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VI. VERGLEICHENDE BETRACHTUNGEN – WAS KÖNNEN WIR VON DEN

1. Best-Practices?

Es würde dem Grundgedanken dieser Studie zuwiderlaufen, ein bestimmtes Modell der Leistungsbeurteilung zu empfehlen. Alle hier untersuchten Modelle haben ihre jeweiligen Stärken und Schwächen und sind nicht EINS ZU EINS und ohne weiteres übertragbar.

Auffallend ist, dass in allen untersuchten Verwaltungen dem Grundsatz zugestimmt wird, dass es zur Einführung eines modernen Leistungsbeurteilungssystems, in dem kommunikative Komponenten mit Zielinstrumenten kombiniert werden, keine Alternative gibt. „Niemand will mehr zurück“ zu den traditionellen Strukturen (wortgemäße Wiedergabe eines Gespräches in Dänemark). In vielen Staaten wird dieser Sichtweise zugestimmt. Niemand denkt mehr daran, – trotz vielfältiger Probleme bei der Einführung neuer Beurteilungssysteme – zu den alten formalistischen und standardisierten Beurteilungsinstrumenten und Beurteilungsformen zurückzukehren.

In der Vergangenheit haben die meisten Leistungsbewertungssysteme nicht die individuelle Leistungsbewertung, sondern eine standardisierte Vergleichbarkeit in den Mittelpunkt der Kriterien gestellt82. Hingegen hatten diese Systeme sehr häufig symbolischen Wert. Die Beschäftigten wurden – wenn überhaupt – sehr subjektiv und „zu gut“ bewertet.

Konsequenzen der Leistungsbeurteilungen in Bezug auf Bezahlung und Laufbahnentwicklungen fehlten. Auch wenn dies nicht gerne zugegeben wird, wurden viele Beförderungen aufgrund von (politischer) Willkür und administrativen Notwendigkeiten vergeben und nicht aufgrund hervorragender individueller Leistungen.

Der gegenwärtige Reformprozess findet innerhalb eines umfassenden Reformtrends statt: ein allgemeiner Dezentralisierungs- und „Individualisierungstrend“ im Bereich des Personalmanagements.

Im Bereich der Personalbeurteilung führt diese Entwicklung zur Einführung von individuellen Zielvereinbarungen, die in ein gesamtorganisatorisches Zielsetzungssystem eingebettet sind. Dieser Prozess hat Vor- und Nachteile. Chancen und Risiken liegen sehr eng bei einander. So ist gegenwärtig völlig unklar, welche Auswirkungen dieser Trend auf die Position der Führungskräfte, die Motivation der Beschäftigten sowie die Position der Personalvertretungen hat.

Hingegen ist eine wichtige Schlussfolgerung in dieser Studie, dass die Frage, welche Beurteilungsformen (strukturierte Leistungsbewertung, Zielvereinbarungen etc.) und welche Kriterien (Verhalten, Eigenschaften, Aufgaben) zur Personalbeurteilung herangezogen werden sollen, von sekundärer Bedeutung ist. Viel wichtiger ist die kompetente, professionelle und faire Anwendung des Beurteilungssystems. Die Hauptfragestellungen beziehen sich verstärkt darauf, wie professionell und fair die Menschen geführt, bewertet und gefördert werden.

Im Rahmen dieser Studie war kein EU-Mitgliedstaat in der Lage einen Gesamtüberblick über die Beurteilungspraxis im gesamten zentralen öffentlichen Dienst zu vermitteln. Darüber hinaus gibt es in vielen Ländern sehr unterschiedliche Beurteilungssysteme für die Spitzenbeamten und/oder den Senior Civil Service (z.B. in dem Vereinigten Königreich,

82 Jürgen Lorse, Aktuelle tarif- und dienstrechtliche Reformüberlegungen im öffentlichen Dienst, in: Zeitschrift für Beamtenrecht, a.a.O., S. 24 ff.

Malta, Norwegen, Niederlande, Belgien, Estland etc.). Daher wurde im Falle des Vereinigten Königreichs auf unseren Fragebogen ausschließlich für den britischen Senior Civil Service geantwortet. Auch die Niederlande haben dem Autor dieser Studie eine zusätzliche Beantwortung des Fragebogens für den niederländischen Senior Civil Service übermittelt.

In den meisten anderen Mitgliedstaaten sind die Befugnisse für die Durchführung der Leistungsbeurteilung an die verschiedenen Ministerien delegiert worden. So hat z.B. in Frankreich, Norwegen und Deutschland jedes Ministerium seine eigene Methode und Form der Leistungsbeurteilung. Diese Dezentralisierung und Fragmentierung der Verantwortlichkeiten im Bereich der Leistungsbeurteilung stellt die Aussagekraft vieler Aussagen in dieser Studie grundsätzlich in Frage. Tatsächlich handelt es sich in dieser Studie um eine Analyse und um Vergleiche von einzelnen Leistungsbeurteilungssystemen aus verschiedenen Ministerien (oder auch Agenturen, wie im Falle Schwedens). Wenn in dieser Studie die Leistungsbeurteilungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten genannt werden, handelt sich somit korrekterweise um Systeme aus einzelnen oder mehreren Ministerien der EU-Mitgliedstaaten.

