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Das Wachstum des Wohlfahrtsstaats - linke Positionen

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Sti� ung Manuskripte (Seite 131-135)

Es könnte argumentiert werden, dass die institutionellen Einrichtungen der wohlfahrtsstaatlichen Aktivität heutzutage in linken Kreisen fast ohne Einschrän-kungen akzeptiert werden. Jedoch sahen bis zu den Mi� - bis Spät-1970ern die meisten Linken (insbesondere die marxistische Tradition in der politökonomi-schen Literatur) die typipolitökonomi-schen wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen negativ oder bestenfalls mit Misstrauen an und betrachteten sie entweder als ein(e)n:

• Bismarck‘sches autoritäres Konstrukt für die Legitimierung des Systems und die Inkorporierung der Arbeiterklasse,

• Beveridge‘sche/sozialdemokratische Konzeption für „soziales Design“ mit dem Zweck, he� ige Klassenkämpfe und die Explosivität akuter sozialer Probleme abzuschwächen,

• notwendiges Abfallprodukt des Industrialisierungs- und Proletarisie-rungsprozesses im fortgeschri� enen Kapitalismus, der sich ändernden Erfordernisse für die Reproduktion der Arbeitskra� als auch als Resultat demographischer Entwicklungen,

• System, das gegen die Arbeiterklasse Steuerausbeutung betreibt, die andere Seite und das notwendige Komplement des warfare state für die Legitimie-rung des Systems (O’Connor, 1973),

• so genannten Wohlfahrtsstaat, der keinesfalls um die Interessen der Arbei-terklasse herum strukturiert sein könnte (Shaikh, 1984),

• Institution, die die Reservearmee der Arbeit (und des Lohndrucks, Infl ation etc.) reguliert und wieder auff üllt, insbesondere in Perioden wie der jetzigen, wenn „Flexibilität“ und „Anstellbarkeit“ der Arbeit Priorität annehmen. Die Langzeitarbeitslosen und entmutigten ArbeiterInnen und kleinen Angestell-ten sind für das Kapital nicht nützlich, da sie keinen Druck nach unAngestell-ten auf die Löhne ausüben. Daher hil� die „workfare“- Politik, die die Ränge der Reservearmee au� läht, die ArbeiterInnen zu disziplinieren (besonders die am unteren Ende der Lohnskala). Je „anstellbarer“ die Reservearmee ist, desto höher wird ihr defl ationärer Eff ekt im Herunterdrücken der Löhne sein,

• Institution, die auf den Interessen der männlichen Industrie/Produktions-arbeiter beruht und Frauen und bestimmte soziale Gruppen und Minoritäten ausschließt,

• Kompromiss (soziale Klassen und den Staat umfassend) und eine Antwort auf vorherrschende Tendenzen (hauptsächlich die Erfahrung der Großen Depression). Dieser Kompromiss wurde ausgehöhlt, da einer seiner Pole (die Arbeiterklasse und das sozialistische Lager) Macht verloren hat. Der Wohlfahrtsstaat bleibt daher „ein großer Widerspruch“ innerhalb des fort-geschri� enen Kapitalismus.

Aber es gab auch positive Ansichten, insbesondere um das Ende der „goldenen Jahre“, Periode des Nachkriegswachstums herum, die das Wachstum des Wohlfahrtsstaates als:

• ein Produkt des sozialen und politischen Drucks durch linke Parteien und Gewerkscha� en, das einen Weg zur Umverteilung zugunsten der Einkom-mens- und Lebensstandards der Arbeiterklasse schuf,

• eine wichtige Institution, die eine ausschlaggebende Rolle bei der Festset-zung der Einkommen der Mehrheit der Bevölkerung spielt und die Natur der fortgeschri� enen kapitalistischen Wirtscha� en (Therborn, 1984, 1986) auf Dauer und unumkehrbar gewandelt hat,

• den wichtigsten Teil der Strategie für die Umgestaltung des Kapitalismus in den Sozialismus (durch Übergang von politischer Demokratie und Sozi-aldemokratie zu Wirtscha� sdemokratie durch die Ausdehnung des Wohl-fahrtsstaats in eine bestimmte universale, solidarische Richtung nach dem Muster der skandinavischen Sozialdemokratie, Esping-Anderson, 1984, 1987, 1990, Korpi, 1984, Stephens, 1979) betrachtet.

