• Keine Ergebnisse gefunden

Warum bilden sich Mesophasen ?

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 57-63)

4.1 Flüssigkristalle

4.1.4 Warum bilden sich Mesophasen ?

4.1 Flüssigkristalle

Abkürzung Bedeutung krist kristalliner Stoff

SmA, SmC smektische Phase A bzw. C

N nematische Phase

isoFl isotrope Flüssigkeit

Tabelle 4.3: Kurzbezeichnungen für Phasenübergänge von Mesophasen

unterkühlte Schmelzen Mesophasen haben die Tendenz, beim Abkühlen nicht (wie man das erwartet und wie es bei den meisten Stoffen üblich ist) bei der selben Temperatur zu kristallisieren, bei der sie auch geschmolzen sind.

Stattdessen bleibt die Mesophase oft flüssig. Bei weiterem Abkühlen passiert es bei manchen Stoffen, dass sich ( unterhalb des Schmelzpunkts) eine andere Mesophase bildet, die man also beim Erhitzen nicht beobachten kann.

Man kann den Formalismus von oben auf diese Phänomene erweitern.

Erhitzen : krist 86 SmA 96 N 119 isoFl

Abkühlen : isoFl 119 N 96 SmA 78 SmC 76 krist

Diese beiden Effekte allein können aber nicht ausreichend sein, denn Polari-tät und Polarisierbarkeit sind Erscheinungen, die immer wieder auftreten, auch bei Stoffen, die keine Mesophasen bilden. Es muss noch einen weiteren Grund geben.

Dieser letzte Grund ist einer, der die Struktur eines Stoffes in vielen Fällen beeinflusst. Es ist die Geometrie. Sie werden gleich sehen, dass nur Moleküle mit bestimmten, recht speziellen Formen Mesophasen bilden.

Gründe für Mesophasenbildung : Polarisierbarkeit

Polarität Geometrie

Mesophasen aus Stäbchen

Als man die ersten Stoffe entdeckte, die Mesophasen bilden, fiel bald eine Ge-meinsamkeit auf. Die Moleküle dieser Stoffe sind stabförmig.

Bild 4.7: Aufbau eines stabförmigen (kalamitischen) Moleküls, schematisch Bild 4.7 zeigt den Aufbau solcher Moleküle. Sie bestehen aus einem nä-herungsweise starren, annähernd zylinder– oder lattenförmigen Grundkörper (grün gezeichnet). Die Länge dieses Molekülteils sollte mindestens das Vier–

bis Sechsfache des Durchmessers betragen. Der Grundkörper wird oft durch Ringstrukturen (zum Beispiel Benzol– oder Cyclohexanringe) realisiert. Diese sind manchmal direkt miteinander verbunden. In anderen Fällen sind sie durch Atomgruppen verbunden, bei denen keine freie Drehbarkeit um Einfachbindun-gen (vgl. Kap. ??) möglich ist, und es findet keine Verformung des Moleküls statt. Oft aber sind sie durch Atomgruppen verbunden, bei denen eine einge-schränkte Drehbarkeit möglich ist. Das Molekül kann sich dann in gewissen Grenzen verformen.

An den Enden des starren Teils befinden sich oft weitere Atomgruppen. Es können unpolare, bewegliche Gruppen sein, zum Beispiel mittlere bis längere Alkylketten (cyan), aber auch polare Gruppen. Sie heißen Endgruppen.

4.1 Flüssigkristalle Manchmal können am starren Teil Atomgruppen zur Seite herausragen (vio-lett). Man nennt sie Seitengruppen.

Interaktionen Im folgenden soll es darum gehen, welche Kräfte zwischen solchen Molekülen wirken, und wie das Zusammenspiel dieser Kräfte mit der ei-genartigen Geometrie der Moleküle bewirkt, dass sich flüssigkristalline Phasen (Mesophasen) bilden.

Bild 4.8:

Wie zu erwarten, ist die-ser Versuch, 2 Streichhölzer an den Enden „auf Stoß“

zu verkleben, danebenge-gangen. Die Schwerkraft, die auf das rechte Streichholz wirkt, ist größer als die Ko-häsionskräfte an der Verbin-dungsstelle.

