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Begriff des Musters nach deutschem und europäischem Recht

IV. Abkommen von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle für gewerbliche Muster und Modelle

1. Begriff des Musters nach deutschem und europäischem Recht

Beim Geschmacksmusterschutz stellt der Begriff des Musters eine wichtige Grundlage dar. Denn die Anmeldung eines Geschmacksmusterters wird zurückgewiesen, wenn der Gegenstand der Anmeldung „kein Muster“ i.S.d. Geschmacksmusterrechts ist.133 Nach § 1 Abs. 1 GeschmMG und Art. 3 lit. a GGV wird unter einem Muster eine

„Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon…“ verstanden.

Hierbei stellt das deutsche Recht zudem klar, das die Erscheinungsform zweidimensional oder dreidimensional sein muss.134

132 Keyder, Tekstil Ürünleri ve Fikri Mülkiyet Yasası, S. 95; Nal, Probleme des türkischen Urheberrechts, S. 95.

133 Eichmann/Kur – Eichmann, Designrecht, § 2 Rn. 10.

134Bulling/Langöhring/Hellwig, Geschmacksmuster, Rn. 18.

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Allerdings findet sich sowohl im Titel des GeschmMG, wie im Titel der GeschmacksmusterRL, als auch im Gesetzestext und der GGV nicht nur der Begriff

„Muster“, sondern auch der Doppelbegriff „Muster und Modell“. Das Begriffspaar

„Muster und Modelle“ beruht auf den Anfängen des Geschmacksmustergesetzes in Frankreich. Bereits in den romanischen Sprachfassungen der gemeinschaftlichen Gesetzgebung wurde dieses Begriffspaar genutzt, und zwar als „dessin ou modéle“ in der französischen, „disegno o modello“ in der italienischen, „dibujo o modelo“ in der spanischen und „desenho ou modelo“ in der portugiesischen Fassung.135 In der deutschen Gesetzessprache wurde dieses Begriffspaar in allen früheren Fassungen des Geschmacksmustergesetzes verwendet.136 Ein „Muster“ charakterisiert hierbei flächenmäßige Erzeugnisse, ein „Modell“ die Raumform, also plastische Erzeugnisse.137 Allerdings hat diese Unterscheidung keine rechtliche Relevanz und keinen Einfluss auf die Schutzfähigkeit und die Schutzvoraussetzungen.138 In § 1 Abs.

1 GeschmMG sowie in den anderen Vorschriften des Gesetzes und der GGV wird der Begriff des Musters hingegen als ein Oberbegriff verwendet. Dies soll die Umständlichkeit der Verwendung eines Doppelbegriffs vermeiden.139 Wie oben erwähnt, sollen in dem Gesetzentwurf zur Modernisierung des Geschmacksmustergesetzes der Begriff „Muster“ durch „Design“ und der Begriff

„Geschmacksmuster“ durch „eingetragenes Design“ ersetzt werden. Entsprechend soll die Überschrift des Gesetzes von „Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (Geschmacksmustergesetz – GeschmMG)“ aufgrund der Modernisierung des Begriffs Geschmacksmuster in „Gesetz über den rechtlichen Schutz von Design (Designgesetz – DesignG)“ umbenannt werden. Ziel war es, das bestehende Geschmacksmusterrecht an den nationalen und internationalen Sprachgebrauch anzupassen, moderner und verständlicher zu gestalten und durch eine anschauliche und adressatengerechte Gesetzessprache die Transparenz des bestehenden Rechts zu fördern. Denn einerseits wird „design“ als einziger Begriff zur Beschreibung von geschützten Formgebungen in den englischen Fassungen der Gesetze auch auf europäischer und internationaler Ebene verwendet. Auf der anderen

135 Eichmann/Kur – Eichmann, Designrecht, § 2 Rn. 10.

136 Eichmann/von Falckenstein Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 6; Nirk/Kurtze, § 1 GeschmMG Rn. 2.

137 Eichmann/Kur – Eichmann, Designrecht, § 2 Rn. 10.

138 Eichmann/von Falckenstein Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 6; Nirk/Kurtze, § 1 GeschmMG Rn. 2.

139 Eichmann/von Falckenstein – Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 5; Nirk/Kurtze, § 1 GeschmMG Rn. 2 ff.

