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4. DISKUSSION

4.3 L ANGZEITEINFLUß DER A UFZUCHTART AUF DIE E NTWICKLUNG VON R ATTEN BEI

4.3.5 Probleme bei der Interpretation der Folgen der Manipulation der früh-postnatalen

4.3.5.3 Bedeutung der Unterscheidung von Über- und Normalernährung

Nach dem oben Gesagten, erscheint es problematisch, den Ausdruck „Normalernährung“

für die normale Aufzucht unter Laborbedingungen zu verwenden. Korrekter wäre, von einer „mittleren Ernährungslage“ im Bezug auf andere diätetische Manipulationsformen zu reden, die zu einer relativen Über- oder Unterernährung im Vergleich zur „mittleren“ Er-nährungslage führen. Da aber in der Literatur üblicherweise von „Normalernährung“ ge-sprochen wird, findet dieser Ausdruck auch in dieser Arbeit Verwendung. Während diese Überlegungen zweitrangig sind, solange es durch die frühpostnatale Ernährung zu Lang-zeiteffekten kommt, bei der sich die Parameter proportional zur Absetz-Körpermasse verhalten, wird die Definition der Normalernährung kritisch, wenn es nicht zu quantita-tiven, sondern zu qualitativen Unterschieden zwischen den verschiedenen Aufzuchtbe-dingungen kommt. Insbesondere erlangen diese Überlegungen entscheidende Bedeutung, wenn es nicht nur um die Langzeitwirkung der früh-postnatalen Über- oder Unterernäh-rung bei Ratten geht, sondern diese als Tiermodell für die ErnähUnterernäh-rungssituation beim Men-schen betrachtet werden (Schmidt 2002).

Die häufige Verwendung von Ratten und Mäusen als Tiermodell für die Langzeitfolgen der früh-postnatalen Ernährung beruht auf ihrem kurzen Lebenszyklus und der einfachen Tierhaltung. Allerdings sind diese Tierarten hierfür eigentlich auf Grund des unreifen Zu-standes der Neugeborenen im Vergleich zum Menschen wenig geeignet (Schmidt 2002).

Zwar ergibt sich so die Möglichkeit, bequem die Ernährung in neuronalen Entwicklungs-stadien manipulieren zu können, die beim Menschen und anderen Arten mit reiferen Neu-geborenen bereits intrauterin ablaufen, andererseits unterscheidet sich die postnatale Er-nährung so grundlegend von der plazentaren ErEr-nährung, daß die vergleichende

Interpreta-83 tion der Befunde nicht leicht ist. Auf jeden Fall sind, ganz unabhängig von anderen Art-unterschieden, auf Grund der stark unterschiedlichen neuronalen Entwicklung in der Säug-lingsphase keine unmittelbaren Vergleiche der Folgen der früh-postnatalen Ernährung zwischen Ratten bzw. Mäusen und dem Menschen möglich. Ratten und Mäuse als Tiermo-dell können also verwendet werden, um das Auftreten von epigenetischen Beeinflussungen zweifelsfrei nachzuweisen, jedoch ist bei der Frage der speziellen Folgen von Über- bzw.

Unterernährung zu bestimmten Zeiten der Entwicklung größte Vorsicht geboten (Schmidt 2002).

Mit den verschiedenen Versuchsprotokollen zur Manipulation der früh-postnatalen Ernäh-rung von Ratten und Mäusen werden also graduelle Unterschiede in der ErnähErnäh-rung wäh-rend der Säuglingszeit erzeugt, die in der Regel zu einer proportional veränderten Absetz-Körpermasse führen, die wiederum unter bestimmten Voraussetzungen zu Langzeitwirkun-gen auf die Körperzusammensetzung und andere physiologische Parameter der adulten Tiere führen kann. Weder hier noch in anderen Arbeiten wurde jedoch geklärt, ob ein sol-cher Langzeiteffekt auf die Veränderung der Absetz-Körpermasse oder die früh-postnatale Ernährung als solche zurückzuführen ist. Da die hier verwendeten Zuckerratten ein Aus-zuchtstamm sind, ist es zudem problematisch allein aus einem gegebenen Zusammenhang zwischen Absetz-Körpermasse und Unterschieden in physiologischen Parametern des adul-ten Tieres Rückschlüsse auf die Wirksamkeit von epigenetischen Faktoren zu ziehen. Doch der Vergleich mit den Daten aus der parallel durchgeführten Diplomarbeit2 zeigt bei dem Inzuchtstamm Wistarratten einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Absetz-Körper-masse und der KörperAbsetz-Körper-masse der adulten Tiere. Obwohl somit die Auswirkung epigene-tischer Faktoren auf die Regulation der Energiebilanz im adulten Tier gesichert ist, sind die programmierenden Faktoren und der Zeitpunkt ihrer Wirksamkeit aus den vorliegenden Untersuchungen nicht zu ersehen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß in der vorliegenden Arbeit die Aufzucht im kleinen Nest nur während der Säugephase und der frühen juvenilen Phase einen Einfluß auf Körpermasse und Körperzusammensetzung hat. Eine frühe Unterernährung (UN) mit anschließender Standardfütterung führte dagegen zu einer permanenten Reduzierung der Körpermasse und sowohl der fettfreien Körpersubstanz als auch der Fettspeicher gegen-über den normal ernährten Tiere. Auf Grund des nur sehr geringen Unterschieds in der Absetz-Körpermasse von Tieren aus normalen und kleinen Nestern in dieser Studie, ist allerdings fraglich, ob dies einen prinzipiellen Unterschied zwischen den Folgen der Über-

