur ein Ka-lenderjahr galt bis einschließlich Berichtsjahr 1988 jeweils die zum 30.6. fortgeschriebene Einwohnerzahl.“ (Fachserie 1, Reihe 1, 1999: 15)

6Personen, die innerhalb der gleichen Zeitstelle mehrfach zuwandern, sollten nat¨urlich nur einmal gez¨ahlt werden.

5.1 EINIGE BEGRIFFE DER DEMOGRAPHIE 75

Abb. 5.1-1 Ein Lexis-Diagramm mit 20 Lebenslinien.

Es ist bemerkenswert, dass Buchf¨uhrungsgleichungen nicht ohne weite-res auch mit durchschnittlichen Bev¨olkerungszahlen formuliert werden k¨onnen.

5. ¨Uberlegungen anhand eines Lexis-Diagramms. Zur Verdeutlichung der bisherigen Begriffsbildungen eignet sich einLexis-Diagramm.7Abbildung 5.1-1 illustriert die Konstruktion. Die horizontale Achse repr¨asentiert die historische Zeit (t), die vertikale Achse das Lebensalter (τ). Beide werden als kontinuierliche Zeitachsen konzipiert, so dass Zeitstellen als Zeitinter-valle aufgefasst werden k¨onnen. Wir nehmen an, dass es sich um links geschlossene und rechts offene Zeitintervalle handelt, also:

Zeitintervall 0 ≡ [ 0,1 [, Zeitintervall 1 ≡ [ 1,2 [, usw.

Als eine allgemeine Formulierung verwenden wir Zeitstellet ≡ [t`, ta[

wobeit`den Anfangs- undtaden Endzeitpunkt der Zeitstelletbezeichnen soll. (Dabei muss es sich nicht um ganzzahlige Werte handeln.)

F¨ur jede Personω wird nun angenommen, dass es einen genauen Ge-burtszeitpunkt x(ω) und einen genauen Sterbezeitpunkt y(ω) gibt.8F¨ur

7Benannt nach dem Demographen Wilhelm Lexis (1837–1914).

8Es handelt sich offenbar um eine fiktive Idealisierung, da alle realen Ereignisse eine zeitliche Ausdehnung aufweisen; nicht einmal Anfangs- und Endzeitpunkte k¨onnen auf einer kontinuierlichen Zeitachse genau fixiert werden.

76 5 DEMOGRAPHISCHE PROZESSE

jede Person kann somit eine Lebenslinie in das Lexis-Diagramm eingetra-gen werden: eine diagonale Linie, die beix(ω) beginnt und beiy(ω) endet.

Abbildung 5.1-1 zeigt solche Lebenslinien f¨ur 20 Personen.

Anhand dieses Lexis-Diagramms k¨onnen zun¨achst unsere bisherigen Buchf¨uhrungskonventionen noch einmal verdeutlicht werden. Offenbar gibt es folgende Bev¨olkerungsmengen:

0={ω1, ω2}, Ω1={ω1, ω3, ω4}, usw.

Das entspricht der in§1 eingef¨uhrten allgemeinen Definition, die jetzt auch in der Form

t={ω|x(ω)< ta, y(ω)≥t`}

angegeben werden kann. Anhand des Lexis-Diagramms in Abbildung 5.1-1 kann man auch die Buchf¨uhrungsgleichung nt+1=nt+bt+1−dt nachvoll-ziehen, wie die folgende Tabelle zeigt:

t nt dt bt

0 2 1 2

1 3 1 2

2 6 1 4

3 9 3 4

4 9 3 3

5 9 4 3

6 7 4 2

7 3 1 0

8 2 2 0

Es sei angemerkt, dass sich auch Lebenslinien von Zuwanderern in ein Lexis-Diagramm eintragen lassen. Grunds¨atzlich beginnen auch sie auf der Ordinate im Alter 0; f¨ur die Buchf¨uhrung sind jedoch nur diejenigen Ab-schnitte dieser Lebenslinien zu ber¨ucksichtigen, w¨ahrend der sich eine Per-son in dem Gebiet aufh¨alt, f¨ur das die Buchf¨uhrungsgleichung aufgestellt werden soll.

