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Das Beispiel Bremerhaven

Norbert Friedrich, Stadt Bremerhaven und Dr. Bettina Reimann, Difu im Gespräch

Bremerhaven, mit rund 113.000 Einwohnern die ein-zige deutsche Großstadt an der Nordsee, wurde bereits 2002 als Pilotstadt im ExWoSt-Forschungsfeld Stadt-umbau West aufgenommen. im Regelprogramm ist Bremerhaven mit insgesamt fünf Stadtumbau-Gebie-ten bis heute vertreStadtumbau-Gebie-ten. Norbert Friedrich, Leiter der Abteilung Bebauungsplanung im Stadtplanungsamt Bremerhaven, erläuterte die strukturellen Heraus-forderungen Bremerhavens, den Einsatz von Moni-toring im Stadtumbau-Prozess sowie die Anpassung der Stadtumbau-Strategie und heutige Handlungs-schwerpunkte.

Strukturelle Herausforderungen

Die Strukturkrisen der Werftenindustrie und der Hochseefischerei sowie der Abzug amerikanischer Streitkräfte haben in Bremerhaven seit den 1990er Jahren zu einer der höchsten Arbeitslosenquoten Westdeutschlands und zu einem kontinuierlichen Verlust von bis zu 2.000 Einwohnern pro Jahr geführt.

Norbert Friedrich vom Stadtplanungsamt Bremerhaven stellte den Stadtumbau-Prozess in Bremerhaven vor

infolge dieser Entwicklungen standen 2002 sowohl in den Gebieten der inneren Stadt als auch in großen Wohnsiedlungen am Stadtrand insgesamt etwa 4.000 Wohnungen leer. Dies entsprach damals einer Quote von 6  % Wohnungsleerstand, der in den genannten Teilbereichen noch erheblich höher lag.

Handlungsschwerpunkt Wohnen

Mit Aufnahme in das ExWoSt-Forschungsfeld Stadt-umbau West setzte Bremerhaven daher einen Schwer-punkt auf den Stadtumbau von Wohnquartieren und -siedlungen. Dazu wurde gemeinsam mit den insbe-sondere in den großen Wohnsiedlungen vertretenen Wohnungsbaugesellschaften sowie mit dem städ-tischen Energieversorger ein runder Tisch organi-siert. in diesem Rahmen erarbeiteten die beteiligten Akteure auf Grundlage eines externen Gutachtens eine Stadtumbau-Strategie sowie ein Konzept. Die Strategie sah vor, die am Stadtrand gelegenen großen Wohnsiedlungen durch den Abriss von Wohnungen in Verbindung mit Maßnahmen zur Bestands- und Freiraumaufwertung zu stabilisieren. Zugleich be-stand die Hoffnung, mittels der Angebotsverknap-pung am Stadtrand automatisch eine Stärkung der Wohnquartiere der inneren Stadt auszulösen. Bis 2011 wurden etwa 2.000 Wohneinheiten zurückge-baut und die Rückbauflächen entweder in Form neuer Freiraumqualitäten (Grünanlagen, Spielplätze) oder durch Einfamilienhausbebauung neu entwickelt. in den teilweise gründerzeitlich geprägten Wohnquar-tieren der inneren Stadt konzentrierten sich die Stadt-umbau-Aktivitäten in dieser Phase vornehmlich auf die Neuordnung von Schulinfrastrukturen: im Stadt-teil Lehe wurde eine Schule zugunsten der Neuanlage eines Quartiersplatzes abgerissen, eine weitere in ein Zentrum für Arbeit, Familie und Kultur umgewidmet und eine dritte um einen Neubau erweitert.

Der Einsatz von Monitoring und Evaluierung Zur Erfassung und Beobachtung der Leerstandsent-wicklung organisierte die Stadt Bremerhaven

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meinsam mit dem örtlichen Energieversorger ein Monitoring u. a. auf der Grundlage einer so genann-ten Stromzähler gestützgenann-ten Leerstandsanalyse. Der Energieversorger ermittelte grundstücksbezogene Leerstände, wenn über einen längeren Zeitraum kein Strom verbraucht wurde und die Stadt fasste diese Daten gebietsbezogen zusammen. u. a. auf dieser Da-tengrundlage ließ Bremerhaven 2008 von externer Seite ein Gutachten erarbeiten, das zu dem Ergebnis kam, dass sich die peripher gelegenen großen Wohn-siedlungen zwar stabilisierten, die erhofften positiven Effekte für die Gebiete der inneren Stadt jedoch aus-blieben: Die Menschen verblieben zum großen Teil in den ihnen vertrauten Gebietskulissen und zogen nicht in die innere Stadt. Dort stiegen die Leerstandszahlen teilweise noch deutlich an. Bremerhaven änderte da-raufhin seine Stadtumbau-Strategie und konzentriert seine Aktivitäten seither stärker auf zwei Wohnquar-tiere in der inneren Stadt.

Die neue Stadtumbau-Strategie

Auch mit der neuen Stadtumbau-Strategie gehen die Maßnahmen in den Wohnsiedlungen am Stadtrand weiter: unterstützt durch Stadtumbau-Mittel investie-ren die Wohnungsunternehmen insbesondere in die Aufwertung ihrer Bestände, vereinzelt werden aber auch nach 2008 noch Wohnungen zurückgebaut.

