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Das Decknummernsystem

Im Dokument I. Regionale Organisation des SD (Seite 32-36)

Die wechselhafte räumliche Gliederung des Sicherheitsdienstes erschließt sich ein-facher über das Decknummernsystem als über die ständig wechselnden Bezeich-nungen und Grenzziehungen. Im SD-internen Schriftverkehr wurde der Briefkopf

134 Vgl. M. Wildt, Generation des Unbedingten, S. 41-71.

1 3 5 Zum Leitbild des „politischen Soldaten" in der SS vgl. insbesondere B. Wegner, Hitlers

politische Soldaten.

1 3 6 Zur vielfach diskutierten „Legende" (Mallmann) um den Führerbefehl zur Vernichtung

aller Juden und zu dem weit wichtigeren situativen Ermessensspielraum der Komman-deure vor Ort vgl. K.-M. Mallmann, Genesis des Genozids; in großer Detailfülle dazu D. J. Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker.

3. Das Decknummernsystem 63 mit der Bezeichnung der Dienststelle meist weggelassen und durch eine Code-nummer ersetzt, die nach einer einzigen Umstellung im Dezember 1936 bis Mai 1945 unverändert blieb. Entsprechend dem Netzwerkcharakter des Sicherheits-dienstes bezeichneten die Decknummern keine Dienststelle und keine Funktion, sondern jeweils eine singuläre Person im Netz.

Seit der Einführung des Systems 1932 führte Reinhard Heydrich die Decknum-mer 1, der Führer des Münchner SD-Oberabschnitts „Süd" in München die Num-mer 1 001, Lothar Beutel in Chemnitz als Führer des SD-Oberabschnitts „Mitte"

beziehungsweise „Elbe" die Nummer 5 001.1 3 7 Jedem Oberabschnittsführer wur-den vom Hauptamt Blöcke von 5 000 oder gar 10000 Decknummern zugeteilt, die er nach der Hierarchie seines Stabes verteilen konnte. Sein Stellvertreter bekam zum Beispiel die Nummer 5002, die nachfolgenden Abteilungsleiter die Deck-nummern 5 003, 5004 und so weiter. Dieses System setzte sich nach unten hin fort:

Den unterstellten Abschnitten wurden jeweils lOOer-Blöcke wie 5 101, 5201, 5301 zugeteilt. Aus diesen Nummernblöcken verteilten die Abschnittsführer dann ihrer-seits Decknummern an ihre Außenstellen.

Insgesamt wurden bei der Einführung des Codesystems 90000 Ziffern reser-viert. Die Anzahl der V-Leute hätte noch weit größer sein können, denn deren Decknummern wurden durch Anhängen römischer Ziffern an die Decknummer des Mitarbeiters, der sie führte, gebildet. An die Decknummer jedes Mitarbeiters konnten beliebig viele Nummern für die V-Leute angehängt werden: zum Beispiel 5 001/1, 5 001/11, 5 001/III und so weiter.

Übernommen hatte Reinhard Heydrich dieses zweistufige Codesystem vom englischen Geheimdienst. Dass er sich 1932, als er reichsweit kaum 100 Mitarbei-ter hatte, für fünfstellige Decknummern entschied, zeigt, dass Heydrich schon im Frühstadium den Anspruch hatte, einen mächtigen Apparat zu kreieren.138

Das Decknummernsystem soll hier vertieft werden, da es für den Historiker oftmals die einzige Orientierungsmöglichkeit in den Quellen darstellt, denn im SD-internen Schriftverkehr der Vorkriegszeit wurde ausschließlich mit Decknum-mern gearbeitet: Der Oberabschnitt „Mitte" hatte aus seinem NumDecknum-mernpool den Block 8500 bis 9000 an seinen Abschnitt X X V I I in Erfurt vergeben, dessen Füh-rer Carl Bergmann die erste Ziffer des 500er-Blocks, die 8501, übernahm. Seiner nachgeordneten Außenstelle Jena teilte er die Nummern 8 53Iff. zu. Berichte des Jenaer Außenstellenleiters an Bergmann in Erfurt trugen als Anschrift nur „8531 an 8501". Meldungen, die von Jena direkt an den Oberabschnittsführer Lothar Beutel in Chemnitz, später Leipzig gingen, trugen im Kopf statt Anschrift und Anrede nur „8531 an 5001".

So praktisch das Codesystem in der geheimdienstlichen Praxis war, einheitlich und durchgehend verwendet wurde es nie. Die V-Leute machten nicht selten den Fehler, ihre Berichte zwar korrekt mit der ihnen zugewiesenen Decknummer zu versehen, setzten dann aber aus Gewohnheit noch ihren Namenszug per Hand darunter, was den Sinn des Decknummernsystems ad absurdum führte. Da die ehrenamtlichen Außenstellenleiter ihre SD-Korrespondenz im Rahmen ihres

all-1 3 7 Rekonstruiert nach S D - H A , o.J. [1934], in: BA, R 58/2362, Bl. 115-118.

