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Was ist nun Computeralgebra? Wir hatten gesehen, dass sie eine spezielle Art von Symbolverarbei-tung zum Gegenstand hat, in der, im Gegensatz zur TextverarbeiSymbolverarbei-tung, die Symbole mit Inhalten, also einerSemantik, verbunden sind. Auch geht es bei der Verarbeitung um Manipulationen eben dieser Inhalte und nicht prim¨ar der Symbole selbst.

Von der Natur der Inhalte und der Form der Manipulationen her k¨onnen wir den Gegenstand der Computeralgebra also in erster N¨aherung als

symbolisch-algebraische Manipulationen mathematischer Inhalte

bezeichnen. Diese ”Natur der Inhalte“ ist dem Computer nat¨urlich nicht direkt zug¨anglich, son-dern bedarf zur ad¨aquaten Anwendung des an Menschen und menschliches Wissen gebundenen Verst¨andnissesdieser Inhalte. In einem solch breiteren Verst¨andnis entpuppt sich die Computer-algebra als Teil der Informatik, wenn man diese nicht als

”Wissenschaft von der systematischen Verarbeitung von Informationen, besonders der automatischen Verarbeitung mit Digitalrechnern“

[6], sondern als

”technologische Seite der Denkens“ (B. Buchberger) versteht.

Stellen wir die Art der internen Verarbeitung in den Mittelpunkt und gehen eher von der syn-taktischen Form aus, in der uns diese Inhalte entgegentreten, so l¨asst sich der Gegenstand grob als

Rechnen mit Symbolen, die mathematische Objekte repr¨asentieren

umreißen. Diese Objekte k¨onnen neben ganzen, rationalen, reellen oder komplexen Zahlen (be-liebiger Genauigkeit) auch algebraische Ausdr¨ucke, Polynome, rationale Funktionen, Gleichungs-systeme oder sogar noch abstraktere mathematische Objekte wie Gruppen, Ringe, Algebren und deren Elemente sein.

Das Adjektivsymbolischbedeutet, dass das Ziel die Suche nach einer geschlossenen oder appro-ximativen Formel im Sinne des deduktiven Mathematikverst¨andnisses ist.

Das Adjektiv algebraisch bedeutet, dass eine exakte mathematische Ableitung aus den Aus-gangsgr¨oßen durchgef¨uhrt wird, anstatt n¨aherungsweise Fließkommaarithmetik einzusetzen. Es impliziert keine Einschr¨ankung auf spezielle Teilgebiete der Mathematik, sondern eine der ver-wendeten Methoden. Diese sind als mathematische Schlussweise weit verbreitet, denn auch An-wendungen aus der Analysis, welche – wie z.B. Grenzwert- oder Integralbegriff – per definitionem N¨aherungsprozesse untersuchen, verwenden in ihrem eigenen Kalk¨ul solche algebraischen Um-formungen. Dies wird am Unterschied zwischen der Ableitungsdefinition und dem Vorgehen bei der praktischen Bestimmung einer solchen Ableitung deutlich, vgl. auch [13]. Beispiele f¨ur solche

algebraisch-symbolischen Umformungen sind Termumformungen, Polynomfaktorisierung, Reihen-entwicklung von Funktionen, analytische L¨osungen von Differentialgleichungen, exakte L¨osungen polynomialer Gleichungssysteme oder die Vereinfachung mathematischer Formeln.

Computeralgebraische Werkzeuge beherrschen heute schon einen großen Teil der algorithmisch zug¨anglichen mathematischen und zunehmend auch naturwissenschaftlichen und ingenieurtech-nischen Kalk¨ule und bieten fach- und softwarekundigen Anwendern Zugang zu entsprechendem Know-how auf Black-Box-Basis. Implementierungen fortgeschrittener Kalk¨ule aus den Einzelwis-senschaften sind ihrerseits nicht denkbar ohne Zugang zu effizienten Implementierungen der zen-tralen mathematischen Kalk¨ule aus Algebra und Analysis.

