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4. Diskussion

4.4. Bedeutung der Arbeit und Ziel weiterer Studien

Therapieansätze für die psychomotorische Begleitsymptomatik von MS-Patienten sind rar. Besonders für die schwerwiegende Fatigue sind bisher wenige bis keine kausalen Therapieansätze etabliert. Die

pharmakologische Therapie des Fatigue-Syndroms zeigt häufig einige Nebenwirkungen auf und schränkt daher teilweise die Lebensqualität der Betroffenen weiter ein (Comi et al., 2001).

Daher ist es Sinn und Ziel von Studien festzustellen, ob

nebenwirkungsärmere Therapie wie Ausdauertraining einen Effekt auf die Fatigue von MS-Patienten zeigt. Einige Studien konnten schon positive Ansätze formulieren, jedoch gibt es zum jetzigen Zeitpunkt wenige RCTs, die einen klaren Zusammenhang zwischen Ausdauertraining als

Intervention und einer Fatigue-Reduktion aufzeigen. Des Weiteren fällt es häufig schwer, die einzelnen Trainingseinheiten der Studien bezüglich ihres Volumens, ihrer Intensität und der Trainingsmodalität zu vergleichen.

Zudem werden leistungsphysiologische Outcome-Parameter der Probanden oft nicht mit sportmedizinischen und validen Parametern erfasst, sondern durch sekundäre, weniger valide Parameter beschrieben.

In der vorliegenden Studie ergab sich ein statistisch signifikanter

Zusammenhang leistungsphysiologischer Parameter mit der Fatigue von MS-Patienten. Es wird ersichtlich, dass kardiorespiratorisch leistungsfähige Patienten tendenziell geringer von Fatigue betroffen sind als

kardiorespiratorisch eingeschränkte.

Ferner ist jedoch keine Verbesserung der Fatigue im

Beobachtungszeitraum in der TG feststellbar, obwohl sich die Patienten der TG statistisch signifikant in der Pmax und PVT1 verbessert haben. Allerdings trat keine statistisch relevante Verbesserung der VO2peak ein. Generell hat sich in dieser und in anderen Studien gezeigt, dass MS-Patienten sehr geringe VO2peak-Werte von unter 25 ml/min/kg aufweisen, die mit

zunehmendem MS-Handicap weiter sinken (Briken et al., 2014). Hier ergibt sich laut gängiger Studien für viele MS-Patienten ein zunehmendes

Risikoprofil für diverse kardiovaskuläre Erkrankungen und damit ein

erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko (Kavanagh et al., 2002; Keteyian et al., 2008; Lee et al., 2010). Bedenklich ist, dass Probanden in dieser Studie teilweise VO2Peak-Werte von unter 20 ml/min/kg aufweisen, obwohl das durchschnittliche Alter und der EDSS-Wert relativ gering sind. Da viele Teilnehmer im Laufe ihres Lebens vermutlich progressiv von

MS-Symptomen beeinträchtigt werden, ist hier eine weitere VO2Peak-Reduktion zu erwarten. 20 ml/min/kg gilt laut einigen Studien als Schwellenwert für selbstständiges Leben (Kodama et al., 2009) und ein Wert darunter bedeutet für die Patienten neben einem langfristig erhöhten Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen auch eine Einschränkung im alltäglichen Leben. Ausdauertraining konnte in vielen Studien die VO2Peak von Patienten steigern, daher wäre eine weiterführende Trainingsintervention auch nach dem Beobachtungszeitraum sinnvoll. Eine geringe Steigerung kann für Patienten mit niedriger VO2peak schon eine Verbesserung im Alltag und eine höhere Selbstständigkeit bedeuten. Eventuell ließe sich durch mehr

körperliche Aktivität die Morbidität und Mortalität von MS-Patienten, unabhängig von der Fatigue, verbessern.

Weiterführend zeigt die Fatigue in der vorliegenden Studie einen Zusammenhang zu kardiorespiratorischen Parametern. Langfristig und über den Beobachtungszeitraum hinaus könnte sich also ein Effekt leistungsphysiologischer Parameter auf die Fatigue von MS-Patienten ergeben (Andreasen et al., 2011). Die Fatigue ist das den Alltag am stärksten beeinträchtigende Symptom von MS-Patienten und übt Veränderungen in den meisten Lebenslagen der Patienten aus. Sie ist daher ein ständiger Begleiter vieler Patienten und teilweise mental fest verankert. Es ist daher davon auszugehen, dass Fatigue nur über einen längeren Zeitraum beeinflussbar ist.

In weiteren Studien sollte folglich überprüft werden, ob Ausdauer- und Krafttraining einerseits nicht langfristig über eine Erhöhung

leistungsphysiologischer Indizes wie die Pmax, VO2Peak und/ oder Lakmax

einen Effekt auf die Fatigue von MS-Patienten ausübt und anderseits ob es nicht generell durch Training und die Annahme eines damit verbundenen aktiven Lebensstils zu einer längerfristigen graduellen Reduktion von Fatigue kommt.

In der vorliegenden Studie wird bei vielen Patienten metabolisch und kardiorespiratorisch keine Ausbelastung erreicht bzw. die klassischen Ausbelastungskriterien von Spiroergometrie werden selten festgestellt (Kroidl et al., 2014). Viele Probanden der Studie bleiben unter der VT2.

