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Beschaffungswesen, Ausfuhrkontrolle und städtische Anbauschlacht

Im Dokument Die Schweiz im Ersten Weltkrieg (Seite 45-119)

3.1 Die Organisation der Lebensmittelbewirtschaftung

Am 28. Juli 1914, einen Monat nach der Ermordung des österreichischen Thron-folgers Franz Ferdinand in Sarajevo, erfolgte die Kriegserklärung Österreich- Ungarns an Serbien. Nach einer Phase der hektischen Diplomatie und der zu-nehmenden Verschlechterung der internationalen Beziehungen stand ein Krieg plötzlich bevor. Am 30. Juli ordnete Russland die Generalmobilmachung an und Wilhelm II. verordnete den Kriegszustand. Tags darauf sperrte Deutschland seine Grenzen und stellte auch den Bahn- und den Schiffsverkehr mit der Schweiz ein.

Der Elsässer Bahnhof (Verbindungen Richtung St. Ludwig und Mülhausen), der Badische Bahnhof (Richtung Weil, Riehen und Lörrach) und die Tramlinie nach Hüningen wurden vom Deutschen Reich geschlossen.1 Auch die Rheinschiff-fahrt zwischen Basel und Deutschland kam zum Erliegen. Die Verschärfung der internationalen Lage veranlasste den Bundesrat am 31. Juli 1914, die Armee auf Pikett zu stellen.2 Im Zuge der Kriegserklärung Deutschlands an Russland ver-kündete der Bundesrat am 1. August die Mobilmachung der Schweizer Armee auf den 3. August.3 An der Grenze in Basel löste der bewaffnete Landsturm die Landjäger ab, die die Grenzübergänge übergangsweise bewacht hatten. Die Or-ganisation der Grenzkontrolle gelangte damit in die Hände des Platzkommandos und ging zu den militärischen Behörden über.

Innerhalb weniger Tage verwandelte sich Basel in eine Garnisonsstadt und sah sich mit einer totalen Grenzsperre konfrontiert. Die Zufuhren aus den deut-schen Nachbargemeinden blieben aus, die Bahn- und Tramverbindungen waren unterbrochen, was einen normalen Personen- und Güterverkehr verhinderte.

Ausserdem war durch die lahmgelegte Rheinschifffahrt die Zufuhr aus Übersee blockiert. So blieben etwa 75 Wagen mit für die Schweiz bestimmtem Getreide in Breisach stecken.4 Anfang August 1914 war der Stadtkanton damit plötzlich von seinen wichtigsten Bezugsgebieten abgeschnitten und seine Versorgung mit Lebensmitteln akut gefährdet. Angesichts dieser unmittelbaren Bedrohung war nun plötzlich die Politik gefordert. Doch obschon sich im Verlauf des Juli die internationale Situation rapide verschlechtert und sich ein europäischer Krieg immer deutlicher abgezeichnet hatte, überraschten die Ereignisse auch die Basler Behörden weitgehend. Zwei Mitglieder des Regierungsrates weilten bei

1 Vgl. Wild, Basel zu Beginn des ersten Weltkrieges, S. 22 2 Vgl. Kurz, Dokumente der Grenzbesetzung 1914–1918, S. 18 f.

3 Vgl. ebd., S. 23.

4 Vgl. Wild, Basel, S. 22.

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ausbruch in den Ferien und mussten ihren Urlaub überstürzt abbrechen, um nach Basel zurückzukehren.5

