Der Traktat über Johannes den Täufer umfaßt die Kapitel 18 - 33. Dieser Abschnitt des Johannesbuches ist in sich geschlossen und weist eine klare Gliederung auf, die im folgenden beschrieben werden soll122.
122vgl. hierzu die Gliederungsskizze auf S. 9
Kapitel 18 dient der Einleitung und schildert die Geburt des Täufers sowie deren Vorzeichen.
Darin wird Johannes schon in Konkurrenz zu Christus gerückt, indem von dem Stern als Zeichen der Geburt des Täufers erzählt wird.
Die Kapitel 19 bis 33 beginnen mit Ausnahme von Kapitel 26 mit der Einleitungsformel
"iahia daris bliluia, iuhana bramsia dliluia, iahia daris blilia" : "Jahja lehrt in den Nächten, Juhana an den Abenden der Nacht, Jahja lehrt in den Nächten". Nach dieser Einleitungsformel möchte ich die genannten Kapitel im folgenden als die "Nachtgesänge des Jahja" bezeichnen.
Die Formel bildet durch die gleichlautende Anfangs- und Sclußzeile sowie durch
durchgängigen Endreim eine geschlossene Einheit. Das Verbum DRS erinnert mehr an die jüdische Tradition der Drosche bzw. des Darschan als an die im christlichen Gottesdienst übliche Predigt.
Dabei muß nicht unbedingt gemeint sein, daß Johannes wirklich in der Nacht seine Reden hielt. Dies ist sogar eher unwahrscheinlich, da in der Nacht bei den Mandäern keine Riten vollzogen werden dürfen, also auch keine Gottesdienste oder ähnliche religiöse
Veranstaltungen stattfinden. Ich neige daher zu der Annahme, daß das Wort "Nacht" hier metaphorisch zu verstehen ist und die Dunkelheit dieser Welt im Gegensatz zum Glanz der göttlichen Lichtwelt benennen soll123. Dann würde die Einleitungsformel etwa bedeuten:
Johannes predigt in der Finsternis dieser Welt, seine Stimme erklingt in der Dunkelheit und Verwirrung, in der sich die Welt befindet.
Die Nachtgesänge des Jahja befassen sich vor allem mit zwei großen Themen: Zum einen soll Johannes als einzigartiger Lehrer, Prophet und Vorbild der Mandäer dargestellt werden. Er erscheint hierbei sowohl im Gegensatz zu den kosmischen Mächten wie z.B. den Gestirnen, die die Mandäer für bedrohlich halten, als auch im Gegensatz zu Autoritäten fremder Religionen, was zu Polemik gegen Islam, Judentum und Christentum führt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Anspruch, daß Johannes als einzig wahrer Prophet auftritt und alle anderen Mächte, religiöser oder kosmischer Art, übertrifft und überwindet.
Zum anderen enthalten die Nachtgesänge des Jahja paränetische Texte, die sich an die mandäische Glaubensgemeinschaft richten. Diese soll gleichzeitig ermahnt und gestärkt werden. Häufig gehört hier deshalb zur Paränese die Verheißung der Sündenvergebung124 und des Heils für die Gläubigen.
Im Aufbau der Nachtgesänge läßt sich eine klare Gliederung erkennen. Zunächst fällt eine grobe Gliederung in drei Abschnitte auf: Die Kapitel 19 bis 22 enthalten jeweils Dialoge mit verschiedenen Gesprächspartnern. Darauf folgt in den Kapiteln 23 bis 29 ein von Paränese geprägter Mittelteil, der am Ende von Kapitel 29 mit der sonst nicht gebräuchlichen Schlußformel "Gelobt sei dein Name, Herr des Lichtes, der nicht die verdammt, die seinen Namen lieben" abgeschlossen wird. Kapitel 29 ist außerdem durch die Aufforderung "Macht euch frei von der Erde!" an Kapitel 19 rückgebunden. In Kapitel 19 erscheint Johannes als Vorbild der Mandäer mit der Selbstaussage "Ich habe meine Seele von der Welt befreit". Die Kapitel 30 bis 33 enthalten vor allem Polemik gegen kosmische Mächte (Gestirne) und gegen das Christentum. Thematisch ist das letzte Kapitel der Nachtgesänge mit dem ersten durch die Überlegenheit des Johannes über die Gestirne verknüpft.
