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Auch wenn der BND sich unter Kinkel mehr denn je weltweit um vitale deutsche Interessen verdient machen wollte, so lag traditionell und angesichts der Frontstaatenlage der Bundesrepublik das Schwergewicht seiner nachrichtendienstlichen Arbeit in der Ost-West-Auseinandersetzung. Gerhard Schulz, der 1952 in Berlin für die Organisation Gehlen rekrutiert worden war und nach einer Verwendung in der Auswertung in Pullach von April 1982 an als BND-Oberst Kinkels Verbindungsbüro in Bonn geleitet hatte, bescheinigte seinem ehemaligen Chef im Januar 1994 besondere Behutsamkeit bei der Gewinnung und dem Einsatz von Agenten im osteuropäischen Feindesland: »Unter den Präsidenten Gerhard Wessel und Dr. Klaus Kinkel hat der BND zur Vermeidung nicht zwingend gebotenen Einsatzes von operativen Quellen in den Zielländern der Ostaufklärung die Beschaffung nach Maßgabe des Prinzips der Verhältnismäßigkeit der Mittel reorganisiert. Angesichts der hohen Strafandrohung und des großen Entdeckungsrisikos sollten Menschen als Quellen nur angebahnt und eingesetzt werden dürfen, sofern Informationsinteressen der Bundesregierung nicht auf anderem Wege, d. h. durch Beschaffung offener Informationen oder rezeptive Beschaffung nicht offen zugänglicher Nachrichten entsprochen werden könne. Werbungsversuche sollten grundsätzlich außerhalb der Zielländer unternommen werden.«1

Was die Werbung von Zuträgern und die Anbahnung von Agenten betrifft, so wurde ihre Bereitschaft zur Spionage für Westdeutschland tatsächlich in aller Regel diesseits des

»Eisernen Vorhangs« geprüft. Was jedoch den Einsatz von Agenten betrifft, ist die auch von anderen BNDlern häufig

kolportierte Aussage Schulz’ schlicht falsch und wird durch die Erfolgsbilanz der Hauptabteilung II des Ministeriums für Staatssicherheit widerlegt.

Deren Chef, Generalmajor Günther Kratsch, stellte sie seinen wichtigsten Mitarbeitern für die zurückliegende Dekade im August 1987 vor, als er die Gesamtzahl der von 1977 bis 1986 festgenommenen 163 Agenten nach ihren Auftraggebern auflistete: BND 94 Agenten (58 Prozent), Verfassungsschutz und MAD 28 Agenten (17 Prozent), USA-Geheimdienste 30 Agenten (18 Prozent) sowie der Geheimdienst der Schweiz und der Jemenitischen Arabischen Republik je ein Agent. Bei den restlichen 6 Prozent handelte es sich um Selbstanbieter.

Demnach war der BND einerseits der Dienst, der am aggressivsten Agenten gegen die DDR einsetzte, und überdies ein offensichtlich unvorsichtiger.

Die Analyse des MfS ergab, daß von den zwischen 1977 und 1986 entlarvten Agenten 43 Prozent Bürger der DDR waren und 42 Prozent Bürger Westdeutschlands. Unverhältnismäßig hoch war mit elf Prozent der Anteil der Westberliner, und nur vier Prozent hatten eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit.

»Bemerkenswert für den insgesamt erfolgreicheren Zeitraum von 1982 bis 1986 ist es, daß einem leichten Rückgang bei der Liquidierung von Agenten aus dem Operationsgebiet ein deutlicher Anstieg bei der Entlarvung von Agenten unter DDR-Bürgern gegenübersteht«, ergänzte Kratsch in seinem Vortrag.

In der zweiten Hälfte von Kinkels Amtsperiode und unter seinem Nachfolger Blum gingen also noch mehr DDR-Bürger ins Netz des MfS als vorher.