6. Gliederungen nach Geschlecht und Alter. F¨ur demographische ¨ Uberle-gungen sind in erster Linie Unterscheidungen nach dem Geschlecht und dem Alter von Bedeutung. F¨ur Unterscheidungen nach dem Geschlecht verwenden wir die Indizes m (m¨annlich) und f (weiblich). So sind z.B.

mt die m¨annlichen und Ωft die weiblichen Personen, die in der Zeitstellet leben, undnmt bzw.nft sind die entsprechenden Anzahlen.

Um Personen nach ihrem Alter zu unterscheiden, verwenden wir je nach Anwendungskontext unterschiedliche Altersbegriffe:

– Der Begriff einesexakten Alters geht davon aus, dass man sich sowohl

5.1 EINIGE BEGRIFFE DER DEMOGRAPHIE 77

f¨ur die Geburt einer Person als auch f¨ur ihre Altersbestimmung auf ge-naue Zeitpunkte beziehen kann. Das exakte Alter ist dann als Differenz zwischen dem Erfassungs- und dem Geburtszeitpunkt definiert.

– Dasgew¨ohnliche Alter ist das in vollendeten Zeitstellen erfasste exakte Alter. Geht man von Jahren aus, ist das gew¨ohnliche Alter einer Person bis zum 1. Geburtstag 0 Jahre, vom 1. bis zum 2. Geburtstag 1 Jahr usw.

Anstelle von Jahren kann man offenbar beliebige Zeitstellen verwenden.

Wir setzen im Folgenden voraus, dass zur Erfassung des gew¨ohnlichen Alters die Zeitstellen der zugrundeliegenden Zeitachse, durch die der demographische Prozess definiert wird, verwendet werden.

– Dasdemographische Alter einer Person in einer Zeitstelle t istt−t0, wobeit0die Zeitstelle ist, in der die Person geboren wurde.

Im Unterschied zum exakten und zum gew¨ohnlichen Alter einer Person ver¨andert sich das demographische Alter w¨ahrend einer Zeitstelle (z.B.

w¨ahrend eines Jahres) nicht. In jeder Zeitstelle gibt es f¨ur jede Person ge-nau ein demographisches Alter. Zur Erfassung des exakten oder gew¨ohnli-chen Alters einer Person muss man sich jedoch auf bestimmte Zeitpunkte (innerhalb von Zeitstellen) beziehen.

Gliederungen einer Gesellschaft nach dem Alter k¨onnen bei allen drei Bev¨olkerungsbegriffen ansetzen, die in §3 unterschieden wurden. Aller-dings gibt es dabei unterschiedliche M¨oglichkeiten und Restriktionen.

a) Setzt man bei den Bev¨olkerungsmengen Ωt an, wobei sichtauf Zeit-stellen einer Zeitachse T bezieht, m¨ochte man sich auf Teilmengen beziehen, die Menschen gleichen Alters zusammenfassen. Wir definie-ren: Ωt,τ umfasst alle Personen, die in der Zeitstelle t−τ geboren wurden; insbesondere besteht Ωt,0aus den in der Zeitstelle t gebore-nen Kindern. Offenbar kann man auch sagen, dass Ωt,τ alle Personen umfasst, die in der Zeitstelletdas demographische Alterτhaben.9Ihre Anzahl wird durchnt,τ:=|Ωt,τ|bezeichnet.

b) Jeweils zum Ende einer Zeitstelle stimmen das gew¨ohnliche und das demographische Alter ¨uberein. Unmittelbar deutlich ist das bei der Verwendung von Jahren: Menschen, die zum Ende eines Jahres tim gew¨ohnlichen Alterτ sind, wurden im Jahrt−τ geboren. Somit l¨asst sich eine Gliederung nach dem Alter besonders leicht vornehmen, wenn sich die Bev¨olkerungszahlen auf das Ende (oder den Anfang) von Zeit-stellen beziehen. Wir verwendenn`t,τbzw.nat,τf¨ur die Anzahl der Men-schen, die am Anfang bzw. zum Ende der Zeitstelletim Alterτ sind.

c) Schließlich kann eine Gliederung nach dem Alter auch bei

durchschnitt-9Geht man dagegen vom gew¨ohnlichen Altersbegriff aus, ist zu beachten, dass die meisten Personen in Ωt,τ nicht w¨ahrend der gesamten Zeitstelle t im Alter τ sind, sondern erst zum Ende dieser Zeitstelle. Dies gilt nat¨urlich nur f¨ur Personen, die bis zum Ende der Zeitstelle ¨uberleben. In Abbildung 5.1-1 ist zum Beispielω73,1,ω7

stirbt jedoch vor dem Erreichen des Alters 1.

