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Auswirkungen der Drucktechnologie auf gesellschaftlichen Wandel und das Auf- Auf-kommen von Öffentlichkeit

2. Medien, ihre Transformation und deren Auswirkungen auf Öffentlichkeit

2.1. Historischer Rückblick

2.1.1. Auswirkungen der Drucktechnologie auf gesellschaftlichen Wandel und das Auf- Auf-kommen von Öffentlichkeit

Eine Analyse, welchen Einfluß die Einführung der Drucktechnik, also die Verbreitung von Büchern und Zeitungen, auf gesellschaftliche Veränderungen gehabt hat, kristallisiert fünf-zehn beherrschende Faktoren sozialen Wandels heraus. Das Ergebnis einer sehr

16 Vgl. Schmidt 1995: 672

chen und tiefgehenden Betrachtung soll hier nur enumeriert dargestellt werden. So hat Joha n-nes Gutenbergs Innovation, basierend auf der Kombination von Druckerpresse und bewegli-chen Lettern und der Nutzung des im Vergleich zum Pergament vielfach kostengünstigeren Papiers, in Europa zu folgenden gesellschaftlichen Umbrüchen geführt (nach Pool 1990: 5)17:

1. Aufkommen und Wachstum des Protestantismus, 2. Anstieg der Zensur,

3. Abnahme häuslicher Produktion, 4. Aufstieg freiheitlicher Triebe,

5. Entwicklung des Konzepts geistigen Eigentums, 6. Aufkommen nationaler Kulturen,

7. Fortschreitende Spezialisierung und Anwachsen der Disziplinen, 8. Zunahme der Wissenschaften,

9. (und als Gegenbewegung dazu) Wachstum des Mystizismus, 10. Etablierung der Idee von Geschichte und Fortschritt,

11. Aufkommen moderner Sprachen,

12. Trennung von geistlichen und weltlichen Anschauungen, 13. Anwachsen der Lese- und Schreibfertigkeiten,

14. Erziehung von Kindern und zu der 15. Schaffung neuer Berufe.

In der Entwicklungsperiode nach der Erfindung der Druckerpresse ist nach Habermas eine

„bürgerliche Öffentlichkeit“ entstanden, die dieser mit seinem Habilitationswerk „Struktur-wandel der Öffentlichkeit“ von 1962 untersucht hat. Dabei hat Habermas einen Ansatz ver-folgt, der eine Problematik zu analysieren versucht, die sich „aus der Integration soziologi-scher und ökonomisoziologi-scher, staatsrechtlicher und politologisoziologi-scher sozial- und ideengeschichtli-cher Aspekte ergibt.“ (Habermas 1969: 7)

Danach emanzipiert sich das liberale Bürgertum in einer ersten Phase vom feudalen System und ersetzt die Funktion der „repräsentativen Öffentlichkeit“ des höfischen Adels durch eine

„politische fungierende Öffentlichkeit“, die sich aus einem „politisch räsonierenden Publi-kum“ bildet (ders.: 69ff).

Dieses konnte sich vor dem Hintergrund eines seit dem 14. Jahrhundert existenten „berufs-ständischen Korrespondenzsystems“ entwickeln, das mit dem „frühkapitalistischen Fernhan-del“ (ders.: 25) geschaffen wurde und dem im 17. Jahrhundert eine von Hand geschriebene,

17 Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen auf alle aufgezählten Faktoren umfassend einzugehen. Festzu-halten bleibt, daß die aufgezählten Faktoren nicht unabhängig voneinander, sondern komplementär zueinander verstanden werden müssen. Hier sind die Zusammenhänge wichtig, die einen Gehalt für die Ausgestaltung für Öffentlich haben.

nicht publike „politische Zeitung“ handel- und gewerbetreibender „Privatmänner“ hinzutrat, da diese trotz ihrer finanziellen Macht von der öffentlichen Gewalt ausgeschlossen waren.18 Oft gaben dieselben „Korrespondenzbüros“ neben den geschriebenen auch gedruckte Zeitun-gen heraus, die für die Öffentlichkeit zugänglich waren, die aber vorab von der Verwaltung zensiert wurden. Inhaltlich handelte es sich um Nachrichten aus aller Welt, die quasi als Ware verkauft wurden, so daß sich durch die gewerbsmäßige Berichterstattung Geld ve rdienen ließ.

