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Aufenthaltserlaubnis statt Ausbildungsduldung – Lernen aus den Hürden der Praxis

Die unterzeichnenden vierzehn Landesflüchtlingsräte und Pro Asyl setzen sich für eine effektive Arbeitsmarktintegration von nach Deutschland geflohenen Menschen ein, und setzen dies in verschiedener Weise um.

Ziel ist es, Menschen mit Aufenthaltsgestattung, Duldung oder Aufenthaltserlaubnis mit Zugang zum Arbeitsmarkt, aber unabhängig von ihrem Herkunftsland bei der Integration in Arbeit, Ausbildung oder bei der Erlangung eines Schulabschlusses zu unterstützen. Die Identifizierung von strukturellen Problemen und Maßnahmen zur Strukturverbesserung gehören zu unserem Aufgabenprofil, um die Arbeitsmarktintegration der Zielgruppe zu erreichen und Ausbildungs- bzw.

Beschäftigungsverhältnisse zu stabilisieren.

Die „so genannte“ Ausbildungsduldung

Am 6. August 2016 wurde die sogenannte Ausbildungsduldung – auch Anspruchsduldung oder 3+2-Regelung genannt - eingeführt (mit in Kraft treten der gesetzlichen 3+2-Regelung des Aufenthaltsgesetzes

§ 60 a Abs. 2 Satz 4ff). Diese Ausbildungsduldung sollte abgelehnten Asylsuchenden und geduldeten Ausländer*innen, welche bereits in Ausbildung sind oder eine solche konkret anstreben, eine Bleibeperspektive in Deutschland eröffnen. Eine Intention, die insbesondere aus humanitären Gründen begrüßenswert ist. Eine Forderung der Unternehmen sollte hier erfüllt werden: mehr Planungs- und Rechtssicherheit bei der Ausbildung von Geflüchteten zu gewährleisten.

Probleme in der Umsetzung

Leider wird die angestrebte Zielsetzung durch die derzeitige Form und Umsetzung der

Ausbildungsduldung nicht flächendeckend erreicht. Die Innenministerien der Bundesländer kommen zu teils sehr unterschiedlichen rechtlichen Interpretationen und daraus abgeleiteten

Umsetzungsanweisungen an die Behörden. Eine restriktive Auslegung der Regelung durch

Ländererlasse, aber auch deutlich selektive Zulassungskriterien durch Ausländerbehörden lassen die Regelung oftmals ins Leere laufen und widersprechen deren politischer Intention (wie etwa in Bayern).

Darüber hinaus werden bei der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis, die der Erteilung der Ausbildungsduldung vorausgeht, zunehmend Versagungsgründe wie aufenthaltsbeendende Maßnahmen (AufenthG § 60a Abs. 2 Satz 4) oder ein Arbeitsverbot (AufenthG § 60a Abs.6) als primäre Entscheidungskriterien genutzt, um damit den Zugang zur Ausbildungsduldung zu

verhindern. Im Gesetz ist zwar ein Ermessen hinsichtlich der Erteilung der Beschäftigungserlaubnis seitens der Ausländerbehörde vorgesehen (§ 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG), der Gesetzgeber intendierte mit der Ausbildungsduldung aber das Schaffen von Planungs- und Rechtssicherheit. Wenn das Ermessen „beliebig“ ausgeübt wird, wird diese Intention unterlaufen.

Manche Bundesländer hingegen machen bei der Frage, wann aufenthaltsbeende Maßnahmen konkret bevorstehen, weniger restriktive Vorgaben. Und auch der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages stellt fest, dass im Sinne der Regelung mit einer

„... Vorbereitungsmaßnahme (für eine Abschiebung) die tatsächliche Aufenthaltsbeendigung nicht nur eingeleitet, sondern auch absehbar wird.“

Gemeint ist, dass es eindeutiger Vorbereitungshandlungen im Hinblick auf eine Abschiebung bedarf, damit eine Aufenthaltsbeendigung als „absehbar“ gilt und ein Ablehnungsbescheid nicht als

abschiebevorbereitende Maßnahme zu interpretieren ist.

