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Nicht erst im "Bedenkjahr" 1988 werden

gungsmechanismen in der öffentlichen Beschäfti-gung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit offenkundig.

Im besonderen waren die Naziverbrechen an Kranken und Behinderten im Dritten Reich nach 1945 für mindestens zwei Jahrzehnte ein Tabu-Thema und verfielen einer kollektiven Amnesie. Nicht in dem Sinne, daß die Menschen tatsächlich vergessen hät-ten, daß das NS-Regime unter der Fahne der "Eutha-nasie" einen Tötungsfeldzug gegen sogenanntes

"lebensunwertes" Leben führte; das wußten wirklich alle. Sondern es bestand ein völliges Desinteresse, sich damit öffentlich auseinanderzusetzen, das Ver-brechen als solches zu sehen, die Opfer als solche anzuerkennen und ihrer zu gedenken, Überlebende und die im Vorfeld der "Euthanasie" Zwangssterili-sierten zu entschädigen, durch wissenschaftliche Forschung die Fakten selbst sowie die sozialen und ideologischen Grundlagen der Massenvernichtung ans Licht zu bringen, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Es gab wenig Anklagen, wenig Verurteilun-gen; die meisten Verfahren verliefen im Sand oder endeten mit Freispruch.

Erst Wissenschafter der Nachkriegsgeneration begannen in den Sechzigerjahren, die ,,Vernichtung lebensunwerten Lebens" zum Forschungsgegen-stand zu machen, und v.a. seit den Siebzigerjahren erschien eine Fülle von Publikationen, die das Aus-maß dieser Verbrechen in seinen verschiedenen Di-mensionen wieder öffentlich machten. Die Fakten mußten z.T. gegen erhebliche institutionelle Wider-stände zusammengetragen werden, und selbst heu-te wird der Zugang zu bestimmheu-ten Archiven ver-wehrt.

Können die Tatsachen heute nicht mehr einfach beiseite geschoben werden, so können sie vielfach für neue Verdrängungsstrategien benutzt werden:

das Ausmaß der Nazi-Euthanasie ist so ungeheuer-lich, die dazugehörige Ideologie so abstrus, daß man sich davon heute leicht distanzieren kann; daß sie als das Werk einer radikalen Verbrecherbande oder gar als Ausfluß eines kranken Diktatorengehirns ver-harmlost werden kann und eine Wi·ederholung der Geschichte unmöglich erscheint. Das drohende Jonglieren mit Opferzahlen und das manchmal schaurig-faszinierte Beschreiben der Tötungsma-schinerie dient oft weniger der Aufklärung als dem Erschlagen des Denkens. Schließlich müssen vor sol-chem Hintergrund heute alltägliche skandalöse Zu-stände als harmlos verblassen, sei es die Aus- und

*Dieser Vortrag wurde auch beim Symposion "Der Einmarsch in die Psyche" der Salzburger WERKSTATT für Gesellschafts- und Psychoanalyse vom 27.- 28.5.88 gehalten. und erschien in dem vor kurzem erschienenen Sammelband "K. Fallend/B. Handl-bauer/W. Kienreich (Hrsg.): Der Einmarsch in die Psyche. Psy-choanalyse, Psychologie und Psychiatrie im Nationalsozialismus und die Folgen", Junius edition, Wien 1989

Absonderung der Behinderten, sei es das massen-hafte einsame Sterben der Alten in Krankenhäusern und Pflegeheimen oder anderes.

Wenn ich in meinem Referat die neuen propagan-distischen Vorstöße für aktive Sterbehilfe und für neue Sterilisierungsgesetze im Zusammenhang mit der Nazi-Euthanasie beleuchte, so keineswegs weil ich in dieser Propaganda ein Wiederholungszeichen des Faschismus wittere. Die Parallelen bestehen zum Diskurs, der dem Töten vorausging. Die Nationalso-zialisten begannen ihren Vernichtungsfeldzug gegen Kranke, Behinderte und Asoziale auf dem Boden eines weitgehend herrschenden Bewußtseins, daß deren Leben minderwertig bzw. nicht lebenswert sei.

Auch die Gärtner der modernen Sterbehilfe beak-kern einen durchaus fruchtbaren Boden, sowohl was das Alltagsbewußtsein betrifft, als auch reale soziale Verhältnisse, und es bedarf keiner Wiederauflage des alten Faschismus, daß daraus neue Gefahren für das Leben und die Integrität von Teilen der Gesell-schaft erwachsen.