Die Obrigkeit nutze die Presse ebenfalls zu Zwecken der Verwaltung. Dabei wandte sie sich in Form von Bekanntmachungen und Verordnungen an „das Publikum, im Prinzip also an alle Untertanen“ (ders.: 32), erreichte aber nur ein gebildetes bürgerliches Lesepublikum, das ein Teilpublikum darstellte und sich aus Juristen, Ärzten, Pfarrern, Offizieren, Professoren, Schulmeistern, Händlern, Bankiers, Verlegern und Manufakturisten zusammensetzte.

Da die gedruckten Zeitungen sowohl bei der Produktion und Konsumption unter dem Einfluß des Bildungsbürgertums standen, konnte dieses sich eine publizierte Öffentlichkeit verscha f-fen, in der es seine Ansprüche gegenüber der Staatsgewalt demonstrierte.19

Dieser Vorgang führte in England am Anfang des 18. Jahrhundert zur Aufhebung der Vorze n-sur im Pressewesen, was als eine Voraussetzung für die Parlamentarisierung der Staatsgewalt gedeutet wird, da damit die Entwicklung einer „politisch fungierenden Öffentlichkeit“ als Staatsorgan begünstigt wurde, die an den Entscheidungen der Staatsgewalt teilhaben wollte.

Das Bürgertum bildete mit dem Adel einen parlamentarischen Vorhof, der die Entscheidun-gen des Parlaments verfolgte, da die VerhandlunEntscheidun-gen des Parlaments mittels Presse voll publi-ziert wurden.20 So konnte in England mit dem großen Reformbill von 1832, mit dem die Städte in die Wahlkreise integriert und die Anzahl der Wahlberechtigten verdoppelt wurden, die „politisch fungierende Öffentlichkeit“, deren soziale Voraussetzung ein liberaler Markt war, zum „Organisationsprinzip des bürgerlichen Rechtsstaates mit parlamentarischer Regie-rungsform“ (ders.: 86) aufsteigen.

In Frankreich entwickelte sich erst ab Mitte des 18. Jahrhundert ein „politisch räsonierendes Publikum“, da vorher eine strikte Zensur vorherrschte, die auch einen ausgebildeten politi-schen Journalismus verhinderte, so daß große Teile der „Intelligenz“ in die Niederlande emi-grierte. Den „Informationsbedürfnissen des Wirtschaftslebens in der sich allmählich heraus-bildenden Marktgesellschaft“ (Hunziker 1996: 30) folgend, konnten Denker und Gelehrte

18 Vgl. Habermas, 1969: 31ff

19 Vgl. ders.: 38ff

20 Vgl. ders. 69ff

später in den sogenannten „Intelligenzblättern“ bestimmte Lehren verfechten, so daß sie zu Ökonomen wurden. Einige von ihnen wurden in die Regierungen berufen und machten den Staatshaushalt öffentlich, was das Mißverhältnis von ökonomischer Macht verdeutlichte und letztendlich zur Revolution und Absetzung der Monarchie führte.

Auf Grund eines Journalismus, der gegenüber der Regierung eine oppositionelle Stellung ein-nimmt, avancierte in England und Frankreich im 18. Jahrhundert die Presse zur „fourth es-tate” (ders.: 72). Damit wandelte das „politisch räsonierende Publikum“ die feudale zu einer bürgerlichen Gesellschaft.21 In diesem Stadium war die „bürgerliche Öffentlichkeit“ eine

„politisch fungierende Öffentlichkeit“. Ganz im Gegensatz zu Deutschland, wo Adel und Bürgertum von Einflußnahmen auf die Presse Abstand nahmen, so daß das „politisch räsonie-rende Publikum“ in Lesegesellschaften und in Geheimräten verfa ngen blieb.

