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Körper tanzen Geschichte(n)

Anhand der Biografien von drei im Nationalsozia-lismus verfolgten Personen beschäftigten sich Ju-gendliche aus Hannover mit Rassismus und Anti-semitismus in der Geschichte und mit Rassismus heute. Ihre Erkenntnisse verarbeiteten sie in regel-mäßigen Trainings zu einem Tanztheaterstück. In dem Teilprojekt DANCING HISTORY wurden dabei politisches und künstlerisches Handeln wirkungs-Erste Recherche-Ergebnisse in Sahlkamp

A. stellt Fasia Jansen vor Gedenkstätte Bergen-Belsen

voll zusammengeführt. Diese Form der politischen Bildung beinhaltete mehrere Aspekte, von denen die Teilnehmenden profitieren konnten, jedoch war ein besonders wichtiges Prozessmoment die Transformation des »theoretischen« Inputs in den Tanz, sprich: die Herstellung einer direkten Ver-bindung zum eigenen Körper. Davon ausgehend, dass politische Bildungsprozesse immer auch eng mit emotionalen Prozessen verknüpft sind, kommt der Körperarbeit hier eine zentrale Stellung zu. Die Erfahrung, etwas Gelerntes anhand von gezielten Übungen mit dem gesamten Körper nachzuempfin-den, bietet eine erweiterte Reflexionsmöglichkeit und nimmt so direkten Einfluss auf die Entwick-lung einer persönlichen Haltung zum jeweiligen Thema.

Im konkreten Fall war aber nicht nur die em-pathische Auseinandersetzung mit den Biografien von Bedeutung, sondern auch die mit den eige-nen Standpunkten und Erfahrungen. Angesichts gesellschaftlicher Machtverhältnisse ist es ein entscheidender Unterschied, ob jemand mit Ras-sismus und/oder Antisemitismus konfrontiert ist

und entsprechende Erfahrungen macht oder eben nicht. So wurde in der DANCING HISTORY-Gruppe immer wieder deutlich, wie sehr sich eigene Ras-sismuserfahrungen in die Körper eingeschrieben haben und fortlaufend einschreiben. Erfahrungen, für die den Jugendlichen oft die Worte fehlen, wur-den in gespielten Statuen plötzlich spürbar und sichtbar. (Nach Augusto Boal werden in Statuen (kollektive) Vorstellungen von Unterdrückung mit dem Körper ins Bild übersetzt und sind in späteren Phasen des Statuentheater veränderbar.) Die ge-samte Projektphase wurde aus diesem Grund von Empowerment-Übungen begleitet. Wenn beispiels-weise, in Anlehnung an eine der Biografien, eine schmerzhafte Situation nachzuspielen war und per-sönliche Identifikationen mit dem Schmerz sich in den Körperbildern ausdrückten, war es von großer Bedeutung, die Rollenübernahme nicht unbegleitet zu lassen, sondern parallel dazu stärkende und hal-tungsreflektierende Übungen durchzuführen. Das Ziel war es, den Jugendlichen Raum zu geben: zum einen für Selbstbemächtigung und die konstrukti-ve (empowernde) identitätspolitische Auseinander-setzung, zum anderen für das Erkennen von und die Befreiung aus eingeschriebenen Erfahrungen.

Im Vordergrund stand dabei, die durch struktu-rellen und alltäglichen Rassismus verinnerlichten Körperbilder oder -repräsentationen zu irritieren und zu bearbeiten.

Ein weiterer Aspekt, den die DANCING HISTO-RY-Gruppe körperlich bearbeitet hat, waren eige-ne, familienbiografische Verbundenheiten mit den biografisierten Protagonist_innen. Am Beispiel der Lebensgeschichte des Hannoveraner Sinto Johann Rukeli Trollmann, der im Konzentrationslager er-mordet wurde, ist dies besonders deutlich geworden.

Die Erfahrungen von Rassismus gegen und Verfol-gung von Roma und Sinti, die Sinti seit Jahrhunder-ten erleben, überliefern sich strukturell, systemisch Training: Bitte nicht lachen

Stars auf der Bühne des DTK

und intergenerationell. Sie spielen also eine maßgeb-liche Rolle, wie der eigene Körper wahrgenommen oder gedeutet wird. Vor diesem Hintergrund bot vor allem diese Biografie für die Sintezzas und Sintos der Gruppe einen starken und sehr unmittelbaren Bezugspunkt. Dass der Porajmos – der nationalso-zialistische Völkermord an den europäischen Sinti und Roma – im Tanz-Projekt aufgegriffen und bear-beitet wurde, erlebten die Jugendlichen als beson-deres Moment der Stärkung, da diese Geschichte in der Regel kaum gesellschaftliche Beachtung erfährt.

Um die Biografie Trollmanns auch als Vorbild bzw.

Role-Model zu nutzen, wurden bei der Bearbeitung vor allem dessen ungewöhnliche Widerstandsstrate-gien in den Vordergrund gerückt und immer wieder im Tanz ausgedrückt. Die Jugendlichen empfanden die Möglichkeit der biografischen Übertragbarkeit als so ermutigend und inspirierend, dass sie schließ-lich eigene Körper(re)präsentationen entwerfen konnten.

