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Besonderheiten des parlamentarischen Kontexts

2 Ausgangspunkt: Nutzung von systematisch generiertem Wissen in der Politik

2.3 Besonderheiten des parlamentarischen Kontexts

Die bisherigen, generelleren Ausführungen haben sich mit der Nutzung von systematisch generiertem Wissen durch politische Entscheidungsträgerinnen und -träger befasst; was aber sind Besonderheiten, wenn auf Parlamentsmitglieder als Nutzerinnen und Nutzer fokussiert wird? Der folgende Abschnitt präzisiert daher das Verständnis der Nutzung für diesen spezifischen Kontext, indem er sich mit dem Umgang mit Informationen in Parlamenten und mit der symbolischen Nutzung befasst, die in Parlamenten besonders zentral sein sollte. Die darauffolgenden Abschnitte präsentieren den Forschungsstand zu Ausmass und Erklärungsfaktoren der Nutzung von systematisch generiertem Wissen in Parlamenten.

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2 Ausgangspunkt: Nutzung von systematisch generiertem Wissen in der Politik

2.3.1 Nutzung: Kommissionen, mündliche Kommunikation und politische Instrumentalisierung zentral

Verbunden mit der Frage der Nutzung sind auch die Frage des Zugangs und der Ver-arbeitung von systematisch generiertem Wissen und generell Informationen im Parla-ment. Aufgrund der Arbeitsteilung in Parlamenten sind Kommissionen, in denen sich die Mitglieder spezialisieren, zentral für diese Aufgaben (Bimber 1991; Sabatier und Whiteman 1985; Zwier 1979). Zweck dieser Spezialisierung in den Kommissionen ist gemäss der informational theory (Gilligan und Krehbiel 1987; Krehbiel 1991) haupt-sächlich die Informationsgewinnung.12 Indem das Parlament den Kommissionen Pri-vilegien einräumt, setzt dies einen Anreiz zur aufwändigen Spezialisierung. Dies dient dem Parlament, da die von der Kommission erworbenen Informationen die Unsicher-heit über die Politik reduzieren und die restlichen Parlamentsmitglieder ihre Entscheide auf die Hinweise der Kommissionsmitglieder abstützen können (Gilligan und Krehbiel 1987, 287–289; Sabatier und Whiteman 1985, 395–396). Damit geht die informational theory von einem rationalistischen Verständnis von Informationen und deren Nutzung aus (Shulock 1998). Insgesamt führt die Arbeitsteilung in Parlamenten dazu, dass sich zumeist nur spezialisierte Parlamentsmitglieder vertieft mit einer Frage auseinandersetzen (vgl. Mooney 2012).

Kommissionen sind folglich zentral für die Informationsgewinnung und -verar-beitung, sie unterscheiden sich aber. Grundsätzlich lassen sich Arbeits- und Redepar-lamente voneinander abgrenzen. Während Kommissionen in ArbeitsparRedepar-lamenten wie etwa in der Schweizer Bundesversammlung oder im US-Kongress eine zentrale Stellung haben, kommt dem Plenum in Redeparlamenten wie etwa in Grossbritannien eine grö-ssere Bedeutung zu (Steffani 1979). Starke Kommissionen ermöglichen einem Parlament generell, Einfluss auf die Politikgestaltung einzunehmen (Mattson und Strøm 1995, 250).

Die Stärke der Kommissionen variiert aber nicht nur zwischen Arbeits- und Redeparla-menten, sondern hängt von diversen Faktoren ab wie etwa das Verhältnis der Sitzanteile der Parteien oder die Rechte der Kommissionen (vgl. Mattson und Strøm 1995; Shaw 1979, 391). Die Rechte der Kommissionen können auch innerhalb eines Parlaments ver-schieden sein. Unterschiede innerhalb eines Parlaments ergeben sich zudem aufgrund des Tätigkeitsgebiets und damit der Einflussmöglichkeiten der Kommissionen (Fenno 1973;

vgl. Smith und Deering 1990, 86). Schliesslich können Parlamente über ständige oder nichtständige Kommissionen verfügen. Während ständige Kommissionen feste Mitglied-schaften und Zuständigkeitsgebiete haben, werden nichtständige Kommissionen für spe-zifische Geschäfte oder Untersuchungen einberufen und nach Erledigung ihrer Aufgabe wieder aufgelöst (Mattson und Strøm 1995, 259).