Historisch stand und stehen dabeiTermumformungen, also das Erkennen semantischer Gleichwer-tigkeit syntaktisch unterschiedlicher Ausdr¨ucke, sowie das effiziente Rechnen mit polynomialen und rationalen Ausdr¨ucken am Ausgangspunkt. Die hierbei verwendeten Methoden unterscheiden sich oftmals sehr von der durch

”mathematische Intuition“ gelenkten und st¨arker heuristisch gepr¨agten Schlussweise des Menschen und greifen die Entwicklungslinien der konstruktiven Mathematik aus den 1920er Jahren wieder auf, vgl.R.Loosin [13].

Neben der numerisch-algorithmischen Sicht auf den Computer als ”number cruncher“ spielten in den 1970er Jahren zun¨achst nichtnumerische Applikationen wie z. B. Anwendungen der diskreten Mathematik (Kombinatorik, Graphentheorie) oder der diskreten Optimierung eine zentrale Rolle, die endliche Strukturen untersuchen, welche sich exakt im Computer reproduzieren lassen. Den spektakul¨arsten Durchbruch markiert der computergest¨utzte Beweis des Vier-Farben-Satzes durch Appel und Haken im Jahre 1976, der eine kontroverse Diskussion dar¨uber ausl¨oste, wie weit solche Computerbeweise ¨uberhaupt als Beweise im mathematisch-deduktiven Sinne anerkannt werden k¨onnen. Dies ist heute weitgehend unbestritten, wenn die verwendeten Programme selbst einer Korrektheitspr¨ufung standhalten.

Im Gegensatz zur diskreten Mathematik hat Computeralgebra mathematische Konstruktionen zum Gegenstand, die zwar syntaktisch endlich (und damitexakt im Computer darstellbar) sind, aber semantisch unendliche Strukturen repr¨asentieren k¨onnen. Diesebeschreibungsendlichen Struk-turen kommen mathematischen Arbeitstechniken n¨aher als Anwendungen und implementierte Kalk¨ule der numerischen oder diskreten Mathematik.

In diesem Sinne beschreibtJ.Grabmeierin [8], aufR.Looszur¨uckgehend,

Computeralgebra als den Teil der Informatik und Mathematik, der algebraische Algo-rithmen entwickelt, analysiert, implementiert und anwendet.

Das Beiwort

”algebraisch“ bezieht sich dabei, wie oben erl¨autert, auf die eingesetzten Methoden.

Buchberger verwendet in [3, S. 799] die genaueren Adjektive

”exakt“ und

”abstrakt“:

Symbolisches Rechnen ist der Teil der algorithmischen Mathematik, der sich mit dem exakten algorithmischen L¨osen von Problemen in abstrakten mathematischen Struktu-ren befasst.

Im Weiteren unterstreicht Buchberger die Bedeutung der Algebraisierung und Algorithmisierung mathematischer Fragestellungen (der

”Trivialisierung von Problemstellungen“), um sie einer com-puteralgebraischen Behandlung im engeren Sinne zug¨anglich zu machen, und schl¨agt diesen Auf-wand dem symbolischen Rechnen zu. Allerdings werden so die Grenzen zu anderen mathematischen Teilgebieten verwischt, die sich zusammen mit der Computeralgebra im engeren Sinne arbeitsteilig an der Entwicklung und Implementierung der jeweiligen Kalk¨ule beteiligen. Ein solches Verst¨andnis blendet zugleich den technikorientierten Aspekt der Computeralgebra als Computerwissenschaft weitgehend aus.