Von der Eugenik zur "Euthanasie"

Die wirtschaftlichen, sozialen und wissenschaftli-chen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts haben im wesentlichen alle modernen Formen der Besonde-rung und AussondeBesonde-rung von Behinderten hervorge-bracht und die schwächsten Teile der Gesellschaft im öffentlichen Bewußtsein mit grundlegenden Ma-keln belegt. Die Medizin postulierte eine scharfe Trennlinie zwischen gesund=normal=vollwertig und krank=anormal=minderwertig, wobei der Vererbung bei der Verbreitung von Krankheiten ein besonders hoher Stellenwert beigemessen wurde. Damit konn-ten auch Menschen, die nach herkömmlichen Krite-rien nicht krank waren, eben Schwachsinnige, psy-chisch oder sozial Auffällige, als krankhaft definiert und zusammen mit anderen als "Anormale" zum Ob-jekt ideologischer und praktischer Zugriffe werden.

Rassenbiologismus, Sozialdarwinismus und die Ende des Jahrhunderts allgegenwärtigen Degenera-tions- und Entartungshysterien beförderten die Ver-breitung einer neuen "Wissenschaft", der Eugenik, später Rassenhygiene genannt. Ihre Vertreter woll-ten eigentlich "positive Zuchtwahl" betreiben, ver-legten sich aber schnell auf Überlegungen, wie die

"negative Erbmasse" aus dem als biologischer Orga-nismus gedachten "Volkskörper" zu eliminieren sei.

Die "Anormalen" wurden nicht nur als passiv minder-wertige Wesen betrachtet, die der Gesellschaft öko-nomische Ressourcen entziehen, sondern als An-steckungsgefahr: biologisch durch zahlreichen wie-derum minderwertigen Nachwuchs, sozial als Quelle für Kriminalität, Promiskuität und Alkoholismus. Ehe-verbot und Asylierung waren zunächst die Hauptfor-derungen der Eugeniker.

Um die Jahrhundertwende wurde eine andere De-batte populär, die Sterbehilfe für Todkranke, die über das Mitleidsmotiv salonfähig gemacht wurde. Sie fand insbesonders bei liberalen und fortschrittlich gesinnten Menschen Anklang, eingefordert unter

dem Banner des Selbstbestimmungsrechts des Indi-viduums gegen die finsteren klerikalen Kräfte.

Die Katastrophe des 1. Weltkrieges und die wirt-schaftliche Not der Nachkriegsjahre beförderten eine weitere Radikalisierung des Denkens und der geforderten Maßnahmen gegen "Anormale", sodaß in Publikationen offen die ,,Vernichtung lebensunwer-ten Lebens" gefordert werden konnte, ohne daß dies Entrüstung ausgelöst hätte. Zu sehr waren die grund-legenden biologistischen Ansichten von der Minder-wertigkeit und Gefährlichkeit der "Anormalen" im herrschenden Bewußtsein verankert. Ein Denken, das vor keiner politischen oder gesellschaftlichen Gruppe halt machte, auch nicht vor der Sozialdemo-kratie und der Kirche. Freilich wollten die Sozialde-mokraten in erster Linie durch Erziehung und Ände-rung der sozialen Verhältnisse VerbesseÄnde-rungen erzie-len, und die Kirchen traten gegen die radikale Forde-rung nach "Euthanasie" auf. Aber um sie abzuweh-ren, stimmten sie schließlich jener nach Zwangssteri-lisation zu.

Die ersten Zwangssterilisationsgesetze wurden in den USA, Kanada, Dänemark und der Schweiz einge-führt; womit auch der Hinweis gegeben ist, daß die genannten Ideologien und Forderungen inklusive der

"Euthanasie" in allen modernen Staaten existierten.

Ihrer konsequenten Verwirklichung standen jedoch im wesentlichen die Schranken der bürgerlichen De-mokratie im Wege.