Relevant für den Zugang und die Verarbeitung von Informationen und systema-tisch generiertem Wissen sind weiter die Mitarbeitenden oder parlamentseigenen Dienste (vgl. Bimber 1991). Sie bilden gemäss Arbeiten zu den US-Parlamenten und zum

Euro-12 Neben der Informationsgewinnung erfüllen Kommissionen zudem auch andere Funktionen (Martin 2014). Andere Erklärungsansätze für die Bildung von Kommissionen siehe Damgaard (1995); Lüthi (1997); Shaw (1979, 428–430); Weingast und Marshall (1988).

päischen Parlament eine der wichtigsten Quellen der Parlamentsmitglieder für systema-tisch generiertes Wissen (Guston et al. 1997; Hird 2005b; Jackson-Elmoore 2014; Pegan 2017). Die Mitarbeitenden suchen und bereiten solche Informationen auf, Guston et al. (1997, 466) und Florio et al. (1979, 82) diskutieren aber kritisch, inwiefern sie ein differenziertes Verständnis von systematisch generiertem Wissen haben. Zudem können die Mitarbeitenden nicht nur bei der Informationsgewinnung, sondern auch bei der Poli-tikgestaltung im Parlament eine zentrale Rolle einnehmen (vgl. Högenauer und Neuhold 2015; Whiteman 1995; Winzen 2011). Folglich hat ihr Umgang mit systematisch gene-riertem Wissen doppelte Konsequenzen für die Rolle dieses Wissens im Parlament (vgl.

Patashnik und Peck 2016, 289). Da die Mitarbeitenden systematisch generiertes Wis-sen suchen und aufbereiten, sollten Parlamentsmitglieder damit vergleichsweise selten in direktem Kontakt sein (Whiteman 1995).

Darüber hinaus weisen mehrere Forschende darauf hin, dass die mündliche Kom-munikation bei der Vermittlung von Informationen besonders bedeutsam ist in Parlamen-ten (Hird 2009; Raudla 2012, 1009; Weiss 1987, 98; 1989, 414). Die Parlamentsmit-glieder erhalten zwar viele schriftliche Dokumente, sie erfahren aber gemäss Whiteman (1995, 158) von systematisch generiertem Wissen vielmehr in Briefings, Präsentationen im Rahmen von Hearings oder anderen Veranstaltungen sowie im direkten Gespräch (vgl. Raudla 2012).

Der wenig erforschten symbolischen Nutzung kommt besondere Bedeutung im Parlament zu: “Certainly in Congress – or any legislative setting – strategic use of policy analysis cannot be ignored” (Whiteman 1985b, 222). In parlamentarischen Entschei-dungsprozessen sollten ideologische Positionen und Interessen vorrangig sein. Daher kann generell angenommen werden, dass Parlamentsmitglieder systematisch generiertes Wissen kaum zur Meinungsbildung verwenden. Erwartungsgemäss sollte systematisch generiertes Wissen im Parlament vielmehr vorwiegend oder sogar nur politische oder taktische Zwecke erfüllen: Etwa verwenden Parlamentsmitglieder Evaluationen, um ihre bereits vorgefassten Positionen zu bekräftigen oder gegnerische Positionen zu entkräften, aber auch um Entscheide zu verzögern (vgl. Mark 2011; Weiss 1987, 1989). Zudem gehen verschiedene Forscherinnen davon aus, dass Parlamentsmitglieder systematisch generiertes Wissen immer selektiv so verwenden können, dass es die eigene Position unterstützt oder sie zumindest Kritik daran üben können (vgl. Boswell 2009, 98 f.; Weiss 1990, 180).

Die Funktion der symbolischen Nutzung wird kontrovers diskutiert. Wie bereits erwähnt, wird sie in der Forschung über Evaluation teilweise als unangemessen betrach-tet (vgl. Johnson et al. 2009, 382; Leviton und Hughes 1981, 530; Mark 2011, 109).

