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einführen, damit alle Kinder, unabhängig vom Aufenthaltsstatus, ein Recht auf Bildung hätten.

Darüber hinaus müsse Jugendlichen aus Roma-Familien der Zugang zu Ausbildung und staatlich geförderten Berufslehrgängen ermöglicht werden, da sie ansonsten weder für den Verbleib in Deutschland, noch für die Rückkehr in ihr Heimatland vorbereitet wären (vgl.

ebd.).

Um Ausgrenzung und Stigmatisierung zu vermeiden, sei eine uneingeschränkte Einbeziehung von Kindern in die Ganztagsschulen von Nöten. Außerschulische Projekte für Roma-Kinder sollten deshalb stets als Ergänzung, aber nicht als Ersatz für die ganztagsschulische Betreuung konzipiert werden, erklärt Herr Petrovic (vgl. ebd.).

In der Tradition der Roma und Sinti gibt es keine Schule. Das für den Lebensunterhalt wichtige Wissen wurde früher in der Familie weitergegeben. Schule war deshalb lange Zeit nicht notwendig. Auch die starke Betonung der Familie spielt bei der Betrachtung der Problematik des Schulabsentismus eine große Rolle.

Die vorliegende Studie zu den Gründen von Schulabsentismus bei Kindern und Jugendlichen aus Roma-Familien zeigt, dass diese sehr vielfältig und individuell sind. Zudem wurde deutlich, dass die Interviewten unterschiedliche Theorien zu den Gründen für Schulabsentismus haben. Einige sehen den ihn als eine Reaktion auf Jahrhunderte lange Ausgrenzung und Verfolgung und machen das Schulverbot für Sinti und Roma im Nationalsozialismus und die in der Schule praktizierte Zwangsassimilierung für die heutige Skepsis gegenüber der Schule verantwortlich. Andere weisen darauf hin, dass die fehlende Schulpflicht für Flüchtlingskinder in einigen Bundesländern dazu führt, dass sie seltener zur Schule gehen, als andere Kinder. Auch in der Bedeutung und Struktur von Roma-Familien scheint es Faktoren zu geben, die Schulabsentismus begünstigen. Der enge Zusammenhalt der Familie und die Verpflichtung gegenüber anderen Familienmitgliedern (z.B. bei Krankheit oder Tod) können dazu führen, dass Kinder längere Zeit nicht zur Schule gehen, da sie zum Beispiel Verwandte besuchen. Darüber hinaus benötigen Eltern häufig die Hilfe ihrer Kinder bei Behördengängen, Arztbesuchen oder zum Beaufsichtigen kleinerer Geschwister. Da die Schule diese Gründe für das Fehlen nicht akzeptiert, geraten die Kinder in einen Konflikt, da sie nicht den Anforderungen der Schule und Familie gleichermaßen gerecht werden können.

Andere Interviewpartner_innen sehen den Grund für Schulabsentismus bei Kindern und Jugendlichen aus Roma-Familien in der Einstellung der Familie zur Schule. Oft hat die Schule nur einen geringen Stellenwert und den Eltern reicht es, wenn ihre Kinder die Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen erlernen. Wichtiger scheint ihnen zu sein, dass ihre Kinder früh Geld verdienen und zum Familieneinkommen beitragen können. Da es in der Tradition einiger Roma-Familien üblich ist, dass die Kinder früh heiraten und selbst Kinder bekommen, müssen sie auch früh Verantwortung für eine eigene Familie übernehmen.

Laut der Interviewten verliert die Institution Schule durch die traditionelle Kultur der Roma, das in der Familie vorhandene Wissen von Generation zu Generation weiterzugeben, an Wichtigkeit. Auch schulische Faktoren können beim Schulabsentismus von Kindern und Jugendlichen aus Roma-Familien eine Rolle spielen. Die Schule ist für viele Roma eine fremde Institution mit fremden Regeln und einer fremden Sprache. Fehlende

Identifikationsmöglichkeiten und negative Erfahrungen, wie Diskriminierung oder Konflikte können dazu beitragen, dass Schule als Bedrohung empfunden wird. In diesem Fall kann Schulabsentismus als Symptom von Misstrauen, Unzufriedenheit und Angst gesehen werden.

Viele Eltern lassen ihre Kinder zu Hause um sie zu schützen. Insbesondere bei Flüchtlingsfamilien sind auch beengte Wohnverhältnisse in Flüchtlingsheimen, eine angespannte finanzielle Situation sowie ein unsicherer Aufenthaltsstatus verbunden mit der Angst vor einer Abschiebung als Gründe für das Fernbleiben von der Schule denkbar.

7.2 Handlungsempfehlungen

Die Vorschläge und Ideen der Interviewpartner_innen bezüglich der Verbesserung der Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen aus Roma-Familien sind aus Sicht dieser Arbeit als sehr hilfreich und praxisnah einzuschätzen, weshalb sich auch die folgenden Empfehlungen an ihnen orientieren.

Das Hamburger-Modell ist ein guter Anfang um den Schulbesuch von Roma-Kindern zu fördern. Es ist aus diesem Grund dringend notwendig, weitere Bildungsberater_innen auszubilden, damit diese in Hamburg flächendeckend (an allen Schulen) tätig werden können.

Besonders wichtig ist die Ausbildung und Einstellung von weiblichen Roma und Sinti als Bildungsberater, da es bisher nur männliche gibt. Es kann davon ausgegangen werden, dass Mädchen eher eine vertrauensvolle Beziehung zu einer Frau entwickeln und diese eine erfolgreichere Zusammenarbeit ermöglicht.