Rechtlich unklar ist zudem, ab welchem Zeitpunkt im Kontext der Regelung eine Ausbildung beginnen kann bzw. muss. Für die Wartezeit, die sich aus dem unterschiedlichen Beginn von Ausbildungen ergeben, gibt es die Möglichkeit, eine so genannte „Ermessensduldung“ zu erteilen. Auch hier ist die Regelungspraxis quasi von Bundesland zu Bundesland und auch noch von Ausländerbehörde zu Ausländerbehörde unterschiedlich. Einige Bundesländer wie Niedersachsen oder Thüringen passen ihre Regelungen an die Rahmenbedingungen der Ausbildungsgänge an und verpflichten auch bei einer längeren Wartezeit die Erteilung einer Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG.

Andere Bundesländer legen hingegen Maßstäbe an, die den Strukturen des Ausbildungsmarktes nicht entsprechen und schließen damit viele eigentlich Begünstigte von dieser Bleiberechtsregelung aus.

Grotesk wirkt es schließlich, dass die Bundesagentur für Arbeit mit einem internen Hinweis an die Regionaldirektionen bereits in Ausbildung befindlichen Asylsuchenden einen unverzüglichen Zugang zur Ausbildungsförderung, insbesondere zur Berufsausbildungsbeihilfe, versagt, sofern die Personen nicht aus den „Top 6“ Herkunftsländern (Eritrea, Irak, Iran, Somalia, Syrien und Jemen) kommen. Hier wird tatsächlich unterstellt, dass bei diesen Auszubildenden kein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten sei. Damit wird der Regelung des § 60 a Abs. 2 Satz 4ff zur Anspruchsduldung fulminant widersprochen.

Insgesamt erleben wir eine Verwaltungspraxis, die – zum Teil in rechtswidriger Weise – die Abschiebediktion deutlich höher bewertet, als das Bemühen um Integration. So werden

Asylsuchende, die bereits während des Asylverfahrens in einer Ausbildung waren, nach negativem Abschluss ihres Asylgesuches trotz der genannten Regelung aus der Ausbildung herausgerissen und – wenn dann möglich – abgeschoben. Solches Vorgehen stellt nicht nur einen inhumanen Akt dar, sondern zeigt, dass trotz gegenteiliger Interessensbekundung die 3+2-Regelung im

Bundesintegrationsgesetz die damit versprochene Sicherheit für Betroffene und deren Ausbildungsbetriebe nicht gewährleistet.

Es zeigt sich, dass die Konstruktion einer Ausbildungsduldung in der Praxis vielen Interpretations-möglichkeiten Raum gibt und der Wille des Gesetzgebers, nämlich mehr Planungs- und

Rechtssicherheit für die Auszubildenden und ihre Ausbildungsbetriebe bezüglich des Status ihres Auszubildenden zu schaffen, nicht erreicht wird. Vielmehr werden auch hier entgegenwirkend

Ermessensspielräume eröffnet, um jeweilige Positionen durchzusetzen. Das geht diametral am Willen des Gesetzgebers vorbei. Die Verwaltungspraxis kommt einem Ermessensmissbrauch gleich, womit Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber normierten Anspruchsduldung ignoriert werden.

Lösungsvorschlag

Eine Lösung dieser Problemstellungen wird es nicht geben, solange die Ausbildung selbst unter dem ordnungsrechtlichen Edikt einer „Aussetzung der Abschiebung“ (= Duldung) steht. Ein politisch

offenbar mehrheitsfähiger Wunsch, Menschen in Ausbildung eine Bleibeperspektive in Deutschland zu ermöglichen, kann nur dann umgesetzt werden, wenn diesen Menschen bereits in der Ausbildung auch tatsächlich ein Aufenthaltsrecht eingeräumt wird. Das kann beispielsweise durch die Einführung einer den §§ 25 a und b AufenthG nachgebildeten Aufenthaltserlaubnis geschehen.

Appell

In diesem Sinne appellieren die unterzeichnenden Flüchtlingsräte an Sie, sich für ein Aufenthaltsrecht zur Ausbildung einzusetzen. Damit würde rechtlich wie administrativ den betroffenen Menschen eine echte und vertrauenswürdige Grundlage für ihr weiteres Leben angeboten. Gleichzeitig würde den Betrieben bei der Ausbildung von Schutzsuchenden ein Großteil der Auseinandersetzungen mit Behörden erspart bleiben und ihnen echte Planungssicherheit geboten.