Die staatsrechtlichen und ideengeschichtlichen Aspekte von Öffentlichkeit, verkörpert durch die als Abwehrrechte gedachten bürgerlichen Grundfreiheiten (Meinungs-, Presse-, Ver-sammlungsfreiheit), die heute in allen demokratischen Staaten Geltung haben, blieben aber aus soziologischer Sicht schon zu Zeiten ihrer Erhebung Fiktion, da Frauen, Dienstboten, An-gestellte und Lehrlinge der „Privatmänner“ vom Genuß dieser Rechte ausgeschlossen waren, obwohl sie einen großen und engagierten Teil des „politisch räsonierenden Publikums“ dar-stellten.

Vor dem Hintergrund der Gewährleistung der liberalen Grundfreiheiten, deren Idee „aller Herrschaft entgegengesetzt ist“, entfaltete sich eine „bürgerliche Öffentlichkeit“, die auf eine

„komplizierte Konstellation gesellschaftlicher Voraussetzungen“ stieß, die „Herrschaft nun doch nicht überflüssig machte[n]“.22

Das führt zu einer zweiten Phase des politischen Funktionswandels der Öffentlichkeit, in der sich aus dem „Journalismus schriftstellernder Privatleute“ die „öffentlichen Dienstleistungen der Massenmedien“ bilden. Aus Privatding wird Institution. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich die Kleinbetriebe zu größeren Unternehmen, und die „Zeitungen wurden aus bloßen Nachrichtenpublikationsanstalten auch Träger und Leiter der Öffentlichen Meinung, Kamp f-mittel der Parteipolitik.“ Die Presse kultivierte sich zu einem einflußreichen Gestaltungsele-ment der „öffentlichen Meinung“. Dazu wurde zwischen die „Nachrichtensammlung und die Nachrichtenpublikation ein neues Glied“ eingeschoben: die Redaktion. Der Verleger wurde aus einem „Verkäufer“ von Nachrichten zu einem „Händler mit öffentlicher Meinung“, für

21 Vgl. ders.: 78ff

22 Vgl. ders.: 101

den der „erwerbswirtschaftliche Zweck“ seiner Unternehmung in den Vordergrund getreten ist. Das hatte zur Folge, daß durch den redaktionellen Teil ein Annoncenteil abgesetzt werden konnte, so daß seitdem im Zeitungswesen zwischen beiden Teilen eine Wechselwirkung be-steht. Dadurch wurde die Zeitung preiswerter und folglich stiegen auch Auflage und Absatz-zahl. Die „Werbung“ wird somit „zum Einfallstor privilegierter Privatinteressen in die Öf-fentlichkeit“.23

Es ist wichtig festzuhalten, daß die Medienorganisation auf einer Dichotomie zweier Le i-stungsorientierungen beruht. Einerseits auf einer „Qualitätsorientierung“ der kreativen Me-dienschaffenden, die sich auf deren Unikate bezieht, kurzfristig ausgerichtet ist und tendenzi-ell dem Muster der Kleinorganisation entspricht. Andererseits auf der „Marktorientierung“

der Unternehmer, die sich auf einen längerfristigen Planungshorizont und auf die Gesamtle i-stung des Mediums bezieht, und nach der das Medium eher als Großorganisation gesehen wird. Zwischen beiden Zielorientierungen bestehen oft Differenzen, da die hohen Qualitäts-standards der Medienmacher oft nicht den Erwartungen des Publikums und damit auch nicht des Medienunternehmers entsprechen.

2.1.2. Auswirkungen der Funktechnologien auf das Mediensystem und auf die