1 3 8 Vgl. G. C. Browder, Hitler's Enforcers, S. 123.

gemeinen geschäftlichen Briefverkehrs abwickelten und nicht immer streng davon trennten, nutzten sie teils auch für den SD ihr gewohntes Briefpapier. So anonymi-sierte sich 8 531, der Leiter der Außenstelle Jena, zwar vorschriftsgemäß über seine Decknummer, der Kopf des Briefpapiers, auf dem er oder seine Sekretärin die SD-Berichte tippten, wies den Geheimdienstler aber als Professor Gerhard Buhtz

aus.1 3 9 Der Jenaer Mediziner war nicht der einzige SD-Angehörige, dem der Sinn

des Heydrichschen Decknummernsystems verborgen blieb. Konspiration blieb für viele ein Fremdwort, denn sie stand dem weit verbreiteten Geltungsdrang ent-gegen.1 4 0

Im Dezember 1936 wurden neue Nummern verteilt, das System aber blieb un-verändert.1 4 1 Die nun noch großzügiger vergebenen Nummern blieben bis 1945 gültig. Die Oberabschnitte erhielten jetzt einheitlich je 10000 Nummern, die Ab-schnitte jeweils Nummernblöcke in 1 OOOer-Schritten. Der Oberabschnitt „Elbe"

erhielt für sein ganzes mitteldeutsches Gebiet die Nummern von 40001 bis 50000.

Seine drei Abschnitte in Sachsen erhielten die 1 OOOer-Blöcke 43, 44 und 45. Auf den SD-Abschnitt Dresden entfielen damit die Zahlen 43 001 bis 44000, auf Leip-zig 44 001 bis 45 000 und auf Chemnitz die Zahlen 45 001 bis 46 000. Die Abschnitte wiederum teilten die Nummern in lOOer-Blöcke auf ihre Außenstellen auf und be-hielten nur den ersten 100er-Block für die Mitarbeiter ihres Stabes.

Tabelle 7: Decknummernsystem des SD-Oberabschnitts „Elbe"; Stand 15. Dezember 79J61 4 2

SD-Oberabschnitt „Elbe" (ganzes Gebiet) 40001 - 5 0 0 0 0 Oberabschnitt (Stab) 40001 - 43 000 Unterabschnitt Dresden-Bautzen 43001 - 4 4 0 0 0 Unterabschnitt Leipzig 44001 - 4 5 0 0 0 Unterabschnitt Chemnitz-Zwickau 45 001 - 4 6 0 0 0 Unterabschnitt Thüringen Erfurt 46001 - 4 7 0 0 0 Unterabschnitt Halle-Merseburg 47001 - 4 8 0 0 0 Unterabschnitt Magdeburg-Anhalt 48001 - 4 9 0 0 0

Reserve 49001 - 5 0 0 0 0

Die aufgefundene SD-Kartei für Sachsen enthält die numerisch geordneten Kartei-karten der Mitarbeiter und V-Leute der drei 1 OOOer-Blöcke 43 00Iff., 44 00Iff. und 45 OOlff. und diente dazu, aus den Decknummern den jeweiligen Klarnamen, Be-ruf, Anschrift und das Fachgebiet jeder Person dieses Zweiges des Netzwerks zu entschlüsseln.

139 vgi . SD-Ast Jena (Prof. Buhtz), Bericht über die augenblickliche Lage und Vorschläge für die künftige Gestaltung der Universität Jena, 5.12.1936, in: BA, R 58/6680 (alt:

B A - D H , ZB II 1154, A. 3), Bl. 193.

140 Vgl. SD-Ast Erfurt, Rundschreiben 24/40, Falsche und aus egoistischen Gründen ge-machte Meldungen, 20.3.1940, in: ThHStA, NS 29/50.

141 Vgl. S D - H A Stabskanzlei, Befehl für den SD Nr. 76/36, Nachrichtenerfassung, 15.12.1936, in: USHMM, RG-11.001 M, Reel 1, Bl. 1-13 (= Sonderarchiv Moskau, Fond 500-1-3). Der Organisationsbefehl zur Nummernzuteilung war als „Geheime Komman-dosache" deklariert.

l « Vgl. ebd.

3. Das Decknummernsystem 65 Das durchgehende Führerprinzip im Sicherheitsdienst kam weiterhin dadurch zum Ausdruck, dass der Führer jeder SD-Einheit die Endziffer 1 für sich reser-vierte. Der Leipziger Abschnittsführer Gustav Hayn reklamierte die 44 001 für sich. Genau so verhielt es sich mit den Außenstellen. Der Hayn unterstellte Außen-stellenleiter in Döbeln bei Leipzig erhielt zum Beispiel die 44301. Die Ziffer 2 wurde jeweils an den Stellvertreter vergeben.