Diese Position unterstützen der Sächsische Flüchtlingsrat e.V., der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V., der Hessische Flüchtlingsrat e.V., der Flüchtlingsrat Brandenburg e.V., der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V., der Flüchtlingsrat Berlin e.V., der Flüchtlingsrat Thüringen e.V., Bayerischer Flüchtlingsrat e.V., Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen e.V., Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V., der Flüchtlingsrat Bremen e.V., der Flüchtlingsrat Hamburg e.V., der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e.V und Pro Asyl e.V..

Gemeinsamer Appell von 19 Verbänden und Organisationen aus Jugend- und Flüchtlingshilfe

Frohes neues… Nichts: Perspektiven für junge Flüchtlinge schaffen statt gefährden - Jetzt verantwortlich handeln!

Die Unterzeichnenden, darunter die Jugendinitiativen Careleaver e.V. und Jugendliche ohne Grenzen (JoG), appellieren an Politik und Verwaltung, unbegleitete Minderjährige auf dem Weg in die Volljährigkeit nicht alleine zu lassen. Systembedingt werden zum Jahreswechsel jugendliche Geflüchtete regelmäßig volljährig (gemacht). Werden sie dann sich selbst überlassen, drohen Destabilisierung, Schul- und Ausbildungsabbrüche und im schlimmsten Fall die Obdachlosigkeit. Die Weichen für gute Übergänge und funktionierende Anschlussversorgung müssen daher jetzt von Politik und den zuständigen Trägern gestellt werden.

Während junge Flüchtlinge als „jugendlich, männlich, Ausländer“ medial insbesondere im Kontext von Kriminalität thematisiert werden, ist wenig bekannt über die zahlreichen Hürden, mit denen junge Geflüchtete tagtäglich zu kämpfen haben. Unbegleitete Minderjährige gehören zu den besonders Schutzbedürftigen unter den Geflüchteten.

Trotzdem werden ihnen, insbesondere seit dem Jahr des großen Flüchtlingszugangs 2015/2016, fundamentale Rechte vorenthalten: So wurde ihr Recht auf Elternnachzug massiv eingeschränkt und ihre Unterbringung und Versorgung in vielen Kommunen unterhalb geltender Standards der Jugendhilfe vielfach hingenommen.

Viele der damals als Jugendliche im Alter von 15 oder 16 Jahren eingereisten Geflüchteten werden nun volljährig, ein Großteil von ihnen zum 31.12. oder 1.1. – ein fiktives Geburtsdatum, das bei ungeklärtem oder nicht nachweisbarem Geburtstag behördlich festgelegt wird, ohne dass sich die jungen Menschen effektiv dagegen wehren könnten.

Mit diesem festgelegten Datum wird in zahlreichen Kommunen die Jugendhilfe beendet, obwohl es einen rechtlichen Anspruch auf Weitergewährung der Hilfe bis zum 21. Lebensjahr gibt, wenn ein individueller Bedarf vorliegt. Damit stellt sich insbesondere die Frage nach Unterbringung und Lebensunterhaltssicherung neu. Eine Anschlussversorgung ist nicht immer unmittelbar gewährleistet. Mit den hier entstehenden Versorgungslücken bei Beendigung der Jugendhilfe haben auch junge Menschen ohne Fluchthintergrund, die die Jugendhilfe verlassen, zu kämpfen. Bei jungen Geflüchteten kommt hinzu, dass ihr Aufenthalt oftmals noch nicht gesichert ist, die Anschlussversorgung aber hiervon abhängt und sie zum Teil gezwungen werden, ihren Wohnort zu wechseln. Ohne Unterstützung führt dies zu Schul- und Ausbildungsabbrüchen, Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften oder gar Obdachlosigkeit.

Fehlende Übergangsmechanismen, unzureichende Hilfe-Koordination, mangelnde Beratungsstrukturen und nicht aufeinander abgestimmte Gesetze sowie Behördenpraxis sorgen hier für Perspektivlosigkeit: „Für meine Freunde ist der 18.