78 5 DEMOGRAPHISCHE PROZESSE

lichen Bev¨olkerungszahlen ansetzen. Wir verwenden dann die Bezeich-nung ¯nt,τ f¨ur die Anzahl der Menschen, die im Durchschnitt der Zeit-stelletim Alterτ sind.10

Gliederungen nach dem Alter sind auch bei Sterbef¨allen und bei Zu- und Abwanderungen sinnvoll. Dabei muss wiederum zwischen dem gew¨ohnli-chen und dem demographisgew¨ohnli-chen Alter unterschieden werden. Wir verwen-den folgende Notationen:

dt,τ Anzahl Menschen, die in der Zeitstelletim demographischen Alterτ sterben.

mit,τ Anzahl Menschen, die in der Zeitstelletim demographischen Alterτ nachReinwandern.

mot,τ Anzahl Menschen, die in der Zeitstelletim demographischen Alterτ ausRauswandern.

Bei diesen Definitionen ist stets das demographische Alter gemeint, das sich auf das Geburtsjahr t−τ bezieht. Wenn dagegen das gew¨ohnliche Alter gemeint ist, verwenden wir zur zus¨atzlichen Kennzeichnung einen Querstrich. So ist zum Beispiel ¯dt,τ die Anzahl der Menschen, die in der Zeitstelletim gew¨ohnlichen Alterτ sterben.11

7. Altersspezifische Buchf¨uhrungsgleichungen. Die im vorangegangenen Paragraphen eingef¨uhrte Definition altersspezifischer Bev¨olkerungsmengen liefert nicht nur konsistente Partitionierungen der Bev¨olkerungsmengen Ωt bzgl. des Alters, sie erlaubt auch einfache Formen altersspezifischer Buchf¨uhrungsgleichungen. F¨ur einen demographischen Prozess ohne ex-terne Migration giltnt+1,0=bt+1und allgemein:

nt+1,τ+1 = nt,τ−dt,τ (5.4)

Und f¨ur einen demographischen Prozess mit externer Migration findet man nt+1,0=bt+1+mit+1,0und allgemein:

nt+1,τ+1 = nt,τ−dt,τ+mit+1,τ+1−mot,τ (5.5) Entsprechende Gleichungen k¨onnen formuliert werden, wenn man sich auf die Bev¨olkerungszahl zum Anfang bzw. Ende von Zeitstellen bezieht, f¨ur einen demographischen Prozess mit externer Migration:

n`t+1,τ+1 = nat,τ = n`t,τ−dt,τ+mit,τ−mot,τ (5.6)

10Diese Definition ist offenbar unklar. Zum Verst¨andnis der Vorgehensweise des Stati-stischen Bundesamts, das jahresdurchschnittliche Bev¨olkerungszahlen nach dem Alter gliedert, vgl. man die Anmerkung 5.

11Bezieht man sich auf das Lexis-Diagramm in Abbildung 5.1-1, findet man zum Beispiel d3,1= 2 und ˜d3,1= 1.

5.1 EINIGE BEGRIFFE DER DEMOGRAPHIE 79

Es ist bemerkenswert, dass man f¨ur die Sterbef¨alle und die Zu- und Ab-wanderungen auch in diesem Fall das demographische Alter verwenden muss.12

8. Charakterisierungen demographischer Prozesse. In der Literatur sind sehr viele Konzepte und Maßzahlen zur Charakterisierung demographi-scher Prozesse vorgeschlagen worden.13 Hier gen¨ugen einige elementare Definitionen:

– Man kann Anzahlen verwenden, und zwar sowohl zur Charakterisie-rung von Bev¨olkeCharakterisie-rungsmengen als auch zum Z¨ahlen demographischer Ereignisse. Dem entsprechen die in den vorangegangenen Paragraphen eingef¨uhrten Bezeichnungen.

