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Die ersten Begegnungen

Im Dokument Waldorfschule in Japan (Seite 30-33)

4. Die Umsetzung

4.2 Die ersten Begegnungen

Die erste Berührung mit Rudolf Steiners Gedankengut in Japan ist auf die Arbeit des Architekten Kenji Imai (1895-1987) zurückzuführen, der die Arbeit Rudolf Steiners 1926 als Baukünstler während der Entstehung des Goetheanums in Dornach kennenlernte. Später gab er diese Ideen an seine Studenten weiter.150

Im Jahr 1981 gelang es erstmalig, eine deutsche Gruppe von drei Eurythmisten aus der anthroposophischen Gemeinde im Raum Stuttgart nach Tōkyō einzuladen151, die dann im späteren Rudolf-Steiner-Haus in Takanobaba, einem Stadtteil in Tōkyō, eine Aufführung präsentierten. Als Hauptteilhabende konnte Else Klink (1907-1994)152 gewonnen werden.

Wenig später erreichte eine zweite Gruppe Tōkyō, in der sich Friedhelm Gillert (1930-1996)153, ein langjähriger Unterstützer der japanischen Eurythmiestudenten und Lehrermeister der ersten japanischen Absolventin der Münchner Eurythmie-Schule, Agematsu Estsuko (Frau des Mitbegründers der ersten Waldorfschule in Tōkyō Agematsu Yuji), befand. Die Aufführung wurde von fünf Deutschen (vier Eurythmisten und einer Person zur musikalischen Begleitung) verwirklicht. Die Organisation der Tournee oblag einer Gruppe von fünfzig Mitgliedern des Steiner-Hauses, die sich „Japanischer Vorbereitungsausschuß der Eurythmie-Tournee München“ (myunhen oiryutomī nihon kōen junbikai ミ ュ ン ヘ ン ・ オ イ リ ュ ト ミ ー 日 本 公 演 準 備 会) betitelten und die Gesamtkosten der Reise auf ca. 300.000¥

veranschlagten. Von den „deutschen Freunden“154 kamen 150.000¥ als Spendengelder. Ihnen schlossen sich auch einige Interessierte an, die mit Tatkraft und Zeit halfen, aber kein Geld beisteuern konnten für insgesamt drei Monate Aufenthalt der deutschen Künstler. Vorgesehen waren drei Aufführungen und ein Lehrkurs.155 Simultan zu den Darstellungen der eurythmischen Bühnenkunst setzte in dieser Zeit eine größere Beachtung der Anthroposophie auch von Seiten der Printmedien ein, die besonderes Interesse an der Berichterstattung über die westliche Erziehungsformen zeigten (siehe 3.5).156 Bis zu diesem Zeitpunkt war zwar

150 Vgl. Das Gotheanum 1987: 200. So heißt es in seinem Nachruf: „Mit dem Bau der Gedächtnishalle für den Begründer der Waseda-Universität in Tokio, Shigenobu Okuma, errichtete Imai ein hervorragendes Werk, in dem Rudolf Steiners Impuls für die Architektur zum ersten Mal eine überzeugende Verbindung mit dem japanischen Schöngeist eingegangen ist.“ Zu seinen Schülern gehört auch Agematsu Yuji, der als Korrespondent für Das Goetheanum die japanische Anthroposophie beschreibt.

151 Vgl. Koyasu 2000: 194.

152 Aus ihrem Nachruf in Das Goetheanum: „Die deutsch-melanesische Künstlerin machte das Eurythmeum Stuttgart in der Bühnenwelt zum Maßstab eurythmischer Kunst. […] Mit großen Tourneen bereiste sie alle Erdteile.“ Operninszenierungen und Tanzfestivals, abendfüllende Programme, Vgl. Das Goetheanum 1994, Nr. 43. S.478 im Sammelband 1994.

153 Gründer und Leiter der Eurythmie-Schule München. Veranstalter zahlreicher Tourneen durch Asien und Europa. Von 1981-89 besuchte er Japan sechs Mal, Vgl. URL 1: Friedhelm Gillert – Biographie.