Für die Wissenschaft führt der Dezentralisierungs- und Individualisierungstrend zu großen Herausforderungen im Rahmen einer vergleichenden wissenschaftlichen Analyse. Bis heute wurde meines Erachtens (d. Autor) nirgendwo untersucht, inwiefern der aktuelle

„Dezentralisierungsprozess“ im Bereich der Leistungsbeurteilung zu Mobilitätsproblemen beiträgt (oder nicht). Auch bei dem Bewertungsverfahren lässt sich feststellen, dass sich europaweit die Strukturen, Noten, Ziele, Kriterien und Fristen immer weiter differenzieren.

So gibt es kaum noch standardisierte Beurteilungsverfahren. Jede Verwaltung hat ihr eigenes Modell. Insofern entwickelt sich die Leistungsbewertung zu einem zunehmend entstandardisierten Modell, das sich an die jeweiligen Ziele, Strukturen und Werte der einzelnen Organisationen anpasst. Inwiefern dieser Fragmentierungsprozess zu neuen Fairness- und Führungsproblemen führt, ist ebenfalls noch nicht abzusehen. Die Kehrseite der ressortinternen Gestaltungsfreiheit könnte freilich zu einer uneinheitlichen Beurteilungslandschaft im Bereich der einzelnen Verwaltungen führen, „die die personelle Mobilität zwischen den Ressorts sowie die Erarbeitung einheitlicher Grundsätze der Personalentwicklung erschwert.“83

Aufgrund der Dezentralisierung der Verantwortlichkeiten im Beurteilungswesen erscheint es auch für die Mitgliedstaaten zunehmend schwierig, Informationen über die Beurteilungspraxis auf horizontaler und zentralstaatlicher Ebene zu erlangen. Dies betrifft Erkenntnisse über die Bewertungsrealität bis hin zur Frage, ob bestimmte Beschäftigtengruppen – unbewusst – im Beurteilungsprozess diskriminiert werden. Tatsächlich haben viele Mitgliedstaaten auf diese (sensible) Frage erst gar nicht geantwortet, da schon alleine die Messung dieser Hypothese schwierig ist. Andere Mitgliedstaaten wollten diese Frage beantworten, wiesen aber auf den subjektiven Charakter der Antwort hin. Diese Zurückhaltung ist verständlich, da eine Beantwortung dieser Frage voraussetzen würde, dass die Beurteilungsdaten der verschiedenen Beschäftigten- und Altersgruppen vorhanden sind und analysiert sowie miteinander verglichen werden. Untersuchungen zu dieser Frage wurden meines Erachtens bisher in der Schweiz (und teilweise) sowie im Vereinigten Königreich durchgeführt. Daher ist in dieser Studie die Beantwortung und Diskussion dieser Frage nicht abschließend zu klären, da die Antworten der Mitgliedstaaten zu subjektiv (und vermutlich auch zu politisch) sind. Die meisten Mitgliedstaaten berichteten zudem, dass sie bisher keine zentralen Evaluationen der Beurteilungspraxis durchgeführt haben.

83 Jürgen Lorse, Führungskräfte des Bundes im Spiegel dienstlicher Beurteilungen – eine vergleichende Studie, in: Zeitschrift für Beamtenrecht, Heft Nr. 4/2005, S. 110.

Unterschiedliche Formen der Personalbeurteilung in Europa

Merkmale Möglichkeiten

Was wird beurteilt? Resultate/Ziele

Leistung

Arbeitsplatzprofil

Verhalten

Eigenschaften

Kompetenzen

Führungsfähigkeit

Soziale Fähigkeiten

Wer wird beurteilt? Alle Bediensteten

Gruppe/Team

Führungskräfte

Beschäftigte in Probezeit

Wer beurteilt? Direkte(r) Vorgesetzte(r)

Ausschuss

Referatsleiter

Selbstbeurteilung

Andere (z.B. Mitarbeiter, Kunden, 360-Grad-Beurteilung etc.)

Mit welchem Instrument wird beurteilt? Leistungsbeurteilung

Zielvereinbarung

Balanced Scorecard

Mitarbeitergespräch

Arbeitsplatzbeschreibung

Kompetenzprofile

Welches Kriterien werden angewandt? 1. Anforderungsorientierte Verfahren (Universelle, allgemeine Anforderungen, z.B. Kommunikationsfähigkeit,

Arbeitsqualität, Innovationskraft, Teamorientierung)

2. Positionsspezifische Anforderungen (Konkretisierung nach Funktion) 3. Merkmalsorientierte Verfahren, z.B.

Leistung/Arbeitsergebnisse, Qualifikation, Kenntnisse, Fachwissen, Arbeitsverhalten, Führungsverhalten, Persönlichkeit

4. Outputorienierte Anforderungen, z.B Zielvereinbarungen, Leistungsverträge

Womit wird benotet? Noten

Bewertungen

Quoten

Keine Noten

Wie häufig wird beurteilt? Jährlich

Alle 2 Jahre

Andere Zeitabstände