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Raumordnung und Regionalpolitik

1. Eine interdisziplinäre Studie zu kulturellen Auswirkungen auf Regionalpolitik in den sechs Mitgliedstaaten der Alpenkonvention

1.2. Begriffe und Hypothesen

Zentral für jede Analyse sozialer Phänomene und damit auch von Regionalentwick-lung ist die Defi nition der grundlegenden Begriffe. Das mit der Vorbereitung und Durchführung der Studie betraute Projektteam verstand „Kultur“ als ein sehr brei-tes und offenes Konzept, welches neben sozialem Handeln auch die wichtigsten Denkmuster umfasst. Kultur meint in dieser Diktion also die Summe aller Meinun-gen, Visionen und Standpunkte von Menschen, sozialen Gruppen, regionalen Ein-wohnern, Nationen, welche deren Umgang mit dem Leben, dem Einfl uss auf die Umwelt und dem Versuch, der eigenen Existenz einen Sinn zu geben, zusammen-hängt. Kulturelle Einfl üsse auf Regionalentwicklung wären gemäß dieser Lesart jene durch für eine bestimmte Region „typische“ Meinungen, Visionen und Stand-punkte von Menschen ausgelösten Entscheidungen, welche die Entwicklung vor Ort nachhaltig zu prägen vermochten.

In eine Beziehung mit diesem Kulturbegriff gesetzt ist „Nachhaltigkeit“ als jene Kultur zu bezeichnen, welche ökologische, soziale und wirtschaftliche Ressourcen rücksichtsvoll behandelt und sie für nächste Generationen zu erhalten versucht. Zu diesem Verständnis von Kultur gehört im Weiteren natürlich auch die Annahme, dass sich Kulturen regional voneinander unterscheiden. Das heißt natürlich auch, dass sich unterschiedliche Alpenregionen hinsichtlich ihrer Kultur voneinander ab-grenzen lassen.

„Regionale Entwicklung“ wurde als ein Konzept begriffen, das – ähnlich komplex wie der Kulturbegriff – im Wesentlichen davon abhängig ist, welche seiner vielen Dimensionen der jeweilige Untersuchende in seine Analyse mit einbezieht. Ent-wicklung kann als Wandel in jedweder Form begriffen werden. Unter wertendem Gesichtspunkt kann es also positive und negative Entwicklungen (im Sinne von Veränderung) geben. Daneben existiert aber auch eine normative Konnotation des Begriffes, wonach Entwicklung zielgerichtet auf eine gewünschte Endsituation hin-arbeitet. Diese Deutung liegt in der Regel dem Begriff „Regionalentwicklung“ zu-grunde. Es liegt somit auf der Hand, dass diese Semantik Regionalentwicklung in die Nähe der Regulationstheorie rückt.

Den DIAMONT-Projektpartnern war dieser Begriffsdualismus wohl bewusst. Wo es also ging, unterschieden sie „regionale Entwicklung“ oder „räumliche Ordnung“

(als Neutra) von „Regionalentwicklung“ und „Raumordnung“ (als Desiderata).

Auf der „Regulationstheorie“ aufbauend können private ökonomische Aktivitäten in zwei große Untergruppen unterschieden werden: Private wirtschaftliche Aktivitä-ten und soziokulturelle Meinungen und AktivitäAktivitä-ten bilden so die Basis für formale

öffentliche Entscheidungen. Dies schließt die Möglichkeit kultureller Einfl üsse auf solche Entscheidungen nicht von vornherein aus.

Insofern kann „Regionalpolitik“ als ein Satz von Versuchen politischer Entschei-dungsträger verstanden werden, die regionale Entwicklung in eine wünschenswerte Richtung zu verändern oder sie zumindest zu beeinfl ussen. Gemeinsame Ziele von Regionalpolitik umfassen in der Regel die Förderung der Wettbewerbsvorteile einer Region, den Ausgleich regionaler und lokaler Disparitäten und die Anpassung an die Erwartungshaltungen und Bedürfnisse der ansässigen Bevölkerung. Wenn ein entsprechender Handlungsspielraum für die Entscheidungsträger gegeben ist, kann Regionalpolitik regionale Strukturen nicht unwesentlich beeinfl ussen.

Aufbauend auf diesen Begriffsdefi nitionen wurde eine Reihe von Hypothesen auf-gestellt, welche in weiterer Folge auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden sollen.

Zu diesen gehören:

1. die Annahme, dass in den letzten Dekaden Modernisierung und Globalisie-rung einen enormen Einfl uss auf soziale, wirtschaftliche und ökologische Be-lange gewonnen haben. Es gibt daher Hinweise, dass sich nicht nur regionale Entwicklungen, sondern auch Entwicklungsziele einander angleichen. Dies lässt regional-kulturelle Unterschiede als Faktoren von Regionalentwicklung immer unwichtiger erscheinen.