Mehrere Forschende widersprechen aber einer negativen Konnotation der symbolischen Nutzung. In ihrer Sichtweise beschränkt sich die Funktion von systematisch generiertem Wissen nicht auf die Problemlösung, sondern sie kann etwa auch als Mittel zum Erhalt der Legitimität dienen (Boswell 2009, 30). Shulock (1999, 229), welche sich spezifisch mit dem parlamentarischen Kontext befasst, bezeichnet die Funktion von Policy-Analyse als Instrument zur Beschaffung von Ideen, zur Gewinnung von öffentlichem Interesse, zur Begründung von Handlungen und genereller als Symbol einer rationalen

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findung. Dies gründet auf der Logik, dass Policy-Analyse nicht für sich steht, sondern Argumente für eine Politik liefert, welche diese bedarf: “[O]bjective analysis, unassisted by advocacy and persuasion, is seldom sufficient to achieve major policy innovations”

(Majone 1989, 36; vgl. Albaek 1995; Cairney 2018; Henry 2000; Shulock 1998, 1999).13 Dies impliziert auch, dass symbolische Nutzung durchaus folgenreich für die Politik sein kann, weswegen Whiteman (1985a; 1985b, 205) für das Ersetzen des Begriffs symbolische durch den Begriff strategische Nutzung plädiert (vgl. Mark und Henry 2004).

2.3.2 Forschungsstand: Systematisch generiertes Wissen geschätzt, Nutzung variiert nach Phase und Rolle des Parlamentsmitglieds

Dem parlamentarischen Kontext widmen sich in der bisherigen Forschung nur wenige Beiträge, als Nutzende im Zentrum stehen vielmehr andere Entscheidungsträgerinnen und -träger, namentlich Beschäftigte des öffentlichen Diensts (vgl. Pollitt 2006, 41; Speer et al.

2015, 39). Die Beiträge mit Fokus auf den Parlamenten befassen sich vorwiegend mit der Verwendung von Evaluationen oder Policy-Analyse im US-Kongress oder in einem oder mehreren Parlamenten der US-Bundesstaaten (z. B. Apollonio und Bero 2017; Bogenschnei-der et al. 2013; Guston et al. 1997; Hird 2005a, 2005b, 2009; Weiss 1987, 1989; Whiteman 1985a, 1985b, 1995, 1997). In Europa und Kanada befasst sich ein verwandter, neuerer Forschungszweig mit der parlamentarischen Verwendung von Evaluationen, aber auch mit der Nutzung von Evidenz sowie Performanzinformation (z. B. Hardy 2016; Lawrence et al. 2017; McDavid und Huse 2012; Speer et al. 2015; van Dooren 2004). Gerade Beiträge mit einem Fokus auf Letzterem fokussieren aber auf die Tätigkeiten zu Budgetfragen sowie der Rechenschaftslegung (vgl. Johnson und Talbot 2007; Raudla 2012; van Dooren 2004;

Zwaan et al. 2016). Zudem beschränken sich die Beiträge auf wenige Parlamente.14 Die Nutzungsforschung zum Parlament stützt sich auf ähnliche Methoden wie die gene-relle Nutzungsforschung, allerdings erfolgt die Datenerhebung nicht immer in direktem Kontakt mit den Parlamentsmitgliedern. Die Nutzung wird hauptsächlich mit Befragun-gen, leitfadengestützte Interviews sowie Analysen von parlamentarischen Dokumenten oder Evaluationen erfasst. Teilweise stützen sich die Arbeiten auch auf eine Kombination dieser Methoden, etwa in Fallstudien (z. B. Whiteman 1985a, 1985b; Whiteman 1995).

Parlamentsmitglieder selbst bezieht aber nur ein Teil der Arbeiten in die Erhebungen mit ein. Andere Arbeiten beruhen auf den Angaben der parlamentarischen Mitarbeitenden Weiss (1987, 1989); Whiteman (1985a, 1985b). Diesen Verzicht auf einen direkten Kon-takt mit den Parlamentsmitgliedern begründet etwa Weiss (1989, 412) mit dem einfa-cheren Zugang, aber auch mit der zentralen Stellung, die Mitarbeitende in der Suche und Aufbereitung von systematisch generiertem Wissen haben (vgl. 2.3.1).

13 Eine solche Sichtweise steht im Zentrum der so genannten argumentativen Wende in der Policy-Analyse (Fischer und Forester 1993).

14 Gemäss der Literaturrecherche: Europäisches Parlament, Parlamente von Deutschland, Estland, Kanada und Grossbritannien, subnationale Parlamente von British Columbia, Flandern und Schottland. Abseits von Europa zudem zum philippinischen Parlament (Tabuga 2017). Die Forschung zu den Schweizer Parlamenten wird in einem separaten Kapitel präsentiert (vgl. 2.4.3).

