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2. Literaturübersicht

2.3 Das Lymphgefäßsystem des Pferdes

2.3.3 Besonderheiten des Lymphgefäßsystems beim Pferd

Im Bereich des Pferdehufes fehlt dem Pferd eine Skelettmuskelpumpe (BERENS V.

RAUTENFELD u. FEDELE, 2005). Nach BERENS V. RAUTENFELD u. FEDELE (2005) erscheint eine arterielle Pulsübertragung zur Förderung der Lymphdynamik unwahrscheinlich, weil tief verlaufende Venen, Arterien und Kollektoren nicht wie beim Menschen gemeinsam in einer Bindegewebsscheide eingebettet sind.

Dem Pferd fehlt im Gegensatz zum Menschen eine ausgeprägte Hypodermis. Es besitzt ebenso wie der Mensch eine besondere Neigung zu Lymphödemen (HARLAND et al., 2004; ROTHE, 2004), besonders im Vergleich zu anderen Haustierspezies (AUER, 1974).

Das Vorliegen eines Lymphödems der Gliedmaße ist die Folge einer Insuffizienz der Lymphgefäße. Ein den Lymphabfluss erschwerender Faktor ist die große Körpermasse des Pferdes und die daraus resultierende große Lymphmenge (AUER, 1974).

Als Grundvorrausetzung für das häufige Auftreten von lymphvaskulären Erkrankungen an der Beckengliedmaße im Vergleich zur Schultergliedmaße führt HARLAND (2003) folgende Gründe an: Die Kollektoren der Beckengliedmaße liegen am weitesten entfernt von der Einmündung des Lymphdrainageweges in das präkardiale Venensystem (Venenwinkel). Dadurch muss die Lymphe einen langen Weg zurücklegen, um abtransportiert zu werden. Oberflächliche und tiefe Kollektoren besitzen eine glattmuskuläre Gefäßwandpumpe, welche sich zum Beispiel durch Griffe der manuellen Lymphdrainage anregen lässt, wodurch sich das Lymphzeitvolumen erhöht (ROTHE, 2004).

In der dermalen Kollektorenwand befinden sich laut HARLAND (2003) keine glatten Muskelzellen, aber Myofibroblasten in der Intima. Die oberflächlich und tief gelegenen

Kollektoren bestehen zu mehr als 40 % aus elastischen Fasern. Der murale elastische Wandanteil wird durch perilymphvaskuläre elastische Fasern, welche innerhalb der tiefen Dermis eine kompakte Fasernschicht bilden (MEYER, 1988; ROHTE, 2004), ergänzt, so dass das wichtigste Antriebssystem der epifaszialen Kollektoren als „elastischer Retraktionsapparat“ interpretiert werden kann (HARLAND, 2003; BRAUN, 2004; ROTHE, 2004). Die Myofibroblasten und der elastische Wandanteil der Kollektoren, von HARLAND (2003) als intrinsische Pumpenmechanismen bezeichnet, spielen eine wichtige Rolle als bewegungsabhängige Antriebssysteme für die Lymphdynamik (HARLAND, 2003; RISSE, 2004; ROTHE, 2004).

Da viele Pferde nach längerer Boxenruhe angelaufene Beine entwickeln, scheint das intrinsische Transportsystem evolutionsbedingt nicht dafür geschaffen zu sein, einen ausreichenden Lymphtransport über einen längeren Zeitraum bei reduzierter extrinsischer Leistung sicherzustellen. Myofibroblasten stellen Transformationszellen von Fibroblasten dar (HARLAND, 2003). Unter Umständen können diese Zellen durch Bewegung oder manuelle Lymphdrainage aus Bindegewebszellen transformiert werden, wodurch die Muskelwandpumpe trainiert und gestärkt wird (HARLAND, 2003; ROTHE, 2004).

Zusätzlich zu den kollektoreneigenen Antriebssystemen spielen auch die Gelenk- und Muskelpumpe eine bedeutende Rolle für die Lymphdynamik. Beim Pferd kommt der Huf- und Gelenkpumpe (s. Abb. 2.5) mit Kompression und Streckung der Gefäße (HARLAND, 2003) wegen der Beweglichkeit der Extremitäten eine große Bedeutung zu. Die Fesselgelenkpumpe unterstützt den besonders effektiven Lymphabfluss des Fußes über kurze hypodermale Kollektoren (mit elastischem Antriebssystem) in das Hauptdrainagesystem. Dabei wird über kurze Afferenzen Lymphe aus Sehnen und Gelenkkapsel dem tiefen Lymphgefäßsystem zugeführt.

• Die Hufpumpe:

Die Lymphe des Hufes wird in das tiefe Kollektorensystem (Hauptdrainageweg) befördert. In der Huflederhaut befindet sich ein Netzsystem initialer Lymphgefäße.

