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Ein Impuls aus der kunstpädagogischen Praxis und Forschung

4. Perspektiven für den Musikunterricht

4.2 Ausblick

In Kapitel  4.1 wurde aufgezeigt, dass Aufzeichnungspraktiken aus dem Bereich der künstlerischen Portfolioarbeit in musikalische Kompositionsprozesse einfl ießen können bzw. bereits einfl ießen. Damit die Implementierung von Portfolioarbeit in den Musikunterricht sowohl für Lernende als auch für Lehrende gewinnbringend ist, gilt es, im Vorfeld einige unterrichtspraktische Parameter zu hinterfragen:

Der Faktor Zeit: Generell erfordert das sorgfältige Führen eines Portfolios Zeit-ressourcen, die von der Gesamtunterrichtszeit abgezweigt werden müssen. Petra Kathke mahnt, dass „[…] das Führen eines Werkstattbuchs […] die gestalterische Arbeit nicht einschränken oder gar ersetzen“ sollte (Kathke, 2016, S.  162). Eine re-gelmäßige Refl exion über die aktuelle Funktion des Portfolios im Kompositionspro-zess unterstützt, dass Portfolioarbeit nicht zum Selbstzweck wird.

Der Portfolioarbeit immanent ist der Aspekt der Partizipation: „Ein Verständ-nis über die Bedeutung und den Sinn des eigenen Handelns stellt sich im Lernpro-zess erst ein, wenn Schüler*innen nicht nur über die Art und Weise der Durchfüh-rung, sondern auch in weiten Teilen über die Inhalte und Ziele (selbst-)bestimmen

Gestalterische Begleitung von Kompositionsprozessen mittels Portfolioarbeit 165

dürfen“ (Peters 2017, S. 44). Maria Peters hebt den Stellenwert von Partizipation im Rahmen von Portfolioarbeit hervor, zu der beispielsweise Autonomie, Selbstbestim-mung und Eigenverantwortung zu zählen sind. Indem Schüler*innen erheblich in die Planung und Gestaltung sowohl der Kompositionsprozesse als auch der Port-folioarbeit einbezogen werden, können sie sich mit dem eigenen Handeln stärker identifi zieren.

Somit bieten Portfolios Interaktions- und Kommunikationsanlässe sowohl zwi-schen Lernenden untereinander als auch zwizwi-schen Lernenden und Lehrenden. In Portfolios werden individuelle Sichtweisen abgebildet, die sich mit der eigenen Po-sition vergleichen lassen. Lernende und Lehrende können unter Bezugnahme auf konkretes Material Nachfragen stellen, Beobachtungen verbalisieren und Anregun-gen geben. Durch die Diskussion von Arbeitsschritten und Zwischenergebnissen werden Lernende zu Perspektivwechseln angeregt und bekommen Impulse für die Weiterarbeit. Lehrende können am Portfolio individuelle Qualitäten und Potenziale ablesen und den Lernenden motivationsfördernde Rückmeldung zu ihrer Leistung geben, aber auch Entwicklungspotenzial aufzeigen.

Was den Umgang mit und den Stellenwert von Portfolios im Unterricht angeht, verlangt der Einsatz des Mediums von Beginn an Transparenz in Bezug auf die Er-wartungen an die Schüler*innen als auch in Hinblick auf die Beurteilungskriterien.

In Hinblick auf Partizipation der Lernenden besteht die Möglichkeit, die Beurtei-lungskriterien im gemeinsamen Unterrichtsgespräch mit den Lernenden zu entwi-ckeln und diskutieren. Beispielsweise kann festgelegt werden, welche Teile des Port-folios am Ende des Prozesses fakultativ oder verpfl ichtend zur Präsentation und Bewertung herangezogen werden.

Diese genannten Parameter sind nicht spezifi sch für Kompositionsprozesse oder für künstlerische Portfolios, von deren Konzeption und Übertragbarkeit auf Prozes-se musikalischer Praxis ausgegangen wurde.

Die nicht nur sprachliche, sondern auch stark über Bilder erfolgende Grafi e in künstlerischen Portfolios entspricht einer Nutzung der im Fach Kunst impliziten Medien und schult damit fachliche Kompetenzen nicht nur im praktischen Tun, sondern auch in der Aufzeichnungs- und Refl exionspraxis. Das Skizzieren, doku-mentarische Fotografi eren und gestalterisch produktive Überarbeiten und Verknüp-fen von Schrift und Bild im künstlerischen Portfolio, das Denken in Bildern, lässt sich jedoch mit wenigen Einschränkungen auch in Kompositionsprozessen gewinn-bringend einsetzen, wie in Kapitel 4.1 dargelegt wurde. Entscheidend ist die Mög-lichkeit, anhand der dokumentierenden und refl ektierenden Portfoliopraxis die äs-thetischen Erfahrungen der Lernenden im Sinne von Waldenfels für sie selbst und für andere sichtbar und nachvollziehbar zu machen. So macht Sabisch vier Funk-tionen der Aufzeichnungspraxis im (künstlerischen) Portfolio aus, die für Kompo-sitionsprozesse ebenso bedeutend sein dürft en wie für künstlerische Prozesse: Ers-tens dient die Grafi e der Motivation und dem Generieren von Erfahrungen, indem Such- und Forschungsprozesse initiiert werden und ein sich fortsetzendes Wechsel-spiel von Fragen, Erfahrungen und Antworten in Gang gesetzt wird (Sabisch, 2017,

Carolin Ehring & Heike Thienenkamp 166

S. 60). Zweitens ist sie ein Instrument der „Steuerung, der Organisation und Ori-entierung im Erfahrungsprozess“ (ebd.). Erst mit der dritten Funktion werden die Erfahrungsprozesse mittels der Grafi en laut Sabisch tatsächlich nachvollziehbar. Sie beinhaltet das dokumentierende Aufzeichnen und Speichern von Erfahrungsprozes-sen (ebd.). Die vierte Funktion beschreibt den interpretierenden Aspekt der Auf-zeichnungen (ebd.). Er ist sowohl in der Rolle der Aufzeichnenden während des Aufzeichnungsprozesses enthalten als auch in dem nachgeschalteten, interpretieren-den Blick der Betrachteninterpretieren-den, wie er beispielhaft an der Rekonstruktion des Vorge-hens der Studentin Mona nachvollzogen werden kann.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass künstlerische Portfolios, angepasst an Charakteristika des Musik-Erfi ndens (also idealerweise erweitert um digitale Schnittstellen, um die auditive Aufzeichnungspraxis ebenso zu ermöglichen wie die visuelle und schrift liche), anregende Aspekte zur Initiierung, Archivierung, Beglei-tung und Refl exion von Kompositionsprozessen liefern können.

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