Darüber hinaus wäre eine integrative Schule mit interkulturellem Unterricht eine gute Möglichkeit, ein Aussondern förderbedürftiger Kinder aus den Schulen zu verhindern. Der interkulturelle und muttersprachliche Unterricht fördert die interkulturelle Kompetenz der Schüler_innen und bietet den Kindern aus anderen Nationen und Kulturen die Möglichkeit, sich mit der Schule zu identifizieren. Das Konzept des interkulturellen Unterrichts ließe sich zudem gut mit dem Projekt der Bildungsberater vereinbaren. Da die förderbedürftigen Kinder in einer integrativen Schule gemeinsam mit den anderen Kindern unterrichtet werden, besteht die Gefahr, dass sich die förderbedürftigen Kinder eventuell als Versager fühlen könnten, da ihnen täglich vor Augen geführt wird, dass sie leistungsschwächer sind als ihre Mitschüler.

Dies kann sehr demotivierend auf die betroffenen Kinder wirken.

Unabhängig von der Schulform, ist die Beteiligung an der Planung und Gestaltung des Unterrichts, sowie die aktive Einbeziehung der Kinder und Familien in den Schulalltag äußerst sinnvoll, da so Vertrauen aufgebaut und Ängste abgebaut werden können. Weiterhin könnte in der Unterrichtsplanung auf die Interessen der Schüler_innen eingegangen werden, um die Attraktivität des Unterrichtes aus ihrer Sicht zu steigern. Da die Einstellung der Eltern zu Bildung und Bildungsinhalten ihrer Kinder eine entscheidende Rolle für die Motivation und die Kontinuität des Schulbesuchs der Kinder spielt, müssen auch die Eltern vermehrt beteiligt und in die Schule eingebunden werden. Darüber hinaus könnte die Einführung einer Eingewöhnungsphase, mit Begleitung der Eltern in der Schule, den Schulbesuch von Roma-Kindern fördern. Den Eltern würde so die Möglichkeit gegeben werden, die Schule ihrer Kinder kennen zu lernen, was wiederum den Abbau von Angst und Skepsis zur Folge haben könnte.

Die praktische Unterstützung von Roma-Familien durch lebensnahe Angebote, ist aus Sicht dieser Arbeit ebenfalls eine sehr gute Möglichkeit den Schulbesuch der Kinder zu fördern.

Den Kindern wird ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, die Schule zu besuchen und die ungleichen Voraussetzungen der unterschiedlichen Kinder können ein wenig ausgeglichen werden. Das bedeutet, dass die Leistung der Kinder in der Schule weniger davon abhängt, wie sich die Eltern kümmern und wie die finanzielle Situation der Familie ist. Aus diesem Grund ist es erforderlich, die Angebote der praktischen Unterstützung, wie sie an der Schule Billbrookdeich durchgeführt werden, auf andere Schulen auszudehnen. Eine Voraussetzung für die Umsetzung solcher Angebote ist die Einstellung weiterer Schulsozialarbeiter_innen (unterschiedlicher Herkunft) an Schulen.

Die Verbesserung und Intensivierung der Zusammenarbeit der Institutionen ist wichtig um die Wahrscheinlichkeit zu senken, dass einzelne Kinder „durchrutschen“, weil sich niemand verantwortlich fühlt. Bei den Gesprächen mit den Expert_innen konnte eine gewisse Uneinigkeit über einige Themen (z. B. muttersprachlicher Unterricht) erkannt werden. Es wurde deutlich, dass zwischen den einzelnen Roma- und Sinti-Lehrern und –Sozialarbeitern kaum ein Austausch über ihre Arbeit, Ansätze, Methoden, Erfolge und Schwierigkeiten stattfindet. Eine bessere Zusammenarbeit, Vernetzung und Austausch unter den Helfer_innen könnte jedoch ihre Arbeit erleichtern und eventuell sogar ihren Erfolg noch steigern.

Auftretende Probleme könnten gemeinsam diskutiert und Lösungen gefunden werden.

Abschließend ist festzustellen, dass es zwar gute Ansätze zur Verbesserung der Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen aus Roma-Familien gibt, sie aber ohne politische Veränderungen und ausreichend finanzielle Mittel kaum umzusetzen sind. So ist zum Beispiel eine Gleichberechtigung im Bildungssystem insbesondere für Kinder mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus nicht erreichbar, wenn sie, wie im Saarland, nicht einmal das Recht haben die Schule zu besuchen.

Ein weiteres Problem stellt das derzeitige Schulsystem in Deutschland dar. Denn so lange die Gesellschaft die Selektion als Aufgabe der Schule versteht, wird es Kinder geben, die die Schule nicht schaffen. Es dürfte daher nicht Auftrag der Schule sein Kinder auszusortieren, sondern alle Kinder so zu fördern, dass sie die Schule erfolgreich bewältigen. Eine Umstrukturierung der Schule würde demnach nicht nur den Kindern aus Roma-Familien zu Gute kommen, sondern allen Kindern, die eine besondere Förderung benötigen. Die aktuellen Veränderungen im Hamburger Schulsystem geben diesbezüglich Grund zur Hoffnung.

Vorgesehen sind der Ausbau von integrativen Schulen und die Auflösung von Förderschulen.

Bundesweit besteht hier jedoch noch Handlungsbedarf.