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Die Bauprodukten-Richtlinie: Europaweiter Umwelt- und Gesundheitsschutz nach dem „Neuen Ansatz“

U. Rheinberger

Am 17. Mai 2001 wird die vom Ausschuss für gesundheitliche Bewertung von Bauprodukten (AgBB) empfohlene Vorgehensweise bei der gesundheitlichen Bewertung der Emissionen von VOC aus Bauprodukten in einem Workshop mit Industrieverbänden und Messinstituten diskutiert (siehe UMID 1/2001). Die Implementierung des Bewertungsschemas ist ein entscheidender Bau-stein im Umsetzungsprozess der Bauprodukten-Richtlinie. Zum aktuellen Anlass werden hier die Zusammenhänge und die Bedeutung der Richt-linie für Umwelt und Gesundheit erläutert.

Gesundheits- und umweltgefährdende Stoffe in Bauprodukten

Bauprodukte enthalten eine Vielzahl organischer und anorganischer Verbindungen, die durch Ab-rieb, Ausgasung, Auswaschung, Korrosion oder Strahlung in die Innenraumluft, sowie Boden und Grundwasser gelangen und die Umwelt und die menschliche Gesundheit gefährden können.

Lösemittel in Farben und Klebern, Biozide, Weichmacher, Bindemittel, Flammschutzmittel in Bodenbelägen, Kunststoffen und Holzwerk-stoffen, Zusatzmittel in mineralischen BauHolzwerk-stoffen, Schwermetalle aus Trinkwasserleitungen und Dachdeckungsmaterialien, unerwünschte Bei-mengungen in Rezyklierungsprozessen sind häufig nicht ausreichend toxikologisch unter-sucht, bioakkumulierende oder persistente Eigen-schaften, sowie kanzerogene, mutagene, terato-gene, toxische, sensibilisierende, reizende oder ökotoxische Wirkungen können nicht ausge-schlossen werden.

Eine übergreifende quantitative und qualitative Erfassung der diffusen Gefahrstoffeinträge aus Bauprodukten gibt es bisher nicht. Zwei Beispiele für Produkte, die auf Grund ihrer häufigen und großflächigen Verwendung bedeutende Emis-sionsquellen darstellen können, sollen das Aus-maß der kritischen Stoffströme verdeutlichen: In Europa werden nach Angaben der Industrie jährlich etwa 2.000 Millionen m2 Bodenbeläge hergestellt. Außerdem werden allein in Deutsch-land neben anderen Holzwerkstoffen an die 500 Millionen m2 Spanplatten produziert. Sie kommen vorwiegend innerhalb geschlossener Gebäude zum Einsatz. Die vielfältig eingesetzten

tech-nischen Hilfsstoffe gelangen, soweit flüchtig, zunächst in die Innenraumluft.

Hinzu kommt, dass selbst klassisch rein minera-lische Baustoffe wie Fliesenkleber, Putze, Mörtel, Estriche zur Optimierung der Verarbeitbarkeit zunehmend unter Beimischung organischer Hilfsmittel hergestellt werden.

Neuer Ansatz: Die EG-Bauprodukten-Richtlinie

Wesentliches Ziel des Vertrags zur Gründung der europäischen Gemeinschaft ist der Abbau von Handelshemmnissen innerhalb Europas. Auch Bauprodukte sollen vom Mauerstein bis zur Ta-pete frei gehandelt werden. Zur Realisierung des Binnenmarktes sieht die europäische Baupro-dukten-Richtlinie (BPR)1 89/106/EWG eine Har-monisierung nach dem „Neuen Ansatz“ vor: Die Richtlinie selbst steckt nur den Rahmen ab und delegiert die Ausarbeitung technischer Details an das europäische Normungs- und Zulassungswe-sen. Versichert ein Hersteller, Bauprodukte nach den neuen harmonisierten Normen und Zulassun-gen produziert zu haben, darf er sie – mit dem CE-Zeichen versehen – europaweit in Verkehr bringen. Dass Normen viele technische Details unseres Alltags regeln, wie z.B. die Stand-sicherheit oder den Brandschutz von Gebäuden, ist ein wesentliches und seit vielen Jahrzehnten etabliertes Element unserer technisch-ökono-mischen Infrastruktur. Neu ist, dass die privat-rechtlichen Normungsinstitute auf diesem Wege auch öffentliche Belange wie Umwelt- und Gesundheitsschutz in den Details definieren sollen. Nun basiert Normung auf dem Konsens-prinzip aller betroffenen gesellschaftlichen Kreise, ist aber in der Praxis stark von den Interessen der Hersteller geprägt. Zudem sind selbst problematische Stoffe wie das Holz-schutzmittel Pentachlorphenol oder das als Bindemittel und Konservierungsstoff in Bau-stoffen eingesetzte Formaldehyd bei weitem nicht in allen Mitgliedstaaten verboten oder in gleichem Maß geregelt. Auch gilt es zu

