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Basis eines Gesamtkonzepts der Partizipation von Kinder und Jugendlichen in medizinischen Entscheidungen ist die Organisationsethik. In der Organisationsethik werden ethische Nor-men identifiziert und Vorschläge gemacht, wie die Umgebungsstrukturen diesen NorNor-men ent-sprechend ausgestaltet werden können (Krobath und Heller 2010). In dem hier interessieren-den Fall lautet die ethische Norm: „Kinder und Jugendliche sollen in allen sie betreffeninteressieren-den Lebensbereichen die Möglichkeit haben zu partizipieren.“

Mit der Entwickelung eines Gesamtkonzepts der Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Medizin versucht diese Arbeit die oben beschriebene Lücke zu schließen. Das Modell wurde „Das partizipative Kinderkrankenhaus“ genannt. Dieser Name beschreibt das Ziel, welches mit einem strukturierten Gesamtkonzept erreicht werden soll: eine Kinderklinik, in der Partizipation in seinen verschiedenen Formen und Dimensionen stattfindet. Das Modell soll verdeutlichen, wie auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Bereichen Partizipati-on dauerhaft gesichert werden könnte. Es soll Anregungen für die Praxis bieten, PartizipatiPartizipati-on nicht nur vereinzelt und spontan, sondern auf systemische Art und Weise zu realisieren.

Das Fundament des Modells bilden, wie in Abbildung 8 zu sehen, Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um Partizipation zu ermöglichen. Darüber stehen zwei Säulen, die private Parti-zipation auf der einen und die öffentliche PartiParti-zipation auf der anderen. Zu jeder dieser drei Themenköpfe zählen Methoden, die eingeteilt sind in „Mindestanforderungen“ und „zusätz-lich empfohlene Methoden“. Unter Mindestanforderungen findet man die Methoden, die eine Kinderklinik mindestens umsetzen muss um sich partizipativ zu nennen. Für die zusätzlich empfohlenen Methoden gilt: Es ist wünschenswert, dass ein Krankenhaus über das mindes-tens Erforderliche hinaus noch einzelne weitere Maßnahmen ergreift, um Partizipation in ei-nem umfassenderen Sinn zu realisieren.

Private Partizipation Mindestanforderungen:

Kind-zentriertes Arzt-Patienten-Gespräch:

o Kommunikationsregeln

o Besprechen von Zielen und Behand-lungsmotivation und Vereinbarung über

Management der eigenen Erkrankung:

o Tagebücher

o Selbstständige Schmerzreduktion

Advance Care Planning (ACP) und Patienten-verfügungen

Selbstbestimmtes Essen (Zeit, Auswahl)

Öffentliche Partizipation Mindestanforderungen

Evaluations- und Beschwerdesysteme (mind. 2) o Ansprechpartner

Kindergremien als Teil der Patientenvertretung (evtl. mit eigenem Budget)

Unterstützung und Förderung von selbstinitiier-ten Projekselbstinitiier-ten

Beteiligung an Umbau und Neubau z. B. durch Participatory Action Research (incl. Mosaic-Approach) oder Zukunftswerkstatt

Beteiligung an Auswahl des Personals

Voraussetzungen von Partizipation Mindestanforderungen:

Partizipation als Leitsatz der Institution/ eine Ethikkommission, die Partizipation als Richtlinie festlegt

Kindgerechte Infrastruktur (mind. 2) o Tresen auf Höhe von Kinderaugen

o Spielmöglichkeiten (für verschiedene Altersgruppen)

o Möglichkeit, Eltern so viel wie gewünscht bei sich zu haben (Schlafmöglichkeiten, bei allen Interventio-nen)

o gemütliche, „home-like“ Einrichtung

o Möglichkeit der Selbstgestaltung/-dekorierung des Patientenzimmer o Tageslicht, wenn möglich Blick ins Grüne

Fortbildungscurricula

o Schulungen des ärztlichen und pflegerischen Personals in partizipationsfördernder Gesprächsführung

Umsetzung weiterer Kinderrechte

Kindgerechte Informationsmaterialien- und andere Informationsangebote (mind. 3) o Aufklärungsbücher und –hefte

o Andere Medien (Apps, Film, (Computer-)Spiele, Graphiken etc.) o Gelegenheit zum Austausch mit anderen Kindern

o Tag der offenen Tür für Kinder, virtuelle Tour durchs Krankenhaus, Teddybärkrankenhaus

Zusätzlich empfohlen:

Fortbildungscurricula

o Ausbildung zu Themen wie Kinderrechten, kindgerechten medizinischen Prozeduren etc.