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Seite ist der Begriff „Geschmacksmuster“ für die Allgemeinheit und selbst für Juristen, die dem Fachbereich geistiges Eigentum nicht nahestehen, nicht aus sich heraus ohne weiteres verständlich, denn die Ähnlichkeit zum Begriff

„Gebrauchsmuster“ führt immer wieder zu Verwechslungen und Irritationen.140 2. Begriff des Designs nach türkischem Recht de lege lata

Im türkischen Recht wird entsprechend der englischen Fassung des EU-Verordnungsentwurfs von 1993 der Begriff „design“ ins Türkische als „tasarım“141 übersetzt.142 In Art. 3 lit. a TDesVOmG wird Design grundsätzlich entsprechend dem europäischen Recht definiert. Demnach wird unter einem Muster „die Eigenschaften oder Bestandteile der Gesamtheit eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon…, die durch die menschlichen Sinne wahrgenommen werden können“ verstanden.

Diese Definition wird in der Literatur kritisiert, weil ihr entnommen werden könnte, dass mit dem Geschmacksmusterrecht statt der Erscheinungsform des Erzeugnisses nur das Erzeugnis selbst geschützt werden könne. Demgegenüber soll durch das Geschmacksmusterrecht nicht das Erzeugnis selbst, sondern die Erscheinungsform geschützt werden. Außerdem gibt der Teilsatz „die durch die menschlichen Sinne wahrgenommen werden können“ zu Unklarheiten Anlass. So ist nicht eindeutig, ob es bei der Bestimmung der Gesamtheit des Erzeugnisses nur auf die mit dem Auge wahrnehmbaren Merkmale ankommt, oder ob auch solche Merkmale, die nur mit dem Tastsinn oder gar dem Riech-, Hör- oder Geschmackssinn wahrnehmbar sind, berücksichtigt werden. Aus diesen Gründen soll der Begriff des Designs als Erscheinungsform des Erzeugnisses verstanden werden.143

Der Gegenstand des geschmacksmusterrechtlichen Schutzes ist nicht ein Erzeugnis selbst, sondern die auf dem bzw. im Erzeugnis verkörperte zwei- oder dreidimensionale Erscheinungsform.

140 Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Geschmacksmustergesetzes sowie zur Änderung der Regelungen über die Bekanntmachungen zum Ausstellungsschutz, BT-Drucksache, 10.05.2013, 17/13428, S. 1, 25 ff.

141Vgl. Großes Türkisch-Wörterbuch von der Türkischen Sprachgesellschaft, Tasarım.

142 Um die sprachliche Einheit schützen zu können, wird anstatt der Begriffe „Design“ und

„Designrecht“ die Begriffe von „Muster“, „Geschmacksmuster“ und „Geschmacksmusterrecht“

verwendet.

143 Suluk/Orhan, Fikri Mülkiyet Hukuku – Tasarımlar, S. 28, 29, 39; Tekinalp, Fikri Mülkiyet Hukuku, § 42 Rn. 1.

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3. Der Begriff des Designs im türkischen Recht de lege ferenda

Nach Art. 2 lit. h Entwurf des DesG wird der Begriff Design unter Beachtung der oben erwähnten Kriterien entsprechend der GeschmacksmusterRL sowie der GGV definiert.

Ein Design ist demnach „die Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Gestalt, Konturen, Farben, Oberflächenstruktur oder Werkstoffe ergibt“. Anders als in Art. 3 lit. a TDesVOmG wird im Entwurf explizit normiert, dass nach dem Designgesetz de lege ferenda die Erscheinungsform eines Designs geschützt werden soll. Außerdem soll im neuen DesG der Teilsatz „Merkmale, die durch die menschlichen Sinne wahrgenommen werden können“ entfallen. Damit soll die Konturlosigkeit der Definition von „Design“ beseitigt werden. Ungenauigkeiten, die de lege lata bestehen, sollen so behoben werden.

Im Gesetzesentwurf zur Änderung der TDesVOmG von 2013 ist keine Neudefinition des Begriffs Design vorgesehen.