Dieses Beispiel unterstreicht den pädagogischen und politischen Ansatz, die unterschiedlichen per-sönlichen und kollektiven Erfahrungshorizonte

der Jugendlichen anzuerkennen und mit einzube-ziehen. Mit DANCING HISTORY wurde es möglich, eine ernsthafte Auseinandersetzung über histori-sche Begebenheiten zu führen, indem diese fühl-bar gemacht und mit den Jugendlichen umgesetzt wurden. Darüber hinaus ist es gelungen, bei den Jugendlichen eigene biografische Reflexionsprozes-se anzustoßen und Gegenmodelle zu existierenden Körperbildern zu entwickeln. Geschichte/n und Gegenwart/en, über Bewegung verknüpft, ließen Erinnerung tanzen.

Veranstaltungswoche

»HEIMAT«

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte sich selbst oder Ihren Nachbarn…

Die Idee, sich mit dem Begriff »Heimat« und mög-lichen »Begleiterscheinungen« im Rahmen einer Ausstellungs- und Veranstaltungswoche intensiver auseinanderzusetzen, entstand im Zuge des Stadt-teilfests Sahlkamp-Vahrenheide im Sommer 2012 Jugendliche beschreiben ihre Gefühle Szene aus dem Leben von Johann Rukeli Trollmann Hannover besucht Berlin

in Hannover. Dort hatten die Amadeu Antonio Stif-tung und das Jugendzentrum Sahlkamp eine Fotoak-tion durchgeführt: Junge und ältere Besucher_innen des Fests wurden zu einem Fotointerview eingela-den. Sie bekamen vier Fragen gestellt, die sie mit einer spontanen pantomimischen Reaktion beant-worten sollten – darunter die Frage: Was verbindest du mit dem Wort »Heimat«? Aus diesen Aufnahmen entstand eine Fotoausstellung, die ein knappes Jahr später, im April 2013, während der Veranstaltungs-woche »HEIMAT« zu besichtigen war.

»Heimat« ist ein Wort, das ganz unterschiedli-che Assoziationen und Empfindungen auslösen kann. Hierzulande wird der Begriff jedoch häufig zusammen gedacht mit genuiner (angeborener)

»Zugehörigkeit«, mit »Einheimischsein« und/oder

»Deutschsein«, mit »Echtheit« und »Authentizität«

oder sogar, wie etwa von der politischen Rechten, als Kampfbegriff genutzt. Wir haben versucht, ihn neu zu besetzen und aus anderen Perspektiven zu betrachten. Was bedeutet »Heimat« für People of

Color und/oder Jüd_innen die in Hannover leben?

Welche Bilder und Vorstellungen werden in Bil-dungseinrichtungen über »Heimat« transportiert?

Welche Rolle spielen dabei Rassismus und Antise-mitismus?

Mit dieser Veranstaltungswoche ist es gelun-gen, Menschen unterschiedlicher Generationen, Bildungsvorrausetzungen sowie gesellschaftspo-litischer Positionierungen zu inspirieren und zu-sammenzubringen. Anhand der pantomimischen Statements zum Thema »Heimat« sowie mit Hilfe unterschiedlicher Angebotsformate wurde eine Auseinandersetzung mit den Themen Antisemitis-mus und RassisAntisemitis-mus angestoßen, die über den Sozi-alraum hinaus ging und von einigen Akteur_innen später in Eigenregie fortgeführt wurde. Durch die Verknüpfung von inhaltlichen Diskussionen und kulturellen Angeboten einerseits sowie aufgrund der Perspektivenvielfalt der Referent_innen ande-rerseits konnten sehr breit gefächerte Zielgruppen aus dem Stadtteil, aber auch aus dem gesamten Stadtgebiet erreicht werden.

Das Jugendzentrum Sahlkamp wurde als Ort poli-tischer Bildung im Sozialraum wahrgenommen und sein Engagement in diesem Feld durch das Erschei-nen zahlreicher Gäste honoriert. Das Sprechen über Jugendliche verwandelte sich in ein Sprechen miteinander. Viele Jugendliche waren begeistert, wie viele Menschen sich für »ihr« Jugendzentrum und ihre Perspektiven interessierten. Für sie war es ein wichtiges Erlebnis, dass das Thema »Ras-sismus« eine so breite Beachtung fand und damit auch ihre Erfahrungen thematisiert und anerkannt wurden. Sie nahmen sich in dieser Woche als poli-tisch selbstbestimmt handelnde Individuen wahr, was vor allem ihre konstruktiven Sprechanteile, aber auch ihre generell rege Teilnahme belegen.

Somit wurde das Ziel, Jugendliche mit Rassismuser-fahrungen zu stärken, nicht nur indirekt, z.B. durch die Fortbildung von Multiplikator_innen, sondern auch direkt erreicht.

Sozialdezernent der Stadt Hannover Thomas Walter

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