Die Forschung zeigt insgesamt, dass Parlamentsmitglieder systematisch generier-tes Wissen überwiegend schätzen und dieses grundsätzlich auch verwenden. Gemäss der Literaturrecherche lässt sich in keiner Arbeit eine negative Einstellung der Parlaments-mitglieder gegenüber systematisch generiertem Wissen feststellen. Die Arbeiten zeigen vielmehr mehrheitlich, dass Parlamentsmitglieder systematisch generiertes Wissen nütz-lich finden und es auch als relevant ansehen (Boyer und Langbein 1991, 528; Guston et al. 1997, 454; Hird 2009, 527; Webber 1987, 617). Allerdings schliessen mehrere Forschende, dass Parlamentsmitglieder systematisch generiertes Wissen als eines von ver-schiedenen Instrumenten zur Erfüllung ihrer Tätigkeiten betrachten (Hird 2009, 527;

Johnson und Talbot 2007, 126). Die Einschätzung der Nutzung variiert wie in der gene-rellen Nutzungsforschung nach Konzeption, aber auch nach Betrachtungsgegenstand.

So unterscheidet sich die Nutzung in den von Whiteman (1985b, 1995) untersuchten Gesetzgebungsprozessen deutlich. Systematisch generiertes Wissen findet gemäss der Forschung also Verwendung im Parlament – wenn auch teilweise in geringem Ausmass.

Mehrere Beiträge weisen zudem darauf hin, dass grundsätzlich verschiedene Formen der Nutzung im Parlament vorkommen (vgl. Boyer und Langbein 1991, 529; Tabuga 2017, 9; Whiteman 1985a, 299). Allerdings scheinen instrumentelle Nutzung und Lernen aus Evaluationen generell seltener zu sein und die deutlich sichtbare symbolische Nutzung zu dominieren (vgl. Borrás und Højlund 2015, 109; Shulock 1999, 227; Webber 1987, 615; Weiss 1987, 105; 1989, 425). Teilweise stellen Forschende aber auch fest, dass die konzeptionelle Nutzung überwiegt und Parlamentsmitglieder sich von systematisch gene-riertem Wissen durchaus neue Perspektiven erhoffen (vgl. Bogenschneider et al. 2013, 274; Hird 2005b, 144; Morshed et al. 2017, 8). Schliesslich deuten Fallstudien darauf hin, dass die Nutzung in verschiedenen Gesetzgebungsprozessen klar variiert.

Die Forschungsbeiträge illustrieren, dass Nutzung in verschiedenen schriftlichen Quellen beobachtbar ist. Dokumentenanalysen etwa zeigen, dass Parlamentsmitglieder Fragen zu systematisch generiertem Wissen stellen. Wie oft dies geschieht, ist unklar:

Während van Dooren (2004, 518) in 52 Prozent der analysierten Fragen einen Hinweis auf Performanzinformation im flämischen Regionalparlament findet, stellen Speer et al.

(2015, 47) für dasselbe Parlament in 3.5 Prozent ihrer analysierten Fragen einen Bezug zu Evaluationen fest. Verweise auf systematisch generiertes Wissen enthalten zudem auch Kommissionsberichte und Protokolle der Beratungen oder Anhörungen, wobei in Letz-teren gerade externe Teilnehmende, namentlich Fachpersonen oder Mitglieder der Regie-rung und Verwaltung auf solches Wissen aufmerksam machen (vgl. Apollonio und Bero 2009, 6; Esterling 2011; Marnoch 2008, 8; Michaels und Gruszczynski 2016, 141). Die Arbeiten von Mooney (1991a, 449; 1992) zeigen, dass Parlamentsmitglieder teilweise auch schriftliche Informationen konsultieren, obschon andere, mündliche Information überwiegt.

Einhellig geht aus der bisherigen Forschung hervor, dass die Nutzung im Parla-ment deutlich nach Phase sowie Akteur variiert. Während ParlaParla-mentsmitglieder für die abschliessende Entscheidung kaum systematisch generierte Informationen bedürfen und diese vorwiegend zu strategischen Zwecken nutzen, sind sie in früheren Phasen durch-aus offener für solches Wissen und instrumentelle oder konzeptionelle Nutzung scheint

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eher möglich (Florio et al. 1979, 82; Whiteman 1985a, 299). Auch nutzen Parlaments-mitglieder systematisch generiertes Wissen nicht routinemässig und systematisch (vgl.

