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VII. Schlußfolgerung

1. Business as usual

Die Medien werden nicht müde, es uns täglich neu zu bestätigen. Die Wirtschaft steuert in eine Sackgasse aus der sie nicht mehr ein noch aus weiß. Das betrifft nicht nur, wie schon seit Jahrzehnten, die ärmsten Staaten im Süden, sondern schon lange auch die reichen, hochindustrialisierten Staaten des Nordens. Dabei wird die Kluft zwischen armen und reichen Staaten nach wie vor immer größer.

Und auch innerhalb der Länder ist das Auseinanderdriften der Gesellschafts-schichten und -klassen unverkennbar. Dennoch wird insgesamt sehr viel mehr gearbeitet, d. h. Wohlstand produziert, als notwendig ist, um die wichtigsten Lebensbedürfnisse für alle ausreichend zu befriedigen.

Um es sehr deutlich zu sagen: Geld ist im Überfluß vorhanden, aber es ist nicht dort wo es wirklich dringend gebraucht wird. Bei sich weltweit immer weiter ausdehnender Armut steigt der private Wohlstand in den reichen Ländern in ungeahnte Höhen. So beträgt der Umsatz an den Finanzmärkten dieser Welt Tag für Tag etwa 1000 Milliarden Dollar Derivate (Börsenumsätze) und damit etwa fünfzigmal mehr als der Weltumsatz an Industriegütern und Dienstleistungen zusammen.103

Das Bild unserer Gesellschaften spiegelt diesen Wohlstand nicht wieder.

Während die Verschuldung der öffentlichen Hand stetig zunimmt, sinkt die Zahl der Arbeitsplätze in vielen Ländern mit dem Einsatz neuer Produktionsmethoden und der immer realer werdenden weltweiten Konkurrenz.

Lösungen für dieses zentrale globale Wirtschaftsproblem werden auf politischer Ebene noch nicht einmal ernsthaft erwogen. "Business as usual" ist nach wie vor die offizielle Marschrichtung. Wie lange noch?

1.1 Strukturelle Arbeitslosigkeit

Nach Schätzungen von Jensen und Fagan104 werden in den nächsten zwei Jahr-zehnten weltweit etwa 1,2 Milliarden neue Arbeitswillige auf den Markt drängen.

In diesem Zusammenhang ist der Vergleich des Lohnniveaus zwischen den Ländern Westeuropas und der USA mit dem Durchschnittslohn in einem Billiglohnland eine der interessantesten Zahlenvergleiche überhaupt. Während in den reichen Ländern im Schnitt 85 $ pro Tag verdient werden, beträgt der tägliche Durchschnittslohn in einem Billiglohnland etwa 3 $. Welches Unter-nehmen kann es sich unter Bedingungen des globalen Wettbewerbs leisten der

102Vortrag von Dr. Peter Moll anläßlich des 2. ZeS-Kolloquiums: Regionalisierung als Antwort auf Globalisierung

103siehe Le Monde Diplomatique, Nr. 28, November 1995

104Wall Street Journal, New York, April 1996

wirtschaftlichen “Versuchung", die sich mit diesen Zahlen verknüpft, zu widerstehen? Wenn die Unternehmen auch weiterhin dürfen wie sie können - und sie tun zur Zeit alles dafür, daß sie dürfen - wird global outsourcing, d. h. die Auslagerung an Aufträgen in die Länder wo möglichst kostengünstig produziert werden kann, in den nächsten Jahrzehnten aller Wahrscheinlichkeit nach Dimensionen annehmen gegen die die heutigen geradezu lächerlich anmuten.105 1.2 Weiter steigende Arbeitsproduktivität

Bei alledem nimmt die Arbeitsproduktivität vor allem im verarbeitenden Gewerbe auch nach 150 Jahren weiter zu. Sie hat mittlerweile gegenüber Mitte des 19.

Jahrhunderts einen Faktor 20 erreicht und steigt, besonders in den sogenannten Schwellenländern, stetig weiter. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind verheerend. Die offizielle Politik hingegen entscheidet sich wieder und wieder fürs Nichtstun und für das Waltenlassen der sog. “freien" Marktkräfte. Statt sich neue Handlungsoptionen zu eröffnen, manövriert sie sich angesichts der anstehenden Probleme in zunehmende Handlungsunfähigkeit.

1.3 Unsicherheit der globalen Finanzmärkte

Wir bewegen uns derzeit von einer Weltmarktwirtschaft zu einer Weltfinanz-wirtschaft, in der wesentlich größere Umsätze und Gewinne gemacht werden.