Die Sicherung der Lebensmittelversorgung Basels beschäftigte die sieben-köpfige Exekutive mit dem Ratspräsidenten Fritz Mangold zwar schon in den Ta-gen vor der Generalmobilmachung. Die Regierungsratsprotokolle zeiTa-gen jedoch, dass die kantonale Politik auf die sich überschlagenden Ereignisse kaum vorberei-tet war. Erst am 27. Juli 1914, als es wegen der drohenden Kriegsgefahr überall in der Stadt bereits zu zahlreichen Panikkäufen gekommen war, wurden erste Mass-nahmen zur Sicherung und Erhöhung der Vorräte eingeleitet. So beschloss der Regierungsrat, einen Vertrag mit den Basler Mühlen auszuhandeln, um die Ge-treideversorgung des Kantons sicherzustellen. Demnach mussten sich die Müller auf dem Kantonsgebiet verpflichten, so viel Getreide wie möglich anzukaufen und das daraus gewonnene Mehl ausschliesslich dem Kanton Basel-Stadt zur Ver-fügung zu stellen. Dafür verpflichtete sich die Kantonsregierung zu finanziellen Vorschüssen zum Zweck des Weizenankaufs, zu Vergütungen für die anfallenden Lager- und Zinskosten sowie für Verluste im Falle eines späteren Preiszerfalls.6

Die Ausfuhr von in Basel gebackenem Brot ging allerdings weiter. Am 30. Juli berichtete Regierungsrat Eugen Wullschleger, dass «der kleine Grenzver-kehr noch immer floriere» und täglich grosse Mengen Brot nach Lörrach gingen, dass aber umgekehrt «kein Mehl aus Deutschland erhältlich sei».7 Der Regie-rungsrat schrieb deshalb an den Bundesrat, um diesem von den beunruhigenden Verhältnissen im Grenzverkehr zu berichten. Tatsächlich erliess der Bundesrat am 31. Juli 1914 – zusammen mit der Pikettstellung der Armee – ein generelles Ausfuhrverbot für Getreide, Mehl und Hafer. Dieses Getreideausfuhrverbot wei-tete die Landesregierung am Tag der Ankündigung der Generalmobilmachung, dem 1. August 1914, auf alle Lebensmittel aus.8 In Basel ergriff der Regierungsrat gleichzeitig die Möglichkeit zum Aufkauf von zwanzig Waggons Weizen, um die Versorgung der Bevölkerung mit Brot kurzfristig zu sichern.9 Auch die Aufsto-ckung der Salzvorräte nahm der Kanton in die Hand, was sich jedoch aufgrund des allgemein grossen Andrangs bei den Rheinsalinen sowie aufgrund der be-grenzten eigenen Lagerräumlichkeiten als schwierig erwies. Der Regierungsrat beauftragte das Baudepartement deshalb mit der Erstellung von Bauplänen und Kostenberechnungen für den Bau von weiteren Lagerräumen.10

Die ersten Schritte zur Sicherung der Lebensmittelversorgung der Basler Regierung bestanden darin, die Vorräte an Lebensmitteln, namentlich an Wei-zen, zu sichern und aufzustocken. Mit der Generalmobilmachung und dem Vollmachtenbeschluss traten mit Armee und Bundesrat allerdings plötzlich zwei

5 Vgl. StABS, Protokolle: Regierungsrat 284, Ausserordentliche Sitzung vom 31. Juli 1914.

6 Vgl. ebd., Sitzungen vom 27. und 29. Juli 1914.

7 Ebd., Ausserordentliche Sitzung vom 30. Juli 1914.

8 Vgl. ebd., Ausserordentliche Sitzung vom 1. August 1914.

9 Vgl. ebd.

10 Vgl. ebd., Ausserordentliche Sitzung vom 7. August 1914.

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neue Entscheidungsinstanzen auf, mit denen es bei der Organisation der kanto-nalen Lebensmittelversorgung zu Kompetenzüberschneidungen und -konflikten kam. Teile der Lebensmittelversorgung, darunter auch die Getreideversorgung, waren nun Sache der Militärbehörden. Die geplanten Verträge mit den Mühlen über Ankauf, Verarbeitung und Verkauf von Getreide und Mehl innerhalb des Kantons gingen an das Oberkriegskommissariat über. Und mit den Ausfuhrver-boten übernahm der Bundesrat die Kontrolle über den Aussenhandel.