Webber 1987). Die Nutzung konzentriert sich zudem auf die Kommissionsmitglieder oder Parlamentsmitglieder, die ein Geschäft initiieren (Mooney 1993, 191; 2012, 31 f.;

Songer 1988, 380). Ein Grund dafür ist gemäss Mooney (1993, 195) der engere Bezug zu Geschäften: “Legislators get the most benefit from succeeding in their committee work, on bills they sponsor, and on important bills, and it is here that legislative organization and incentives inspire them to search hardest for information.” Dieser Anreiz verstärke sich noch, da Parlamentsmitglieder wenn möglich an jenen Kommissionen teilnehmen, bei denen sie ein starkes Interesse haben (Mooney 1993, 187; 2012, 11–12). Ebenso haben Kommissionen mit den Hearings einen privilegierten Zugang zu systematisch generierten Wissen.

In Übereinstimmung mit den Ergebnissen zur Nutzung von systematisch generier-tem Wissen ist auch dessen Bedeutung weniger fassbar und variiert nach Geschäft. Einen substantiellen Einfluss scheint solches Wissen generell nicht zu haben und sich – wenn überhaupt – auf einzelne Geschäfte oder Phasen zu beschränken (Florio et al. 1979, 84;

Malen et al. 1988; Weiss 1989, 429; Whiteman 1995, 181). Demgemäss ist systematisch generiertes Wissen auf subtilere Art im Parlament bedeutsam (Hird 2005a, 2005b). Dies äussert sich etwa in einem Einfluss von systematisch generiertem Wissen auf Debatten (Shulock 1999; Whiteman 1985a). Ebenso kann systematisch generiertes Wissen einen (symbolischen) Beitrag an die umfassendere Kontrollfunktion der Parlamente leisten (vgl.

McDavid und Huse 2012, 21; Speer et al. 2015, 240).

2.3.3 Forschungsstand: Erklärungsfaktoren des Kontexts zentraler als Angebot an systematisch generiertem Wissen

Analog zur generellen Nutzungsforschung identifizieren auch die Forschungsbeiträge mit Fokus auf das Parlament eine Vielzahl an Erklärungsfaktoren der Nutzung. Gemäss der zuvor vorgestellten Einteilung von Cousins und Leithwood (1986) betreffen diese Erklä-rungsfaktoren einerseits Eigenschaften der Angebotsseite des systematisch generierten Wissens. Wiederholt weisen die Forschungsbeiträge auf die folgenden begünstigenden Erklärungsfaktoren hin: Relevanz für das zugrunde liegende Problem, eine hohe Aktuali-tät, eine adäquate Aufbereitung sowie Präsentation der Ergebnisse in kurzem Bericht mit konziser, gut verständlicher Sprache (vgl. Apollonio und Bero 2017; Boyer und Langbein 1991; Brownson et al. 2016; Florio et al. 1979; Guston et al. 1997; Raudla 2012). Insge-samt scheint aber die Bedeutung dieser Erklärungsfaktoren für die parlamentarische Nut-zung fraglich, da die Parlamentsmitglieder selten in direktem Kontakt mit einem Bericht sind (vgl. 3.2.1; Raudla 2012; Whiteman 1995). Zudem machen mehrere Forschende auf relevante Eigenschaften der Angebotsseite aufmerksam, die sich nicht auf einzelne Berichte beziehen. Demgemäss nutzen Parlamentsmitglieder systematisch generiertes Wissen häufiger bei Fragen, zu denen viel Forschung existiert (vgl. Apollonio und Bero 2009; Hird 2005b; Whiteman 1995). Gemäss Esterling (2004) hängt weiter die Nutzung

in den Parlamenten davon ab, ob innerhalb der Forschung ein Konsens über ein Problem sowie dessen Lösungsansätze besteht.

Anderseits identifiziert die Nutzungsforschung zu Parlamenten diverse faktoren auf der Nachfrageseite des Nutzungskontexts. Eine Gruppe dieser Erklärungs-faktoren bezieht sich auf die individuelle Ebene der Parlamentsmitglieder. Wenn auch mit teilweise divergierenden Resultaten, offenbaren die Beiträge Unterschiede in der Nut-zung nach Ideologie, Amtserfahrung, Professionalisierung sowie Geschlecht (vgl. Bogen-schneider et al. 2013; Hird 2005b; Mooney 1993; Raudla 2012; Speer et al. 2015).