Der ostdeutsche Spionageabwehrchef gewährte auch Einblicke in die Basis der Erfolge seiner Hauptabteilung, indem er die Ersthinweise, die zur Entlarvung dieser Agenten führten, Bereichen zuordnete: Nur etwa ein Viertel der Hinweise kam aus der Vorgangs-, IM- und Sicherungsarbeit (17 Prozent), aus der Untersuchungstätigkeit (6 Prozent) oder von

»Bruderorganen« (3 Prozent), ein weiteres Viertel (17 Prozent) durch »spezifischoperative Maßnahmen«, d. h. durch die Post- und Fernmeldekontrolle, und knapp die Hälfte bestand aus Ersthinweisen aus dem sogenannten Operationsgebiet.

Diese Hinweise – eine Hauptsäule zur Aufklärung von Agenten, die auf die DDR angesetzt waren – waren ein Erfolg der Gegenspionage der HVA. Die hatte – zu Kinkels Zeiten unerkannt – mit Klaus Kuron eine Innenquelle im Bundesamt für Verfassungsschutz, mit Joachim Krase einen Spitzenmann im MAD (Militärischer Abschirmdienst), mit Gabriele Gast und Alfred Spuhler zwei bestens plazierte MfS-Agenten im BND sowie weitere- zum Teil heute noch nicht enttarnte – U-Boote in den Sicherhe itsbehörden der Bundesrepublik, so daß nahezu jeder auf die DDR angesetzte Agent häufig schon vor seinem ersten Einsatz in der Normannenstraße, dem Sitz der HVA, bekannt war.

Auch nahezu jeder Mitarbeiter Kinkels war namentlich – mit Klar- und Decknamen – sowie in seiner Funktion erfaßt. Dazu trug auch die Quelle »Friederich« erheblich bei, d. h. die Funkaufklärung der Abteilung III, die bei ihren Abhörmaßnahmen selbst in den Sicherheitsbereich des BND eindrang und die unter diesem Decknamen der HVA und der Spionageabwehr ihre Erkenntnisse über den Geschäftsablauf im Camp Nikolaus und seinen Außenstellen mitteilte. Im Agentenpoker zwischen Ost und West spielte Pullach – ohne es zu ahnen – mit offenen Karten.

Nach der Wende wurde die geheimdienstliche Auseinandersetzung zwischen den beiden deutschen Staaten zu Anfang der achtziger Jahre häufig medienwirksam auf das Duell Markus Wolf gegen Klaus Kinkel verkürzt. Gegner Kinkels war Markus Wolf nur insofern, als er mit Gabriele Gast und Alfred Spuhler mindestens zwei gutplazierte Innenquellen in dessen Geheimdienst hatte. Ansonsten war Wolf eher Konkurrent, der seine Regierung mit geheim beschafften Informationen

versorgen mußte.

Kinkels echte Gegner waren der Generalmajor Günther Kratsch, Leiter der Hauptabteilung II des MfS für die Spionageabwehr, und Generalmajor Horst Männchen, Leiter der Hauptabteilung III des MfS für die Funkaufklärung. Sie beide klärten die BND-Aktivitäten gegen die DDR auf und waren wesentlich verantwortlich für die hohe Verlustrate unter Kinkels Agenten.

Die intensive Postkontrolle brachte immer wieder sogenannte Merkmalsbriefe zutage, d. h. in den Fälscherwerkstätten des BND vorbereitete Poststücke, die vom Agenten, mit seinen Meldungen in einer Geheimschrift ergänzt, an Deckadressen in Westdeutschland geschickt wurden. Dieses Hauptverbindungsmittel des BND zu seinen Agenten in der DDR hatte das MfS fest im Griff. Sein Lehrbuch aus dem Jahre 1983 faßte dieses Wissen zusammen: »Die Postsendungen der Geheimdienste an die Agenten werden sowohl vom Ausland ...