Überhaupt hatte sich der Versuch des Basler Regierungsrates, die städtischen Lebensmittelvorräte mitten in der Mobilmachungszeit kurzfristig aufzustocken, als schwierig erwiesen. Diesen Eindruck bestätigt auch eine abschlägige Antwort des Eidgenössischen Militärdepartements auf das Ersuchen der Basler Regie-rung, dem Stadtkanton bei einer anhaltenden Grenzsperre mit Lebensmitteln aus anderen Teilen der Schweiz zu versorgen. Zwar hatten sich bis dahin noch keine ernsthaften Versorgungsprobleme ergeben; dennoch schloss der Regierungsrat eine Notlage nicht aus, wenn die Importe ausbleiben und die Zufuhren aus den Agrarkantonen nicht erhöht würden. Es könne «keine Zusicherung dafür ertei-len, dass Basel eine Ergänzung seiner Lebensmittelvorräte aus dem Innern der Schweiz erhalte», liess das Militärdepartement jedoch verlauten.11 Es sei nicht in der Lage, Zusagen für kompensierende Zufuhren aus der Schweiz zu machen, und wies darauf hin, dass «eben überall mit der Ungunst der Verhältnisse ge-rechnet werden» müsse.12 Die Priorität des Militärdepartements lag nicht auf der Lebensmittelversorgung der Zivilbevölkerung, sondern auf Fragen der Mobili-sierung und der Versorgung der Truppen: Es sei zu bedenken, dass, «sosehr uns das Wohl der Bevölkerung am Herzen liegt, doch insbesondere die jeweilige mi-litärische Lage mitbestimmend ist».13 Nicht nur die Situation an der Grenze zum kriegführenden Ausland, sondern auch die Lebensmittelorganisation innerhalb der Schweiz stellte für Basel demnach eine grosse Unsicherheit dar.

Erheben, berechnen und Vorräte verwalten

Der erste Schritt zu einer aktiven Lebensmittelorganisation ging bezeichnender-weise von den zuständigen militärischen Behörden aus, die im Gegensatz zu den zivilen Instanzen besser auf einen Kriegsfall vorbereitet waren.14 In Basel verfügte das Platzkommando bereits während der Generalmobilmachung eine sofortige Bestandsaufnahme der vorhandenen Lebensmittelvorräte – hauptsächlich, um die Verpflegungssituation für die in der Stadt und an der Grenze stationierten Truppen

11 Ebd., Ausserordentliche Sitzung vom 10. August 1914.

12 StABS, Sanität O 1, Lebensmittelpolizei 1913–1914 (1035073), Schweizerisches Militärdeparte-ment an den Regierungsrat von Basel, 8. August 1914.

13 Ebd.

14 Vgl. Fuhrer, Erster Weltkrieg.

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abzuschätzen.15 Die Verpflegungskommission des Platzkommandos wollte alle nach dem Sturm auf die Verkaufsläden noch vorhandenen Vorräte im städtischen Handel ermitteln. Zu diesem Zweck erliess das Platzkommando am 4. August 1914 einen Erhebungsbefehl, der sich an sämtliche in Basel ansässigen Spezerei- und Le-bensmittelgeschäfte richtete. Die Betreiberinnen und Betreiber dieser Geschäfte wurden angewiesen, Inventurlisten über ihre Bestände von Lebensmitteln und Be-darfsgegenständen anzufertigen und diese bis zum 6. August 1914 einzureichen.

