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4. Ergebnisse und Diskussion

4.2. Kreuzkupplungsreaktionen

4.2.3. Kreuzkupplungsreaktionen mit N-heterocyclischen Carben-Liganden

4.2.3.3. Katalysezyklus

Cobalt-katalysierte Kreuzkupplungsreaktionen mit Carben-Liganden werden nach NAKAMURA und Mitarbeiternvor allem zur Bildung von sp2-sp2-Bindungen eingesetzt.[28] Zur Aufstellung eines Katalysezyklus auf der Basis der ESI-massenspektrometrisch

117 nachgewiesenen Cobalt-organischen Komplexe wurden daher in erster Linie die Experimente unter Einsatz von aromatischen Transmetallierungsreagenzien berücksichtigt.

Es kann davon ausgegangen werden, dass im ersten Schritt der Katalysatoraktivierung eine doppelte Transmetallierung des Präkatalysators (NHC)nCoCl2 (n = 1 oder 2) in Lösung erfolgt, wobei die Neutralspezies (NHC)nCoR2 gebildet wird, die ESI-massenspektrometrisch nicht nachweisbar war. Jedoch steht diese Spezies durch Übertragung eines weiteren organischen Restes im Gleichgewicht mit dem Cobaltat (NHC)nCoPh3

, das für n = 1 beobachtet werden konnte. Gleichzeitig befindet sich die Neutralspezies durch Adduktbildung mit dem Co(+I)-Komplex (NHC)nCo+ im Gleichgewicht mit dem dinuklearen kationischen Komplex (NHC)2nCo2R2+

, der ebenfalls für n = 1 nachgewiesen werden konnte. Die Neutralspezies (NHC)nCoR2 geht durch reduktive Eliminierung des Homokupplungs-produktes in die aktive neutrale Katalysatorspezies (NHC)nCo über, die sich massenspektrometrisch wiederum nicht beobachten ließ. Doch konnte dieser Schritt für das dinukleare Addukt (NHC)2Co2R2+ in der Gasphase direkt verfolgt werden, wobei das Fragmention (NHC)2Co2+ gebildet wurde, welches das Addukt der aktiven Katalysatorspezies (NHC)nCo mit (NHC)nCo+ für n = 1 darstellt. Inwiefern diese dinuklearen Spezies auch in Lösung vorlagen oder erst durch die Konzentrationserhöhung während des ESI-Prozesses erzeugt wurden, lässt sich nicht ohne Weiteres sagen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die dinuklearen Spezies selbst die entscheidenden Intermediate bei der Katalysatoraktivierung darstellen. Falls die Neutralspezies, von deren Existenz aufgrund des Gleichgewichtes zwischen kationischen und anionischen Spezies ausgegangen werden kann, entscheidend sind, so konnte der zentrale Aktivierungsschritt durch die Kationisierung in Folge der Adduktbildung verfolgt werden. Die Neutralspezies (NHC)nCoR2 kann nicht nur das Homokupplungsprodukt eliminieren, sondern auch durch Ein-Elektronen-Transfer ohne Übertragung eines organischen Restes disproportionieren, wobei die Spezies (NHC)nCoR2

und (NHC)nCoR2+

gebildet werden, die beide nachgewiesen werden konnten. Reduktive Eliminierung der beiden Arylreste ausgehend von diesen Spezies ergibt die Co(I)- und Co(+I)-Komplexe (NHC)nCo und (NHC)nCo+ (Schema 60).

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Schema 60: Schematische Darstellung der Abläufe während der Aktivierung des Präkatalysators in Cobalt-katalysierten Kreuzkupplungsreaktionen mit NHC-Liganden. Die Adduktbildung geht vermutlich mit dem Verlust von Liganden einher. ESI-massenspektrometrisch nachgewiesene Spezies sind durch Umrahmung gekennzeichnet. Die aktive Katalysatorspezies ist rot umrahmt dargestellt. NHC = N-heterocyclischer Carben-Ligand; R = Arylrest; n = 1 oder 2.