Sogenannte Heckenfonds, die in Währungsschwankungen investieren, können diese teilweise selbst mit herbeiführen. Ganze Landeswährungen, das betraf z.B.

im Jahre 1994 den Franc oder im Jahre 1995 den Yen, wurden durch ihre Aktivitäten in Bedrängnis gebracht. Der jüngste, weit bekannt gewordene Sturz der englischen Barings-Bank, ist kein Einzelfall. Zu keinem Zeitpunkt war die internationale Finanzwirtschaft so unstetig, unsicher und damit ungeeignet, einen Rahmen für mittel- und langfristig verantwortbares Handeln abzugeben.

1.4 “Amerikanisierung" von Wirtschaft und Gesellschaft

Während Arm und Reich sich weiter auseinander bewegen, fangen auch in Europa die Sozialsysteme langsam an zu bröckeln. Mangel an Solidarität für die schwächeren Teile der Gesellschaft hat Konjunktur. “What's that, society?", der mittlerweile berühmte gewordene Ausspruch von Margaret Thatcher, bringt die Haltung der 80er Jahre in zugespitzter Form treffend auf den Punkt.

Verantwortliches wirtschaftliches Handeln dagegen macht sich häufig nicht bezahlt.

105In den USA gibt es in dieser Hinsicht schon sehr interessante Entwicklungen. Zum Beispiel: Eine Groß-Versicherung, Prudential in Hartford, Connecticut wickelt ihre Versicherungspolicen und einfachen Schadensfälle in der Weise ab, daß sie sie über Nacht nach Malaysia und Südindien schickt, um sie spätestens zwei Tage später fertig wieder zurück zu bekommen. Einige tausend Arbeitsplätze wurden damit stillschweigend in diese Länder verlegt und konnten vor Ort eingespart werden

Die Wirtschaft und viele andere gesellschaftliche Lebensbereiche werden immer mehr durch Individualismus und einen Sozial-Darwinismus neuen Typs bestimmt.

Für das Funktionieren von Wirtschaft im gesamtgesellschaftlichen Sinne fühlt sich eigentlich niemand mehr so recht verantwortlich. Auch die offizielle Politik versteht sich nicht so. Sie ist in der Hauptsache Interessensvertreter-Politik. Fürs Ganze ist niemand zuständig.

1.5 Wirtschaftliche Verödung ganzer Regionen - Regionale Entwicklung

Die Zeichen der Zeit stehen auf Globalisierung. Der internationale Handel nimmt ständig weiter zu. Bei diesem Trend gibt es neben einigen Gewinnern vor allem viele Verlierer. Neben den Arbeitnehmern der Staaten mit einem hohen Lohnniveau bleiben als erste die kleinen und mittleren Unternehmen auf der Strecke. Sie sind dem Konkurrenzdruck der Großunternehmen und Konzerne auf Dauer nicht gewachsen; nicht, wenn immer mehr in Billiglohnländern produziert wird und “globale Produkte", irgendwann vor allem aus Ländern wie China und Indien mit ihrem riesigen Potential an billigen Arbeitskräften den Markt überschwemmen. Regionalisierung ist eine mögliche Strategie mit dieser Gefahr umzugehen.

Im Zuge des global outsourcing wird ehemals relativ wohlhabenden Regionen Wohlstand entzogen. Dies geschieht mittlerweile in einer Größenordnung, die das Überleben ganzer Regionen in Frage stellt. Das Zentrum-Peripherie-Phänomen, in der “wirtschaftsalternativen" Literatur der 70er Jahre häufig beschrieben, verfestigt sich in vielen neuen Variationen. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang von Regionen geht oft ein Verlust an Identität und kultureller Vielfalt einher. Dies ist der Fall in vielen Ländern, denen man derartige Probleme noch vor 15 Jahren nicht zugetraut hat. So gibt es z. B. im Norden Englands und Schottlands Landstriche, die seitens der offiziellen Politik wirtschaftlich aufgegeben wurden.

Und selbst in Ländern wie Österreich oder Deutschland wird dieses Phänomen immer deutlicher sichtbar.

Dabei kann insbesondere das Interesse kleiner und mittelständischer Unter-nehmen sich mit dem von Regionen decken. Produkte in und für die Region herzustellen und zu verkaufen, bedeutet auch, daß Steuergelder in der Region bleiben und nicht ins globale Ausland abwandern. Besonders strukturschwächere Regionen könnten sich zu dieser Strategie gezwungen sehen. Denn nur so wird es ihnen auf Dauer möglich sein, ihre eigene Infrastruktur zu stärken und sich gegen die übermächtige Konkurrenz von außen zu behaupten.106

106s. dazu auch Willem Hoogendijk, The Economic Revolution, Utrecht, 1991/93