Und da die Dinge für die Arbeiter durch den Angriff des Kapitals und den Staat seit der späten 1970er und frühen 1980er Jahre schlechter wurden, wurde er allmählich als:

• funktionelles Erfordernis für das reibungslose und erfolgreiche Funktio-nieren der kapitalistischen Wirtscha� gesehen,

• nicht länger „so genannter Wohlfahrtsstaat“ bezeichnet (manche Linke versuchen sogar zu zeigen, dass er hilfreich ist/mit ökonomischer Effi zienz einhergeht),

• eine notwendige Institution des Einkommenserhalts für Arbeiter und die Ar-men, die gegen die neo-liberalen A� acken verteidigt werden muss, gesehen.

Es besteht die Angst, dass es eine Konvergenz der Wohlfahrts-/Sozialstaaten durch einen We� lauf nach unten geben wird, obwohl das noch nicht in bedeutendem Maße sta� gefunden hat.

Sta� dessen gibt es eine Wende vom Universalismus zum Individualismus und das Au� ommen und die Dominanz eines „Dri� en Wegs“ der Sozialpolitik, dessen Ziel es ist, die Armen zu integrieren sta� sie auszuschließen. „Die Politik zielt auf relativ kleine Gruppen ab, unter der Annahme, dass soziale Probleme auf kleine, aber unnachgiebige Gruppen beschränkt sind.“ (Mac Gregor, 1999, S.109)

Die Natur, die Auswirkungen, die Eff ekte und die möglichen Grenzen des Wohlfahrtsstaates zu verstehen, ist von größter Wichtigkeit, da in der Deba� e über seinen zukün� igen Kurs, seinen Eff ekt auf Wirtscha� und Gesellscha�

und die Antworten auf die Anstrengungen, ihn zu kürzen oder umzugestalten, unsere Position sowohl auf unserer weiter reichenden Vision der Aussichten zu einem Übergang zu einer sozialistischen Wirtscha� und Gesellscha� als auch auf unserer Kritik der widrigsten Aspekte des augenblicklichen sozioökono-mischen Systems beruhen sollte.

Eff ekte des Wohlfahrtsstaats

Wirtscha� liche Aspekte und Eff ekte:

Die in der gängigen (mainstream)-Literatur vorherrschende Sicht betont die folgenden, in der Mehrzahl negativen Eff ekte:

§ Abschreckung von der Arbeit entweder durch hohe Steuern oder „Wohl-fahrtsabhängigkeit“, daher negative Auswirkungen auf das Arbeitsangebot und das Funktionieren des Arbeitsmarkts, Anstieg der Arbeitslosenrate durch sich verlängernde Zeiten der Arbeitssuche,

§ das Soziale Sicherungssystem senkt die privaten Ersparnisse, daher senkt es (wegen des Zusammenhangs zwischen Sparen und Investitionen) die Investitionen und das Wirtscha� swachstum,

§ negative Eff ekte auf die öff entlichen Finanzen, die in der gegenwärtigen Ära der „Globalisierung“ (intensivierte Internationalisierung des Kapitals) in Finanzkapitalausfl üsse und auch in Probleme für die reale Wirtscha�

resultieren,

§ positive Eff ekte auf der Nachfrageseite, aber negative Eff ekte auf der Angebotsseite durch niedrige private Ersparnisse und geringe Arbeitsan-strengung („Es besteht ein Risiko, dass der Wohlfahrtsstaat seine eigenen wirtscha� lichen Grundlagen zerstört. Dieses Risiko ist in mehreren Län-dern heute Wirklichkeit.“ Lindbeck, 1995, S. 9),

§ Abschwächung der Einkommensungerechtigkeit und der (extremen) Ar-mut, was in manchen Versionen positive Auswirkungen auf Arbeitspro-duktivität und wirtscha� liches Wachstum haben könnte.