als auch vom Zielland aus zum Versand gebracht. Dazu gehören von den Geheimdiensten vorgeschriebene Briefe und Karten, die dem Agenten zur Verfügung gestellt werden und die er zur Übersendung geheimer Informationen, unter Verwendung von Geheimschriften, bestimmten Kennzeichen und dem Anbringen von Merkmalen z. B. zur Bestätigung einzelner Aktivitäten, wie Leeren eines TBK (Toter Briefkasten, d. Verf.), Rückkehr vom persönlichen Treff, Lebenszeichen usw. und – sehr selten – zur Übermittlung von Geheimfotos benutzt. Der angestrebte Effekt dieser Methode besteht darin, die individuelle Handschrift des Agenten als mögliches Identifizierungsmerkmal aus der postalischen Verbindung auszuschalten und einen den Anforderungen entsprechend logisch aufgebauten, auf mehrere Postsendungen abgestimmten Tarntext vorzugeben ... Agenten, die mit vorgeschriebenen Briefen und Karten arbeiten, erhalten davon in der Regel über TBK oder durch Kurier/Instrukteur eine größere Anzahl (12-20 Stück). Einer Deckadresse sind dabei

immer Briefe mit gleichem Schriftbild und gleichem Deckabsender (es werden mehrere genutzt) zugeordnet ... (Das) Direktschreibeverfahren – basiert auf der Anwendung von Geheimtinten, von metallischen oder speziell präparierten Stiften bzw. anderen zum Schreiben geeigneten Gegenständen.

Das Schreiben erfolgt mit üblichen Schreibgeräten. Beim Schreibvorgang wird das Geheimschreibmittel direkt auf das Informationsträgermaterial unsichtbar übertragen.

(Das) Durchschreibeverfahren – basiert auf der Anwendung präparierter Träger (Geheimschrift – Kopierpapiere – GKP), von Metallfolie oder von anderen Materialien, die wie gewöhnliches Kohle- oder Blaupapier gehandhabt werden. Beim Durchschreiben wird das Geheimschreibmittel vom präparierten Trägermaterial auf das Informationsträgermaterial unsichtbar übertragen.

Kontaktverfahren – die geheime Information wird zunächst unter Verwendung des Direktschreibverfahrens bzw. des Durchschreibeverfahrens auf einem Trägermaterial (z. B.

Papierbogen) aufgebracht, der mit einem weiteren Trägermaterial (vorbereiteter Briefbogen bzw. Karte) in Kontakt gebracht wird, wobei die Geheimschreibsubstanz auf das Informationsträgermaterial unsichtbar übertragen wird.«

Am Anfang der sechziger Jahre hatte der BND mit der Einführung einer Buchstabeneinbauschrift kurzzeitig ein nicht gleich entschlüsselbares Kommunikationsverfahren gefunden.2 Dabei waren der jeweils festgelegte erste, dritte oder xte Buchstabe des ersten Worts einer Zeile Teil des Codes. Dieses Verfahren eignete sich jedoch eher für standardisierte Meldungen, in denen beispielsweise die Anzahl von Panzern oder Flugzeugen anhand eines Schemas übermittelt wurde. Für längere Meldungen war die Buchstabeneinbauschrift unbrauchbar, und zudem stellte sie manches Mal zu hohe Anforderungen an die Intelligenz der Absender. So kehrte man zur augenscheinlich bewährten Methode zurück, die in der

Normannenstraße jedoch so gut gelesen und unbeschädigt kopiert werden konnte, daß man gleich offenen Schriftverkehr hätte wählen können.

Die ständige Überwachung des Agentenfunks aus Pullach in die DDR ergab weitere Hinweise auf BND-Spione. Den originellsten Beitrag zur Aufdeckung von westlichen Agenten leistete die Hauptabteilung III des MfS durch das gezielte Abhören des Funkverkehrs, den die Observationsteams des BND beim Überwachen einer Zielperson hatten. Bevor die Anbahner Pullachs einen DDR-Bürger ansprachen, der in der Bundesrepublik zu Besuch war, ließen sie ihren Kandidaten überwachen. Auch nach der Ansprache wurde der frischgewonnene Spion häufig bis unmittelbar an die innerdeutsche Grenze verfolgt. Dabei verständigten sich die Observateure über ihre Walkietalkies so miteinander, als ob niemand ihren Funkverkehr belauschen könne. Hinweise, daß die zu beobachtende Person gerade in den blauen Lada eingestiegen war, Tips an übernehmende Verfolger, daß das Kfz-Kennzeichen mit 07 ende, und selbst ironische Bemerkungen über die westlicher Mode nicht so ganz entsprechende Kleidung des Observierten gingen offen durch den Äther. Für die Mithörer des MfS war es ein leichtes, sofort entsprechende Suchkriterien an die Grenzübergangsstellen durchzugeben. So wurde der Fahrer des blauen Lada bereits beim Grenzübertritt in Helmstedt identifiziert und unter die Kontrolle der Spionageabwehr gestellt.