Ende–an–Ende–Interaktionen Alle, die handwerklich tätig sind, wissen es: Holz–

oder Metallstäbe sollte man niemals „auf Stoß“ verbinden. Die Berührungsfläche ist sehr klein, und auf dieser kleinen Fläche kön-nen nur geringe Kräfte für den Zusammen-halt sorgen. Kräfte, die in anderen Bereichen des Stabes, entfernt von der Verbindungsstel-le, angreifen, sind, schon durch die Hebel-wirkung, viel stärker. Das Folge ist, die Ver-bindung wird nicht halten. Versucht man es trotzdem, erhält man ein Ergebnis wie in in Bild 4.8.

Zwischen dem makroskopischen Beispiel der geklebten Streichhölzer und den Flüs-sigkristallmolekülen gibt es Gemeinsamkei-ten und Unterschiede.

Die Gemeinsamkeit ist die winzige Berührungsfläche. Eventuelle elektrostati-sche Anziehungskräfte zwielektrostati-schen 2 Molekülen, die sich an den Enden berühren, können also auch nur gering sein und nur wenig bis fast gar nichts zum Zusam-menhalt beitragen.

Bild 4.9: 2 kalamitische Moleküle treffen sich an den Enden, schematisch Bild 4.9 zeigt eine Situation, in der sich 2 kalamitische Moleküle, wie sie in Bild 4.7 gezeichnet sind, an den Enden treffen. Die Chancen auf nennenswerte Interaktionen sind minimal.

Zu den Unterschieden gehört die Art der Kräfte, die im gesamten Bereich der Stäbe angreifen. Bei den Streichhölzern ist es die Schwerkraft. Bei den

Mo-lekülen sind es Stöße von anderen MoMo-lekülen, die aufgrund der thermischen Bewegung immer wieder stattfinden. Diese Stöße üben eine Kraft auf das ge-stoßene Molekül aus, die größer ist als die elektrostatischen Anziehungskräfte an der kleinen Berührungsfläche.

Seite–an–Seite–Interaktionen Die Situation ist hier genau umgekehrt zu der im vorigen Abschnitt.

Bild 4.10:

kalamitische Moleküle berühren sich an den Seiten, schematisch. Die Mole-küle sind gegenüber Bild 4.7 um 90° gedreht, so dass die Seitengruppen vorn und hinten liegen.

Bild 4.10 zeigt kalamitische Moleküle, die sich an den Seiten berühren. Die Berührungsfläche ist viel größer als bei der Ende–an–Ende–Berührung, so dass wesentlich stärkere Interaktionen stattfinden können.

Für diese Interaktionen sind einmal van–der–Waals–Kräfte verantwortlich.

Sie wirken zwischen allen Atomen im starren Grundkörper eines Moleküls (grün) und allen benachbarten Atomen im Grundkörper des Nachbarmoleküls. Damit wirken sie über eine relativ große Fläche und bewirken so relativ starke Interak-tionen, die 2 Nachbarmoleküle relativ fest aneinander halten.

Der andere Akteur sind die polaren Bindungen.

stabförmige Moleküle :

haften an den Enden kaum aneinander haften an den Seiten gut aneinander

Stellschrauben Was ich bis jetzt gezeichnet habe, ist ein Schwarz–Weiß–

Bild mit nur wenigen Grautönen. Die eine Interaktion geht, die andere nicht, fertig. Wenn das alles wäre, wäre das Kapitel über Flüssigkristalle kurz. Zum Glück gibt es eine Reihe von Faktoren, mit denen man die Form kalamitischer

4.1 Flüssigkristalle Moleküle, ihre Polarisierbarkeit und die Verteilung der polaren Gebiete beein-flussen kann – und damit auch ihre Eigenschaften. Hier stelle ich einige dieser Möglichkeiten kurz vor. In den folgenden Abschnitten werde ich sie an Beispie-len ausführlich erläutern.

ã Das Verhältnis zwischen der Länge des Grundkörpers und der Länge der Endgruppen – Je größer der Grundkörper im Vergleich zu den Endgrup-pen ist, umso stärker können die van–der–Waals–Kräfte zwischen be-nachbarten Grundkörpern wirken.

ã Die Zylinderform des Grundkörpers – Haben Sie sich auch schon gefragt, welche Moleküle wohl perfekt zylindrisch sein mögen ? Nun ja, der Zylin-der ist ein einfaches Modell Zylin-der Form des Grundkörpers. Abweichungen, gewollt oder ungewollt, werden zu geringeren Auswirkungen der van–der–

Waals–Kräfte führen.