– Ausgehend von Anzahlen k¨onnen Ver¨anderungsraten berechnet wer-den.14 Wir verwenden die Notation ρt := (xt+1−xt)/xt, wobei x ir-gendeine f¨ur die Zeitstellen definierte Gr¨oße ist.15

– Zur Erfassung der H¨aufigkeit von Sterbef¨allen kann zun¨achst eine allge-meine Sterbeziffer verwendet werden, die als Quotientdt/ntoderdt/¯nt

definiert ist und meistenspro 1000 angegeben wird.16 F¨ur analytische Zwecke sind altersspezifische, außerdem nach dem Geschlecht differen-zierte Sterbeziffern besser geeignet, deren Definition wir in Abschnitt 6.2 besprechen werden.

– Analog zu einer allgemeinen Sterbeziffer kann auch eineallgemeine Ge-burtenziffer durchbt/nt oderbt/¯ntdefiniert werden; auch sie wird mei-stenspro 1000 angegeben. Wiederum sind f¨ur analytische Zwecke alters-spezifische Geburtenziffern, mit denen wir uns in Kapitel 7 besch¨aftigen werden, besser geeignet.

Es sei angemerkt, dass anstelle von Geburten- und Sterbeziffern auch von Geburten- bzw. Sterberaten gesprochen wird.

12Das Statistische Bundesamt, dessen Bev¨olkerungsfortschreibungen sich auf den Bev¨ ol-kerungsstand zum Jahresende beziehen, geht z.B. bei der Altersgliederung der Zu- und Abwanderungen so vor:Die Bestimmung des Alters der wandernden Personen geschieht mittels Ausz¨ahlung nach Geburtsjahren. Dabei werden die Personen eines bestimmten Geburtsjahrganges jeweils dem Altersjahr zugeordnet, dem sie am Jahresende angeh¨oren (Beispiel f¨ur 1999 Geburtsjahr: 1999 = Altersjahr 0 bis unter 1; Geburtsjahr 1998 = Altersjahr 1 bis unter 2 usw.).“ (Fachserie 1, Reihe 1, 1999: 14)

13Man vgl. z.B. die ¨Ubersichten bei U. Mueller (1993 und 2000).

14Da sie auch negative Werte annehmen k¨onnen, ist der Ausdruck ‘Ver¨anderungsrate’

besser als der ebenfalls oft verwendete Ausdruck ‘Wachstumsrate’.

15ur Entwicklungen, die mehrere Perioden umfassen, werden auchdurchschnittliche Ver¨anderungsratenberechnet. Betrachtet man zum Beispiel die Entwicklung vonxtzu xt0, wobeit0> tist, ist die hier durch ¯ρbezeichnete durchschnittliche Ver¨anderungsrate durchxt0=xt(1 + ¯ρ)t0tdefiniert.

16Das Statistische Bundesamt verwendet die zweite Variante. Im Jahr 1999 hatten die-se Sterbeziffern den Wert 9.8 f¨ur M¨anner und 10.8 f¨ur Frauen (Fachserie 1, Reihe 1, 1999: 55).

80 5 DEMOGRAPHISCHE PROZESSE

5.2 Daten zur Bev¨ olkerungsentwicklung

In diesem Abschnitt besprechen wir einige Daten der amtlichen Statistik zur Bev¨olkerungsentwicklung in Deutschland.

1. Datenquellen der amtlichen Statistik. Wir beginnen mit einigen Bemer-kungen zu den Datenquellen.17Die meisten elementaren demographischen Daten stammen von der amtlichen Statistik, in der BRD vomStatistischen Bundesamt (www.destatis.de). Deren haupts¨achliche Datenquellen sind einerseits Volksz¨ahlungen, die die Anzahl (und einige Merkmale) der Men-schen an einem Stichtag erfassen,18und andererseits Bev¨olkerungsregister,

1. Datenquellen der amtlichen Statistik. Wir beginnen mit einigen Bemer-kungen zu den Datenquellen.17Die meisten elementaren demographischen Daten stammen von der amtlichen Statistik, in der BRD vomStatistischen Bundesamt (www.destatis.de). Deren haupts¨achliche Datenquellen sind einerseits Volksz¨ahlungen, die die Anzahl (und einige Merkmale) der Men-schen an einem Stichtag erfassen,18und andererseits Bev¨olkerungsregister,