Der aufwendigen Erhebung war jedoch nur ein Teilerfolg beschert. Nur ge-rade die Hälfte der ansässigen Geschäftsinhaberinnen und -inhaber leistete dem Aufruf Folge, unter anderem aus Angst vor einer Beschlagnahmung der Vor-räte durch die Armee. Während immerhin die Mehrheit der Speziererinnen und Spezierer16 dem Erhebungsbefehl nachkam, meldete nicht einmal die Hälfte der Bäcker ihre Lagerbestände; und von den 140 Gemüsehändlern reagierten sogar nur 10 auf den Erhebungsbefehl des Platzkommandos.17 Konsterniert stellte das Quartieramt nach getaner Arbeit denn auch fest, dass die Erhebungen «unvoll-ständig & verschiedene Firmen der Aufforderung ihr Inventar dem Quartieramt einzureichen nicht nachgekommen» seien.18 Auch das mit der Auswertung der gesammelten Daten beauftragte Statistische Amt hielt die Aussagekraft der Be-standsaufnahme für sehr begrenzt. Es gab ausserdem zu bedenken «dass, wie all-gemein bekannt ist, in den Haushaltungen der kaufkräftigen Bevölkerung bereits grosse Quantitäten derjenigen Lebensmittel liegen, deren Bestände in den Ge-schäften nun vom Platzkommando festgestellt worden sind».19 Mit anderen Wor-ten war das Ergebnis der Erhebung nicht nur weitgehend unvollständig, sondern beim Zeitpunkt der Resultate bereits nicht mehr aktuell. Die an den Stichtagen des 5. und 6. August erhobenen und eine Woche später daraus zusammengetra-genen Mengenangaben – darunter 1 656 400 Kilogramm Weizen, 42 645 Kilon-gramm Teigwaren, 14 549 890 Eier, 31 470 KiloKilon-gramm Butter, 156 825 KiloKilon-gramm Schmalz, 498 285 Kilogramm Kaffee – sagten nur wenig darüber aus, wie es um die Lebensmittelversorgung im städtischen Handel tatsächlich stand. Viele dieser Vorratsbestände waren in der Woche seit der Erhebung verkauft worden und da-mit aus den Regalen und Lagern der Läden in private Vorratskammern, Kellern und Küchen verschwunden.20

Wenn auch das Resultat ernüchternd ausfiel und die Warenlisten nur eine begrenzte Vorstellung von den tatsächlich vorhandenen Vorräten in der Stadt

15 Vgl. StABS, Sanität O 3.1, Lebensmittel- und Kriegsfürsorge 1914, Diverse Dossiers zur Grenzbesetzung 1914.

16 «In Spezereihandlungen des 19. Jahrhunderts […] wurden Gewürze, feine Lebensmittel und Gemischtwaren des täglichen Bedarfs angeboten.» Keller, Lebensmittelhandwerk und -handel, S. 103, 114.

17 Vgl. StABS, Sanität O 3.1, Lebensmittel- und Kriegsfürsorge 1914, Statistisches Amt an das Quartieramt, 14. August 1914.

18 Ebd., Quartieramt an das Statistische Amt, 10. August 1914.

19 Ebd., Statistisches Amt an die staatliche Hilfskommission, 13. August 1914.

20 Vgl. ebd.

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vermittelten, so erlauben diese Quellen doch einen Einblick in gewisse Vorgänge in den ersten Tagen nach Kriegsausbruch. Viele der Geschäfte berichteten in ihren Briefen an das Quartieramt über den seit dem 28. Juli andauernden «Ansturm»

und «Massen Einkauf».21 Vor allem kleinere, private Einzelhandelsgeschäfte, die kaum über grössere Vorräte und Lagermöglichkeiten verfügten, waren zum Zeitpunkt der Erhebung bereits weitgehend ausverkauft. Die Spezereihandlung E. Hediger-Benz meldete, man habe zwar «noch theilweise halb leere Schubla-den von Kleinigkeiten, welche aber kaum als Vorräthe aufzuführen sind».22 Frau Suter-Amberg schrieb an das Quartieramt, ihre Vorräte und Lager seien ganz zu-sammengeschmolzen und es werde «beständig weiterverkauft so dass das Lager sich immer noch mehr verkleinert».23 Aber auch grössere Lebensmittelhändler wie beispielsweise die Gebrüder Riggenbach & Cie. meldeten den Ausverkauf einzelner Waren. Ausserdem nehme der noch verbleibende Warenvorrat durch Verkäufe an Militär und Private weiter ab, «während unsere Zufuhren nicht ein-gehen».24