II. Musterfähigkeit

1. Musterfähigkeit im deutschen und europäischen Recht a. Allgemeines

Die im Gesetzestext nicht ausdrücklich erwähnte Grundvoraussetzung der Musterfähigkeit ist von der Rechtspraxis als Oberbegriff für geschmacksmusterrechtliche Schutzfähigkeit der Erzeugnisse entwickelt worden. Mit der Prüfung der Musterfähigkeit wird festgestellt, ob ein angemeldetes Muster als Geschmacksmuster geschützt werden kann.144 Nach § 1 Abs. 1 GeschmMG und Art. 3 lit. a GGV ist ein Muster die Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon. Nach diesen Vorschriften können die Voraussetzungen für die Erfüllung der Musterfähigkeit wie folgt bezeichnet werden: Das Muster muss eine bestimmte Erscheinungsform haben, und diese Erscheinungsform muss in das konkrete Erzeugnis aufgenommen werden.

144 Eichmann/von Falckenstein Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 23.

35 b. Erscheinungsform

aa. Allgemeines

Der Gegenstand des geschmacksmusterrechtlichen Schutzes ist nicht ein Erzeugnis selbst, sondern die auf dem bzw. im Erzeugnis verkörperte zwei- oder dreidimensionale Erscheinungsform. Zudem kann die Grundlage der Erscheinungsform nicht nur ein ganzes Erzeugnis sein, sondern auch nur aus einem Teil eines Erzeugnisses bestehen.145 Die Erscheinungsform eines Erzeugnisses wird jedoch gesetzlich nicht definiert, sondern nur beispielhaft aufgezählt. Die allgemeine Bedeutung der Erscheinungsform ist die „äußere Form, in der etwas erscheint“. Sie kann sich gemäß § 1 Abs. 1 GeschmMG und Art. 3 lit. a GGV insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst oder seiner Verzierung ergeben. Dabei ist die Aufzählung der Merkmale nicht abschließend.146 Obwohl nach § 37 Abs. 1 GeschmMG (bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. c GGV) der Schutz für die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebenen Merkmale begründet werden kann, wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass die Erscheinungsform nicht nur visuell wahrnehmbare, sondern auch taktile Wirkungen umfasst.147

bb. Konturen, Linien und Gestalt

Konturen sind der Umriss bzw. die Umrisslinien eines Körpers. Linien sind gerade, gekrümmte oder anderweitig geformte Striche innerhalb von Konturen bzw. in grafischen Darstellungen. Gestalt ist die äußere Form oder Erscheinung von Gegenständen.148

cc. Farben

Farben können ebenfalls Erscheinungsmerkmale von Erzeugnissen sein. Dabei sind sie nur dann musterfähig, wenn sie in Verbindung mit anderen Elementen des Musters oder in Verbindung mit anderen Farben in einem grafischen Muster stehen und sich

145 Eichmann/Kur – Eichmann, Designrecht, § 2 Rn. 11.

146Bulling/Langöhring/Hellwig, Geschmacksmuster, Rn. 22.

147Bulling/Langöhring/Hellwig, Geschmacksmuster, Rn. 23; Kur, GRUR 2002, 661, 663; Mahr, Designschutz, S. 70; siehe für ausführliche Informationen 2. Kapitel C II 1. b. ee.

148 Eichmann/von Falckenstein – Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 8.

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auf einen konkreten Gegenstand beziehen.149 Konturlose Farben oder konturlose Farbkombinationen, die grafische oder fotografische Wiedergabe einer Farbe sowie Glanzwirkungen können deshalb geschmacksmusterrechtlich nicht geschützt werden.150

dd. Oberflächenstruktur

Die Oberflächenstruktur bezeichnet zwei- oder dreidimensional ausgestaltete Oberflächen von Erzeugnissen, die gattungsmäßig eine zwei- oder dreidimensionale Form aufweisen. Die Wahrnehmbarkeit von dreidimensionalen Strukturmerkmalen hängt bei grafischen und fotografischen Wiedergaben von der Technik und der Qualität der Darstellung ab.151

ee. Tastsinn

Musterschutz besteht nicht nur für Merkmale, die eine optische Wirkung auf den Betrachter entfalten, sondern auch für haptische Merkmale.152 Das kann daraus entnommen werden, dass in den gesetzlichen Begriffsbestimmungen Oberflächenstrukturen und Werkstoffe als Beispiele aufgeführt sind. Die Oberflächenstrukturen können zwar optisch wahrgenommen werden, jedoch erschließt sich ihre spezifische Charakteristik häufig erst durch die Zuhilfenahme des Tastsinns, also durch haptische Effekte.153