1 Umgesetzt durch das Bauproduktengesetz in der Neufassung vom 28.4.1998 (BGBl. 1998 I Nr. 25 vom 8.5.1998)

Umweltmedizinischer Informationsdienst 3/2001 Seite - 32 - den, dass in europäischen Normen nur kleinste

gemeinsame Nenner vereinbart werden und hin-sichtlich des Umwelt- und Gesundheitsschutzes auf Anforderungen ganz verzichtet wird.

Einschränkungen des freien Handels sind laut Gründungsvertrag zulässig, wenn der Schutz von Umwelt, Gesundheit oder Sicherheit dies erfor-dert. In diesem Sinne enthält die BPR die wesentliche Anforderung „Hygiene, Gesundheit und Umwelt“. Die Mitgliedsstaaten haben außer-dem das Recht, nationalstaatliche

Einzelregelun-gen beizubehalten oder einzuführen, soweit dies zur Wahrung bestehender Schutzniveaus oder auf Grund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gerechtfertigt ist. Normen müssen daher Stufen und Klassen vorsehen, die den unterschiedlichen Verwendungsanforderungen gerecht werden.

Sehen Normen diese nicht vor, können bis zur vollständigen Harmonisierung, zusätzliche natio-nale Anpassungsnormen die Lücken zur Wahrung der bestehenden Schutzniveaus schließen.

Verbraucher

BPR: Umsetzung der Umwelt- und Gesundheitsanforderungen am Beispiel Deutschland

Öffentlich-Rechtlich Privat-Rechtlich

Europäische Kommission

Ständiger Ausschuß Bauwesen

CEN EOTA

DIN DIBt

Mandatsvorschläge Mandate

MarktHersteller

CE -Zeichen

Normen

D*

Zulassungen

Nationale Regelungen

Fachübergreifende Vorgaben Produktbezogene Grenzwerte

Nationale Interessen

Fachliche Vertretung

*Federführung beim Bundesbauministerium Das UBA vertritt Umwelt- und Gesundheitsbelange

Abbildung: Institutioneller Rahmen der BPR (CEN – Europäisches Komitee für Normung, EOTA – Europäische Organisation für technische Zulassungen, CE – Konformitätszeichen der EG, DIN – Deutsches Institut für Normung, DIBt – Deutsches Institut für Bautechnik, eine Anstalt des öffentlichen Rechts)

Die Rolle der Behörden

Die verantwortlichen Behörden müssen sich im Rahmen des „Neuen Ansatzes“ auf neue Rahmenbedingungen einstellen. Normensarbeit wird de facto Gesetzgebungsarbeit. Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN, das Grünbuch zum Ausbau der euro-päischen Normung und der Bericht der Kommis-sion über die Normung im Rahmen des Neuen Ansatzes sehen daher ausdrücklich eine Beteili-gung der Behörden vor.

Die Implementierung des Umwelt- und Gesund-heitsschutzes im europäischen

Baunormungspro-zess wurde daher im Jahr 2000 als Arbeits-schwerpunkt des Umweltbundesamtes ausgebaut.

Die Konkretisierung der Umwelt- und Gesund-heitsanforderungen in Normen und Zulassungen wird sich in der ersten Generation nur ansatz-weise verwirklichen lassen. Gründe dafür sind die unterschiedlichen Anforderungen in den Mit-gliedsstaaten, die mangelnde Erfahrung mit Um-welt- und Gesundheitsanforderungen in den be-troffenen Normungsgremien und die teilweise fehlenden oder uneinheitlichen Prüf- und Bewer-tungsmethoden. Für die nächsten Überarbeitun-gen der Normen, deren Notwendigkeit in der Regel spätestens nach 5 Jahren überprüft wird,

Umweltmedizinischer Informationsdienst 3/2001 Seite - 33 - müssen die fehlenden fachlichen und regulativen

Vorgaben geschaffen werden. Daher hat das UBA ein Forschungsprojekt an das Deutsche Institut für Bautechnik vergeben, das erstmals den Stand des Wissens zu Bauprodukten, gefährlichen In-haltsstoffen, Emissionen, Prüf- und Bewertungs-methoden, gesetzlichen und freiwilligen Rege-lungen zu einem europaweiten Referenzwerk verknüpfen wird.