Während der kationische Komplex in hohen Intensitäten beobachtet wurde, konnten Co(I)-Spezies nicht nachgewiesen werden, was vermutlich der mangelnden Stabilität dieser Komplexe geschuldet war. Die Existenz der Komplexe (NHC)nCo+ lässt sich alternativ auf eine Disproportionierung des aktiven Katalysators (NHC)nCo zurückführen. Die Übertragung eines organischen Restes aus dem Transmetallierungsreagenz RMgCl auf die kationische Spezies (NHC)nCo+ liefert die Neutralspezies (NHC)nCoR, deren Existenz durch SET-Prozesse unter Bildung des entsprechend kationisierten Co(+II)-Komplexes (NHC)nCoR+ nachgewiesen werden konnte.

Die Entstehung der Spezies (NHC)Co2R3

, die in den Anionenspektren meist sehr intensiv beobachtet wurden, kann durch verschiedene Aggregationsphänomene erklärt werden. Eine Anlagerung der Spezies (NHC)nCoR an die anionische Verbindung (NHC)nCoR2

unter Ligandabspaltung führt ebenso zu dieser dinuklearen Spezies wie eine Kombination aus dem aktiven Katalysator (NHC)nCo und dem Co(+II)-Komplex (NHC)nCoR3

. Daneben ist theoretisch noch ein Aufbau aus den Spezies (NHC)nCoR und (NHC)nCoR2 sowie (NHC)nCo und (NHC)nCoR3 denkbar, wobei jedoch die potentiellen mononuklearen Anionen massenspektrometrisch nicht nachgewiesen werden konnten (Schema 61).

119 Schema 61: Mögliche Kombinationen von mononuklearen Komplexen zur Erklärung der Zusammensetzung der dinuklearen Spezies (NHC)Co2R3. Die Adduktbildung geht vermutlich mit dem Verlust von Liganden einher.

ESI-massenspektrometrisch nachgewiesene Spezies sind durch Umrahmung gekennzeichnet.

In Gegenwart eines Arylhalogenids R'X reagiert die aktive Katalysatorspezies (NHC)nCo unter oxidativer Addition des Substrates. Die Entstehung von Spezies der Zusammensetzung (NHC)nCoR'+ deutet darauf hin, dass der Addition des organischen Restes R' ein Ein-Elektronen-Transferprozess zugrunde liegt. Die Übertragung eines Elektrons von der aktiven Katalysatorspezies (NHC)nCo auf das Organylhalogenid führt zur Bildung des Kations (NHC)nCo+ und des Radikalanions R'X•. Letzteres zerfällt in das Radikal R' und das Halogenid X. Durch die Anlagerung des Radikals R' an (NHC)nCo+ entsteht die Co(+II)-Spezies (NHC)nCoR'+. Transmetallierung des organischen Restes R durch RMgCl auf das Cobalt-Zentrum liefert den Co(+II)-Neutralkomplex (NHC)nCoRR'. Möglicherweise kommt es vor der Transmetallierung zur Anlagerung des Halogenids X an (NHC)nCoR'+, wodurch die Neutralspezies (NHC)nCoXR' erzeugt wird. Als Neutralspezies wäre dieses Intermediat einer ESI-massenspektrometrischen Analyse nicht unmittelbar zugänglich. Es konnten auch keine geladenen Komplexe nachgewiesen werden, die als Addukte dieses möglichen Intermediates aufgefasst werden können. Die Zwischenstufe (NHC)nCoRR' jedoch steht durch Transmetallierung eines weiteren organischen Restes R auf das Cobalt-Zentrum im Gleichgewicht mit der anionischen Co(+II)-Spezies (NHC)nCoR2R', die ESI-massenspektrometrisch nachgewiesen werden konnte. Durch Anlagerung der kationischen Spezies (NHC)nCo+ bildet sich aus der Neutralverbindung (NHC)nCoRR' der dinukleare Komplex (NHC)2nCo2RR'+, der aufgrund seiner positiven Ladung für n = 1 ESI-massenspektrometrisch beobachtet werden konnte. Durch reduktive Eliminierung des Kreuzkupplungsproduktes geht der Komplex (NHC)nCoRR' wieder in die aktive Katalysatorspezies über. Dieser zentrale Schritt der Produktbildung konnte für das dinukleare Addukt (NHC)2Co2RR'+ in der Gasphase direkt beobachtet werden, wobei die Spezies (NHC)2Co2+ entstand, die den aktiven Katalysator (NHC)nCo enthielt (Schema 62).