Der Run auf die Lebensmittelläden – begehrt waren besonders haltbare Lebensmittel wie Teigwaren, Mehl, Zucker, Konserven etc. – bescherte manch einem Händler und Detaillisten ein gutes Geschäft. Viele von ihnen verkauften ihre Warenlager in kürzester Zeit an die kaufkräftige Kundschaft. Andere Ge-schäfte wie der ACV teilten ihre grossen Lager stärker ein und gingen sogar zu einer Rationierung über, um eine möglichst breite Kundschaft zu versorgen und allfällige Lieferengpässe zu überbrücken.25 Auch wenn der Lebensmittelhandel in den grösseren Geschäften, insbesondere in den Läden mit mehreren Filialen und Lagermöglichkeiten sowie im genossenschaftlich organisierten ACV, auch nach den Tagen des grossen Ansturms zwischen dem 28. Juli und dem 8. August 1914 weiterlief, hatten sich die Angebotsverhältnisse merklich verändert. Der Einzel- und Detailhandel war überwiegend ausgetrocknet und einzelne Produkte – be-sonders die haltbaren und lagerbeständigen Lebensmittel – waren ausverkauft und nicht mehr lieferbar. Die Vorräte hatten die Besitzer gewechselt; sie waren in die Lager der Armee und in zahlreiche private Keller gewandert und damit vom städtischen Lebensmittelmarkt verschwunden. Gleichzeitig stockten die Zufuh-ren der ImportwaZufuh-ren und viele Bestellungen konnten aufgrund von Überlastung, Transportproblemen oder Rohstoffmangel nicht ausgeführt werden.

Die in dieser Zeit des Ansturms erfolgte Lebensmittelerhebung im August 1914 markierte den Auftakt zu einer ganzen Serie von statistischen Erhebun-gen und Bestandsaufnahmen und den Beginn einer aktiven kantonalen Lebens-mittelorganisation. Die erste dieser Erhebungen war durch das Platzkommando erfolgt, das die Versorgung der stationierten Truppen organisieren musste. Die

21 Ebd., Diverse Einschriften.

22 Ebd.

23 Ebd.

24 Ebd.

25 Vgl. Labhardt, Krieg und Krise, S. 37 f.

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staatlichen Behörden erkannten rasch, dass auch sie eine Stelle schaffen muss-ten, um solche Bestandsaufnahmen anordnen und koordinieren zu können. Am 8. August beauftragte der Regierungsrat deshalb die kurz zuvor ins Leben ge-rufene Staatliche Hilfskommission mit der Lebensmittelfrage, womit sozusagen das zivile Pendant zur Versorgungskommission des Platzkommandos geschaf-fen war. Neben ihrer eigentlichen Hauptaufgabe, der Kriegsnotunterstützung,26 beauftragte der Regierungsrat die Hilfskommission mit der «Feststellung des vorhandenen Lebensmittelbestandes» und mit der «Vorberatung allfälliger aus-serordentlicher Massnahmen auf dem Gebiete der Lebensmittelbeschaffung und -verteilung».27 Die Hilfskommission veranlasste in den folgenden Wochen und Monaten einige Bestandsaufnahmen und beriet die Regierung bei Fragen zur Ge-treidelagerung sowie zu Kartoffel- und Teigwarenankäufen.28 Die Lage auf dem Lebensmittelmarkt beruhigte sich jedoch bald wieder, sodass sich dieser Auf-gabenbereich der Kommission mehr und mehr auflöste. Die Subkommission für Lebensmittelfürsorge hatte keine «bestimmte, klare Aufgabe» mehr und stellte ihre Tätigkeit ein.29 Die Hilfskommission konzentrierte sich wieder auf ihre Kernaufgabe – die Unterstützung für Kriegsnotleidende –, während die Lebens-mittelbewirtschaftung zeitweise von der politischen Bildfläche verschwand.

Dies änderte sich im Frühjahr 1915, als sich abzeichnete, dass der Krieg nicht das erhoffte baldige Ende finden und der Ausnahmezustand auf unbe-stimmte Zeit andauern würde. Die Lebensmittelpreise begannen wieder anzu-steigen, nach dem die Teuerung im Herbst und Winter 1914 stagniert war. In mehreren Städten wurde im Frühling 1915 die Forderung laut, der Bundesrat müsse die Lebensmittelteuerung mit einheitlichen Höchstpreisen und Wucher-verordnungen bekämpfen.30 Im Städteverband fand ein entsprechender Vorstoss einer Anzahl Kleinstädte allerdings keine Mehrheit, und so verzichtete der Ver-band auf eine Eingabe beim Bundesrat. Die Städte, in denen sich die Teuerung bereits früh bemerkbar machte, blieben in dieser Frage gespalten und ohne