Aus § 37 Abs. 1 GeschmMG (bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. c GGV) folgt, dass der Schutz für diejenigen Merkmale der Erscheinungsform eines Geschmacksmusters begründet wird, die in der Anmeldung sichtbar wiedergegeben sind. Jedoch können bei grafischen und fotografischen Wiedergaben haptische Vorstellungen ausgelöst werden, und taktile Wirkungen können dem Musterschutz zugänglich gemacht werden, da die Wahrnehmung von Dingen durch Koordinierung von Tast- und Sehsinn in der

149 Eichmann/von Falckenstein – Eichmann, GeschmMG, § 1 GeschmMG Rn. 9; Hartwig, Mitt. 2008, 317 ff.

150 Eichmann/Kur Eichmann, Designrecht, § 2 Rn. 34; Eichmann, MarkenR 03, 10, 12.

151 Eichmann/von Falckenstein Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 11; Ruhl, Art. 3 GGV Rn. 151; vgl.

BGH GRUR 1997, 379 ff. – Lunette.

152 Eichmann/von Falckenstein – Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 35; Eichmann/Kur – Eichmann, Designrecht, § 2 Rn. 16; Kahlenberg, Ein europäisches Geschmacksmuster, S. 117; Kur, GRUR 2002, 661, 663; Lorenzen, Designschutz im europäischen und internationalen Recht, S. 98.

153 Eichmann/Kur – Eichmann, Designrecht, § 2 Rn. 16.

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Gesamtwirkung erfolgt.154 Der kundige Betrachter ist auch häufig in der Lage, Werkstoffen ohne Berührung eine haptische Wirkung zuzuordnen.155 Das kann z.B. bei einem Kugelschreiber, der mit glänzendem Gehäuse und einem ergonomisch und farblich abgestimmten Gummigriff versehen ist, oder den Riffelungen der Oberfläche eines Erzeugnisses der Fall sein.156 Bei dem nicht eingetragenen Geschmacksmuster und bei flächigen Musterabschnitten kann durch die taktilen Wahrnehmungen die haptische Wirkung der Oberfläche eines Erzeugnisses unmittelbar erfolgen.157

ff. Werkstoffe aaa. Allgemeines

Werkstoffe sind die Materialien, aus denen ein Erzeugnis besteht. Der Schutz eines bestimmten Materials ist zwar durch ein Geschmacksmusterrecht nicht möglich, jedoch kann das Material bei einem bestimmten Erzeugnis Ausdruck einer originellen Idee sein. Nur die Merkmale von Werkstoffen, die im Rahmen des Offenbarungsgehalts158ermittelbar sind, finden Berücksichtigung bei der Bestimmung des Schutzgegenstands eines Geschmacksmusters.159 Das Gewicht und die Biegsamkeit sind ebenfalls Eigenschaften von Werkstoffen und spielen bei der Produktgestaltung eine maßgebende Rolle. Allerdings ist es umstritten, ob physikalische Eigenschaften von Werkstoffen, wie z.B. Biegsamkeit oder Gewicht, Erscheinungsformen i.S.d. § 1 Nr. 1 GeschmMG und Art. 3 lit. a GGV sind.160

bbb. Biegsamkeit und Gewicht keine musterfähige Erscheinungsmerkmale

Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung sind die Biegsamkeit und das Gewicht zwar regelmäßig Eigenschaften von Werkstoffen, jedoch sind sie keine musterfähigen Erscheinungsformen, weil sie dem Bereich der Technizität zuzuordnen seien und wegen ihrer technischen Wirkungen nur im Rahmen von technischen

154 Lorenzen, Designschutz im europäischen und internationalen Recht, S. 99; Kahlenberg, Ein europäisches Geschmacksmuster, S. 117.