Mit diesen Schranken räumte der nationalsoziali-stische Staat gründlich auf; zunächst auf Gesetzes-ebene mit dem 1933 beschlossenen "Gesetz über die Verhütung erbkranken Nachwuchses", das die Zwangssterilisierung beinhaltete; dann durch den Aufbau eines Apparates, der auch für ihre Durchfüh-rung sorgte. Über 300.000 Menschen wurden im Drit-ten Reich sterilisiert, hauptsächlich Frauen, fast aus-schließlich zwangsweise. Für dieses Gesetz bekam die NS-Regierung aus vielen Ländern Lob und Aner-kennung!

Der Schritt zur "Euthanasie" war ein logischer und, was die Konsensbereitschaft der Wissenschaft und der öffentlichen Meinung betrifft, noch nicht einmal eine prinzipielle Grenzüberschreitung. Allerdings wußte auch das NS-Regime, daß der Boden für das große Morden noch nicht bereitet war, und daß man konkrete Menschen dazu bringen mußte, diese Mor-de auszuführen. Die Vorbereitungen zur "Euthana-sie" dauerten daher bis 1938/39 und sollten bis zum geplanten Kriegsbeginn abgeschlossen sein. Im all-gemeinen Krieg gegen den "äußeren" und "inneren"

Feind sollten die moralischen Schranken gegen das Töten der Schwachen überwunden sein.

Die konzeptionellen und administrativen Vorberei-tungen zur "Lösung der Euthanasiefrage" wurden nicht von Extremisten oder infamen Mördern getrof-fen; der "Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" wurde von Professoren repräsentiert, die ohne Zweifel einen streng wissenschaftlichen An-spruch vertraten und im Sinne medizinisch-wissen-schaftlichen Fortschritts eine immer aktivere

Thera-pie gegenüber den Schwerkranken mit der Vernich-tung aller definitiv Unheilbaren verbinden wollten.

Bekanntlich wurden die Massenmorde an Kranken und Behinderten auch nach NS-Recht nie legalisiert und wurde die erste Welle- bekannt geworden unter der Tarnbezeichnung T4 - nach zwei Jahren abge-brochen. Dies hat zu der wohl falschen Ansicht geführt, daß die prinzipiellen Vorbehalte gegen die

"Euthanasie" in maßgeblichen Teilen der Gesell-schaft doch zu groß waren. Neue Forschungen bele-gen, daß im August 1939 bereits der Entwurf eines Euthanasiegesetzes vorlag, der folgerichtig die Grenze von der Selbst- zur Fremdbestimmung, vom Vorwand zum eigentlichen Ziel überschritt:

"§ 1. Wer an einer unheilbaren, sich oder andere stark belästigenden oder sicher zum Tode führen-den Krankheit leidet, kann auf sein ausdrückliches Verlangen mit Genehmigung eines besonders er-mächtigten Arztes Sterbehilfe durch einen Arzt erlangen.

§ 2. Das Leben eines Menschen, welcher infolge unheilbarer Geisteskrankheit dauernder Verwahrung bedarf, und der im Leben nicht zu bestehen vermag, kann durch ärztliche Maßnahmen unmerklich schmerzlos für ihn vorzeitig beendet werden."

Gegen so ein Gesetz hätte es keinen wesentli-chen Widerstand gegeben. Auf so einer Grundlage hätte die "Euthanasie" zu einem normalen, bürokra-tisch abgewickelten, nazi-rechtstaatlichen Vorgang werden können. Gerade deshalb wurde aber schließ-lich auf den gesetzschließ-lichen Weg verzichtet. Es hätte zu lange gedauert; der Plan der "Ausmerze" wäre zum Jahrhundertwerk geworden. Der große Schlag konn-te nur neben der offiziellen Gesetzlichkeit geführt werden, bei Vermeidung jeden Aufsehens.

Wegen der Grenzenlosigkeit des Zugriffes und wegen der Brutalität beim Abtransport der Kranken aus den Anstalten gab es dann allerdings doch einige Beunruhigung in Teilen der Bevölkerung und fallweise Widerstand.

Das Regime antwortete u.a. mit einem ideologi-schen Vorstoß, der die Aufmerksamkeit von der Mas-senvernichtung wieder auf die individuelle und Mit-leidsebene lenken sollte. Die Rede ist von dem Film

"Ich klage an", der 1941 in die Kinos kam und von über 18 Millionen Menschen gesehen wurde. Ein beein-druckend geschickt aufgebautes Machwerk, dessen Verführung auf der Ebene des Gefühls und der Identi-fikationen man sich selbst beim heutigen Betrachten nur über den Kopf entziehen kann.