ã Die Starrheit des Grundkörpers – Man kann in den Grundkörper, wie schon oben gesagt, die eine oder andere Atomgruppe einbauen, die eine freie Drehbarkeit um Einfachbindungen ermöglicht, so dem Grundkörper eine gewisse Flexibilität gibt und die Wirkung der van–der–Waals–Kräfte zurückdrängt. Bei der technischen Anwendung von Flüssigkristallen in Bildschirmen (LCD) werden Stoffe benötigt, bei denen sich der Existenz-bereich der flüssigkristallinen Phase über die gesamte Betriebstemperatur des Bildschirms erstreckt. Stoffe mit eingeschränkter Starrheit und wenig perfekter Zylinderform erfüllen diese Anforderungen.

ã Die Art der Endgruppen – Sind es unpolare Alkylgruppen oder sind es po-lare Gruppen, zum Beispiel die Cyanidgruppe ? Sind es lineare Gruppen, oder sind sie verzweigt ? Ist an beiden Enden dieselbe Gruppe vorhanden, oder sind es verschiedene ?

ã Die Art der Seitengruppen – Sind sie überhaupt vorhanden ? Das kommt eher selten vor, oft fehlen sie. Wenn sie vorhanden sind, sind es dann kleine Gruppen (die die Zylinderform des Moleküls nur wenig beeinträchti-gen), oder sind sie groß ? Sind es polare oder unpolare Gruppen ? Sind es kleine, kaum polarisierbare Atome (zum Beispiel Fluoratome), oder sind es große, gut polarisierbare Atome oder Gruppen ?

Mesophasen aus Scheiben

Bis zum Jahr 1977 waren alle bekannten Moleküle, die flüssigkristalline Pha-sen bildeten, stabförmig, und man glaubte, das müsse so sein. 1977 entdeckte der indische Physiker Sivaramakrishna Chandrasekhar die ersten scheibenför-migen Moleküle, die Mesophasen bilden.

Die Frage, warum auch scheibenförmige Moleküle Mesophasen bilden, kann man genauso beantworten wie bei den stabförmigen.

Bild 4.11 zeigt den Aufbau scheibenförmiger (diskotischer) Moleküle. Sie be-stehen aus einem flachen, näherungsweise kreisförmigen Grundkörper (grün

von der Seite

von oben

Bild 4.11:

Aufbau eines scheibenförmigen (diskotischen) Moleküls, schematisch

gezeichnet). Er wird meist durch ein System aus kondensierten Benzolringen realisiert1. Ein solches System ist von Natur aus starr.

An den Seiten des Grundkörpers befinden sich Atomgruppen, die unpolar oder schwach polar, aber beweglich sind, zum Beispiel längere Alkylketten (cy-an). Ihre Zahl ist unterschiedlich, es müssen nicht 4 wie im Bild 4.11 sein. Sie heißen Endgruppen.

von der Seite

Bild 4.12:

Scheibenförmige (diskotische) Moleküle, die sich an den Seiten berühren, erfahren starke Interaktionen

1 Der Begriff „kondensierte Benzolringe“ hat nichts mit der Kondensation gasförmiger Stoffe zu flüssigen zu tun. Vielmehr hat sich aus mehreren Benzolringen ein neues, größeres Molekül gebildet. Beispiele finden Sie in Kap.??.

4.1 Flüssigkristalle Interaktionen Ähnlich wie in Bild 4.9 sind auch bei diskotischen Molekülen nur sehr schwache Ende–an–Ende–Interaktionen möglich. Der Grund ist wieder derselbe. Die Berührungsfläche ist zu gering. Scheibenförmige Moleküle haften genausowenig wie stabförmige an den Endgruppen aneinander.

Ähnlich wie in Bild 4.10 sind auch bei diskotischen Molekülen starke Seite–

an–Seite–Interaktionen möglich. In einem Stapel diskotischer Moleküle, den man sich wie einen Stapel Münzen vorstellen kann und der wie in Bild 4.12 aus-sieht, wirken zwischen den Atomen benachbarter Moleküle van–der–Waals–

Kräfte. Wieder macht es die Menge der Atome (der Grundkörper enthält etwa 10 bis 40 Atome), dass diese schwachen Kräfte einen Zusammenhalt bewirken.

Die Stellschrauben zum Feintuning der Moleküleigenschaften sind bei den diskotischen Molekülen nicht so ausgeprägt wie bei den kalamitischen. Neben der Größe des Grundkörpers ist es die Art und Länge der Seitengruppen.

Im Dokument Die Struktur der Stoffe (Seite 57-63)