Wenn überhaupt ein Zugriff erfolgte und erkannten BND-Agenten der Prozeß gemacht wurde, dann waren sie häufig ziemlich lange im Einsatz. Die Zeitdauer der Spionagetätigkeit der zwischen 1977 und 1986 festgenommenen Agenten betrug bei 40 Prozent der Agenten bis zu drei Jahren, drei bis fünf Jahre bei 22 Prozent von ihnen, fünf bis zehn Jahre bei 23 Prozent, und auf mehr als zehn Jahre nachrichtendienstlicher Arbeit für den Westen brachten es 15 Prozent der Agenten. »Bezogen auf

einzelne Geheimdienste zeigt sich, daß

- der BND unter allen sozialen Gruppen Spione warb, wobei der Anteil von Arbeitern, Angestellten und Kraftfahrern dominiert,

- der Verfassungsschutz seine Spione gegen die DDR vor allem aus Kreisen der Angestellten, Intelligenz und Rentner rekrutierte. Es wurde kein Arbeiter oder Kraftfahrer als Verfassungsschutzspion festgenommen,

- die USA-Geheimdienste sich vor allem auf Arbeiter, Angestellte, Kraftfahrer und Hausfrauen bei der Organisierung ihrer Spionagetätigkeit stützten.«

Spitzenquellen waren unter den aufgedeckten Verbindungen eher selten. Zu ihnen zählten »ein Mitarbeiter der Verwaltung Aufklärung des MfNV im Auslandseinsatz; ein Angehöriger des Dezernates I der Kriminalpolizei einer BdVP; ein Botschaftsrat sowie ein 1. Sekretär in Botschaften der DDR im nichtsozialistischen Ausland; ein Leiter eines Außenhandelsbüros der DDR; ein Wissenschaftler aus einer entwicklungsbestimmenden Forschungseinrichtung; ein Kreisschulrat; ein Abteilungsleiter in der Druckerei des Neuen Deutschland.«

Zu den gut 40 Prozent an Quellen, die Bürger der DDR waren, kam der größere Anteil von Reisequellen. Das waren in der Regel Journalisten, Geschäftsleute und Mitarbeiter von Versicherungen, im Ausnahmefall auch schon einmal ein Regierungsbeamter oder ein Servicetechniker für Anlagen in der DDR, die anläßlich ihrer Arbeitsaufenthalte in der DDR Spionage für den BND betrieben.

Im Neuen Deutschland wurde regelmäßig ausführlich über die vor dem Militärobergericht Berlin verhandelten Spionagefälle berichtet. Am 17. Februar 1982 beispielsweise wurde der Westberliner Karl Rechenberg dort zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er, getarnt als Bediensteter einer Bundesbehörde

in Westberlin, seit 1969 sowohl Anlagen und Objekte in der DDR ausgespäht als auch nachrichtendienstlich interessante DDR-Bürger für den BND ausgeforscht hatte. Die Filiale des BND in der geteilten Stadt hatte ihren Agenten »Haug«

insbesondere auf das Grenzsicherungssystem rund um Berlin angesetzt.3 Ein Jahr zuvor war das Coburger Agentenehepaar Günther und Ursula Kessler zu zwölf bzw. acht Jahren Haft verurteilt worden, weil die vom BND unter »Kristen« geführten Eheleute bei Touristenreisen und Verwandtenbesuchen zu hohes Interesse für Militäranlagen entwickelt und zudem versucht hatten, nachrichtendienstliche Stützpunkte in der DDR anzulegen.4