Ausbildung zum Partizipationsmoderator

Abbildung 8: Das Modell des partizipativen Kinderkrankenhauses

Das Modell des partizipativen

Kinderkrankenhauses

Partizipation ist nicht möglich, wenn nicht bestimmt Voraussetzungen erfüllt sind. Von den Methoden und Strategien, die unter „Voraussetzungen“ fallen, wurden folgende als Mindest-anforderungen definiert: Partizipation als Leitsatz der Institution, mindestens zwei Kriterien der kindgerechten Infrastruktur, Fortbildungscurricula (Schulungen des ärztlichen und pflege-rischen Personals in partizipationsfördernder Gesprächsführung), Umsetzung aller Kinder-rechte und zwei bis drei unterschiedliche Informationsmaterialien und -möglichkeiten. Partizi-pation als Leitsatz der Institution sichert PartiziPartizi-pation auf organisatorischer Ebene, ebenso wie Kommunikationsschulungen Partizipation im Arzt-Patienten-Gespräch sichern können.

Deshalb zählen sie zu den Minimalkriterien, die ein Krankenhaus zu erfüllen hat. Man kann nicht erwarten, dass alle Kriterien der kindgerechten Infrastruktur, die oft bauliche Maßnah-men voraussetzen und somit hohe finanzielle Hürden haben, auf einmal umgesetzt werden.

Deshalb müssen nicht alle Kriterien erfüllt sien, damit sich ein Krankenhaus partizipativ nen-nen darf. Dennoch sollte der Versuch unternommen werden, ein kindgerechtes Umfeld zu gestalten, und es sollten zwei bis drei der Kriterien der kindgerechten Infrastruktur erfüllt sein.

Ähnlich ist es mit den verschiedenen Informationsmöglichkeiten für Kinder. Auch hier muss ein Krankenhaus nicht alles an Informationsangeboten, was möglich ist, anbieten. Um sich partizipativ nennen zu können, sollten die Informationsangebote jedoch Rücksicht auf die Individualität von Kindern nehmen, und es sollten mindestens zwei bis drei unterschiedliche Formen von Informationsquellen angeboten werden. Was darüber hinausgeht, zählt zu den zusätzlich empfohlenen Methoden.

Für die „private Partizipation“ wurden zwei Mindestanforderungen identifiziert: das Kind-zentrierte Arzt-Patienten-Gespräch und die Dokumentation des Kindeswillens in der Patien-tenakte. Bei der privaten Partizipation geht es um jede Partizipationssituation, die ein einzelnes Kind von dem Moment an, in dem es das Krankenhaus betritt, betrifft. Das Gespräch mit dem Arzt, in dem in der Regel die wichtigen Entscheidungen getroffen werden, ist auch der Ort der Begegnung zwischen Arzt und Kind. Somit ist ein kind-zentriertes Gespräch die wich-tigste Strategie, um kindliche Partizipation zu ermöglichen, und zählt zu den Mindestanforde-rungen. Ärzten kommt in besonderem Maße die Rolle des „Anwalts“ von Partizipation zu.

Die verpflichtende Dokumentation des Kindeswillens sorgt dafür, dass Ärzte sich bemühen, im Gespräch die Meinung des Kindes tatsächlich in Erfahrung zu bringen. Es ist eine einfach einzuführende Standardmaßnahme, um ein unbeabsichtigtes Übergehen des Kindes zu ver-hindert. Zusätzlich empfohlen sind Protokolle zum angst-/schmerzvermeidenden Vorgehen, Familienkonferenzen, Angebote zum Management der eigenen Erkrankung, selbstbestimmtes Essen und ein ACP-Programm.

