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Im vorliegenden Band werden die auf der DJI-Tagung „‚Linke‘ Militanz im Jugendalter – Erscheinungsformen und Erklärungsansätze“ gehalte-nen Beiträge in überarbeiteter und z. T. erweiterter Form dokumentiert.

Ergänzt werden sie durch den Beitrag einer Autorin, die ebenfalls an der Veranstaltung teilnahm sowie durch eine kommentierte Auswahlbiogra-fie, die weitere wissenschaftliche Publikationen zur Thematik enthält. Zu den Beiträgen im Einzelnen:

Im ersten Beitrag dieses Bandes stehen Herausbildungsprozesse kol-lektiver Identität in der ‚Bewegung der Autonomen‘ im Fokus. Sebastian Haunss betrachtet in seiner Analyse die ‚Autonomen‘ aus bewegungs-soziologischer Sicht. Dem Autor zufolge ist es für die Aktivistinnen und Aktivisten dieser Bewegung von hoher Bedeutung, politische Ziele nicht nur zu proklamieren, sondern diese auch im eigenen Alltag umzusetzen und eine enge Verbindung zwischen (politischen) Aktionen und den eige-nen Lebenspraxen herzustellen (Konzept der ‚Politik der ersten Person‘).

Dieses Konzept ist für Haunss, neben der radikalen Infragestellung der bestehenden politischen und ökonomischen Ordnung und einer militan-ten Selbstinszenierung, für die Herausbildung einer kollektiven Identität und damit für die Mobilisierungsfähigkeit der Autonomen zentral. Dane-ben stellt der Autor beispielsweise bewegungsinterne Diskussionen um Geschlechterverhältnisse oder Debatten um Militanz dar. Hierfür zieht er seine Analyse der Bewegungszeitschrift ‚Interim‘ aus dem Zeitraum von 1988 bis 2001 heran. Außerdem geht Haunss der Frage nach Attrak-tivitätsmomenten der Bewegung nach. Diese gehen für ihn nicht primär von jugendkulturellen Aspekten aus. Sie lassen sich ihm zufolge eher in einer (relativen) Abwesenheit von Hierarchien oder in einer Aktionso-rientierung finden, über die Abenteuer­ und Erlebnisräume angeboten werden.

Anschließend befasst sich Nils Schuhmacher in seiner explorati-ven Studie mit Antifa-Gruppen und -Szenen und Politisierungsprozes-sen von Akteurinnen und Akteuren. Zwischen 2009 und 2011 führte der Autor mit 20 weiblichen und männlichen Antifa-Aktiven aus Ost- und Westdeutschland biografische Interviews. Auf dieser Basis rekonstru-iert er, wie Engagement in Antifa-Gruppen und -Szenen entstehen kann

und geht darauf ein, worin Motive für eine Hinwendung und Beteiligung bestehen. Für die Einen sind beispielsweise konfliktintensive Sozialräume entscheidend gewesen und stand ein ‚sich wehren gegen „Rechts“ ‘ im Vordergrund, für Andere spielten eher Momente einer Selbsterzeugung des Antifa-Engagements eine wichtige Rolle. In einer dritten Gruppe hin-gegen spielte dem Autor zufolge ein direkter Konflikt mit ‚Rechtsextre-men‘ gar keine Rolle. Hier sind eher der soziale und politische Anschluss an bereits vor Ort existierende linke (autonome) Gruppen und Szenen entscheidend gewesen. Attraktivitätspotenziale der Antifa-Gruppen und -Szenen erkennt Schuhmacher in der Möglichkeit einer Selbstbehauptung gegenüber der Präsenz von ‚Rechten‘. Attraktivität für ein Antifa-Enga-gement scheint außerdem von jugendkulturellen Aspekten und einer sze-nischen Einbindung auszugehen. Schuhmacher hält außerdem fest, dass Antifa-Gruppen und -Szenen auch als Einstiegsmöglichkeit in außerinsti-tutionelles politisches Engagement gesehen werden können.

Tatiana Golova analysiert die ‚Berliner linksradikale Szene‘ im Hin-blick auf Konstruktions- und Verfestigungsprozesse der kollektiven Identität. Bei dem Beitrag handelt es sich um eine Kurzfassung ihrer ethnografisch angelegten Dissertation, für die sie zwischen 2000 und 2008 Feldforschung in der linksradikalen Szene Berlins durchführte.