26 Die Kriegsnotunterstützung war für alle in Basel wohnhaften Menschen gedacht, die aufgrund des Krieges in eine wirtschaftliche und soziale Notlage geraten waren (beispielsweise infolge Arbeitsplatzverlustes, Abwesenheit von Familienmitgliedern durch Militärdienst, Verlust der Mietwohnung etc.). Unterstützung gewährte die Kommission unter der Leitung des Pfarrers Gustav Benz zuerst in Form von Vergünstigungsmarken für Lebensmittel, kleinen Barbeträgen und schliesslich in Form von Mietzins- und Krankenkassenbeiträgen. Vgl. Labhardt, Krieg und Krise, S. 67–98; StABS, Armenwesen W, Staatliche Hilfskommission.

27 StABS, Armenwesen W 3, Jahresberichte, Bericht der staatlichen Hilfskommission über die Tä-tigkeit vom 8. August 1914 bis zum 31. Dezember 1915, S. 3 f.

28 Im September 1916 erfolgte die Bestandsaufnahme von Mehl- und Getreidevorräten, im De-zember 1914 von Reis. Vgl. ebd.

29 Ebd.

30 Am 17. Juli 1915 fand in Biel eine Städtekonferenz mit Delegierten aus Bern, Biel, La Chaux-de-Fonds, Delsberg, Freiburg, Grenchen, Le Locle, Lyss, Madretsch, Neuenburg, Nidau, Solo-thurn, St. Immer und Thun statt. Der Regierungsrat von Basel war ebenfalls eingeladen wor-den, einen Delegierten nach Biel zu schicken, allerdings kam die Konferenzeinladung hierfür zu spät. Vgl. StABS, Sanität O 3.1, Lebensmittel- und Kriegsfürsorge 1915–1916, Protokoll der Konferenz vom 17. Juli 1915.

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geordnete politische Stimme.31 Vielen Stadtgemeinden waren bei der Bekämp-fung von Teuerung und Wucher paradoxerweise die Hände gebunden, denn der Bundesrat hatte den Kantonen zwar auf dem Verordnungsweg gewisse Instru-mente und Ermächtigungen übertragen, aber er unterliess es, einen einheitlichen Rahmen dafür vorzugeben. Bei der Organisation ihrer Lebensmittelversorgung und der Bekämpfung der Teuerung waren die Gemeinden einerseits sich selbst überlassen, und andererseits waren sie auf Bund und Kantone angewiesen. In dieser Pattsituation wurde die Frage, wie eine kommunale, kantonale und inter-kantonale Organisation der Lebensmittelversorgung und Teuerungsbekämpfung auszusehen hätte, im Frühling und Sommer 1915 immer drängender. Vor die-sem Hintergrund entschloss sich die Basler Regierung für eine separate amtliche Stelle, die sich ausschliesslich um Fragen der Lebensmittelpolitik und der kanto-nalen Versorgungssituation kümmern sollte. Mitte Juli 1915 wurde die staatliche Lebensmittelfürsorgestelle gegründet, womit sich ihre Vorgängerin – die Sub-kommission I der HilfsSub-kommission – endgültig auflöste.