154 Koyasu 2000: 201

155 Vgl. Koyasu 2000: 201-202.

156 Vgl. Hata 2004: 78-79.

Koyasus Buch „Eine Grundschule in München“ in den Printmedien publiziert worden, aber noch kein Werk über die Pädagogik als geisteswissenschaftlicher Gegenstand. Wenige Monate nach der Etablierung des Steiner-Hauses trug das Journal der Asahi-Shinbun den Auftrag für einen Artikel an Koyasu Michiko heran.157 Aus der Überlegung heraus von der bis dato aufrecht erhaltenen Abgeschiedenheit der Gemeinschaft nun mit dem anthroposophischen Gedankengut an die Öffentlichkeit zu treten, wurde nach internen Gesprächen innerhalb der Gruppierung als auch mit der Redaktion der Asahi-Shinbun entschieden, einen Aufsatz mit dem Titel “Bewegung hin zur Waldorfpädagogik” (schutainā kyōiku he no ugoki シュタイナー教育への動き)158 zum Thema zu verfassen.159

Den Ausgangspunkt der Anthroposophie als institutionelle Formation markiert die Gründung des sogenannten Steiner-Hauses in Tōkyō im April 1982.160 Die Zielformulierung lag in der gemeinsamen Erarbeitung grundsätzlicher Kompetenzen in den Bereichen Anthroposophie, Theosophie und Eurythmie, die als essenzielle Basiselemente notwendig erschienen. Dennoch können diese Prozesse nicht als Vorbereitung für eine Schulgründung gesehen werden.

„Einfach eine Schule zu begründen, einfach Epochenunterricht oder Eurythmie in den Lehrplan zu bringen, das genügt nicht. Wir Erwachsenen müssen uns erst mit der Anthroposophie beschäftigen. Und erst, wenn wir einigermaßen mit der Anthroposophie vertraut sind, dann können wir daran denken.“161

Die Etablierung einer solchen Einrichtung war auf die Initiative einer Vielzahl von Unterstützern162, deren Wirken in der Anfangszeit des Steiner-Hauses zwar von dem Enthusiasmus getragen war, von dem jeder Neubeginn geprägt ist, jedoch funktionierte die Mitgliederaufstellung recht unkonventionell.

Da dies eine sehr spontane Entstehung war, sind die Namen der Gründer nicht klar feststellbar.

Auch wenn ich jetzt dort vorbeischauen würde, so wären natürlich weder ein Vorstand noch ein Mitglied des Komitees oder eine andere Position innehabende Person anzutreffen. Es versammeln sich dort nur vielerlei Menschen, die verschiedene Bücher lesen, üben, Eurythmie lernen und an den Wänden hängen Aquarelle und Formen, die Waldorfschüler gemacht haben könnten. Es werden auch Pläne gemacht Dozenten aus Westdeutschland für Intensivkurse einzuladen.163

Die Organisationsmitglieder agierten gleichberechtigt, sodass selbst die Besprechung der

157 Vgl. Koyasu 2000: 189.

158 Leider konnte der Artikel nicht ausfindig gemacht werden, da die Asahi-Shinbun ihren Bestand erst bis zum Jahr 1985 rückwirkend digitalisiert hat.

159 Vgl. Koyasu 2000: 189, 193.

160 Koyasu, persönliche Kommunikation vom 23.01.2013.

161 Koyasu 2012: 97.

162 Vgl. Koyasu 2000: 189-216. Sie spricht ausschließlich von einer Gemeinschaft, die nicht ausdifferenziert wird. Nur einzelne Pioniere auf ihrem Gebiet, wie den ersten Absolventen der Eurhytmieschule in München, werden namentlich hervorgehoben.

163 Koyasu 2000: 193-194, eigne Übersetzung.

Werbeposter einige Zeit in Anspruch nahm. Damals sollte eine tatsächliche Dreigliederung des sozialen Organismus im Steiner-Haus verwirklicht werden.