123Dafür könnte auch sprechen, daß in dieser Einleitungsformel nie der regelmäßige Plural von lilia - Nacht,
"lilauata", gebraucht wird, sondern stets die ungewöhnliche Pluralbildung "liluia", vgl. J 77, 1f; 79, 5f; 80, 9f; 83, 9f; 86, 12f; 87, 15; 88, 1; 89, 10f; 93, 4f; 94, 6f; 101, 4f; 103, 5f; 109, 9f; 116, 9f; 122, 8f. Nur ein einziges Mal begegnet "liluia" außerhalb der Einleitungsformel zu den Nachtgesängen, nämlich in J 67, 4. Dort steht es jedoch in Parallele zu "lilia" und meint die wirkliche Nacht. Der regelmäßige Plural "lilauata" wird im Johannesbuch nicht gebraucht, sodaß aus dem hier vorhandenen Bestand des Vorkommens verschiedener Pluralbildungen von
"lilia" nicht allzuviel geschlossen werden kann.
Zum Komplex Wachsamkeit/Schlaf vgl. den Kommentar zu Kapitel 25.
124z.B. Kapitel 25, S. 94 in der Übersetzung Lidzbarskis
Diese Grobgliederung läßt sich noch weiter verfeinern. Innerhalb des ersten Abschnittes sind die Kapitel zu Zweiergruppen zusammenzufassen: Während in Kapitel 19f der Dialog des Johannes mit den Gestirnen stattfindet und mit einer Würdigung des Johannes durch die kosmischen Mächte abgeschlossen wird, beinhalten die Kapitel 21f Dialoge mit Menschen125. Verbunden sind die Zweiergruppen über Selbst- und Fremdaussage: Sagt in Kapitel 19
Johannes von sich selbst: "Ich habe mich von der Welt befreit"126, so wird ihm dies in Kapitel 21 von irdischen Geschöpfen, nämlich von Vögeln, im Gespräch mit Mirjai und Enishbai (Maria und Elisabeth) bestätigt127. Der erste Abschnitt schließt mit ausführlicher Polemik gegen den Islam.
Der Mittelteil beginnt und schließt mit Paränese. Steht am Anfang jedoch in den Kapiteln 23f eine thematisch orientierte Mahnung, die vor dem Umgang mit nichtmandäischen Frauen warnt, so ist die Schlußparänese allgemein gehalten. An die Kapitel 23f schließt sich Kapitel 25 mit der Warnung vor dem Gerichtstag und der Mahnung zur Wachsamkeit an. Die
mandäische Zeitalterlehre, auf die hier Bezug genommen wird, dient zur Legitimation des Johannes128, greift aber auch zurück auf Kapitel 19, das ebenfalls die Häupter der Zeitalter nennt129 und Johannes als letzten in ihre Kette einreiht. In die paränetischen Kapitel sind mit Kapitel 27f zwei Dialogkapitel eingeschoben, in denen Johannes sich mit Vertretern des Judentums auseinandersetzt. Kapitel 29 schließt den Mittelteil mit allgemeiner Paränese und dem Hinweis auf den Weg der Seele zum Lichtreich nach dem Tod ab. Das Thema des Todes wird auch in Kapitel 26, das nicht zu den Nachtgesängen gehört, angeschnitten, indem der Tod des Johannes angekündigt wird130. So ergibt sich zwischen den Kapiteln 18 und 26 ein eigener Zusammenhang: Berichtet das erstere von der Geburt des Johannes, also von dem Beginn seines Lebens, so befaßt sich das letztere mit dem Ende seines Lebens, seinem Tod.