Ab Dezember 1936 richtete sich das Decknummernsystem einheitlich nach dem Status, das heißt, nur aufgenommene SD-Angehörige bekamen eine volle Nummer zugeteilt. Alle nur im SD tätigen Akteure bekamen eine unselbstständige Nummer zugeteilt, die aus dem Code ihres V-Mann-Führers gebildet wurde. Diese unselbst-ständigen Nummern spiegeln keine Rangfolge der V-Leute wider, sondern wurden der Reihenfolge nach vergeben, das heißt, der zuerst geworbene V-Mann oder Mitarbeiter des Döbelner Außenstellenleiters 44301 bekam die Nummer 44301/1 zugewiesen, der zweite die 44301/11.1 4 3 Auf diese Weise lässt sich aus den Deck-nummern in der sächsischen SD-Kartei leicht das Wachstum des Netzwerks re-konstruieren.

Das 1936 vereinheitlichte und gestraffte Decknummernsystem blieb weiterhin völlig überdimensioniert. Der Leipziger SD-Abschnittsführer hatte sich für die kommende Expansion seines Stabes gleich zwei lOOer-Blöcke reservieren lassen, von 44001 bis 44199. Bis April 1945 konnte SS-Sturmbannführer Gustav Hayn lediglich etwas mehr als ein Viertel seiner 200 vollen Nummern an SD-Angehörige vergeben. Die letzte Decknummer 44 055 wurde im Krieg an Johannes Wagner vergeben, Stadtrechtsrat beim Leipziger Oberbürgermeister.144

Bürokratisches Gebaren entwickelte auch im Sicherheitsdienst Beharrungskräf-te. Die eigentlich im Dezember 1936 ungültig gewordene 5001 als Synonym für den SD-Oberabschnitt „Elbe" blieb weiterhin parallel in Gebrauch. 5 001 wurde zwar seitdem im Schriftverkehr mit anderen Dienststellen nicht mehr verwendet, fand sich aber weiterhin in internen Aktennotizen. Grund für die Traditionsver-bundenheit dürfte die damit verbundene Erinnerung an die ehemals heraushobene Stellung des SD-Oberabschnitts vor 1936, in der „Kampfzeit" des SD, ge-wesen sein. Niedrige Decknummern bedeuteten immer eine zentralere Stellung.

Da Heydrich die Nummer 1 führte, fühlte man sich in Sachsen mit der Nummer 5 001 dem „Chef" näher als mit der ab 1936 offiziellen Nummer 40001.

Die 1936 verteilten Decknummern behielten ihre Gültigkeit bis zum Ende des Apparats 1945. Auf eine erneute Umstellung, die Ende 1939 nach der Auflösung der SD-Oberabschnitte angestanden hätte, wurde praktischerweise verzichtet und deren Decknummern einfach brachgelegt. Die regional schon immer an den jetzt aufgewerteten SD-Abschnitten ausgerichteten 1 OOOer-Blöcke blieben erhalten.

Der Führer des SD-Leitabschnitts Dresden etwa übernahm das gesamte Netzwerk mit allen Decknummern 43 OOlff. des SD-Unterabschnitts Dresden-Bautzen.1 4 5

Die Decknummern waren das organisatorische Gerüst des Netzwerks, das un-abhängig von diversen Umbenennungen und Verschiebungen in der räumlichen

1 4 3 Vgl. SD-Kartei 44 301ff.

1 4 4 Vgl. SD-Kartei 44 001 ff.

1 4 5 Vgl. SD-Kartei 43 OOlff.

Gliederung konstant blieb, so dass alle Akteure ihre nach 1936 zugewiesene Deck-nummer behielten: Der Kaufmann Heinz Mittag etwa, SD-Angehöriger in Leip-zig, musste seine Decknummer 44012 nie ändern, egal ob seine Dienststelle den Status eines SD-Unterabschnitts (1936-1939), SD-Abschnitts (1939-1943) oder einer SD-Hauptaußenstelle (1943-1945) führte. Die Decknummern zeigen die durchgehende personelle und organisatorische Kontinuität vor Ort, die durch die ständigen organisatorischen Veränderungen oftmals verdeckt wird.

Die folgende Tabelle zeigt das Codesystem des SD in Sachsen mit Stand vom April 1945, wie es aus der bis zu diesem Zeitpunkt aktualisierten SD-Kartei im Bundesarchiv heute hervorgeht:

Tabelle 8: Decknummernsystem des SD-Leitabscbnitts Dresden, 1936-1945

SD-(Leit-)Abschnitt

SD-Außenstellen N u m m e r ff.

Dresden 43 000

SD-Finanzstelle 43100

Dresden-Stadt 43200

Radeberg 43300

Kamenz 43400

Leipzig 44000

Borna 44200

Döbeln 44300

Würzen 44400

Leipzig-Stadt 44500

Oschatz 44800

Mittweida 44900

Chemnitz 45000

Freiberg > 146

Annaberg 45300

Zwickau 45400

Plauen 45500

Auerbach 45600

Stollberg 45650

Flöha 45700

Marienberg 45750

146 Zu den Überlieferungslücken der SD-Kartei vgl. Kapitel ,1. Quellenkritik', S.304ff.

Im Dokument I. Regionale Organisation des SD (Seite 32-36)

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