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Pluralisierung der Lernorte und Lernverfahren in der betrieblichen Weiterbildung – eine Herausforderung für

1. Begriffliche und historische Dimensionen des Lernortkonzeptes in der Berufsbildung

Die Faktizität von Lernorten und Lernortpluralität ist viel älter als ihre Begrifflichkeit.

Diese zwingt aber, und darin liegt ihre besondere Bedeutung, zu kritischer Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen der Optimierung von Lernprozessen nicht nur un-ter personellem und lehr- wie lernmethodischem Aspekt, sondern auch mit dem Blick auf Konstellationen von Lernbedingungen, wie sie z. B. in der Gegensätzlichkeit des Lernortes Arbeitsplatz auf der einen Seite und des Lernortes Unterrichtsraum auf der anderen Seite zutage treten. Der Lernort wurde, als Begriff, von der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates (1965-1975) in die pädagogische Fachsprache eingeführt. In seinen Empfehlungen „Zur Neuordnung der Sekundarstufe II - Konzept für eine Verbindung von allgemeinem und beruflichem Lernen“ (1974) hat die Bildungskommission den Lernort als eine „im Rahmen des öffentlichen Bildungswesens anerkannte Einrichtung ... die Lernangebote organi-siert“, definiert (S. 69). „Es handelt sich aber nicht allein um räumlich verschiedene, sondern in ihrer pädagogischen Funktion unterscheidbare Orte. Seine Eigenart ge-winnt jeder Lernort aus den ihm eigenen Funktionen im Lernprozeß“ (ebd.). Im Rah-men der von ihr damals angestrebten Neuordnung der Sekundarstufe II stellte die Kommission vier Lernorte vor: Schule, Lehrwerkstatt, Betrieb und Studio. Es ist hier nicht auf die Begründungen einzugehen, die von der Bildungskommission für diese Lernorte gegeben wurden, auch nicht auf die Unstimmigkeiten, die ihr im einzelnen bei der Entwicklung ihres Lernortkonzeptes unterlaufen sind. Ungeachtet dessen hat die Kommission mit ihrem Lernortkonzept ein Problembewußtsein und eine päd-agogische Bewußtseinslage für die Gestaltung und Optimierung von Lernprozes-sen geschaffen, die Einzelelemente des Lehrens und Lernens

(organisato-risch-technische Lernumgebung, personelle und lernklimatische Gegebenheiten, curriculare Grundlagen, Methoden und Medien) als ganzheitliche und integrative Lernkonfigurationen erfaßt. Münch/Kath (1977, S. 81) haben in diesem Zusammen-hang betont, daß der Lernort sich nicht lediglich als ein räumlich-konkretes Gebilde definiert, sondern nur als ein „komplexes, materielles wie immaterielles Bedin-gungsgefüge für intentionales Lernen.“

Die uns allen bekannten Lernorte sind keine „Erfindungen“ der Bildungskommission;

sie wurden aber von ihr mit dem Etikett „Lernort“ versehen. Man mag zunächst ein-wenden, daß dies (also) nichts Besonderes sei. Aber: Begriffe beinhalten nicht nur Wirklichkeiten und bilden diese nicht nur ab, sondern sie sind auch Signale und Impulse für die Gestaltung von Wirklichkeiten. Obwohl die Aussagen dazu sehr vage sind, hat die Bildungskommission z. B. mit dem „Studio“ einen Impuls gegeben, nach einem solchen Lernort Ausschau zu halten und diesen, sofern man „fündig“

wird, im Sinne der Lehr- und Lernintentionen zu gestalten und zu optimieren. So finden wir nun auch z. B. den Lernort Museum und den Lernort „Expertenmarkt“

(Heidack 1987) in der beruflichen Weiterbildung. Zwar gab es das Museum und den Expertenmarkt schon vor dem Aufkommen des Lernortbegriffes, und es wurde bei einem Museumsbesuch und bei der Teilnahme an einem Expertenmarkt schon im-mer gelernt, aber erst die Einbeziehung dieser beiden (und anderer) Lebens- und Lernwirklichkeiten in den „pädagogischen Olymp“ der Lernorte hat bewirkt, daß sie unter pädagogischen und lernprozessualen Aspekten kritisch hinterfragt und im Blick auf optimale Ermöglichungsbedingungen für das mit ihnen intendierte Lernen ge-staltet werden. Lernorte sind also, und das ist wichtig, nicht lediglich vorgefundene und einfach aufzufindende wie zu beschreibende Wirklichkeiten, sie entspringen auch normativem Denken (vgl. Münch 1977, S. 183). In einem weiteren Sinne hat damit der Lernortbegriff auch eine heuristische Funktion.