Gemeinsam mit dem federführenden Bundesmi-nisterium für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-sen, sowie den beteiligten Bundes- und Landes-behörden fordert das UBA von der verantwort-lichen Generaldirektion der Europäischen Kom-mission die Konkretisierung des Auftrages (Man-dats) an die Normungs- und Zulassungsinstitute.

Im Umweltarbeitskreis Bauprodukte des Euro-päischen Komitees für Normung (CEN) wird unter Mitarbeit des UBA derzeit ein Inventar der Prüfmethoden zu umwelt- und gesundheitsge-fährdenden Substanzen aufgestellt.

Umwelt- und gesundheitsrechtlicher Rahmen

Das UBA prüft Norm- und Zulassungsentwürfe hinsichtlich potenzieller Umwelt- und Gesund-heitswirkungen auf Trinkwasser, Boden und Grundwasser und die Innenraumluft. Die bereits gesetzlich verankerten Kriterien werden über die nationalen und europäischen Gremien in Normen und Zulassungen implementiert.

Langwieriger erweist sich die Umsetzung in den Bereichen, in denen noch keine produktbe-zogenen gesetzlichen Regelungen bestehen.

Medienbezogene Grenzwerte, wie sie z.B. im Bundes-Bodenschutz- oder im Wasserhaushalts-gesetz verankert sind, müssen auf Produkte transponiert werden. Eine Arbeitsgruppe des DIBt hat mit dem Merkblatt zu Auswirkungen von Bauprodukten auf Boden und Grundwasser ein solches produktbezogenes Prüf- und Bewertungs-schema erarbeitet, das demnächst als nationale Zulassungsgrundlage eingeführt wird, und damit auch dem Normungswesen als fachliche Grundlage zur Verfügung steht. Für trink-wasserberührte Bauteile wird derzeit in einer Arbeitgruppe der Kommission ein harmonisiertes Prüfschema (European Acceptance Scheme) erar-beitet. Für die Innenraumluft gibt es außer im Strahlenschutz keine gesetzlich verankerten Grenz- und Richtwerte. Die Pflicht zum Schutz der menschlichen Gesundheit leitet sich hier aus einer Reihe übergeordneter gesetzlicher Vorga-ben ab: der Gefahrenabwehr nach § 3 und § 16

der Landesbauordnungen, den Prinzipien der Vorsorge, des hohen Schutzniveaus, der Berück-sichtigung des Wissensstandes in Art. 174 des Gründungsvertrages, den Vorgaben im Entwurf der Richtlinie über die allgemeine Produkt-sicherheit, den Minimierungs- und Substitu-tionspflichten der Gefahrstoffverordnung § 16,

§ 35,36, sowie dem einschlägigen Grundlagen-papier der BPR selbst. Als wesentlicher Meilen-stein wird hier die endgültige Verabschiedung des AgBB-Schemas Vorgehensweise bei der gesund-heitlichen Bewertung der Emissionen von flüchti-gen organischen Verbindunflüchti-gen (VOC) aus Bau-produkten erwartet.

Insgesamt sind im Rahmen der BPR ca. 800 Pro-duktnormen und 200 Prüfnormen vorgesehen.

Etwa 300 davon betreffen Produktgruppen mit potentiell kritischen Auswirkungen auf die Innen-raumluft, darunter Holzwerkstoffe, Bodenbeläge, Wandbeläge, Klebstoffe, Fußböden, Estriche, Wand- und Deckenverkleidungen, Putze, Mauer-steine, Abdichtungen, Zemente und Betone.

Die Umwelt- und Gesundheitsbehörden können und müssen zur Verankerung von umwelt- und gesundheitsrelevanten Mindestanforderungen bei-tragen durch:

•Einbringung umweltmedizinischen Sachver-stands in die Fachgremien und in das F+E-Vor-haben des UBA,

• Einbringung gesundheitsrelevanter Forderun-gen in die nationalen Koordinierungsgremien,

• Vertretung der Verbraucherinteressen bei den zuständigen Baubehörden der Länder,

• zügige Verabschiedung des AgBB-Papiers zu VOC und Verankerung als nationales Regel-werk.

Die konsequente und beharrliche Umsetzung von europaweit einheitlichen Gesundheits- und Umweltanforderungen an Bauprodukte ist eine reelle Chance, die Gesundheit der Verbraucher – vorbeugend und an den Ursachen ansetzend – zu schützen.

Dipl.-Ing. Ulrike Rheinberger, Umweltbundesamt, Fachgebiet III 1.4 „Stoffbezogene Produktfragen“, Seecktstr. 6-10, 14193 Berlin,

e-mail: ulrike.rheinberger@uba.de

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Gesünder Wohnen: „Blauer Engel“ für emissionsarme