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Schema 62: Mechanistische Abläufe während der Cobalt-katalysierten Kreuzkupplung zwischen aromatischen Grignardreagenzien und Arylhalogeniden. Die Adduktbildung geht vermutlich mit dem Verlust von Liganden einher. ESI-massenspektrometrisch nachgewiesene Spezies sind durch Umrahmung gekennzeichnet. Die aktive Katalysatorspezies ist rot umrahmt dargestellt. NHC = N-heterocyclischer Carben-Ligand; R, R' = Arylrest;

X = Halogen; n = 1 oder 2.

Analog zur Beschreibung der Prozesse bei der Katalysatoraktivierung gilt auch hier, dass nicht klar ist, ob die dinuklearen Komplexe auch in Lösung vorliegen oder Artefakte des ESI-Prozesses darstellen. Es ist auch denkbar, dass die dinuklearen Komplexe die eigentlich reaktiven Spezies in Lösung sind, während die einkernigen Komplexe nur untergeordnete Reaktivität aufweisen.

Alternativ zum beschriebenen Mechanismus ist auch denkbar, dass die oxidative Addition des Arylhalogenids in einem konzertierten Prozess erfolgt und die beobachteten Komplexe (NHC)nCo+ sowie (NHC)nCoR'+ auf anderweitige Abläufe zurückzuführen sind. Während bei dem mechanistischen Vorschlag mit SET-Prozess und sukzessiver Addition instabile Arylradikale postuliert werden, würden derartige Spezies im Falle einer konzertierten Addition von R'X nicht auftreten. Jedoch konnten ACKERMANN und Mitarbeiter bei der mechanistischen Untersuchung von C-H-Aktivierungsreaktionen mit einem vergleichbaren Katalysatorsystem (Co(acac)2 + IMes·HCl) beim Einsatz von Arylhalogeniden den Ablauf von SET-Prozessen und die damit verbundene Entstehung von Arylradikalen durch Verwendung des Radikalfängers TEMPO (2,2,6,6-Tetramethylpiperidinyloxyl) beweisen.[55f]

Dies kann als deutlicher Hinweis darauf gewertet werden, dass auch im Falle der hier untersuchten Kreuzkupplungsreaktionen SET-Prozesse wirksam sind.

121 4.2.4. Kreuzkupplungsreaktionen mit Dien-Liganden

4.2.4.1. Transmetallierung

Anionische Spezies. Zur Untersuchung des Einflusses von Dien-Liganden auf die Entstehung und Stabilität von Cobaltat-Komplexen wurden Lösungen von CoCl2 und Isopren in THF mit verschiedenen Grignardreagenzien RMgX (X = Cl, Br; R = Me, nBu, tBu, nDec, Me3SiCH2, All, Bn, Ph, p-Tol, Mes,) und Organolithiumverbindungen RLi (R = Me, nBu, tBu, Me3SiCH2, Ph) umgesetzt. Durch ESI-massenspektrometrische Analyse der Probelösungen konnte im Anionenmodus die Entstehung zahlreicher Cobaltate für nahezu alle Transmetallierungsexperimente nachgewiesen werden. Nur bei den Umsetzungen mit nBuMgCl und tBuMgCl war die Detektion negativ geladener Cobalt-Komplexe nicht möglich. Für alle untersuchten Systeme (außer R = Me3SiCH2, Mes) zeigten sich Co(+I)-Komplexe der allgemeinen Zusammensetzung Co(DEI)nHxR2x (n = 2 - 4, x = 0 - 2) als dominierende Spezies (Abbildung 57, Tabelle 9).

0 200 400 600 800 1000

Abbildung 57: ESI-Massenspektrum (negativer Ionenmodus) einer Lösung der Produkte aus der Umsetzung von CoCl2 (13 mM) mit Isopren (4 Äq.; DEI) und tBuLi (4 Äq.) in THF bei 78 °C gemessen mit der CSI-Quelle Summenformeln der Spezies b, e und f bezeichnet den Verlust eines H-Atoms.[104]