Ausweislich der MfS-Bilanz vom August 1987 hatte der BND auch mit der Überlebensfähigkeit dieser Reisequellen nicht mehr Glück: »Ende der 70er Jahre realisierten wir in enger Zusammenarbeit mit den Abteilungen II der Bezirksverwaltungen in der Aktion ›Angriff‹ die Festnahme von 39 BND-Spionen, die unter Ausnutzung des Einreise- und Transitverkehrs Militärspionage auf dem Territorium der DDR betrieben.«

Die Abwehrarbeit der DDR wurde durch Nachlässigkeiten der Verbindungsführer erleichtert, die häufig aus Bequemlichkeit immer dieselben Treffpunkte – oft sogar in ihren Wohnungen – benutzten. Auch die BND-Sicherheitsabteilung beklagte diese Fehler häufig. Nicht jeder Frontsoldat Pullachs hat auch den Marschallstab im Tornister. Etwa zehn Agenten verlor Kinkel jährlich in der DDR – Tendenz leicht ansteigend. Bei einem Gesamtbestand von etwa 300 Spionen, die im anderen Deutschland tätig waren, schien dies ein in Kauf zu nehmendes Opfer.

Die Legende, Kinkel habe aus vorausschauender Fürsorge auf den gefahrvollen Einsatz von Spionen in der DDR verzichtet, stimmt auch deshalb nicht, weil es keine Analyse in Pullach gab, die das Risiko in ein Verhältnis zum nachrichtendienstlichen

Ertrag setzte. Dann hätte man zahlreiche Agenten abschalten müssen. Eine vom Umfang her bedeutende Abschaltung von Quellen im anderen deutschen Staat war aber zuletzt zur Mitte der sechziger Jahre noch unter Reinhard Gehlen erfolgt. Kinkel ließ das Fußvolk des Geheimdienstkrieges weiter unbeirrt ins Messer laufen.

BND-Insider behaupten, hinter dem regelmäßigen Opfer an kleinen Fischen habe auch eine Strategie gesteckt. Der Abwehr in Ostdeutschland sollte suggeriert werden, auch unter Kinkel würde nur mit denselben Methoden, die schon zu Gehlens und Wessels Zeiten zu hohen Verlustraten an Agenten in der DDR geführt hatten, gearbeitet. Um so intensiver habe man mit der Rekrutierung hochrangiger Quellen und durch die Umweganbahnung im Ausland die neuen Prioritäten durchhalten können, ohne daß die Hauptabteilung II des MfS durch den Verzicht auf den massenweisen Einsatz von Amateuren mißtrauisch geworden wäre.

Wenn der BND in manchen Fällen auch von einer Gegensteuerung seiner Quellen durch DDR-Dienste ausgehen mußte, glaubte er dennoch insgesamt über ein erkleckliches Netz mit einigen guten Innenquellen in der DDR zu verfügen.

Da Kinkel nicht ahnte, daß fast jede nachrichtendienstliche Verbindung in der DDR von der anderen Seite kontrolliert wurde, glaubte er mit den operativen Erfolgen zufrieden sein zu können. Die Bilanz schien zu stimmen. Zwar gingen regelmäßig einige der kleinen Fische ins Netz des MfS, aber die besten Agenten schienen gut getarnt.

Im Militärverlag der DDR hatte der BND beispielsweise eine Lektorin angeworben, die aus der Storkower Straße in Ostberlin manche gute Information über die Nationale Volksarmee beisteuern konnte. Denn nicht alles, was in diesem Verlag an Manuskripten und Informationen einlief, wurde auch veröffentlicht. Hinter einer Tür im zweiten Stock des Hauses saß der Zensor, der insbesondere dafür Sorge trug, daß weder in den

Soldatenzeitschriften noch in den Büchern Fakten über die Stationierung und Bewaffnung der NVA-Verbände auftauchten.

Die Lektorin mit dem Decknamen NIKE lieferte über Jahre militärpolitische und technische Informationen. Als der BND im Juli 1991 den MfS-General Harry Schutt zu gefährdeten und übersteuerten BND-Agenten befragte, mußte er erfahren, daß auch NIKE ein sogenanntes Gegenspiel der Hauptabteilung II des MfS war.