Golova geht auf zwei Beispiele für Protesträume ein. Mit dem Bei-spiel ‚Demonstration‘ analysiert sie eine sozial-räumliche Institution der Szene im Hinblick auf die Konstruktion kollektiver Identitäten. Das Beispiel ‚Hausräumung‘ dient dazu zu zeigen, wie symbolische Gegen-sätze im Rahmen von konflikthaften Protesträumen körperlich erlebt werden und wie dadurch kollektive und individuelle Identitäten auf spezifische Art und Weise gefördert werden. In ihrem Beitrag benennt Golova außerdem einige Attraktivitätsmomente der Szene für junge Menschen, wie beispielsweise das Erleben von Stärke und Einheit oder die Orientierung der Szene auf direkte Aktionen. Daneben schildert die Autorin anschaulich, was ihren Feldzugang in diese als stark geschlos-sen geltende Szene ermöglicht hat. Sie führt hierzu auf, dass neben Alter, Geschlecht oder Herkunft der Forscherin, vor allem persönliches Vertrauen, auch bei als „Türöffner“ fungierenden Empfehlungen, eine überragende Rolle spielte.

Als nächstes folgt ein Beitrag von Rudolf van Hüllen, in dem er eine explorative Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) vorstellt, in der „linksextremismusaffine“ Einstellungsmuster unter Jugendlichen

untersucht werden. Als Grundlage hierfür dienten qualitative, leitfaden-gestützte Interviews und Assoziationstests mit jungen Menschen. Die Probanden hatten sich selbst zuvor in einem Screening-Verfahren als

‚links‘ eingeschätzt und wurden daraufhin über spezifische Screening­

Fragen ausgewählt. Mit den Interviews sollten Einstellungen zu u. a. ‚Par-tizipation und Protestbereitschaft‘, zu ‚illegalen Protestformen‘ oder zum

‚staatlichen Gewaltmonopol‘ erkannt werden. Van Hüllen kommt zu dem Ergebnis, dass nicht wenige Elemente der dieser Studie zugrunde gelegten Extremismusdefinition (z.B. ‚exklusiver Wahrheitsanspruch‘

oder ‚identitäre Gesellschaftskonstruktionen‘) bei den Interviewten fast durchweg nicht erkennbar waren. Bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern ließen sich dem Autor zufolge eher patchworkartige Weltbilder ausmachen, die aus zum Teil widersprüchlichen Wertemustern bestehen. In Bezug auf Aktionen gegen ‚rechts‘ sind laut van Hüllen eine erhöhte Bereitschaft und Akzeptanz von ‚Gewalt als legitimem Mittel‘

identifizierbar. Unter anderem in diesem Zusammenhang sieht er einen wissenschaftlichen Klärungs- und politischen Handlungsbedarf.

Bei dem anschließenden Beitrag von Klaus Hoffmann-Holland han-delt es sich um eine Kurzversion der von ihm verfassten kriminologi-schen Studie ‚Analyse der Gewalt am 1. Mai 2009 in Berlin‘. Der Autor analysiert polizeiliche Tatverdächtigenakten, qualitative Interviews und auf das Ereignis Bezug nehmende Internetblogs unter der Fragestellung, wie sich die gewaltsamen Auseinandersetzungen am 1. Mai 2009 in Ber-lin darstellten. Mit Blick auf die polizeilich angezeigten Delikte filtert er einige Motivationen der jeweiligen Tatverdächtigen heraus, wie z.B. erleb-nisorientierte, politische, situative, gruppenbezogene oder aus Gruppen-dynamiken entstandene Motivationen. Außerdem stellt er dar, wie unter-schiedlich die Auseinandersetzungen am 1. Mai 2009 von verschiedenen Akteuren wahrgenommen, gedeutet und bewertet wurden. Diese wurden z.B. als eine Art „Katz-und-Maus-Spiel“ zwischen Polizei und Privatper-sonen oder auch als entgrenzte Gewalt charakterisiert. Letzteres begüns-tigte laut Hoffmann-Holland spontane Beteiligungen.

Der Band schließt mit einer kommentierten Auswahlbibliografie zum Thema „linksextreme“ bzw. „linksradikale“ Militanz im Jugendalter.

René Schultens stellt darin einige themenbezogene Publikationen vor, skizziert die jeweiligen Fragestellungen und Zielsetzungen der Autorin-nen und Autoren und geht auf die angewandten Methodiken sowie die wichtigsten Argumentationen ein.

Wir hoffen, mit diesem Band erste Einblicke in ein umstrittenes Phäno-men zu bieten und weitere Auseinandersetzungen mit diesem anzuregen.

Wir danken der Autorin und den Autoren herzlich für ihre Bereitschaft, die nun folgenden Beiträge verfasst zu haben.

SebaStian haunSS

Die Autonomen – eine soziale Bewegung