Komplexe dieser Art entsprechen der Stöchiometrie der von KAMBE und Mitarbeitern postulierten anionischen Co(+I)-Intermediate in Cobalt-katalysierten Kreuzkupplungs-reaktionen mit Dien-Liganden, wobei die nachgewiesenen Cobaltate mit der Zusammensetzung n = 3 und x = 1 mit der Vorhersage KAMBEs exakt übereinstimmen (Schema 63).[20b]

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Schema 63: KAMBE-Postulat für die Konstitution von anionischen Cobalt-Komplexen, die durch Transmetallierung von CoCl2 mit Grignardreagenzien RMgX in Gegenwart von Buta-1,3-dien erzeugt werden.[20b]

Tabelle 9: Durch Transmetallierung von CoCl2/DEI mit RMgX (X = Cl, Br) oder RLierzeugte Organocobaltate:

‚+‘ = in relevanter Intensität beobachtet; ‚−‘ = nicht beobachtet; M = Metallzentrum.[104]

Co(DEI)nHxR2x [Co(DEI)nR3H] MCo2(DEI)nHxRyx y = 0 2 4

MeLi + . +

MeMgCl +

nBuLi + + + +

nBuMgCl

tBuLi + + + + +

tBuMgCl

nDecMgCl +

Me3SiCH2Li

Me3SiCH2MgCl

AllMgCl[a] +

BnMgCl + +

PhLi + + + +

PhMgCl + +

p-TolMgCl + +

MesMgBr +

[a] All = Allyl

Aus der allgemeinen Formel der detektierten Komplexe Co(DEI)nHxR2x

können die genauen Konstitutionen a priori nicht abgeleitet werden. Dabei sind entsprechend dem mechanistischen Vorschlag KAMBEs zwei verschiedene Arten der Verknüpfung für die Dien-Liganden und die organischen Reste R bzw. H möglich. Zum einen können Dien-Ligand und organischer Rest als getrennte Einheiten verbleiben und jeweils über eine π- bzw. σ-Bindung an das Cobalt-Zentrum gebunden sein, zum anderen kann aus einer solchen Struktur heraus der Dien-Ligand in die Co-R- bzw. Co-H-Bindung migratorisch insertieren, wobei wiederum eine σ-Bindung ausgebildet wird und eventuelle Stabilisierung durch π-Wechselwirkung der neugebildeten Doppelbindung mit dem Cobalt-Zentrum auftritt.

123 Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass für die beobachteten Co(+I)-Komplexe Co(DEI)nHxR2x

beide Strukturelemente auftreten:

(a) So konnten nahezu keine dienfreien Co(+I)-Komplexe nachgewiesen werden. Die einzige Ausnahme bildete der Komplex CoAll2

(All = Allyl). Diese Beobachtung spricht dafür, dass die Anwesenheit von π-gebundenen Dien-Liganden entscheidend zur Stabilisierung der niedervalenten Cobalt-Komplexe beiträgt. Es ist anzunehmen, dass dieser stabilisierende Effekt auf π-Rückbindungen zwischen den Dienen und den Cobalt-Zentren beruht, durch die Elektronendichte von den elektronenreichen Metallzentren auf die Liganden übertragen werden kann. Vergleichbare Wirkungen von diolefinischen oder aromatischen Systemen auf die Stabilität von Cobalt-Komplexen mit niedriger Oxidationsstufe des Zentralatoms sind in verschiedenen Fällen bekannt.[6,106]

(b) Weitere Indizien für das Auftreten von π-gebundenen Dieneinheiten an den Cobalt-Zentren können aus den Ergebnissen von Gasphasenfragmentierungsexperimenten abgeleitet werden. So zeigte sich in einer Vielzahl von CID-Experimenten mit Komplexen der Zusammensetzung Co(DEI)nR2

der Verlust genau einer Isopreneinheit (Schema 64, Abbildung 58).

Schema 64: Verlust einer Dieneinheit aus Komplexen der Form Co(DEI)nR2 durch Gasphasenfragmentierung.

0 100 200 300 400 500 600

Abbildung 58: Massenspektrum von massenselektiertem Co(DEI)3Ph2 (m/z 417) und seinen Fragmentionen nach Stoß-induziertem Zerfall mit Vexc = 0.70 V; DEI = Isopren; a = [Co,(DEI)3,Ph,H,O3].[104]

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Dieses Verhalten in der Gasphase spricht eher für die Abspaltung einer π-gebundenen Dieneinheit als für den Verlust eines Diens, das in das Produkt einer migratorischen Insertion inkorporiert ist. Gleichzeitig deutet die Tatsache, dass jeweils nahezu ausschließlich der Verlust lediglich einer Isopreneinheit in der Gasphase beobachtet werden konnte, darauf hin, dass die übrigen Dieneinheiten in einer nicht π-gebundenen Weise vorliegen.

