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4   Ein Bild hielt uns gefangen: Der Paradigmenwechsel vom Herrscher über die Umwelt

4.1   Die Befreiung vom alten Paradigma

Es lässt aufhorchen, wenn der französische Soziologe und emeritierte Forschungsdirektor am Cent-re national de la Cent-recherche scientifique Edgar Morin, der sich als Atheist bezeichnet, von einem

„providentiellen“ (von der Vorsehung bestimmten) Dokument spricht; providentiell nicht im Sinne der göttlichen Vorhersehung, sondern aufgrund ihres herausragenden Charakters „in einer Epoche der Wüste des Denkens“127. Oder wenn die Wissenschaftler Hermann Ott und Wolfgang Sachs vom Wuppertal-Institut meinen: „Die potenziell enormen Auswirkungen der Enzyklika betreffen vor allem den Bereich der philosophisch-politischen Grundierung von Klima- und Umweltpolitik“128. In der Tat will der Papst angesichts der Krise nicht in erster Linie zu kurzatmigem Aktivismus aufru-fen. Die Enzyklika zielt darüber hinaus auf einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Der Papst betont: „Eine Strategie für eine wirkliche Veränderung verlangt, die Gesamtheit der Vorgänge zu überdenken, denn es reicht nicht, oberflächliche ökologische Überlegungen einzubeziehen, wäh-rend man nicht die Logik infrage stellt, die der gegenwärtigen Kultur zugrunde liegt“ (197). Können angesichts der aktuellen Krise Impulse aus einer jahrtausendealten Tradition der Krisenbewälti-gung kommen, Argumente und Bilder, die die gegenwärtige Kultur herausfordern und die es sich lohnt, unbefangen und kritisch anzuschauen?

Stéphane Hessel erinnerte sich schmerzhaft daran, dass sogar die Autoren der Allgemeinen Erklä-rung der Menschenrechte als westlich geprägte Menschen unbewusst vom Bild des Menschen als Herrscher der Welt gefangen waren: „Als wir an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte arbeiteten, war uns nicht bewusst, dass wir für das Sein insgesamt verantwortlich sind, und nicht nur dafür, wie die menschlichen Gesellschaften sich zueinander verhalten. Die jüdisch-christliche Tradition sieht den von Gott geschaffenen Menschen als Herrn der Schöpfung und nicht als deren bescheidenen Teil. Das verführt zu einseitiger Überschätzung und vielleicht waren auch wir da-mals nicht davon frei.“129

„Macht Euch die Erde untertan“ (Genesis 1,28) – in der Neuzeit gehörte die Interpretation dieser Aussage des Schöpfungsberichts des Menschen als absoluter Herrscher der Natur zu den maßgeb-lichen Legitimitätsgrundlagen einer umfassenden instrumentellen Naturbeherrschung.130

126 „Teilhabe statt Beherrschung“ lautet auch die Zukunftsvision des vor wenigen Monaten verstorbenen Quantenphysikers und Alternativen Nobelpreisträgers Hans-Peter Dürr. Vgl. Dürr, Hans-Peter: Warum es ums Ganze geht, München, 2009, S. 9.

127 Morin, Edgar: L’encyclique Laudato Si’ est peut-être l’acte 1 d’un appel pour une nouvelle civilisation; la croix, 12.6.2015, www.la-croix.com/Religion/Actualite/Edgar-Morin-L-encyclique-Laudato-Si-est-peut-etre-l-acte-1-d-un-appel-pour-une-nouvelle-civilisation-2015-06-21-1326175

128 Ott, H. E., Sachs, W., 2015: S. 125.

129 Hessel, S., 2012, S. 25.

130 Der Zusammenhang dieser Legitimationsgrundlage mit der ökologischen Krise wurde – wenn auch in ihrer Monokausali-tät zum Teil recht einseitig – für die ökologische Krise verantwortlich gemacht, so etwa von dem Technikhistoriker Lynn White (White jr., Lynn: The historical Roots of our ecological Crisis, 1967).

tes schrieb im 1637 veröffentlichten Discours de la méthode, die Menschen seien Herrscher und Besitzer der Natur („maîtres et possesseurs de la nature“131). Ähnlich äußerte sich Francis Bacon.

Man braucht sich nur die Reaktion der religiösen Rechten auf die Enzyklika anzuschauen – etwa in den USA – um zu sehen, dass diese Interpretation bis heute zum Kern der ideologischen Ausrüs-tung vieler gehört, die die Lage des Planeten und der Armen auf diesem Planeten ignorieren.