Subjektiv kommt es jedoch bei den meisten Probanden am Ende der Spiroergometrie zu einer Ausbelastung, die mit durchschnittlich BORG 18

±2 bewertet wird. Hier stellt sich die Frage, ob die Spiroergometrie sehr kurzfristige metabolische und respiratorische Änderungen nicht erfasst und somit keine Ausbelastungskriterien erreicht werden.

Jedoch könnte die subjektive Zunahme des Belastungsempfindens auch durch die Fatigue bedingt sein. In diesem Zusammenhang haben Roelcke et al. schon 1997 von einem präfrontale Hypometabolismus gesprochen, der das Belastungsempfinden der Patienten erhöht und die subjektive Schwelle des individuellen Leistungsabbruchs herabsetzt (Roelcke et al., 1997).

Generell hat sich in vielen Studien gezeigt, dass Training vor allem flexibel und individuell angelegt sein sollte, um die Fatigue zu beeinflussen

(Andreasen et al., 2011). Ferner ist festzuhalten, dass Einschlusskriterien für Studien mit bestimmten Trainingsmethoden sehr genau gewählt werden müssen. Hier sollte in folgenden Studien darauf geachtet werden, dass Probanden, die kardiorespiratorisch eingeschränkt sind, ein anderes Training erfahren als geringer kardiorespiratorisch eingeschränkte.

In der vorliegenden Studie hat nur ein Proband, der eine VO2Peak von unter 20 ml/min/kg aufweist, die Trainingsintervention beendet. Vermutlich war die Trainingsintervention für Probanden mit geringer kardiorespiratorischer Leistung zu belastend. Die Einschlussfaktoren können hier nicht alleine an MS-Jahren, über den EDSS oder andere Krankheitsfaktoren festgemacht werden, sondern sollten auch physiologische Parameter wie relative VO2Peak und Pmax erfassen. In der vorliegenden Studie haben besonders Patienten mit sehr geringen VO2Peak-Werten die Studie abgebrochen oder

das Training nicht nach dem im Studiendesign vorgeschriebenen Plan absolviert. In weiterführenden Studien wäre es daher wünschenswert, dass Patienten mit einer VO2peak < 20 ml/min/kg ein anderes Training erfahren als solche mit VO2Peak > 40 ml/min/kg.

Es wurde in der vorliegenden Studie deutlich, dass Patienten, die mehr als zwei Trainingseinheiten die Woche absolvieren, den größten Effekt auf die kardiorespiratorische Fitness und die maximale Leistung erzielen. Die meisten Studien zu Ausdauertraining und MS sehen ein Training im Bereich der VT1 vor, jedoch ist die Trainingsintensität in vielen Studien nicht genau beschrieben (Andreasen et al., 2011; Dalgas et al., 2008;

Martin Heine et al., 2012; Latimer-Cheung, Pilutti, et al., 2013).

Hier zeigen neue Studien von Wens et al. (2015) eine Bestätigung des in der Sportwissenschaft schon länger verankerten Theorems, dass

hochintensive Trainingseinheiten tendenziell eher eine Steigerung von respiratorischen Parametern wie der VO2Peak bewirken (Stoeggl & Sperlich, 2015; Wens et al., 2015). Auch in Studien zu kardiovaskulär

vorgeschädigten Patienten scheint HIIT einen größeren Effekt auf die VO2peak zu haben als niedrig intensive Trainingsinterventionen (Adams et al., 2017). Dazu könnten Studien zu der Effektivität von HIIT auf die Fatigue bei MS-Patienten neue Ansätze liefern und eventuelle alte Ressentiments gegenüber Sport und MS, die in Probanden verankert sind, abbauen. In einigen Studien scheint Ausdauertraining in Kombination mit Krafttraining einen größeren Effekt auf die Fatigue-Symptomatik und auf

kardiovaskuläre Risikofaktoren als Ausdauertraining alleine zu zeigen (Andreasen et al., 2011).

Generell ist festzustellen, dass jede Art der Therapie sich an den Alltag des Patienten orientieren muss, dies gilt in besonderem Maße für

Trainingsinterventionen.

Kognitives Training, Anleitungen und Patientenschulungen zeigen eventuell eine ebenso große Wirkung auf die Fatigue wie die Trainingsintervention selbst (Dalgas et al., 2008; Wendebourg et al., 2017). Daher wäre in weiterführenden Studien anzuraten über flexiblere Trainings- und

Interventionsmethoden nachzudenken, die Probanden eventuell auch zu Hause durchführen können.

Zusammenfassend wäre in weiteren Studien und grundsätzlich in Patienteninformationen anzuraten, individuelles Ausdauertraining sowie allgemeine Bewegung der Patienten zu fördern und eventuell um Kraft- und

kognitives Training zu ergänzen. Langfristig betrachtet kann

Ausdauertraining als Therapie für MS-Patienten vor allem aufgrund des geringen Nebenwirkungsprofils implementiert werden.

Dabei gilt in der Therapie der Fatigue eine multidisziplinäre Strategie, die sich an den individuellen Bedürfnissen und Einschränkungen des Patienten durch die MS, aber auch an der Belastbarkeit und der

kardiorespiratorischen Leistungsfähigkeit des Patienten orientiert.