Kurz der Inhalt: Eine glückliche, lebenslustige, hübsche Frau erkrankt plötzlich an Multipler Sklero-se. Ihr Mann, natürlich Arzt, beginnt einen verzweifel-ten Wettlauf mit dem Tod und forscht nach einem Heilmittel. Als er scheitert, fleht ihn seine Frau um ein tödliches Gift an; nicht nur, um ihr ein qualvolles Sterben zu ersparen, sondern v.a. damit er in der Erinnerung an sie noch das Bild eines Menschen und nicht einer wimmernden Kreatur bewahren kann. in großer Liebe gibt er ihr das Gift, was zum Bruch mit seinem besten Freund, ebenfalls Arzt, führt, der die-se Handlung aus ethischen Gründen strikt ablehnt.

Der Mann wird des Mordes angeklagt, weil er nicht beweisen kann, auf Verlangen gehandelt zu haben und der Freund, der es bezeugen könnte, sich einer Aussage entzieht. Die Wende tritt ein, als dieser Freund, der einige Zeit zuvor ein an Hirnhautentzün-dung erkranktes Kind gerettet hat, dieses nunmehr schwer behinderte Kind in einer Anstalt sieht und sei-ner bisherigen Meinung abschwört. Er erscheint vor Gericht, bezeugt, daß sein Freund aus Mitleid und auf Verlangen gehandelt hat, und nun kann der Spieß umgedreht werden: Aus dem Angeklagten wird ein Ankläger, der die unmenschlichen Gesetze angreift, die dem Arzt verbieten, seine menschliche Pflicht zu tun. Durch seine Liebe und seine Heldentat gibt er den Anstoß zu einer Änderung der Gesetzeslage.

Der Film sollte die allgemeine Akzeptanz für die

"Euthanasie" befördern, zielte aber auch konkret auf die Täter, um sie funktionsfähig zu halten.

Hacketal, Atrott und die DGHS

Ich habe den Inhalt dieses Nazi-Films skizziert, weil sich seine Denkfiguren zum Teil bis in Details in jenen Inszenierungen wiederfinden, welche die bun-desdeutschen Sterbehilfepropagandisten Julius Hacketal und Hans Henning Atrott im Verein mit der Presse von "Zeit" bis "Bild" ans Publikum bringen.

Sie fahren voll auf der Mitleidsschiene und präsen-tieren individuelle Schicksale von Menschen, denen Schmerz und Leid das Leben so unerträglich machen, daß sie nur noch sterben wollen. Wenn sie die seelenlose Apparatemedizin, die die Todkranken angeblich hindert, einen menschenwürdigen natürli-chen Tod zu sterben, als Hauptobjekt ihrer Kritik angreifen und das Selbstbestimmungsrecht des Indi-viduums als wichtigste Legitimation für aktive Lebensverkürzung anführen, so wissen sie sich mit dem Denken und Fühlen eines großen Teils der Be-völkerung einig.

in Wirklichkeit ist die DGHS (Deutsche Gesell-schaft für humanes Sterben) ein Dienstleistungsun-ternehmen mit politischen Zielen. Hacketal und Atrott (früher vereint,. heute zerstritten, was ihrer Werbewirksamkeit durchaus nützt) streben zusam-men mit weniger prominenten Ärzten und Juristen eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe an. Dafür wurde eine lukrative Organisation aufgebaut. Der Bedarf ist definiert: Menschen in verzweifelter Lage äußern den Wunsch nach Lebensverkürzung. Die DGHS hat eine Antwort parat: sogenannte ehren-amtliche Helfer besorgen Zyankali, was in der BRD als "Beihilfe zum Selbstmord" nicht eindeutiger Strafbestand ist. Weil das große Geschäft jedoch vorwiegend über Mitglieder gemacht werden kann (über 10.000), werden als Hauptartikel sogenannte Patiententestamente verkauft, in denen man vor-sorglich lebensverlängernde medizinische Maßnah-men verwehren kann, falls man dazu später aufgrund des Krankheitszustandes nicht mehr bewußt in der Lage ist.