Geburtstag ein Freudentag. Ich habe große Angst davor 18 zu werden. Durch die Jugendhilfe bin ich dabei meine Ziele im Leben zu erreichen und plötzlich soll damit Schluss sein.“ sagt ein Jugendlicher der Initiative Jugendliche ohne Grenzen (JoG) befragt zu seinem bevorstehenden „Geburtstag.“ Belastend hinzu kommt die Angst vor Abschiebung, denn bei geduldeten Jugendlichen endet mit dem 18. Geburtstag der Schutz vor der Abschiebung.

Die Jugendhilfe ist deshalb in besonderem Maße gefordert, damit die erforderliche Unterstützung gewährt wird und der Übergang in die vorgesehenen Unterstützungssysteme gelingen kann. Sie darf aber mit dieser Aufgabe nicht alleine gelassen werden. Auch die Träger von Sozialhilfe und Jobcenter müssen endlich Verantwortung für die jungen Menschen übernehmen. Dafür ist allerdings zentral, dass Politik zu den jungen Menschen sowie zu ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft auch tatsächlich steht und ihnen (Aus)Bildung und Perspektivschaffung ermöglicht, statt diese durch fortwährende gesetzliche Verschärfungen zu torpedieren und zu verhindern.

„Bildungserfolge, Integration und Erfolge der Jugendhilfe dürfen an der Schwelle zur Volljährigkeit nicht riskiert werden“, erklärt Nerea González Méndez de Vigo vom Bundesfachverband umF. „Geschaffene Perspektiven müssen aufrechterhalten und verfolgt werden können, wenn Integration gelingen soll. Das Primat der Kinder- und Jugendhilfe muss nachhaltig umgesetzt werden. Gerade junge volljährige Geflüchtete benötigen vielfältige Unterstützung, um ihre Zukunft in die Hand nehmen zu können.“

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert: Unterstützung und Hilfen für junge Volljährige dürfen nicht dem Zufall überlassen werden! Junge Flüchtlinge müssen flächendeckend uneingeschränkten Zugang zu bedarfsorientieren Hilfen erhalten!

Hannover, den 14.12.2017 Ansprechpersonen:

Flüchtlingsrat Niedersachsen

Dörthe Hinz, dh@nds-fluerat.org, 0511/ 98246037 Gerlinde Becker, gb@nds-fluerat.org, 0511/ 81120081

Ein Beispiel aus Niedersachsen

"Du musst wieder bei Null anfangen"

(B. ,18 Jahre aus Afghanistan) Basir*, geboren in Afghanistan, flieht 2015 als 16 jähriger nach Deutschland. Es folgt die Inobhutnahme durch ein Jugendamt in Niedersachsen. 3 Wochen später wird er in eine Wohngruppe in Hessen "umverteilt". Nach 8 Monaten Aufenthalt in Hessen muss er zurück nach Niedersachsen in eine andere Wohngruppe. Erst ein knappes Jahr nach seiner Ankunft in Deutschland wird er endlich eingeschult. Mit Erreichen des 18. Lebensjahrs, muss er am 1.1.2017 die Wohngruppe verlassen und erhält keine weitere Betreuung. Die Entlassung aus der Jugendhilfe, erfolgt mit den Worten:

"Es gibt keine Möglichkeit mehr, du musst hier weg". Über eine mögliche Anschlussversorgung wird er nicht informiert. Es folgt die Unterbringung in einem Mehrbettzimmer in einer Flüchtlingsunterkunft, verunsichernder Behördenwechsel, Ablehnung des Asylantrages, Schlaflosigkeit, Angst und Unsicherheit.

Basir hat Glück: Durch die Begleitung von Pat*innen und dessen Anbindung an Beratungsstellungen wird er nach ein paar Wochen aufgefangen und in einigen wichtigen Bereichen begleitet und unterstützt. Er erhält Unterstützung in seinem Asylverfahren, er findet eine Ausbildungsstelle und kann in Kürze eine eigene Wohnung beziehen.

Doch er sagt auch: "Manche haben solche Leute nicht, was machen sie dann...?"

Basir berichtet von Freunden und Nachbarn in seiner Unterkunft bei denen nach der abrupten Beendigung der Jugendhilfe Schulabbrüche und Perspektivlosigkeit folgten, verbunden mit den alltäglichen Ängsten wegen des oftmals noch unsicheren

Aufenthaltsstatus.

»Nur wenn die Rechte der Menschen verwirklicht werden,

sind sie real«