„Man glaubt, wieder und wieder der Natur nachzufahren, und fährt doch nur der Form entlang, durch die wir sie betrachten. Ein Bild hielt uns gefangen und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unserer Sprache, und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen“132 schrieb einst Wittgen-stein. Als „revolutionär“133 betrachten es viele BeobachterInnen, dass und wie hier der oberste Repräsentant der katholischen Kirche die Menschen von einem Bild befreien will, mit der die Menschheit scheinbar Mensch und Natur beschreibt, aber in Wirklichkeit nur einer Form entlang fährt, die Menschen und Mitwelt zu Objekten macht und ausbeutet. Wie radikal der Papst den Bruch vollzieht mit der „jahrhundertealten, tödlichen“134 Interpretation des biblischen Herrschafts-auftrages, mit dem Verständnis des Menschen als Krone der Schöpfung, berufen zur Herrschaft über seine Umwelt. Wie er mit einer Tradition in den christlichen Kirchen bricht, der, so Franziskus,

„ein falsches Verständnis unserer eigenen Grundsätze“ (200) zugrunde liege.

„Das Grundproblem“ (106) der heutigen Probleme sieht der Papst im technokratischen bzw. tech-no-ökonomischen Paradigma, das den Menschen als Herrscher und Besitzer ins Zentrum stellt.

Hier liege die Grundlage dieses „homogenen und eindimensionalen Paradigma[s]“ (ibid.). Das Subjekt umfasse „im Verlauf des logisch rationalen Prozesses das außen liegende Objekt allmäh-lich [...] und [...] besitzt“ (106) es so. Es scheine so, „als ob das Subjekt sich dem Formlosen gegen-über befände, das seiner Manipulation völlig zur Verfügung steht“ (106).

Der Papst argumentiert: „Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise.“ (139). Die Ursache der sozio-ökologischen Doppelkrise sieht er im „technokratischen Paradigma“, im rationalistisch-instrumentellen Weltverständnis und der kapitalistisch instrumentalisierten Naturbeherrschung, in der andere Menschen und die ökologische Mitwelt zum Wegwerf-Objekt werden; in der alles letzt-lich zu Geld gemacht wird.

Er befürchtet, dass ein von diesem Paradigma geprägter Mensch

seinen eigenen durch die Umstände bedingten Interessen den Vorrang gebe – und „alles irrrele-vant wird, wenn es nicht den unmittelbaren eigenen Interessen dient“ (122).

sich darauf fokussiert, „alles, was irgend möglich ist, aus den Dingen zu gewinnen“ (106),

den Menschen und die ökologische Mitwelt nur noch als Objekt zu betrachten und nach dem Nutzen zu taxieren – und dabei „die Wirklichkeit dessen, was er vor sich hat, zu ignorieren oder zu vergessen“ (106).

durch diese Abstraktion von der Wirklichkeit „leicht zur Idee eines unendlichen und grenzenlo-sen Wachstums [gelange], das die Ökonomen, Finanzexperten und Technologen so sehr be-geisterte“(ibid). Denn in diesem Zusammenhang drücke sich das Ignorieren und Vergessen der

131 Descartes, René: Œuvres, Bd. VI: Discours de la méthode et Essais, herausgegeben von Charles Adam und Paul Tannery.

Léopold Cerf, Paris 1902, S. 62.

132 Wittgenstein, Ludwig, 1984: Philosophische Untersuchungen, S. 115.

133 Hagencord, Rainer: Öko-Enzyklika des Papstes revolutioniert die Haltung zur Natur, Landeszeitung Lüneburg, (Neue Fassung: Name im Anlauf korrigiert), 25.6.2015, 18.14h; https://www.ptext.de/nachrichten/landeszeitung-lueneburg-untertan-erde-dr-rainer-hagencord-priester-zoologe-oeko-958455

134 Ein Gespräch mit Erwin Kräutler: Nicht herrschen, sondern pflegen, Publik Forum, 12, 2015, S. 32f.

Wirklichkeit in der „Lüge bezüglich der unbegrenzten Verfügbarkeit der Güter des Planeten [aus, die dazu führe], ihn bis zur Grenze und darüber hinaus ‚auszupressen‘“ (ibid.).

als VerbraucherIn den systemischen Wachstumszwang des ökonomischen Systems in Form eines ungebremsten Konsumdrangs spiegele. „Der zwanghafte Konsumismus ist das subjektive Spiegelbild des techno-ökonomischen Paradigmas“ (203).

zur Ansicht verleitet werde, „jede Zunahme an Macht sei einfachhin ‚Fortschritt‘; Erhöhung von Sicherheit, Nutzen, Wohlfahrt, Lebenskraft, Wertsättigung“135 (105), zitiert er Romano Guardini.

Diesem eindimensionalen Paradigma fehle die andere Dimension, das Lernen des richtigen Ge-brauchs dieser Macht, und damit eine „Entwicklung des Menschen in Verantwortlichkeit, Werten und Gewissen“ (ibid.).