Es ist bemerkenswert, daß in Österreich bisher keine vergleichbare Propaganda zu beobachten ist,

obwohl hier bestimmt ein gleich "guter" Boden dafür vorhanden wäre, wie die Reaktionen auf einen Hak-ketai-Auftritt 1984 im Club 2 zeigten. Ein Grund mag in einer anderen Gesetzeslage bestehen. Da in Österreich auch die Beihilfe zu Selbstmord strafbar ist, lassen sich hier keine vergleichbaren Inszenie-rungen durchführen.

ln Diskussionen stieß ich meist auf spontane Zu-stimmung für Hacketal und Co. und auf die Frage, ob es nicht ein übertriebenes den-Teufel-an-die-Wand-Malen sei, aus dem individuellen Recht, von einem unerträglichen Leiden befreit zu werden, eine Gefahr für andere abzuleiten.

Ich halte die Argumente der DGHS für durchwegs unhaltbar, ihre Propaganda und Praxis bereits heute für gefährlich, erst recht, wenn ihr auf breiter Bewußt-seins- und auf Gesetzesebene Erfolg beschieden ist.

Denn parallel zur Sterbehilfedebatte - bisher noch unabhängig von ihr -finden jeden Tag die Debatten um die Kostenexplosion der medizinischen Versor-gung und die Möglichkeiten ihrer Eindämmung statt, wird die Verschiebung der Bevölkerungspyramide zugunsten der Alten beschworen und die Finanzier-barkeit der Pensionen in Frage gestellt; werden Rechnungen aufgestellt, daß 90% der medizinischen Kosten im Leben eines Individuums in den letzten Jahren anfallen und - bisher noch vereinzelt -Kosten-Nutzen-Rechnungen, bis zu welcher Grenze teure Medikamente und der Einsatz teurer Geräte eigentlich noch lohnen. Haben die Hacketals Erfolg, ist einer Verschränkung dieser Diskurse ein weites Feld geöffnet.

Wenn die DGHS Einzelschicksale von Intensivpa-tienten ausschlachtet, geht sie mit ihrer Kritik an der sogenannten Apparatemedizin an den wirklichen Problemen vorbei. Denn das massenhaft einsame Sterben, das die Menschen verzweifeln und einen

"Erlösungstod" herbeisehnen läßt, findet nicht auf den Intensivstationen, sondern in den Pflegeabtei-lungen statt. Es ist in erster Linie ein soziales und kein medizinisches Problem, Sterbehilfe

a

Ia Hacke-tal eine Scheinlösung.

Andere Organisationen sowie auch zunehmend ärztliches und Pflegepersonal, versuchen in mühe-vollem Engagement diese Einsamkeit zu durchbre-chen und den Sterbenden tatsächlich beizustehen, sowie die vorhandenen Strukturen aufzubrechen. Sie wissen auch zu berichten, daß der Wunsch nach der Todesspritze fast immer ein Hilferuf nach besserer Pflege und Zuwendung ist. Die Sterbehilfepropagan-disten definieren ihn als Willensäußerung eines selbstbestimmten Individuums, die zu respektieren sei. Damit lassen sie die Menschen im entscheiden-den Moment, entscheiden-den fast alle Sterbenentscheiden-den erleben, im Stich: im Moment der Hoffnungslosigkeit und der Angst.

Dennoch haben die Verfechter der aktiven Sterbe-hilfe gerade mit dem Pochen auf dem Selbstbestim-mungsrecht Erfolg. Wer von uns würde dieses Prinzip nicht für sich in Anspruch nehmen, und wer hat bei ganz normalen Arztbesuchen und Krankenhausauf-enthalten noch nicht erlebt, daß es verletzt wird?

Daran wird berechnend angeknüpft sowie an unsere Angst vor Tod, Schmerz, Behinderung. Die Idee vom

"selbstbestimmten Todeszeitpunkt" reduziert diese Angst und suggeriert über die Machbarkeit auch die Beherrschbarkeit des Todes. So verschieden sind diese Abwehrmechanismen vom Machbarkeitswahn jener Medizin, die von der DGHS kritisiert wird, nicht.

Die Propaganda der Sterbehelfer zielt auf ein Kippen des ärztlichen Selbstverständnisses. ln polemischer Weise fordert Hacketal nicht nur die Straffreiheit von aktiver Sterbehilfe, sondern die Bestrafung jener Ärzte, die sie verweigern. Hier geht es um Grenzüber-schreitungen; welcher Patient wüßte noch, an wel-che Art Arzt er gerät?