Inzwischen hat sich der Gedanke der Pluralität der Lernorte zu einem für alle Schulstufen, Bildungs- und Ausbildungsbereiche, Lernziele und Lernadressaten gültigen Optimierungsparadigma entwickelt. In der Frühgeschichte der Menschheit lernte man ausschließlich aus der situativen und ungelenkten Erfahrung, man lernte im „Umgang“ mit Dingen und Situationen. Es gab gewissermaßen nur einen Lern-ort, und dies war das Leben! Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der Lebens-wirklichkeit entwickelten sich besondere Lernorte mit organisiertem und intentionalem Lernen, wobei die Schule zunächst über eine gewisse Monopolstel-lung verfügte.

Wenn es heute, insbesondere in der beruflichen Bildung, neben der Schule noch zahlreiche andere Lernorte gibt, so meint „Pluralität der Lernorte“ nicht lediglich ein Nebeneinander und Miteinander von Lernorten. Es geht vielmehr um die Kombina-tion verschiedener Lernorte mit dem Zweck, das Lernen nach Art und Ziel-erreichungsgrad zu optimieren. Das Konzept der „Pluralität der Lernorte“ stellt ge-wissermaßen den Versuch dar, „auf einer höheren Stufe

ökonomisch-gesell-schaftlicher Entwicklung die positiven Seiten der in früheren Epochen natürlichen und engen Verbindung von Leben, Arbeiten und Lernen erneut zur Geltung zu brin-gen“ (ebd.). Lernortvielfalt an sich stellt also noch kein Optimierungsparadigma dar, sondern erfüllt lediglich den Tatbestand der „Lernortzersplitterung“ (Grüner; zit. n.

Beck 1984, S. 248), Pluralität der Lernorte meint den gezielten und abgestimmten Einsatz verschiedener Lernorte im Blick auf ein von diesen gemeinsam zu sichern-des qualifikatorisches (hier generell und nicht nur berufsqualifikatorisch gemeintes) Ziel: Ein Beispiel dafür ist die Berufsausbildung im Rahmen des dualen Systems.

Bei näherer Betrachtung der Lernortgegebenheiten im dualen System lassen sich verschiedene Pluralitätsvarianten unterscheiden:

– die Lernort-Kombination (Münch u. a. 1981a), – die Lernort-Kooperation (Münch 1988), – der Lernort-Verbund (Zedler 1985).

Der Begriff der Lernort-Kombination hat sich seit der (empirischen) Lernortunter-suchung von Münch u.a. (1981a; b) in den berufspädagogischen Sprachgebrauch eingebürgert. Gemeint sind damit Kombinationen betrieblicher Lernorte (Arbeits-platz, Lehrwerkstatt und innerbetrieblicher Unterricht) als Mittel zur Erreichung der in den Ausbildungsordnungen festgelegten Ausbildungsziele. Es ist daran zu erin-nern, daß die Ausbildungsordnungen keine Vorgaben hinsichtlich einzusetzender Lernorte nach Art, Dauer und Sequenz enthalten. Die Betriebe sind also nicht nur frei in der Ausgestaltung der zum Einsatz kommenden Lernorte, sondern auch in der Entscheidung für eine bestimmte Lernort-Kombination, und zwar nach zeitli-chem Anteil und zeitlicher Abfolge der eingesetzten Lernorte. Dies hat zu einer sehr großen Variationsbreite von Lernort-Kombinationen geführt, die wenigstens zum Teil das Ergebnis geplanter und bewußter Optimierung der Ausbildung sind.

Unter Lernort-Kooperation wird hier eine „Pluralitätskonstruktion“ verstanden, die dadurch charakterisiert ist, daß - anders als z B. bei den innerbetrieblichen Lernort-Kombinationen - Lernorte unterschiedlicher Lernortträger miteinander kooperieren.

Im dualen System treffen wir z. B. eine Kooperation von Berufsschule, Betrieb (mit wiederum unterschiedlichen Lernorten) und (zumeist bei Handwerksberufen) über-betrieblicher Ausbildungswerkstatt an. Jeder dieser Lernorte hat einen anderen Lernortträger und stellt damit eine eigene Rechtsfigur dar. Daraus ergeben sich, das sei schon an dieser Stelle angemerkt, unterschiedliche Grade und Modi des Zusammenwirkens der verschiedenen Lernorte.

Beim Lernort-Verbund geht es schließlich darum, daß verschiedene Betriebe bei der Ausbildung (hier im Rahmen des dualen Systems) miteinander kooperieren und zum Teil erst dadurch in der Lage sind, eine den Vorgaben der Ausbildungs-ordnungen entsprechende Ausbildung zu gewährleisten (Zedler 1985). Der „Ver-bund“ ist kein „klassischer“ Fall der Lernort-Pluralität. Er wird deshalb in den folgen-den Ausführungen, in deren Mittelpunkt Bedingungen und Probleme der Lernort-Pluralität stehen, außer acht gelassen