(c) Die hohe Selektivität, mit der CoCl2/Dien-Systeme in Kreuzkupplungsreaktionen eingesetzt werden können, deutet zudem darauf hin, dass der Großteil der organischen Reste R in direkter Co-R-Bindung an die Metallzentren gebunden sein muss, da andernfalls signifikante Mengen an Nebenprodukt durch Kreuzkupplung mit dem Produkt der migratorischen Insertion entstehen müssten.

(d) Das Auftreten von Spezies Co(DEI)nR2 (mit R = nBu, tBu) bei Einsatz der entsprechenden Organolithiumverbindungen RLi mit bis zu n = 9 Isopreneinheiten kann als deutlicher Hinweis auf das Auftreten von migratorischen Insertionsprozessen gewertet werden, da die Annahme einer so hohen Zahl an π-gebundenen Dieneinheiten schon aus sterischen Gründen unrealistisch erscheint.

Es kann nicht entschieden werden, inwiefern die als isolierte Einheiten koordinierten Dien-Liganden rein -gebunden vorliegen oder ob zusätzlich Bindungsanteile einer Metallacyclopentenstruktur zu berücksichtigen sind (Abbildung 59).

Abbildung 59: Bindungsverhältnisse eines Cobalt-gebundenen Buta-1,3-dien-Liganden als Zwischenform aus rein -gebundenem Dien und Metallacyclopentenstruktur.

Für die Komplexe der Zusammensetzung Co(DEI)nHxR2x konnten die entsprechenden Vertreter mit x = 0 Co(DEI)nR2

und x = 1 Co(DEI)nHR in nahezu allen Fällen detektiert werden, während die entsprechenden Komplexe Co(DEI)nH2

nur bei Einsatz der Transmetallierungsreagenzien nBuLi, tBuLi und nDecMgCl beobachtbar waren. Die Tatsache, dass letztere Spezies nur bei Verwendung von Transmetallierungsreagenzien erzeugt wurden, deren organische Reste über β-H-Atome verfügten, legt die Vermutung nahe, dass der Ursprung der Hydridsubstituenten in den Cobaltat-Komplexen in β-Hydrideliminierungen lag. Solche Prozesse sind auch von KAMBE und Mitarbeitern zur Erklärung der Existenz von Hydridsubstituenten an den Cobalt-Zentren postuliert worden.[20b]

125 Um diese Annahme zu verifizieren, wurde im Rahmen eines Deuterierungsexperimentes die Transmetallierung von CoCl2/Isopren mit nBuLi mit der entsprechenden deuterierten Verbindung nBuLi-d9 wiederholt. Als einkernige Cobalt-Spezies konnten dabei neben Co(DEI)n(C4D9)2

auch Co(DEI)nD(C4D9) nachgewiesen werden, wobei der D-Substituent an den Cobalt-Zentren eindeutig aus dem organischen Rest des Transmetallierungsreagenzes hervorgegangen sein musste (Abbildung 60). Ob die β-Eliminierung dabei auf der Ebene der anionischen Komplexe oder der neutralen Spezies abläuft, lässt sich nicht entscheiden (Schema 65).

Abbildung 60: ESI-Massenspektrum (negativer Ionenmodus) einer Lösung der Produkte aus der Umsetzung von CoCl2 (13 mM) mit Isopren (4 Äq.; DEI) und nBuLi-d9 (4 Äq.) in THF bei 78 °C; a = Co(DEI)2H(C4D9), nachweisen. Das Auftreten dieser Komplexe zeigt, dass neben der β-Hydrideliminierung ein zusätzlicher Mechanismus wirksam sein muss, bei dem der Hydridsubstituent nicht aus dem Transmetallierungsreagenz hervorgeht. Diese Annahme wird unterstützt durch die Detektion von Spezies der Form Co(DEI)nHR auch bei Verwendung von nichtaliphatischen Transmetallierungsreagenzien, deren organische Reste hohe energetische Barrieren für