155 Eichmann/Kur – Eichmann, Designrecht, § 2 Rn. 16.

156 Eichmann/von Falckenstein Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 9.

157 Eichmann/Kur Eichmann, Designrecht, § 2 Rn. 16.

158 Siehe für ausführliche Informationen 2. Kapitel F II 3. b. bb.

159 Eichmann/von Falckenstein – Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 12; vgl. BGH GRUR 1962, 144, 146 – Buntstreifensatin I; BGH GRUR 1967, 376, 377 – Kronleuchter; BGH GRUR 1980, 235, 236 – Play-family.

160 Brückmann/Günther/BeyerleinBrückmann, § 1 GeschmMG Rn. 18.

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Schutzrechten Bedeutung erlangen könnten.161 Daher dürfte der geschmacksmusterrechtliche Schutz Werkstoffe nicht monopolisieren.162 Außerdem fänden nur diejenigen Erscheinungsmerkmale von Werkstoffen, die im Rahmen des Offenbarungsgehalts ermittelbar sind, Berücksichtigung, um den Schutzgegenstand eines Geschmacksmusters zu bestimmen. Dabei seien Biegsamkeit und Gewicht nicht hinsichtlich des Offenbarungsgehalts ermittelbar.163 Aus diesem Grund spielten auch physikalische Eigenschaften bei der Bemessung des Schutzumfangs und für die Bestimmung der Neuheit und der Eigenart keine Rolle.164

ccc. Biegsamkeit und Gewicht musterfähige Erscheinungsmerkmale

Einer anderen Meinung nach könnten Biegsamkeit oder Gewicht zwar an der Erscheinungsform mitwirken, wie Erscheinungsmerkmale nicht nur visuell wahrnehmbare Wirkungen, sondern auch taktile Wirkungen umfassen. Sie erfüllten in der Regel aber nicht das Anmeldeerfordernis der grafischen Darstellbarkeit und könnten deshalb nur bei nicht eingetragenen Geschmacksmustern Berücksichtigung finden.165

ddd. Stellungnahme

Werkstoffe sind in den Begriffsbestimmungen als Beispiele für Merkmale aufgeführt.

Allerdings ist es, wie oben erwähnt, umstritten, inwieweit die physikalischen Eigenschaften von Werkstoffen Erscheinungsformen i.S.d. § 1 Nr. 1 GeschmMG und Art. 3 lit. a GGV sind. In diesem Zusammenhang kommt auch die Frage in Betracht, ob Biegsamkeit und Gewicht musterfähige Erscheinungsmerkmale sind.

Bei der Gestaltung bestimmter Erzeugnisse, z.B. bei Spielzeug, Haushalts- oder Schreibgeräten usw., spielt die Biegsamkeit bezüglich der Erscheinungsform eine große Rolle. Insbesondere steigt durch die technologische Entwicklung die Bedeutung der Biegsamkeit bei den Hardware-Produkten. Ein Beispiel dafür sind flexible Displays. Für die Kunden ist neben der Geschwindigkeit auch die Handhabbarkeit und die Benutzbarkeit solcher Geräte maßgeblich. Daher sind beim Design solcher neuen

161 Eichmann/Kur Eichmann, Designrecht, § 2 Rn. 54.

162 BGH GRUR 1980, 235 – Play Family; vgl. Gerstenberg, GRUR 1981, 567, 570.

163 Eichmann/von Falckenstein – Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 12.

164 Eichmann/von Falckenstein – Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 12.

165Maier/Schlötelburg, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Rn. B. 1; Bulling/Langöhring/Hellwig, Geschmacksmuster, Rn. 23.

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Produkte Biegsamkeit und Handhabung entscheidende Faktoren und haben Einfluss auf die Erscheinungsform des Erzeugnisses. Außerdem ist die Biegsamkeit im Rahmen des Offenbarungsgehalts ermittelbar, d.h. es kann eine zur Bekanntmachung geeignete Wiedergabe erstellt werden. Aus diesen Gründen sollte die Biegsamkeit als Erscheinungsmerkmal schützbar sein.