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und Unterernährung darstellt oder ob der erzeugte Unterschied nur zu klein war, um sich in der zunehmenden Streuung durch andere Einflüsse im Laufe des Lebens noch nachweisen zu lassen. Dies gilt insbesondere, da in der parallel mit gleicher Methodik an Wistarratten durchgeführten Untersuchung, bei denen sich ein deutlich größerer Unterschied in der Absetz-Körpermasse zwischen NN- und KN-Tieren zeigte, Langzeitfolgen auch im Alter von 6 Monaten noch nachweisbar waren. Doch ergab auch eine vergleichende Analyse der Arbeiten, bei denen allein durch die Wurfgröße die Milchverfügbarkeit manipuliert wurde, keinen klaren Zusammenhang zwischen den prozentualen Unterschieden in der Körper-masse beim Absetzen und der Persistenz dieser Unterschiede (Tabellen 4.1 und 4.2).

Die Frage, inwieweit eine frühe Überernährung zu Langzeitfolgen führt, ist besonders un-ter dem Gesichtspunkt von Inun-teresse, daß die besseren Lebensbedingungen in den Indust-rieländern sich ebenfalls im Sinne einer relativen früh-postnatalen Überernährung auswir-ken könnten. Dies könnte theoretisch gegenüber einer Normalernährung zu einer persistie-renden Tendenz zu verstärktem Wachstum sowohl der fettfreien Körpermasse als auch der Fettmasse führen, d. h., die nachfolgende Generation würde unter diesen Lebensbedingun-gen nicht nur länger/größer sondern auch adipöser werden. Da Adipositas Sekundärerkran-kungen wie Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-ErkranSekundärerkran-kungen und orthopädische Schädi-gungen hervorrufen kann (Kopelmann 2000), ist es wichtig, Möglichkeiten zu finden, die dieser Entwicklung entgegen steuern können. Es ist auch zu bedenken, daß diese Patho-physiologie des gestörten Energiehaushalts auch epigenetisch fixiert und so auf die Nach-kommen übertragen werden könnte, so daß ein Schneeball-Effekt ausgelöst werden könnte (Levin 2000). Auf der anderen Seite führt eine prä-, peri- oder postnatale Unterernährung ebenfalls zu einer Pathophysiologie der Körpergewichtsregulation. Die vorübergehende Unterernährung des Foeten während bestimmter Schwangerschaftsphasen und/oder im Säuglingsalter, die sich zunächst in einer Reduzierung der Körpermasse und der Parameter der Körperzusammensetzung gegenüber einer normalen Ernährung auswirkt, kann im spä-teren postnatalen Verlauf unter der in den entwickelten Ländern verbreiteten relativen Überernährung ebenfalls zu einer verstärkten Adipositas-Neigung führen (Hales & Barker 1992). Bei dem beschriebenen Effekten ist also unklar, ob es die vorübergehende Unter-ernährung als solche oder die anschließende Aufholphase ist, die zu den beschriebenen Langzeitfolgen führt (Oscai & McGarr 1978). Da zudem die Grenzziehung zwischen

„Normal-“ und „Über“- bzw. „Unter“-Ernährung beim Menschen noch problematischer ist als im Tiermodell, ergeben sich hier offensichtlich kritische Fragen. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit der oben besprochenen Problematik der Definition von kritischen

85 Zeitpunkten in Anbetracht der stark unterschiedlichen Zeitverläufe der neuronalen Ent-wicklung beim Menschen und den üblichen Tiermodellen.

4.4 Interaktion zwischen der früh-postnatalen Ernährung und