Der letzte der drei Abschnitte beginnt in Analogie zum Ende des ersten Abschnittes mit Polemik. War jedoch dort der Islam im Brennpunkt des Interesses, so richtet sich die Polemik nun gegen das Christentum. So wird in Kapitel 30 die Taufe Christi durch Johannes für ungültig erklärt und Christus als Lügenprophet gekennzeichnet. Kapitel 31f sind durch ihre ähnlichen Einleitungen, die die Gestirne erwähnen131, zusammengehalten. Kapitel 31
reflektiert die Pflicht des Mandäers zur Heirat und Kinderzeugung sowie den bevorstehenden Tod des Johannes132. Kapitel 32 erzählt aus einem anderen Blickwinkel als Kapitel 18, das Einleitungskapitel zu den Nachtgesängen, noch einmal die Geburt des Johannes. Kapitel 33 nimmt die Einleitung mit Hinweis auf die Gestirne aus den beiden vorigen Kapiteln auf, wendet sich dann jedoch wieder der Polemik gegen das Christentum zu, mit der dieser Abschnitt in Kapitel 30 auch beginnt. Am Ende der Nachtgesänge geht die Polemik auf eine Frage Christi an Johannes in die Beschreibung des Todes über. Es wird von einer Seele berichtet, die sich in der Welt nicht hat warnen lassen und nun nicht zum Lichtreich emporsteigen kann. Dies ist eine eindrückliche Steigerung der Paränese aus den vorigen Kapiteln und eine Warnung an die Mandäer, auf die Worte des Johannes zu hören.
Die Darstellung des Johannes als einzig wahren und legitimen Propheten und Lehrer zieht sich so wie ein roter Faden durch die Nachtgesänge hindurch: Dieses Thema begegnet als
125in Kapitel 21 mit Mirjai (Maria) und Enishbai (Elisabeth), in Kapitel 22 mit Jaqif (Jakob), Beni-Amin (Benjamin) und Mirjai (Maria)
126s. J S. 82, Zeile 21f in der Übersetzung Lidzbarskis
127vgl. auch Kapitel 29 "Macht euch frei von der Welt!", J S. 101, Zeile 15 in der Übersetzung Lidzbarskis 128vgl. Kommentar zu Kapitel 25
129J S. 83 in der Übersetzung Lidzbarskis
130dieses Thema auch zu Beginn von Kapitel 21, S. 85 in der Übersetzung Lidzbarskis
131"Die Himmelsräder und Himmelswagen erbebten. Sonne und Mond weinen, und die Augen der Ruha vergießen Tränen" S. 109 und 115 in der Übersetzung Lidzbarskis
132vgl. Kapitel 21 und 26
einziges in allen drei Abschnitten, besonders deutlich in den Kapiteln 21, 27 und 33.
Besonders wird es im ersten Abschnitt des Traktats hervorgehoben. Hiermit scheint auch das Aussageziel des gesamten Abschnittes über Johannes den Täufer, in dem lediglich die Kapitel 18 und 26 nicht zu den Nachtgesängen zählen, erfaßt zu sein: Johannes wird gleichzeitig als Lehrer und Vorbild der Mandäer133 stilisiert.
133die Vorbildfunktion des Johannes wird besonders in Kapitel 24 deutlich
Gliederungsskizze zum Traktat über Johannes den Täufer
Kapitel Inhalt
18 Johannes wird geboren
Stern als Zeichen (Konkurrenz zu Christus) Nacht-
gesänge
19 Johannes kommt in die Welt
"Ich habe meine Seele von der Welt befreit"
gegen die 7 Planeten und die 12 Tierkreiszeichen Zeitalterlehre
20 gegen die Sonne
Würdigung durch die kosmischen Kräfte
21 Johannes als einziger Prophet
Dialog mit Maria und Elisabeth
Würdigung: "Du hast dich von der Welt befreit"
22 Mahnungsruf
Dialog mit Jakob, Benjamin und Maria Polemik gegen den Islam
23 Mahnrede: keine Ehe mit Ungläubigen
24 Mahnrede: Umgang mit der Ehefrau,
Reinheitsgebote
25 Weckruf: Der Gerichtstag
Zeitalterlehre
26 Tod des Johannes wird vorausgesagt
27 Johannes als einziger Meister (Dialog)
28 Dialog mit Juden (Fragen - Antwort)
29 allgemeine Mahnrede
"Befreit eure Seele von der Welt !"
30 Polemik gegen die Taufe Christi
31 Gestirne
Johannes ist kein falscher Prophet (Ehe und Kinder) Tod des Johannes wird vorausgesagt
32 Gestirne; Johannes kommt zur Welt
33 Johannes gegen Gestirne und Christus als einziger Prophet