Soziologische Eff ekte und Aspekte:

§ der Wohlfahrtsstaat scha� oder verbessert den sozialen Zusammenhalt,

§ verhindert die Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung, aber scha�

„Wohlfahrtsabhängigkeitsprobleme“ mit negativen Eff ekten auf das Ar-beitsangebot,

§ beugt antisozialem Verhalten vor oder verhindert es sogar, stärkt familiäre und gemeinscha� liche Beziehungen.

Politische Aspekte:

§ Wohlfahrtskapitalismus als einem spezifi schen System (Variante des Kapi-talismus), die Entwicklung des Wohlfahrtsstaats (in seiner skandinavischen sozialdemokratischen Form) scha� ein geeignetes Vehikel für den Über-gang zum Sozialismus.

Konventionelle (mainstream-)-Wirtscha� swissenscha� ler haben lange Zeit argu-mentiert, dass der Wohlfahrtsstaat ein Hemmschuh für das Wachstum geworden ist, was den Weg zum Angriff auf ihn und einer bedeutenden Einschränkung sei-nes Ausmaßes freigab. Sie waren dort am erfolgreichsten und einfl ussreichsten, wo der Wohlfahrtsstaat am allerwenigsten entwickelt war (insbesondere in den USA und in Großbritannien), aber auch in letzter Zeit in Europa. Diese Argu-mente wurden auf theoretischer und hauptsächlich empirischer Grundlage von Theoretikern wie Korpi (2000), Atkinson und Maddison kritisiert.

„Es ist schwierig, zu nachhaltigen Schlussfolgerungen zu kommen bezüglich des Einfl usses des Wohlfahrtsstaats auf die wirtscha� liche Entwicklung – die Belege sind hierzu nicht eindeutig. Starke Aussagen zu dieser Frage sind haupt-sächlich durch ideologische Positionen beeinfl usst, oder Voraussagen darüber, was in der Zukun� passieren könnte.“ (Maddison, 1984) Vor kurzem haben Sandmo (1995) und Atkinson (1999) diesen Punkt auf Grundlage der Erfahrung der vergangenen 15 Jahre nochmals bekrä� igt.

Von einem radikal-marxistischen Standpunkt hat Shaikh (2003) die kon-ventionellen Argumente über die Eff ekte des Wohlfahrtsstaats kommentiert:

Die These, dass der Anstieg des Wohlfahrtsstaats verbunden mit wachsenden Haushaltsdefi ziten zur Wachstumsverlangsamung führt, stimmt nicht, da die Periode gesunden wirtscha� lichen Wachstums mit der Expansion des Wohl-fahrtsstaats einherging und es öff entliche Überschüsse und negative (kleine) Ne� osoziallöhne (ausgedrückt durch die Ne� ohaushaltsposition der Arbeite-rInnen) für die Arbeit gab. Später als sich das Wachstum sich verlangsamte, die Arbeitslosenquote zunahm und ebenso die Ne� osoziallöhne wuchsen infolge dessen auch die Haushaltsdefi zite.

Die Wachstumsverlangsamung wird jedoch argumentativ an Korrelation zwischen Haushaltsdefi zit und positivem Ne� osoziallohn für die Arbeit ge-bunden – beide würden in der Konsequenz (unabhängig von einander) zur Wachstumsverlangsamung führen.

Daher war, was dem Angriff auf den Wohlfahrtsstaat zugrunde lag, das Schwanken des langen Nachkriegsbooms; die bestandenen und bestehenden Haushaltsdefi zite, die ein Resultat dieser Verlangsamung waren und nicht durch Subventionierung der Einkommen der Arbeit verursacht wurden (vgl.

Shaikh, 2003). Da jedoch die Antwort auf die Wirtscha� skrise die Form einer Umverteilung zugunsten des Kapitals annahm, wurde der Wohlfahrtsstaat angegriff en und in seiner Entwicklung gebremst, um Mi� el zu sparen und sie

dem Kapital zur Erleichterung des Akkumulationsprozesses zur Verfügung zu stellen.

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Sti� ung Manuskripte (Seite 131-135)