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β-Hydrideliminierungen besitzen (z. B. R = Ph oder p-Tol) oder über kein β-H-Atom verfügen (z. B. R = Bn). Bei Einsatz von Transmetallierungsreagenzien der organischen Reste R = Ph, p-Tol, Mes und Bn, aber auch bei tBuLi standen den Cobaltaten mit Hydridsubstituenten Co(DEI)nHR entsprechende Serien von Komplexen gegenüber, die H-Verluste aufwiesen [Co(DEI)nR3H] (n = 1 oder 2). Für PhMgCl und p-TolMgCl waren zudem die dinuklearen Spezies [Co2(DEI)nR23H] (n = 3 oder 4) und [Co2(DEI)nR34H] (n = 3 oder 4) sichtbar. Zur näheren Untersuchung wurde die Transmetallierung mit dem deuterierten Phenylgrignardreagenz PhMgBr-d5 durchgeführt. Dabei zeigte sich neben anderen Komplexen die Bildung von [Co(DEI)2(C6D5)3H], [Co2(DEI)4(C6D5)23H] und

Abbildung 61: ESI-Massenspektrum (negativer Ionenmodus) einer Lösung der Produkte aus der Umsetzung von CoCl2 (13 mM) mit Isopren (4 Äq.; DEI) und PhMgBr-d5 (4 Äq.) in THF bei 78 °C; a = Co(DEI)2H(C6D5), b = Co(DEI)3(C6D5)2.[104]

Da der Verlust eines H-Atoms über C-H-Aktivierung eines π-gebundenen Dien-Liganden als sehr unwahrscheinlich anzusehen ist, kann davon ausgegangen werden, dass sich der Wasserstoffverlust aus Dieneinheiten vollzieht, die zuvor migratorisch in eine Co-R-Bindung insertiert sind. NMR-spektroskopische Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Insertion unter Beteiligung nur einer Doppelbindung des Diens als 3,4-Insertion erfolgt. Durch anschließende -Hydrideliminierung kommt es zur Generierung einer Co-H-Bindung und gleichzeitig zur Bildung einer substituierten Dieneinheit [(DEI)R−H]. Durch Austausch des derivatisierten Dien-Liganden gegen eine unsubstituierte Dieneinheit kommt es schließlich

127 zur Bildung der komplementären Komplexe Co(DEI)nHR und [Co(DEI)nR3H] (Schema 66). Es kann angenommen werden, dass dieser Prozess sowohl auf der Ebene der At-Komplexe als auch der Neutralspezies ablaufen kann. Wie die Ergebnisse des Transmetallierungsexperimentes mit nBuLi-d9 zeigen, läuft dieser Mechanismus nicht nur bei Transmetallierungsreagenzien ab, deren organische Reste nicht oder kaum zu β-Hydrideliminierungen neigen, sondern auch für aliphatische Reste.

Schema 66: Bildung von Co-H-Spezies durch eine Abfolge von migratorischer 3,4-Insertion, β-Hydrid-eliminierung und Ligandenaustausch auf der Ebene von Neutralkomplexen.[104]

Untermauert wird der vorgestellte Mechanismus durch die Ergebnisse von Gasphasen-fragmentierungsexperimenten. So konnte bei der Stoß-induzierten Fragmentierung von Co(DEI)3Ph2 der Verlust eines Neutralteilchens der Zusammensetzung [(DEI)PhH], das einer durch 3,4-Insertion und -Hydrideliminierung entstandenen phenylsubstituierten Isopreneinheit entspricht, direkt nachgewiesen werden (Schema 67).

Schema 67: Fragmentierung von Co(DEI)3Ph2 in der Gasphase unter Freisetzung der phenylsubstituierten Isopreneinheit [(DEI)PhH].