Die Konzentration der kommunalen Aktivitäten auf die Gebiete der inneren Stadt Bremerhavens bedeu-tet heute vor allem ein integriertes Vorgehen unter Einbindung von noch mehr Akteuren in den Prozess.

Dazu zählen die vielen privaten Einzeleigentümer in diesen Gebieten: im Stadtteil Lehe hat sich beispiels-weise im Rahmen des ExWoSt-Forschungsfeldes „Ei-gentümerstandortgemeinschaften im Stadtumbau“

eine Gruppe von Eigentümern zusammengefunden, die – ähnlich wie die Wohnungswirtschaft in den gro-ßen Wohnsiedlungen – die kommunalen Stadtum-bau-Aktivitäten mit eigenen Projekten flankiert. Auch die Schulträger sind intensiv eingebunden, da der Anpassung der Schullandschaft in den Quartieren vor dem Hintergrund sinkender Schülerzahlen eine große Bedeutung beigemessen wird.

überdies engagiert sich auch die organisierte Woh-nungswirtschaft in der für sie eher untypischen Kulis-se der inneren Stadt, indem Einzelobjekte aufgekauft und zu so genannten Leuchttürmen wie gemein-schaftlichen oder generationsübergreifenden Wohn-projekten entwickelt werden.

Eine weitere wichtige Aktivität bezieht sich auf den umgang mit den vielen so genannten

„Schrottimmo-„Die Wohnungsunternehmen, die ja durch den Rückbau am Stadtrand Bestände ver-loren haben, erschließen sich nun in den inneren Lagen neue Geschäftsfelder. Dies ist für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation.“

Norbert Friedrich

Dr. Bettina Reimann, Difu (mitte) und Norbert Friedrich, Stadt Bremerhaven (rechts) im Gespräch. Moderation: Fe-lix Matthes, Bundestransferstelle Stadtumbau West (links)

Rückbau eines Mehrfamilienhauses 2006 Quelle: Stadt Bremerhaven

Neue Freifläche auf einem ehemaligen Schulareal Quelle: Stadt Bremerhaven

bilien“ in den Gründerzeitgebieten der inneren Stadt:

Durch eine Mischung aus Anreizen und Zwangsinst-rumenten konnten bereits einige dieser immobilien aufgekauft und saniert bzw. abgerissen werden.

Kommentierung und Einordnung

Aus Sicht des Evaluierungsteams kommentierte Dr.

Bettina Reimann vom Deutschen institut für urbanis-tik die Stadtumbau-Aktivitäten Bremerhavens und hob folgende Punkte hervor:

• Der umfang der Wohnungsleerstände und die Dramatik der Arbeitsmarktdaten erinnern an die Probleme im Stadtumbau Ost und sind im Wes-ten eher noch eine Ausnahme. Sie deuWes-ten aber an, welche Herausforderungen sich bereits heute in weiteren westdeutschen Städten anbahnen und zukünftig auf sie zukommen werden.

• Die Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft erfolgte vergleichsweise intensiv und frühzeitig – sowohl strukturell (z.  B. hat die Bremerhavener Wohnungswirtschaft das erste und zweite Gut-achten zur Stadtumbau-Strategie mitfinanziert) als auch inhaltlich: Der Runde Tisch arbeitete sehr kooperativ und umsetzungsorientiert zusammen, obwohl der Zusammenarbeit nur eine informelle Basis in Form eines „Letters of intent“ zugrunde lag.

„Die Pioniertätigkeiten Bremerhavens bei Themen wie ‚Schrottimmobilien‘ oder

‚Neue Geschäftsfelder der Wohnungswirt-schaft‘ beweisen Mut zum Experiment und zum Ausprobieren – versinnbildlicht in der Veranstaltungsreihe ‚StadtUmbauLabor‘ im Sommer 2011.“

Dr. Bettina Reimann

• Der Einsatz von Monitoring-Systemen sollte von viel mehr Kommunen vorgenommen werden, weil sie eine wichtige Grundlage für einen qualitätvol-len und lernenden Stadtumbau-Prozess sind.

• Zum umgang mit verwahrlosten immobilien gibt es noch in keiner Kommune ein Patentrezept. Bre-merhaven leistet hier Pionierarbeit: So ging u.  a.

von hier eine gemeinsame initiative der Länder Bremen und Nordrhein-Westfalen aus, die dazu führte, dass der Bund ein Gutachten zum umgang mit verwahrlosten immobilien erarbeiten ließ.

• Das teilweise sogar gemeinsame Engagement der Wohnungswirtschaft in den Gebieten der inneren Stadt ist sehr innovativ und man darf auf die Erfol-ge Erfol-gespannt sein, Erfol-gerade auch im Hinblick auf die erwähnten wohnungswirtschaftlich schwierigen Aussichten in vielen anderen westdeutschen

Kom-munen. Sanierung eines in Privatbesitz befindlichen Altbaus

Quelle: Stadt Bremerhaven

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