Bei der tatsächlichen Arbeit gilt die These der 'Freiheit des Geistes'. Wer des Deutschen mächtig ist, fertigt Übersetzungen an. Menschen, die der Kunst zugetan sind, erklären sich bereit die Eintrittskarten zu gestalten. Egal um welche Arbeit es sich handelte, ob Telefondienst, Pakettransport oder Kleidung bügeln, wer sich selber dazu in der Lage sah, bot seine Hilfe an.164

Bis 1982 stellten ca. 150 Interessenten aus verschiedenen Teilen des Landes einen Antrag auf Mitgliedschaft. „Darunter befinden sich Menschen aller Professionen: Kindergartenerzieher bis hin zum Universitätsprofessor, Hausfrauen, Studenten, Maler, Musiker, Journalisten und auch normale Angestellte. Das Alter rangierte vom Jugendlichen bis zu über Sechzigjährigen.“165 Der Mitgliedsbeitrag wurde nach eigenem Ermessen festgelegt. Nach Feststellung der Gesamtsumme, wurde eine angemessene Räumlichkeit angemietet, da es gelungen war, mit der Vereinigung schwarze Zahlen zu schreiben.166

Durch die visuelle Darstellung der Eurythmie entschieden sich einige der Lehre Steiners zugetane Lehrer zu einer Ausbildung in München. Auch Hata Rieko, Eurythmistin an der heutigen Tōkyōter Steiner Schule, studierte 1982-86 in München. In diesem Zeitabschnitt, 1985, wurden auch die ersten Samstagsklassen im Steiner-Haus eingeführt.167

Ebenfalls bewirkte die gemeinsame Arbeit im Austausch mit deutschen Eurythmisten, dass eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Anthroposophie einsetzte. Bis 1984 wurden auf Grund der Nachfrage Forschungsgruppen eingerichtet und die Kurse:

Theosophie, Lesegruppe zum Johannesevangelium, allgemeine Menschenkunde, die bildenden Künste – Methode und Praxis, Diskussion des Christentums, Musiktheorie, Bildsprache der Märchen, Michael Endes „Mo Mo“, Aquarellmalerei sowie Formenzeichnen angeboten, die jeweils einmal im Monat stattfanden. Wöchentlich wurde von Frau Agematsu ein Eurythmiekurs in 6 verschiedenen Klassen offeriert. Als Zusatzangebot zum laufenden Unterricht fand dreimal im Monat Deutschunterricht in der Grundstufe sowie einmal monatlich ein Mittelstufenkurs, in dem auch die als Einzelkurs angebotene Bildersprache der Märchen sprachlich thematisiert wurde, statt.168

1987 reiste Friedhelm Gillert erneut mit zwei weiteren Absolventen der Münchner Eurythmieschule nach Tōkyō, von wo aus eine Aufführungsreise durch das Land folgte.

„Diese Reihe von Veranstaltungen wurde durch die vereinten Kräfte von Leuten mit

164 Koyasu 2000: 199-201, eigene Übersetzung.

165 Koyasu 2000: 204, eigene Übersetzung.

166 Vgl. Koyasu 2000: 202-204.

167 Vgl. Hata 2004: 79.

168 Vgl. Koyasu 2000: 203, 211-212.

unterschiedlichen Lebensläufen und verschiedener Altersstufen realisiert und war ein großer Erfolg.“169

Eine der Mütter, die ihr Kind an der Samstagsklasse hatte teilnehmen lassen, äußerte 1986 den Wunsch, ihr Kind im nächsten Jahr gerne in eine 5-Tage-Waldorfschule einschulen zu wollen. Sie bat die Lehrer der Samstagsklasse ihrem Kind die Möglichkeit dazu zu geben.

Dieser Vorschlag stieß zuerst auf Überraschung bei den Pädagogen, die sich lange darüber berieten. „Die Zeit ist noch nicht reif. Aber nein, ist es nicht so, dass dieser Ort schon so weit gewachsen ist, dass von dem Punkt an, da ein Kind und ein Lehrer da sind, die Waldorfausbildung beginnen kann?“170

Bis März des Folgejahres liefen die Beratungen des Lehrerkollegiums und es wurde letztendlich entschieden, das Risiko einzugehen. Bis zur Einschulungsfeier konnte eine Anzahl von acht Kindern für die erste Klasse gewonnen werden. Hata Rieko beteiligte sich als frisch graduierte Eurythmistin am Aufbau der Schule.

Seit der Gründungsinitiative des Rudolf-Steiner-Hauses in Tōkyō gelang es, bis 2013 landesweit acht Schulen zu etablieren, in deren geistigem Umfeld sich in der Folgezeit der Anthroposophie zugewandte Organisationen konstituieren konnten.

Im Dokument Waldorfschule in Japan (Seite 30-33)