Für Spezies der Zusammensetzung [Co(DEI)nR3H] konnte der Verlust von [(DEI)RH] in Gasphasenfragmentierungen am Beispiel von R = Bn, n = 1 und 2 sogar als wichtigster bzw.

alleiniger Fragmentierungskanal beobachtet werden. Die Tatsache, dass der Verlust von substituierten Dieneinheiten [(DEI)RH] sowohl bei Komplexen der Zusammensetzung Co(DEI)nR2

als auch [Co(DEI)nR3H] beobachtet werden konnte, zeigt, dass es sich bei den Spezies mit der Stöchiometrie Co(DEI)nR2

um ein Gemisch von Komplexen mit unterschiedlicher Konstitution handeln muss. Dabei sollten neben den Spezies mit zwei

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σ-gebundenen Resten R und den durch migratorische Insertion von Dienen in die Co-R-Bindungen gebildeten Vertretern auch solche Komplexe vorliegen, die einen π-gebundenen substituierten Dien-Liganden und σ-gebunden jeweils einen R- und H-Substituenten aufweisen.

Neben den bisher betrachteten mononuklearen Cobaltaten konnten auch zahlreiche mehrkernige Spezies nachgewiesen werden. Bei diesen Cobalt-Komplexen konnte auf der Basis der durchgeführten Experimente nicht eindeutig entschieden werden, ob die betreffenden Spezies tatsächlich in Lösung vorlagen oder ob sie erst durch eine Verschiebung des Aggregationsgleichgewichtes durch die Konzentrationszunahme während des ESI-Prozesses erzeugt worden sind. Nur wenige der aggregierten anionischen Komplexe waren homonuklear, wobei vor allem Spezies der Form Co2(DEI)nHxR3x (x = 0 - 2) für R = Me, All und Bn detektiert werden konnten. Diese Spezies waren eng verwandt mit den entsprechenden mononuklearen Komplexen und wiesen ebenfalls Cobalt-Zentren in einer mittleren Oxidationsstufe von +I auf. Die Entstehung dieser dinuklearen Cobaltate kann beispielhaft für den Vertreter Co2(DEI)nR3 als Adduktbildung zwischen einem mononuklearen Cobaltat der Form Co(DEI)yR2

mit einem entsprechenden neutralen Co(+I)-Komplex der Zusammensetzung Co(DEI)zR interpretiert werden. Somit kann die aggregierte Spezies als Indiz für in Lösung vorliegende Neutralteilchen Co(DEI)zR aufgefasst werden, die in ihrer nichtaggregierten Form für die ESI-massenspektrometrische Analyse unzugänglich waren (Schema 68).

Schema 68: Entstehung der dinuklearen Spezies Co2(DEI)nR3 durch Adduktbildung zwischen einem Neutralkomplex und einem einkernigen Cobaltat; y + z = n.

Vor allem für R = nDec konnten zusätzliche mehrkernige homonukleare Spezies nachgewiesen werden, deren mittlere Oxidationsstufen von +I abwichen. So zeigte Co2(DEI)2R Cobalt-Zentren in einer mittleren Oxidationsstufe von 0, während für die Serien von trinuklearen Spezies der Form Co3(DEI)nH6zRz

(n = 2 und 3, z = 1 - 3) Cobalt in einer mittleren Oxidationsstufe von +1.7 vorlag. Das gleichzeitige Auftreten dieser abweichenden Oxidationsstufen deutet auf Redoxdisproportionierungen in den Reaktionslösungen hin.

Es konnten zahlreiche heterobimetallische Spezies, die neben Cobalt-Zentren Li+-Ionen enthielten, detektiert werden. Heterobimetallische Verbindungen mit Mg-Zentren konnten in keinem Fall nachgewiesen werden. Es zeigt sich somit eine deutlich höhere Affinität der

129 dienstabilisierten Cobaltate zu Li-Kationen als zu entsprechenden Magnesium-Zentren MgCl+ oder MgBr+, die über das HSAB-Konzept erklärt werden kann.[107] Diese Affinität von Cobaltat-Zentren zu Lithium-Ionen kann mit der Beeinflussung der Reaktivität von Cobalt-katalysierten Kreuzkupplungsreaktionen mit Dien-Liganden durch die Gegenwart von Li-Ionen in Verbindung gebracht werden. So wird in der von KAMBE und Mitarbeitern vorgestellten Kreuzkupplungsreaktion LiI als Additiv zur Erhöhung der Ausbeute eingesetzt.[20b]