Die Gründung der staatlichen Lebensmittelfürsorgekommission

An der Regierungsratssitzung vom 14. Juli 1915 initiierte der Vorsteher des De-partements des Innern, Eugen Wullschleger (SP), die Schaffung einer Kommis-sion für Lebensmittelfürsorge. In den vorangehenden Monaten war die Über-zeugung gereift, dass für die Lebensmittelversorgung der Zivilbevölkerung eine separate kantonale Organisation geschaffen werden musste. Vor allem die stei-genden Lebensmittelpreise, aber auch Transport- und Lieferprobleme sowie die Verknappung einzelner Produkte hatten die Regierung zu diesem Schritt bewo-gen. Die Kommission hatte den Auftrag, die «Bewegungen auf dem Lebensmit-telmarkte fortlaufend zu beobachten und […] Vorschläge für Massnahmen zur Bekämpfung des Lebensmittelwuchers, sowie zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln […] zu unterbreiten».32 Die Lebensmittelfürsorgekommis-sion bestand aus drei Regierungsräten – Friedrich Aemmer als Präsident, Fritz Mangold als Vizepräsident und Hermann Blocher als Mitglied – sowie vier Per-sönlichkeiten aus dem weiteren Umfeld des städtischen Lebensmittelhandels und der Fürsorge: dem Wirt des Bahnhofsrestaurants, Christ. Pfosi-Ruosch, dem Kaufmann und Lebensmittelhändler Wilhelm Preiswerk-Imhoff, dem Anwalt Rüd. Kündig und dem städtischen Armeninspektor Friedrich Keller.33 Frauen als Kommissionsmitglieder standen anders als etwa bei der Hilfskommission gar nicht zur Diskussion. Die kantonale Lebensmittelfürsorge wurde als eine technisch- unternehmerische Angelegenheit verstanden, die ausschliesslich von

31 Vgl. ebd.

32 StABS, Sanität O 3.1, Lebensmittel- und Kriegsfürsorge 1915–1916 (1035087), Beschlussent-wurf betr. Lebensmittelteuerung, Massnahmen vom 16. Juli 1915.

33 Vgl. StABS, Protokolle: Regierungsrat 285, Sitzung vom 24. Juli 1915.

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fachkundigen Männern mit unternehmerischen Kenntnissen geführt werden sollte. Die Kommission für Lebensmittelfürsorge gliederte sich in vier Abtei-lungen, die spezifische Aufgaben innerhalb der staatlichen Lebensmittelversor-gung übernahmen. Die Abteilung für Preisstatistik sollte die Lebensmittelpreise in verschiedenen Orten der Schweiz und in Basel sammeln und vergleichen. Die Abteilung für die Beschaffung von Lebensmitteln war zuständig für den Ankauf und die Vermittlung von Obst, Gemüse, Teigwaren, Kartoffeln etc. Die Abtei-lung für die Beschaffung von Fleisch organisierte wiederum den Ankauf von Wurstwaren und Schlachtvieh, sie koordinierte die Schlachtung des importierten Viehs und eine eigene Schweinezucht. Schliesslich hatte die Abteilung für Volks-küchen die Aufgabe, Erhebungen zur Notwendigkeit von VolksVolks-küchen sowie zur allfälligen Errichtung und zum Betrieb von sogenannten Massenspeisungen durchzuführen.34

In der Kommission sollten nun die Fäden der kantonalen Lebensmittelfür-sorge zusammenlaufen. Das im Domhof am Münsterplatz stationierte Büro ord-nete beim Statistischen Amt Bestandsaufnahmen an und überwachte die kanto-nalen Lebensmittelvorräte im Hinblick auf die städtischen Bedürfnisse. Zugleich hielt es die Preisbewegungen auf dem Lebensmittelmarkt im Auge und konnte Höchstpreise beantragen. Das grösste Tätigkeitsfeld umfasste aber schon bald die Beschaffung von Lebensmitteln, bei denen es zu Lieferengpässen, Knappheit oder Preisanstiegen kam. Die Basler Lebensmittelfürsorgekommission etablierte

In der Kommission sollten nun die Fäden der kantonalen Lebensmittelfür-sorge zusammenlaufen. Das im Domhof am Münsterplatz stationierte Büro ord-nete beim Statistischen Amt Bestandsaufnahmen an und überwachte die kanto-nalen Lebensmittelvorräte im Hinblick auf die städtischen Bedürfnisse. Zugleich hielt es die Preisbewegungen auf dem Lebensmittelmarkt im Auge und konnte Höchstpreise beantragen. Das grösste Tätigkeitsfeld umfasste aber schon bald die Beschaffung von Lebensmitteln, bei denen es zu Lieferengpässen, Knappheit oder Preisanstiegen kam. Die Basler Lebensmittelfürsorgekommission etablierte

Im Dokument Die Schweiz im Ersten Weltkrieg (Seite 45-119)