Schließlich reicht die Bedeutung der Verf¨ugbarkeit von Computeralgebra-Systemen weit ¨uber den Bereich der algorithmischen Mathematik hinaus. Die Vielzahl mathematischer Verfahren, die in einem modernen CAS unter einereinheitlichenOberfl¨ache verf¨ugbar sind, machen dieses zu einem

Mathematik

Numerik symbolisches Rechnen

diskrete Mathematik

Abbildung der Uberabz¨ahlbarkeit¨

der Welt auf die Endlichkeit des

Computers

semantisch unendliche, aber

beschreibungs-endliche mathematische

Strukturen

Endlichkeit der Strukturen selbst

Approximative Mathematik

deduktive oder

” exakte“ Mathematik

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Computer-Mathematik

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Informatik

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Die Genese der Computermathematik

metamathematischen Werkzeugf¨ur Anwender, ¨ahnlich den Numerikbibliotheken, die im Wis-senschaftlichen Rechnen schon lange eine zentrale Rolle spielen. Die zus¨atzlichen Visualisierungs-und Pr¨asentationsm¨oglichkeiten, die weltweite Vernetzung, der Zugang zu st¨andig aktualisierten Datenbest¨anden und vieles mehr machen die f¨uhrenden CAS heute zu dem, wasMathematicaals Leitspruch erkoren hat:

”A fully integrated environment for technical computing.“ Die damit ver-bundenen Anforderungen an das informations-technische Management bilden einen eigenst¨andigen Teil der Herausforderungen, vor denen die Computeralgebra als interdisziplin¨ares Gebiet steht.

In einer sich damit immer mehr etablierenden Computermathematik [8] als Symbiose dieser Entwicklungen stehen computergest¨utzte numerische, diskrete und symbolische Methoden gleich-berechtigt nebeneinander, sind Grundlage und erfahren Anreicherung durch Visualisierungswerk-zeuge, die in praktischen Applikationen sich gegenseitig befruchtend ineinander greifen sowie sich mit”denktechnologischen“ Fragen der Informatik verzahnen.

Wir wollen deshalb den Gegenstand des symbolischen Rechnens st¨arker als Symbiose zwischen Mathematik und Computer verstehen und das Wort Computeralgebra in diesem Sinne verwen-den. Mit Blick auf die zunehmende Kompliziertheit der entstehenden Werkzeuge sind daf¨ur obige

Definitionen noch zu erweitern um den Aspekt der

Entwicklung des zu Implementierung und Management solcher Systeme notwendigen informatik-theoretischen und -praktischen Instrumentariums.

Die Computeralgebra befindet sich damit an der Schnittstelle zentraler Entwicklungen verschie-dener Gebiete sowohl der Mathematik als auch der Informatik.

Im Computeralgebra-Handbuch [9], an dem weltweit ¨uber 200 bekannte Fachleute aus den verschie-densten Bereichen der Computeralgebra mitgearbeitet haben, wird das eigene Fachgebiet etwas ausf¨uhrlicher wie folgt definiert:

Die Computeralgebra ist ein Wissenschaftsgebiet, das sich mit Methoden zum L¨osen mathematisch formulierter Probleme durch symbolische Algorithmen und deren Umset-zung in Soft- und Hardware besch¨aftigt. Sie beruht auf der exakten endlichen Darstel-lung endlicher oder unendlicher mathematischer Objekte und Strukturen und erm¨og-licht deren symbolische und formelm¨aßige Behandlung durch eine Maschine. Strukturel-les mathematisches Wissen wird dabei sowohl beim Entwurf als auch bei der Verifikation und Aufwandsanalyse der betreffenden Algorithmen verwendet. Die Computeralgebra kann damit wirkungsvoll eingesetzt werden bei der L¨osung von mathematisch model-lierten Fragestellungen in zum Teil sehr verschiedenen Gebieten der Informatik und Mathematik sowie in den Natur- und Ingenieurwissenschaften.

In diesem Spannungsfeld zwischen Mathematik und Informatik findet die Computeralgebra zu-nehmend ihren eigenen Platz und nimmt wichtige Entwicklungsimpulse aus beiden Gebieten auf.

So mag es nicht verwundern, dass die großen Durchbr¨uche der letzten Jahre sowohl in der Mathe-matik als auch in der InforMathe-matik die von der Computeralgebra produzierten Werkzeuge wesentlich beeinflusst haben und umgekehrt.