Da Gewicht weder die Erscheinungsmerkmale eines Geschmacksmusters, die im Rahmen des Offenbarungsgehalts ermittelbar sind, abbilden kann noch in der Anmeldung sichtbar darstellbar ist, kann es als kein Merkmal des Geschmacksmusters qualifiziert werden. Es kann zwar in der Beschreibung erwähnt werden, aus dem Inhalt der Beschreibung können aber keine schutzbegründenden Merkmale erwachsen, wenn es an der ersichtlichen Wiedergabe fehlt. Zudem kann eine Beschreibung den Schutzgegenstand nicht erweitern, sondern nur die Ursache der in der Darstellung erkennbaren geschmacklichen Wirkung klarstellend erläutern.166

Darüber hinaus entspricht eine Unterscheidung bei der Musterfähigkeit der Biegsamkeit und des Gewichts zwischen dem „eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster“ und dem „nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster“ nicht dem Sinn der GGV. Denn diese Schutzformen unterscheiden sich nur bei der Entstehung des Schutzes in Art. 11 Abs. 1 GGV und bei den Rechten aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster in Art. 19 Abs. 2 GGV. Die GGV differenziert jedoch nicht zwischen den Voraussetzungen der Musterfähigkeit und den Schutzvoraussetzungen. Aus diesem Grund können derartige Merkmale ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht mit begründen.

gg. Verzierung

Verzierungen sind zusätzliche, dekorative Elemente, die auf der Oberfläche einer Mehrzahl von Erzeugnissen aufgebracht werden können, ohne deren Konturen erheblich zu verändern.167 Sie sind daher rein dekorative Elemente, die für zahlreiche Erzeugnisse verwendet werden können, und haben keine technische Funktion.168 Beispielsweise kann jedes Ornament, das auf der Oberfläche eines Erzeugnisses oder

166 Eichmann/von Falckenstein Eichmann, § 37 GeschmMG Rn. 8; vgl. BGH GRUR 1974, 739.

167 Abschnitt 8.3 der HABM-Prüfungsrichtlinien Gemeinschaftsgeschmacksmuster.

168 Ruhl, Art. 3 GGV Rn. 52, 152.

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eines Erzeugnisteils angebracht ist, eine Verzierung sein.169 2. Musterfähigkeit im türkischen Recht

Das türkische Geschmacksmusterrecht beruht, wie bereit erwähnt, auf dem europäische Recht und enthält grundsätzlich bezüglich der Erscheinungsform parallele Regelungen. Die Erscheinungsform eines Erzeugnisses ergibt sich nach Art. 3 lit. a TDesVOmG insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Gestalt, Konturen, Farben, Oberflächenstruktur, Werkstoffe oder Biegsamkeit des Erzeugnisses oder seiner Verzierung, die durch die menschlichen Sinne wahrgenommen werden können. Wie oben erwähnt, ist diese Definition sehr weitreichend, unter den Designbegriff können also auch die Faktoren Gewicht, die Riech-, Hör- oder Geschmacksmerkmale fallen.

Allerdings stimmt eine solche Interpretation dieser Vorschrift nicht mit der TDesVOmG überein, da nach Art. 26 Abs. 1 lit. b TDesVOmG für die Anmeldung die Wiedergabe des Musters durch Foto, Grafik oder sonstige Darstellungen erfolgen muss. Dies ist für Gewichts-, Riech- oder Hörmerkmale nicht durchführbar.

Demgegenüber wird die Biegsamkeit ausdrücklich geregelt und ist somit unumstritten ein Erscheinungsmerkmal eines Erzeugnisses.170 Außerdem sind auch im türkischen Recht, wie im deutschen und europäischen Recht, die Merkmale, die mit dem Tastsinn wahrgenommen werden, musterfähig.171

III. Erzeugnis

1. Erzeugnis im deutschen und europäischen Recht a. Allgemeines

Ein Erzeugnis ist nach § 1 Nr. 2 GeschmMG und Art. 3 lit. b GGV jeder Gegenstand, der industriell oder handwerklich hergestellt werden kann. Für die Musterfähigkeit ist es nicht entscheidend, ob es sich dabei um industrielle Massenherstellung oder um eine handwerkliche Einzelanfertigung handelt.172 Der Begriff des Gegenstands ist jedoch gesetzlich nicht näher definiert, sondern durch Beispiele konkretisiert, z.B.

Verpackungen, Ausstattungen, grafische Symbole und typografische Schriftzeichen

169 Eichmann/von Falckenstein Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 13.

170 Karahan/Suluk/Saraç/Nal Suluk, Fikri Mülkiyet Hukukunun Esasları, S. 239; Suluk/Orhan, Fikri Mülkiyet Hukuku – Tasarımlar, S. 27.