Der Papst hat die Befürchtung, dass „die neuen Formen der Macht, die sich von dem techno-ökonomischen Paradigma herleiten, schließlich nicht nur die Politik zerstören, sondern sogar die Freiheit und die Gerechtigkeit“ (53). „Überaus gefährlich“ (104) sei es, wenn diese Macht „bei einem kleinen Teil der Menschheit“ (ibid.) liege. Er erinnert hier an zwei Beispiele, an die Atombomben

„sowie an den großen technologischen Aufwand, den der Nationalsozialismus, der Kommunismus und andere totalitäre Regime zur Vernichtung von Millionen von Menschen betrieben haben“

(104).

Der Papst setzt angesichts der Risiken und des systemischen Selbstlaufs der techno-ökonomischen Macht auf das politische Primat. Die Politik dürfe sich „nicht der Wirtschaft unter-werfen“ (189). Angesichts der Bedrohungen für das Gemeinwohl bestehe heute vielmehr „die drin-gende Notwendigkeit, dass Politik und Wirtschaft sich im Dialog entschieden in den Dienst des Lebens stellen, besonders in den des menschlichen Lebens“ (ibid.).

Die Wirtschaft wiederum dürfe sich nicht dem „effizienzorientierten Paradigma“ (ibid.) unterwer-fen, sie müsse sich befreien vom „Diktat“ der Technokratie. (Viele Aspekte davon wurden vorberei-tend in den vorhergehenden Kapiteln beleuchtet).

Das Motiv der Befreiung von diesem Bild zieht sich vom Anfang bis zum Ende als roter Faden durch die Enzyklika. Franziskus beginnt seine Enzyklika mit der Auseinandersetzung mit diesem alten Paradigma: „Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir [...] Eigentümer und Herrscher [der Erde] seien, berechtigt sie auszuplündern“ (2) Und er schließt, indem er ihr das neue Paradigma der universellen Geschwisterlichkeit gegenüberstellt: „Gemeinsam mit allen Geschöpfen gehen wir unseren Weg in dieser Welt“ (244). Der Mensch steht hier nicht mehr der Natur gegenüber, sondern ist ein – wenn auch sehr besonderer – Teil von ihr.

Radikal vollzieht die Enzyklika diesen Paradigmenwechsel weg vom „despotischen Anthropozent-rismus“ (68).136 Franziskus spricht nun in Bezug auf die ökologische Mitwelt, auf Tiere und Pflanzen, sogar auf Wind, Sonne und Wolken, ja auf „alle Geschöpfe des Universums“ von „universale[r] Ge-schwisterlichkeit“ (228). Selbst bei der Metapher des Menschen als Gärtner – der zweite Schöp-fungsbericht spricht vom Auftrag zum Bebauen und Hüten (Gen 2,15) – hat der Papst die Befürch-tung, diese könne genutzt werden, um den Menschen der Natur gegenüber zu stellen und die Mitwelt so zum Objekt zu machen. Wo er in der Enzyklika vom Bebauen und Hüten spricht, ergänzt er direkt: „Das schließt eine Beziehung verantwortlicher Wechselseitigkeit zwischen dem Menschen und der Natur ein. (67)“137

135 Guardini, Romano: Das Ende der Neuzeit, Würzburg, 91965, S. 87.

136 Vogt, Markus, 16.6.2015, S. 2.

137 Markierung durch Christoph Bals; die Formulierungen entlang des neuen Paradigmas werden weitgehend, aber nicht ganz konsequent durchgehalten.

Laut Bischof Erwin Kräutler, der den Papst bei der Erstellung der Enzyklika beriet, war dies eine strategische Grundentscheidung des Papstes: „Franziskus sagte mir, er wolle eine Gegenüberstel-lung von Ich und Natur vermeiden, weil auf diese Weise die Natur allzu leicht zum Gegenstand, zu einer Sache gemacht werden kann, über die bestimmte Menschen und Unternehmen dann be-stimmen. Ihm gehe es um das untrennbare Miteinander von Natur und Menschen, um die Mitge-schöpflichkeit aller, die „universale Geschwisterlichkeit“ (228) mit allen Mitgeschöpfen. Kurz gesagt:

Das Leitmotiv ist nicht Umwelt, sondern Mitwelt“.138 Stéphane Hessel kam am Ende seines langen Lebens zu dem Schluss: „Wir können uns nicht die Erde untertan machen, ohne uns selbst zu zer-stören.“139 Ganz ähnlich hat Papst Franziskus Bischof Erwin Kräutler gegenüber betont, „es gehe ihm vorrangig um die Frage des Überlebens von Mensch und Natur. Er argumentiert gegen die zerstörerischen Ausbeutungsinteressen, die sich global zu einer Dynamik des Todes bündeln.“140 Ganz ähnlich schreibt der Papst: „Wenn sich der Mensch für unabhängig von der Wirklichkeit er-klärt und als absoluter Herrscher auftritt, bricht seine Existenzgrundlage selbst zusammen“ (117).