Während die DDR und die Sowjetunion in Pullach oberste Priorität genossen, lagen für die anderen Vorfeldstaaten der UdSSR die Prioritäten des BND zwischen 2 und 4 auf einer sechsstufigen Skala. Die Sowjetunion und Polen wurden überwiegend von Außenstellen in Köln und Bonn bearbeitet, während der Donauraum traditionell Zielregion einiger in der bayerischen Landeshauptstadt untergebrachten Außenstellen war. Diese Außenstellen führten in ganz Osteuropa statistisch eine erkleckliche Zahl von Quellen, aber kaum hochrangige. So zählte ein Schäfer auf einem von den Sowjets in Ungarn belegten Militärflugplatz, da er Analphabet war, die Typen, Starts und Landungen der Kampfflugzeuge mit Hilfe einer Symbolliste.

Im Herzen des KGB hatte der BND bis zu dessen Überlaufen 1985 allerdings mit Oleg Gordiewski einen Spitzenmann. Da die Pullacher Kapazitäten in der sowjetischen Hauptstadt jedoch nicht reichten, um den KGB-Obersten auch zu führen, arbeitete man dabei mit der CIA zusammen. Zusammen mit dem US-Geheimdienst glaubte man auch eine ebensogut plazierte Quelle in Ungarn zu haben. Doch MfS-General Harry Schutt offenbarte dem BND 1991, »daß die ungarische Spionageabwehr aus eigenem Antrieb eine Vielzahl von Gegenspielen durch entsprechende Blickfeldarbeit und Angebote selbst eingeleitet hat. Darunter fallen u. a. alle Personen aus dem Bereich des ungarischen Innenministeriums.«

Solch ein Gegenspiel war auch ein Vertreter der ungarischen

Fluggesellschaft MALEV, den der BND anläßlich eines Auslandaufenthalts in Frankfurt/Main angeworben hatte. Seine Arbeit war der äußeren Abwehr des ungarischen Nachrichtendienstes bekannt, und sie organisierte ein Nachrichtenspiel mit Pullach.

Nicht umdrehen, sondern nur unter verstärkter Kontrolle halten konnte der ungarische Auslandsnachrichtendienst AVH allerdings einen Österreichischen Journalisten, der Pullach regelmäßig mit Insiderinformationen versorgte, die er aus seinen Verbindungen zu ungarischen Regierungskreisen gewonnen hatte.

Der Sinn solcher Spiele liegt einerseits in der nachrichtendienstlich immer noch gut verwertbaren Qualität des Spielmaterials, das ja in aller Regel nicht gefälscht ist, sondern aus gezielt freigegebenen echten Dokumenten besteht. Um beim Gegner das Interesse an der Aufrechterhaltung des Gegenspiels wachzuhalten, darf es sich dabei nicht nur um Belangloses handeln.

Andererseits dient das Gegenspiel dem Ausforschen der Erkenntnisschwerpunkte des gegnerischen Dienstes. Aus den Beschaffungsaufträgen an die Agenten glauben die jeweiligen Abwehranalytiker abzuleiten, wie gut der Kenntnisstand auf spezifischen Gebieten ist und wo ein besonders großer Nachholbedarf, d. h. auch die Hauptangriffsrichtung, liegt.

Eine besondere Vorliebe für solche Spiele hatte die äußere Abwehr des tschechoslowakischen Dienstes StB (Statni Bezpecnost), die immer wieder auc h Agenten in die Bundesrepublik schickte, die den ersten Zug tun sollten. Ihr ging es dabei noch um ein ganz anderes Ziel: Über diese Doppelagenten wollte sie an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des für die CSSR und Ungarn zuständigen BND-Referats (12 G) herankommen, um sie dann nachrichtendienstlich zu bearbeiten. Doch der hohe Aufwand, den der StB hier trieb, war nicht von Erfolg gekrönt, da die

BNDler die Nachrichtenspiele in der Regel aufdeckten.