Der Hornschuh wirkt wie ein Druckcontainer auf die Blut- und Lymphgefäße des Hufes (BERENS V. RAUTENFELD u. FEDELE, 2005). Die Hufpumpe ist von herausragender Wichtigkeit beim stehenden und bewegten Pferd, da bei

Bodenkontakt des Hufes der interstitielle Druck in der Huflederhaut ansteigt, wodurch Gewebeflüssigkeit in initiale Lymphgefäße eintritt. Dabei werden Kollektoren und Venen zwischen dem Zehenpolster und dem elastischen Hufknorpel komprimiert, so dass es zur Entleerung der Kollektoren und Venen außerhalb des Hufes kommt. Während der Fußung des Hufes kommt es zur

„Füllungsphase“, die von der „Entleerungsphase“ beim Anheben des Hufes abgelöst wird. Hierbei sinkt der interstitielle Druck in der Huflederhaut bei Bodenfreiheit und der intralymphvaskuläre Druck in dem initialen Lymphgefäß steigt.

• Die Fesselgelenkpumpe:

Einen wesentlichen Einfluss auf den Lymphabfluss zwischen Hufsaum- und Tarsal- bzw. Karpalgelenk hat die Fesselgelenkpumpe. Die oberflächlichen und tiefen Kollektoren im Bereich des Fesselkopfes reagieren sehr sensibel auf kompressive Maßnahmen (BERENS V. RAUTENFELD u. FEDELE, 2005). Die Lymphdynamik der unteren Extremität wird im Wesentlichen von der Fesselgelenkpumpe und dem elastischen Retraktionsapparat beeinflusst. Das Fesselgelenk ist besonders beweglich. Deshalb werden nur die Bewegungsausschläge des Fesselgelenks als lymphvaskuläre Gelenkpumpe im Extremitätenbereich in Betracht gezogen.

ROTHE (2004) fordert beim Pferd die Unterscheidung der Oberflächenkollektoren in einen dermalen Kollektorennetzanteil und in hypodermale Kollektoren. Die Anzahl der Kollektoren variiert an den Beinen des Menschen (SCHACHT, 2000; KUBIK, 2002). Daher wird in der Humanmedizin zwischen einem lymphgefäßreichen und lymphgefäßarmen Typ unterschieden. Das Pferd besitzt eine unterschiedliche Anzahl von kurzen hypodermalen Kollektoren, wodurch eine Einteilung in gefäßreichen und gefäßarmen Typ besonders am Fuß gerechtfertigt erscheint (ROTHE, 2004). Diese Ausbildung der Kollektoren (kollektorenarmer Typ / kollektorenreicher Typ) ist genetisch verankert (BERENS V.

RAUTENFELD u. FEDELE, 2005).

Primäre Lymphödeme des Menschen haben oft eine Hypoplasie, das heißt eine angeborene geringe Anlage von Kollektoren als Ursache (HERPERTZ, 2001, 2003;

WERNER, 2001). Es stellt sich die Frage, ob beim Pferd mit der Neigung zu

„angelaufenen Beinen“ eine Hypoplasie vorliegt. Da der lymphödematöse Zustand

„angelaufener Beine“ durch Bewegung zu beheben ist, ist es fraglich, ob diese „dicken Beine“ ein primäres Lymphödem darstellen. Es ist denkbar, dass eine Kollektorenschwäche „angelaufene Beine“ zur Folge hat (ROTHE, 2004), in Hinsicht auf den Typus gefäßarm oder gefäßreich.

Murale lymphodynamische Faktoren

Lymphbildung (vis a tergo)

Dermale Kollektoren

Bild A zeigt die schematische Darstellung eines tiefverlaufenden Kollektors aus dem Huf unter Berücksichtigung seiner lymphodynamischen Antriebsysteme (Bildquelle: BERENS V. RAUTENFELD u. FEDELE, 2005).

Bild B gibt eine Übersicht zu wichtigen lymphodynamischen Faktoren an der Gliedmaße des Pferdes (Bildquelle: BERENS V. RAUTENFELD et al., 2004).

Bei zu großer Lymphproduktion kann Bewegung den Abtransport von Ödemflüssigkeit unterstützen. Durch hohe Außentemperaturen können Ödeme vorübergehend reduziert

werden, welche sich jedoch bei Nachlassen der Wärme wieder verstärkt ausprägen (AUER, 1974).

Bei den Untersuchungen von MEYER (1988) zeigten sich bei Pferden ohne klinische äußere Anzeichen von Ödemen am Fesselgelenk meanderförmige, weitgestellte Kollektoren. Dieses Bild der lymphvaskulären Füllung ist beim Menschen ein pathologischer Befund (URBANBEK et al., 1984). Beim Pferd wird die schwache Ausbildung der Muskelzellschicht der Kollektoren im Bereich des langen, senkrecht gestellten Fußes für die Ausprägung solcher „Inaktivitätsödeme“ verantwortlich gemacht (LAUE, 1987; BERENS V. RAUTENFELD, 1999; BERENS V. RAUTENFELD et al., 2000).