Die öffentliche Partizipation hat eher eine politische Dimension. Kinder sollen an der Planung und Gestaltung von Kinderkliniken und der Ausgestaltung ihrer medizinischen Versorgung beteiligt werden. Die einfachste und wichtigste Maßnahme ist es, Kindern auf unterschiedli-chem Wege die Möglichkeit zur Evaluation ihrer Behandlung und zur Beschwerde zu geben und die Ergebnisse in die Planungsdebatten einfließen zu lassen. Deshalb gehören mindestens zwei kindgerechte Evaluations- und Beschwerdesysteme zu den Mindestanforderungen öf-fentlicher Partizipation. Wenn diese Anforderung erfüllt ist, haben Kinder, wenn auch nicht direkt, Einfluss auf die Entwicklung einer Kinderklinik, und ein Mindestmaß an öffentlicher Partizipation ist erfüllt. Damit erreichen Kinder jedoch nur die Stufe 4 nach Hart „Consulted and informed“ (Hart 1992), höhere Formen der Partizipation werden nicht erreicht. Beson-ders in diesem Bereich wäre die Umsetzung von zusätzlichen Partizipationsmethoden deshalb wünschenswert. Zusätzlich empfohlen sind Kindergremien, Beteiligung an der Auswahl des Personals, Beteiligung an Umbau oder Neubau durch PAR oder Zukunftswerkstätten oder die Förderung von selbstinitiierten Projekten. Mit diesen Methoden haben Kinder die Möglich-keit, an Entscheidungen unmittelbar beteiligt zu werden und erreichen somit auch in öffentli-cher Partizipation höhere Stufen der Partizipation.

In jedem Bereich (Voraussetzungen, öffentlich, privat) gibt es über die Mindestanforderungen hinaus weitere Methoden und Strukturen, die zusätzlich empfohlen werden. Es ist wün-schenswert, das ein partizipatives Kinderkrankenhaus zusätzlich zu den Mindestanforderun-gen noch weitere AnstrengunMindestanforderun-gen unternimmt um Partizipation zu verbessern. Somit priori-siert das Modell einige Methoden und Strategien, die unentbehrlich für Partizipation sind (Mindestanforderungen), und lässt den Krankenhäusern ansonsten genug Handlungsspielraum für eigene Ideen der Umsetzung von Partizipation. Es gibt den Krankenhäusern genug Flexi-bilität um auch auf bereits vorhandene Strukturen zurückzugreifen.

Zu streng angelegte Anforderungen ohne Flexibilität können schnell zu einer Überforderung des Krankenhauses beim Einführen neuer Partizipationsmethoden und –strategien führen.

Eine Kinderklinik, die sich mehr Partizipation als Ziel gesetzt hat, sollte nicht vor einem uner-füllbaren Berg von Aufgaben stehen (z. B. gleichzeitig ein ACP-Programm einführen, eine virtuelle Tour durchs Krankenhaus entwickeln und ein Kindergremium einführen). Stattdes-sen sollten bereits vorhandene Partizipationsstrukturen wertgeschätzt werden und ermutigt werden, dort, wo noch Defizite bestehen nachzurüsten. Auch diesen Ansprüchen verspricht das Modell gerecht zu werden.

Neue Methoden und Strategien in einem Krankenhaus einzuführen kann ggf. nur mit finanzi-ellen Investitionen ermöglicht werden. Auch nach finanzifinanzi-ellen Gesichtspunkten stellt das

Mo-dell nicht zu hohe Ansprüche. Während einige der Methoden schon mit Mehrausgaben behaf-tet sind (z. B. Fortbildung des Personals), sind andere Methoden mit keinem oder nur sehr geringem finanziellem Aufwand verbunden (z. B. Dokumentation des Kindeswillens, Beteili-gung an der Auswahl des Personals). Auch ein kleines Budget sollte somit kein Hindernis auf dem Weg zu einem partizipativen Kinderkrankenhaus darstellen.