Echte Quellen in der CSSR, um ihrem Auftrag zur Beschaffung von geheimen Nachrichten nachzukommen, konnten sie allerdings auch so nicht gewinnen. Jeder ihrer Agenten mußte automatisch im Verdacht stehen, auf zwei Schultern zu tragen.

Festgenommen wurden BND-Agenten bei ihrem Einsatz in der Tschechoslowakei ohnehin selten. Kinkel mußte allerdings 1980 hinnehmen, daß sein Mann Petr Babinsky in der CSSR wegen Spionage zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde. Wie üblich geschah dies allerdings nur, um ihn zwei Jahre später gegen enttarnte Ostagenten austauschen zu können.

Wenn die Abwehrdienste in Osteuropa einen BND-Agenten umgedreht hatten, konnten sie nicht in jedem Falle sicher sein, daß der Mann auch tatsächlich für sie arbeitete. So hatte ein bulgarischer Korrespondent in Wien enge Kontakte zu einem deutschen Geschäftsmann aufgenommen und sie Sofias Geheimdiensten gemeldet. Die bulgarische Aufklärung (Hauptdirektorat I des Innenministeriums) war allerdings mit den Berichten ihres Landmanns über die Treffen mit dem Repräsentanten der Münchner Consulting-Firma unzufrieden und begann, ihn zu überwachen. Dabei fiel ihr ein im Durchdruckverfahren geschriebener Geheimbrief in die Hände.

Durch die Amtshilfe der HVA ließ sich ermitteln, daß der Hersteller dieses Geheimbriefs der BND war. Der Bulgare wurde zurückbeordert, aber keineswegs verhaftet, sondern im Umweltministerium in Sofia eingesetzt. Das Consulting-Unternehmen – eine Scheinfirma des BND – wurde allerdings unter Beobachtung genommen, um weitere Anbahnungsversuche durch den Münchner Geschäftsmann schon im Vorfeld aufzuklären.

Noch Ende der achtziger Jahre wurde der Mitarbeiter des bulgarischen Umweltministeriums von der Spionageabwehr mit Argusaugen überwacht, um neuerliche BND-Kontakte

feststellen zu können. Aber auch die dauernde Kontrolle brachte dazu keinen Nachweis. Vermutlich hatte Pullach den Mann

»abgeschaltet«.

Als Reinhard Gehlen noch in Pullach die Richtlinien des operativen Verhaltens bestimmte, da war die Anbahnung säuberlich nach Zuständigkeitsbereichen getrennt. Die gewöhnlichen landesbezogenen Referate durften ihre Quellen nur im Inland gewinnen. Eine Zielperson außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik anzubahnen, das war der »Strategischen Aufklärung« unter General Wolfgang Langkau, Deckname HOLTEN, vorbehalten.

Eine der ersten und wesentlichsten Änderungen, die Richard Meier nach der Amtsübernahme als Leiter der Beschaffungsabteilung im Mai 1970 vornahm, war die Bildung eines zentralen Stabsreferats für weltweite Anbahnungsoperationen. Er konzentrierte die besten seiner etwa 170 Anbahner in dieser Einheit, und so schwärmten landesbezogene Expertenteams aus, wenn es galt, in einem Drittland Auslandskader der Staaten der Organisation des Warschauer Vertrags (WVO) für die Arbeit mit Pullach zu gewinnen.

»Ich werde mit ganz besonderer Zurückhaltung range hen und jeden Eindruck vermeiden, als komme da einer, der die Ärmel aufkrempelt und meint, er habe die Weisheit mit Löffeln gefressen«,5 versprach Klaus Kinkel, kurz bevor er seinen Posten in Pullach antrat.

Dennoch krempelte er seine Ärmel schnell hoch und widmete sich einem Bereich, von dem es die konservativen Seilschaften im BND am wenigsten erwartet hätten. Obwohl er vom Geschäft der Nachrichtenbeschaffung von allen Teilbereichen der BND-Aufgaben wohl am wenigsten verstand, schuf sich Kinkel schon bald zu Lasten der dafür zuständigen Abteilung I eine Gruppe für Sonderaufgaben. Er erweiterte seine präsidiale Stabsabteilung um eine operative Komponente, die er unter die