Bei den Transmetallierungsexperimenten von CoCl2/Dien mit Organolithiumreagenzien RLi konnten in nahezu allen Fällen Serien von heterobimetallischen Spezies der allgemeinen Zusammensetzung LiCo2(DEI)nHxR4x mit x = 0 - 2 detektiert werden. Diese Komplexe können als Lithium-verbrückte Dimere der mononuklearen Cobaltate Co(DEI)nHxR2x betrachtet werden und enthalten somit ebenfalls Co(+I)-Zentren. Auch die Lithium-verbrückten Dimere stellen Isomerengemische dar, bei denen die Dien-Liganden und die organischen Reste R bzw. H in verschiedenen Bindungsmotiven vorliegen können. Diese strukturelle Vielfalt der Spezies LiCo2(DEI)nHxR4x

konnte aus Gasphasen-fragmentierungsexperimenten eindeutig abgeleitet werden. So zeigte sich für den Stoß-induzierten Zerfall von LiCo2(DEI)4Me4

als wichtige Fragmentierungsreaktion die Bildung des mononuklearen Co(DEI)2Me2

, wodurch dessen Konstitution als Lithium-verbrücktes Dimer verdeutlicht wurde. Als weiteres Fragmention konnte LiCo2(DEI)3Me2

detektiert werden, das durch den Verlust einer Isopreneinheit und zweier Methylgruppen aus dem Mutterion gebildet worden ist. Diese Fragmentierung entsprach vermutlich der reduktiven Eliminierung des Kupplungsproduktes zwischen einer Methylgruppe und einer Einheit, die durch migratorische Insertion eines Dien-Liganden in eine Co-Me-Bindung gebildet worden ist. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Fragmentierung durch Verlust von Isopren und Me2 als getrennte Einheiten erfolgte. Die Dissoziation von zwei Isoprenmolekülen unterstreicht, dass ein wesentlicher Teil der Dieneinheiten als π-gebundene Liganden am Cobalt-Zentrum vorliegt. Ein zusätzlicher Zerfallskanal führte zum Verlust von MeH, was auf die reduktive Eliminierung einer Methylgruppe und eines Hydridsubstituenten am Cobalt-Zentrum hinweist. Die Co-H-Bindung kann beim hier untersuchten System mit Resten R = Me nicht durch direkte β-Hydrideliminierung erklärt werden, sondern muss auf den bereits diskutierten Mechanismus aus migratorischer Insertion mit anschließender

-Hydrideliminierung zurückgeführt werden. Diese Annahme deckt sich mit der Beobachtung, dass als weiteres Fragmention LiCo2(DEI)3HMe3

detektiert werden konnte, das

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durch den Verlust des substituierten Diens [(DEI)MeH] aus dem Mutterion entstanden war (Abbildung 62, Schema 69).

Somit bieten die verschiedenen Fragmentierungskanäle einen Einblick in die Vielfalt der Bindungsverhältnisse von Isomeren der allgemeinen Form LiCo2(DEI)nHxR4x

.

Abbildung 62: Massenspektrum von massenselektiertem LiCo2(DEI)4Me4 (m/z 457) und seinen Fragmentionen nach Stoß-induziertem Zerfall mit Vexc = 0.60 V; a = [Co(DEI)2MeH], b = LiCo(DEI)2H2Me3, c = LiCo2(DEI)2HMe3, d = LiCo2(DEI)2Me4, e = LiCo2(DEI)3Me2, f = LiCo2(DEI)3Me4, g = [LiCo2(DEI)4Me3H], h = [LiCo2(DEI)4Me22H]; DEI = Isopren. Das ‚xH‘ in den Summenformeln einiger Spezies bezeichnet den Verlust von H-Atomen.[104]

Schema 69: Verschiedene Fragmentierungskanäle des Cobaltats LiCo2(DEI)4Me4 im Rahmen von Gasphasen-fragmentierungsexperimenten.

Zudem konnten heterobimetallische mehrkernige Cobaltate, die der allgemeinen Zusammensetzung LiCo2(DEI)nHxR2x

mit x = 0 - 2 entsprachen, in nahezu allen Experimenten mit Organolithiumreagenzien detektiert werden, wobei die Cobalt-Zentren eine mittlere Oxidationsstufe von 0 aufwiesen. In CID-Experimenten konnte gezeigt werden, dass diese Spezies in ein anionisches Co(+I)-Fragment und ein neutrales Co(I)-Fragment