171 Karahan/Suluk/Saraç/Nal Suluk, Fikri Mülkiyet Hukukunun Esasları, S. 239; Suluk/Orhan, Fikri Mülkiyet Hukuku – Tasarımlar, S. 27; siehe für ausführliche Informationen 2. Kapitel C II 1. b. ee.

172 Eichmann/Kur Eichmann, Designrecht, § 2 Rn. 13.

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sowie Einzelteile, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden können. Ein Computerprogramm stellt allerdings kein Erzeugnis dar.173 Daraus lässt sich entnehmen, dass ein „Gegenstand“ eine konkrete Erscheinungsform aufweisen muss.174 Nicht nur vollständige Erzeugnisse, sondern auch Teile von Erzeugnissen können ein schutzfähiges Muster begründen, unabhängig davon, ob das Teil ein wesentlicher Bestandteil des Gesamterzeugnisses ist.175

Aus der gesetzlichen Begriffsbestimmung „industrieller oder handwerklicher Gegenstand“ ergibt sich auch, dass das Muster gewerblich (d.h. industriell oder handwerklich) herstellbar und daher reproduzierbar sein muss.176 Dabei ist die gewerbliche Verwertung bzw. die tatsächliche Herstellung für den geschmacksmusterrechtlichen Schutz des Musters nicht erforderlich.177 Ein weiteres Merkmal der industriellen oder handwerklichen Herrstellbarkeit ist, dass die Form des Erzeugnisses durch menschliche Tätigkeiten sowie unter Verwendung von mechanischen und technischen Hilfsmitteln hergestellt werden muss.178 Lebende Pflanzen, Tiere oder organische Naturprodukte sind vom Schutz ausgeschlossen.

Allerdings können Gegenstände, die industriell oder handwerklich hergestellt oder bearbeitet werden, geschmacksmusterrechtlichen Schutz beanspruchen, so etwa künstliche Pflanzen oder Blumen, Blumensträuße, Pflanzenkränze und Arrangements von Früchten, Nachbildungen von Tieren, Schleifen aus Wurzelstöcken, Flechten aus Haaren, Perücken oder Tischplatten aus poliertem Granit.179

b. Einzelfälle aa. Verpackungen

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 GeschmMG und Art. 3 lit. b GGV können Verpackungen Erzeugnisse sein. Sie können die Waren schützen, verkehrsfähig machen oder auf den

173 Eichmann/von Falckenstein Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 14; Ruhl, Art. 3 GGV, Rn. 23.

174 Ruhl, Art. 3 GGV, Rn. 23.

175 Eichmann/von Falckenstein Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 15; Bulling/ Langöhring/Hellwig, Geschmacksmuster, Rn. 28.

176 Eichmann/von Falckenstein Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 16.

177 Nirk/Kurtze, § 1 GeschmMG Rn. 93; Ruhl, Art. 3 GGV, Rn. 35.

178 Eichmann/von Falckenstein – Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 14; Nirk/Kurtze, § 1 GeschmMG Rn.

92.

179Bulling/Langöhring/Hellwig, Geschmacksmuster, Rn. 37; Eichmann/von Falckenstein – Eichmann, § 1 GeschmMG Rn. 26-29; ders. in Eichmann/Kur, Designrecht, § 2 Rn. 42, 45, 50

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in der Verpackung vorhandenen Gegenstand aufmerksam machen.180 Der Schutz der Verpackung hängt nicht von der Schutzfähigkeit der Gegenstände ab, die sich in der Verpackung befinden.181 Daher kann die Verpackung eines Gegenstandes, der selbst kein Erzeugnis ist, ein Erzeugnis sein, soweit nur die Verpackung als solche ein industrieller oder handwerklicher Gegenstand ist, z.B. die Schutzverpackung für naturbelassenes Obst oder Gemüse. Zudem können auch das verpackte Erzeugnis und die Verpackung eine Kombination sein, wenn der Verkehr sie als einheitlich erkennt.182 bb. Ausstattungen

Unter Ausstattungen werden primär Aufmachungen als zusätzliche

Unter Ausstattungen werden primär Aufmachungen als zusätzliche