2. die Vermutung, dass private und öffentliche Investitionen, Produktion und Konsumentenverhalten als die noch verbleibenden regionalspezifi schen Einfl uss-faktoren angesehen werden können. Eine grundlegende Tendenz legt diesbezüg-lich nahe, dass der freie Zugang zu Gütern aller Art zum Abbau von Grenzen und Hindernissen in Bereichen geführt hat, die bis dato von regionalen Identität bestimmt wurden.

3. die einschränkende Annahme, dass es, im Gegensatz zu den beiden anderen Hypothesen, jedoch weiterhin Bemühungen regionaler Akteure gibt, lokale Le-bensbedingungen in einer den Gegebenheiten der jeweiligen Region angemesse-nen Art und Weise (nachhaltig) weiterzuentwickeln und die kulturellen Eigenar-ten der Regionen zu erhalEigenar-ten. Dennoch bedeutet Regionalpolitik auch in diesen Bereichen lediglich die Bereitstellung regionaler Antworten auf globale Entwick-lungen sowie auf die Globalisierung im Allgemeinen.

Diese Hypothesen sollten in weiterer Folge auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft werden.

1.3. Forschungsmethodik

Die Analyse der auf Regionalpolitik wirkenden kulturellen Einfl ussfaktoren wurde als Mehr- oder besser Zweiebenenanalyse in komparatistischer Methodik konzipiert.

Erstens wurden Gemeinsamkeiten und Unterschiede unter den sechs Mitgliedsstaa-ten der Alpenkonvention herausgearbeitet. ZweiMitgliedsstaa-tens spielMitgliedsstaa-ten auch Verschiedenhei-ten auf regionaler Ebene innerhalb dieser Länder eine entscheidende Rolle.

Bei diesen Vergleichen ist natürlich der Hinweis auf den Unterschied zwischen fö-deralen/dezentralen und unitarischen/zentral gesteuerten Formen der Entschei-dungsfi ndung in der Regionalpolitik unerlässlich. In allen untersuchten Ländern fi nden wir zwar mehr oder weniger hierarchische Entscheidungsstrukturen vor, mit verschiedenen Ebenen der Entscheidungsfi ndung sowie divergierenden fi nanziellen Quellen und Subventionen, aber die Gewichtung derselben unterscheidet sich von Staat zu Staat deutlich voneinander. Das Verhältnis von bundesstaatlich und zentral-staatlich orientierten politischen Systemen ist unter den Alpenländern ausgewogen:

Während Frankreich, Italien und Slowenien stark unitarisch verfasst sind, wobei sich ein erheblicher Machtanteil in den nationalen Regierungen konzentriert, fi n-den wir in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr oder weniger ausgeprägt föderalistische Entscheidungsstrukturen vor. Kennzeichnend für den Föderalismus in den drei angesprochenen Ländern sind eine von ihren Verfassungen defi nierte Aufgabenteilung (Stichwort „Subsidiarität“) zwischen Bundesstaat und Gliedstaa-ten (Bundesländer in Deutschland und Österreich, Kantone in der Schweiz) und ein Zweikammernsystem. Es ging also auch darum, die richtige Ebene politischer Ent-scheidungsfi ndung in der Regionalpolitik auszumachen, bevor sie einer genaueren Analyse unterzogen werden kann.

Abb. 13: Ziele und Ausprägungen des Föderalismus nach Sturm & Zimmermann-Steinhart (2005).

Einheitsstaat

Vielfalt als oberste Ziele Integration und Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als oberste Ziele

Die Studie untersuchte daher die Zielvorstellungen und Implementierung von Regio-nalpolitik, wobei vor allem folgende Aspekte eine zentrale Rolle spielten:

Art und Umfang regionalpolitischer Entscheidungen sowie Bezüge zur nachhal-tigen Entwicklung;

Unterschiede bei den Zielen von Regionalpolitik und die etwaige Rolle kultureller Faktoren in diesem Zusammenhang;

regulative Korrekturen globaler Marktbedingungen auf regionaler Ebene;

die Rolle kultureller Faktoren für die Implementierung von Regionalpolitik.

Basis des Vergleichs unter den sechs Ländern war ein einheitlicher Fragebogen, der alle zentralen Felder abdeckte, die für die Studie als wesentlich erachtet wurden, wie zum Beispiel Landwirtschaft, Tourismus oder öffentlicher Personenverkehr.

Der Abschlussbericht wurde vom Schweizer Team unter Federführung von Martin Boesch verfasst. In diesem Report wurden die Ergebnisse aus den sechs Partner-ländern systematisch untersucht und miteinander verglichen, wobei vor allem die Frage im Mittelpunkt stand, welche kulturellen Einfl üsse auf Regionalentwicklung wirken konnten oder bei der Formulierung regionalpolitischer Ziele möglicherweise im Vordergrund standen. Der gewählte wissenschaftliche Zugang lässt sich also als heuristisch, qualitativ und komparatistisch beschreiben. Er folgt – wie auch die hier folgenden Ausführungen – einer hermeneutisch-interpretativen Logik.