Hacketal und Co. führen bei ihren Medienauftrit-ten Menschen vor, die ihr Leben als nicht mehr lebenswert empfinden; und das Publikum nickt ver-ständnisvoll. Ganz nebenbei kann auf diese Weise wieder öffentlich darüber nachgedacht werden, ab welcher Grenze denn ein Leben "lebensunwert" sei.

Aus dem postulierten Recht auf Lebensverkürzung wird dann rasch eine Erwartungshaltung an die Tod-kranken. ln der Tat ist auch heute der Wunsch von Patienten nach dem "Erlösungstod" vielfach eine Umkehrung von Wünschen der Umgebung, die die Kranken bewußt oder unbewußt spüren. Aus dem Leid der Kranken wird ein Leid der Angehörigen, ein Leid des Pflegepersonals, ein Leid der Gesell-schaft. Die Selbstbestimmung erweist sich als faden-scheinig.

Besonders kraß trat diese Verinnerlichung von äußeren Maßstäben bei jener gesichtskrebskranken Patientin Hacketals zutage, die noch vor den Schmerzen ihre Entstellung als unerträglich und Grund für ihren Todeswunsch anführte. Hacketal, statt etwa öffentlich im Park mit ihr spazieren zu ge-hen, sich damit zu ihr zu bekennen und ihr zu helfen, ihre Scham zu überwinden und sich vom ästheti-schen Urteil der Umgebung zu befreien, er holte sie vor die Fernsehkamera und ließ sich von einem Mil-lionenpublikum bestätigen, daß so ein Gesicht ja wirklich schauderhaft sei. Später brachte er ihr Zyankali.

"Der Flammentod", Gerhard Hoffmann

ln den Schriften der DGHS finden sich als Argu-mente für Sterbehilfe viele Beispiele von ästheti-schen Normalabweichungen sowie von Pflegeabhän-gigkeit Damit werden im Grunde Aspekte vom nor-malen Dasein vieler Behinderter beschrieben. Kon-krete Behinderte kommen vorerst nur vereinzelt vor, als Unfallgeschädigte und als schwerbehinderte Kleinkinder.

Daß Behinderte überhaupt zum Objekt der Ster-behilfedebatte gemacht werden, liegt m.E. weniger daran, daß man ihnen heute schon ans Leben will, sondern an dem schamlosen Kalkül, daß in weiten Kreisen der Bevölkerung und der Gesellschaft eine grundlegende ungebrochene Behindertenfeindlich-keit besteht. Direkt in ihrer Integrität bedroht sind Behinderte, v.a. Frauen, von einem neuen Sterilisa-tionsgesetz, daß die Unfruchtbarmachung "im wohl-verstandenen Interesse" der Betroffenen auch ohne deren Zustimmung legalisieren soll. Auf die Haltlo-sigkeit der Argumente dieser Debatte kann hier im einzelnen nicht mehr eingegangen werden. Jeden-falls hat dieser Vorstoß wenig mit der vorgeblichen Erleichterung sexueller Beziehungen Behinderter zu

tun.

Vielmehr werden hier erneut Grenzen überschrit-ten: ist in der Sterbehilfedebatte die Fremdbestim-mung noch verdeckt, mehr als logische Konsequenz denn als offene Forderung sichtbar, so geht es bei der Sterilisierung Behinderter von vornherein um Fremdbestimmung. Die Bedrohlichkeit dieser Ent-wicklung wird deutlicher, wenn man bedenkt, wie abgetrennt von der Weit der sogenannten Nichtbe-hinderten die meisten BeNichtbe-hinderten nach wie vor oder sogar zunehmend leben, trotzallen beschönigenden

Vielmehr werden hier erneut Grenzen überschrit-ten: ist in der Sterbehilfedebatte die Fremdbestim-mung noch verdeckt, mehr als logische Konsequenz denn als offene Forderung sichtbar, so geht es bei der Sterilisierung Behinderter von vornherein um Fremdbestimmung. Die Bedrohlichkeit dieser Ent-wicklung wird deutlicher, wenn man bedenkt, wie abgetrennt von der Weit der sogenannten Nichtbe-hinderten die meisten BeNichtbe-hinderten nach wie vor oder sogar zunehmend leben, trotzallen beschönigenden