Weiter zeigen sich Unterschiede zwischen den Parlamentsmitgliedern in ihrer Einstellung gegenüber systematisch generiertem Wissen und ihrem Interesse daran (vgl. Guston et al.

1997, 462; Webber 1987). Bogenschneider und Corbett (2010, 137–141) erklären dies mit der Motivation der Parlamentsmitglieder. Mehr für Evidenz interessieren sollten sich so Parlamentsmitglieder, die sich stärker an Politikinhalten und weniger an der Wieder-wahl orientieren. Andere Forschende vermuten, dass gebildetere Parlamentsmitglieder eine positivere Einstellung gegenüber systematisch generiertem Wissen und ein höheres Interesse daran haben (vgl. Esterling 2007, 102–103; Hardy 2016, 121).

Andere Erklärungsfaktoren der Nachfrageseite betreffen die Ebene des Parlaments.

Die Professionalisierung, die (Macht-)Position des Parlaments sowie die Fluktuation sei-ner Mitglieder können die Nutzung gemäss der Forschung beeinflussen (vgl. Guston et al. 1997; Hird 2005b; Hird 2009; Raudla 2012). Weiter lassen Studien zum US-Kon-gress auf Unterschiede zwischen Parlamentskammern sowie zwischen Kommissionen schliessen (vgl. Esterling 2011, 190; Michaels und Gruszczynski 2016, 140; Weiss 1989, 422). Zu den Erklärungsfaktoren auf Ebene der Parlamente können daneben Eigenschaf-ten gezählt werden, die generell die Funktionsweise der Parlamente beschreiben. Parla-mentsmitglieder sind einem relativ starken Zeitdruck ausgesetzt. Sie müssen relativ rasch auf aktuelle Fragen reagieren können und beschäftigen sich mit verschiedenen Geschäf-ten gleichzeitig (vgl. Hird 2009, 531; Weiss 1987, 97). Dies widerspricht dem lang-samen, sorgfältigen Prozess der systematischen Generierung von Wissen. Verschiedene Forschende stellen schliesslich fest, dass direkter Kontakt mit den Parlamentsmitgliedern die Nutzung begünstigen kann (vgl. Bogenschneider und Corbett 2010, 132–134; Florio et al. 1979, 67; Hardy 2016, 120; Hird 2009, 533).

Zusätzliche Erklärungsfaktoren der Nachfrageseite beziehen sich auf die Art der diskutierten Frage. Viel Aufmerksamkeit schenkt die Nutzungsforschung zu Parlamenten dem Konfliktgrad einer Frage. Die Forschungsbeiträge zeigen, dass ein gewisser Konflikt-grad und damit verknüpft eine höhere Salienz und eine grössere öffentliche Aufmerk-samkeit die Nutzung begünstigen kann (vgl. Mooney 1993; Shulock 1999; Zwaan et al.

2016). Allerdings weisen die Ergebnisse auch darauf hin, dass Parlamentsmitglieder ab einer gewissen Konfliktivität systematisch generiertes Wissen vorrangig symbolisch nut-zen (vgl. Tabuga 2017; Whiteman 1985a; Whiteman 1985b). Verbunden mit dem Kon-fliktgrad stellt Shulock (1999, 238) für den US-Kongress fest, dass mehrfache Zuständig-keiten von Kommissionen zu einer höheren symbolischen Nutzung führen. Ein anderer diskutierter Erklärungsfaktor betrifft die Komplexität einer politischen Frage und die mit ihr verbundene Unsicherheit, die beide die Verwendung begünstigen sollten (Mooney

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2 Ausgangspunkt: Nutzung von systematisch generiertem Wissen in der Politik

1993, 191; Weiss 1989, 422). Schliesslich variiert die Nutzung von systematisch gene-riertem Wissen in Parlamenten auch gemäss Politikfeldern, die wenigen Beiträge dazu offenbaren aber kein eindeutiges Muster (vg. Speer et al. 2015; van Dooren 2004). Die Forschung zu EBP weist zudem darauf hin, dass sich die Eigenschaften der Parlaments-mitglieder und ihre Einstellung zu Forschung nach Interessengebiet unterscheiden kön-nen (Apollonio und Bero 2017, 4–5; vgl. Brownson et al. 2016, 1037).