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Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Im Anschluss an diese Einführung gibt Kapitel 2 zunächst einmal einen Überblick über die wirtschaftliche Situation in den Beitrittsländern in den ersten Jahren ihres Transformationsprozesses seit den großen Veränderungen zu Beginn der 90er Jahre. Im Mittelpunkt steht jeweils die Veränderung der relativen Einkommensposition der MOEL im Vergleich zu den fünfzehn Mitgliedsstaaten der EU (EU-15). Es werden unterschiedliche Möglichkeiten vorgestellt, Konvergenz, d.h. die positive Veränderung der relati-ven Einkommens- und W ohlstandsverhältnisse, zu messen. Darauf aufbauend werden die am deutlichsten zu erkennenden Auswirkungen der Europäischen Integration auf den Konvergenzprozess untersucht, die schon vor dem eigentli-chen EU-Beitritt wirksam geworden sind. Gemeint ist die zunehmende Han-delsintegration, die im Anschluss an die Unterzeichnung der Europaabkommen durch schrittweise Einführung einer Freihandelszone zwischen der EU und den MOEL stattgefunden hat.

Susanne Reichart - 978-3-631-75547-1

Im zweiten großen Teil der Arbeit wird die Frage hinsichtlich der Möglichkeit eines Konvergenzprozesses anhand verschiedener Wachstumstheorien bearbei-tet. Kapitel 3 stellt dazu zunächst die Sicht der neoklassischen Wachstumstheo-rie vor. Im Anschluss an die Darstellung des traditionellen Solow-Modells und der daraus resultierenden Konvergenzhypothesen werden die Ergebnisse mit Hilfe der empirischen Arbeiten von Robert Barro und Xavier Sala-i-Martin am Beispiel des Europäischen Einigungsprozesses überprüft. Dabei wird deutlich, dass es sich bei der Europäischen Union in den letzten Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich um einen Konvergenz-Club gehandelt hat, d.h., dass es zumindest phasenweise aufgrund eines schnelleren Wachstums ärmerer Länder zu einer Reduktion der Einkommensdisparitäten im Verlauf der Europäi-schen Integration gekommen ist. Die mittel- und osteuropäiEuropäi-schen Beitrittsländer wiesen dagegen bis zum Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaften und dem Beginn der Transformation untereinander nur geringe und gegenüber Westeuropa so gut wie gar keine Konvergenztendenzen auf. Die Ursache für eine Konvergenzentwicklung liegt im neoklassischen Wachstumsmodell dabei in den abnehmenden Grenzerträgen des Kapitals, die dazu führen, dass der In-vestitionsanreiz bei fortschreitender Kapitalakkumulation sinkt und reichere Volkswirtschaften folglich geringere Wachstumsraten aufweisen als Länder, deren Kapitalstock noch geringer ist. Dieser Prozess wird bei offenen Volks-wirtschaften zusätzlich durch die Tatsache unterstützt, dass das Kapital in neo-klassischen Modellen dorthin fließt, wo die Grenzerträge des Kapitals hoch sind, das Kapital folglich knapp ist. Diese Mechanismen führen dazu, dass sich lang-fristig die Wachstumsraten und unter bestimmten Voraussetzungen auch die Pro-Kopf-Einkommen angleichen.

Im Rahmen der neoklassischen Wachstumstheorie kann jedoch nicht erklärt werden, warum beispielsweise reiche Volkswirtschaften wie die USA dauerhaft hohe Wachstumsraten realisieren. Weltweit scheint sich im Vergleich von In-dustrie- und Entwicklungsländern keine Angleichung der Lebensstandards, son-dern vielmehr eine ständige Zunahme der Einkommensdisparitäten zu entwi-ckeln. Es müssen folglich entweder Mechanismen existent sein, die eine Ab-nahme der Grenzerträge des Kapitals und damit des Investitionsanreizes verhin-dern, oder neben der Kapitalakkumulation weitere Wachstumsmotoren vorhan-den sein.

Mit der Darstellung der Ursachen einer divergenten Einkommensentwicklung beschäftigt sich Kapitel 4 und zeigt im Rahmen der Theorie endogenen Wachstums unterschiedliche Ansätze auf, die einen positiven Zusammenhang zwischen Entwicklungsniveau und Wachstumsrate erklären können. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Entstehung neuen Wissens, sei es als Neben-effekt bei der Humankapitalakkumulation oder als vorrangiges Ziel bei der Ent-wicklung neuer Innovationen im Rahmen von Forschung und EntEnt-wicklung. Da im Gegensatz zum neoklassischen Wachstumsmodell der technische Fortschritt nicht exogen gegeben ist, sind Volkswirtschaften durch die Entstehung neuen

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26 Kapitel 1 : Einführende Bemerkungen

Wissens in Verbindung mit positiven externen Effekten bei der Wissensakku-mulation in der Lage, ein Sinken der Grenzerträge bei fortschreitender Kapital-akkumulation zu verhindern. Die Wachstumsrate ist positiv vom Wissensbe-stand abhängig und ermöglicht es dadurch höher entwickelten Volkswirtschaf-ten, unter Umständen sogar schneller zu wachsen als weniger entwickelte Volkswirtschaften. Dadurch vergrößert sich die Einkommenslücke, es kommt zu Divergenz.

Diese Divergenzmechanismen werden jedoch abgeschwächt, wenn man nicht geschlossene Volkswirtschaften betrachtet, sondern Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Ländern zulässt. Volkswirtschaften, die miteinander handeln, oder sogar einen Integrationsraum bilden, ermöglichen den gegenseitigen Austausch nationalen Wissens, die sogenannte Technologiediffusion. Die verschiedenen Kanäle dieser internationalen Wissensspillover sind u.a. Gegenstand von Kapitel 5. Ebenfalls in diesem Kapitel wird der Frage nachgegangen, inwieweit die nationale Spezialisierung einen Einfluss auf die jeweilige Konvergenzent-wicklung einer Volkswirtschaft hat. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass Volkswirtschaften, die sich auf technologieintensi ve Sektoren spezialisieren, obwohl, oder gerade weil sie in diesem Bereich eine sehr große technologische Lücke aufweisen, über ein höheres Catching-Up-Potenzial verfügen als Volks-wirtschaften, die sich auf Sektoren mit traditionellen komparativen Vorteilen spezialisieren. Dahinter steckt die sogenannte Gerschenkron-Hypothese und der ,,advantage of backwardness". Aufgrund des hohen Lernpotenzials in Verbin-dung mit technologischen Spillovern ergibt sich ein positiver Zusammenhang zwischen der sektoralen Produktivitätslücke und dem möglichen Produktivi-tätswachstum.

Ein Ergebnis der theoretischen Abhandlungen in Teil B ist, dass die Beant-wortung der Frage nach Konvergenz bzw. Divergenz in hohem Maße von der internationalen Verfügbarkeit des technischen Fortschritts und des internationa-len Wissens abhängig ist. Doch auch bei vollständiger Technologiediffusion scheint, bestätigt durch die unterschiedliche Entwicklung der MOEL, ein Kon-vergenzprozess zwischen verschiedenen Volkswirtschaften kein automatischer Ablauf zu sein. Der dritte Teil dieser Arbeit beschäftigt sich demzufolge mit den jeweiligen Voraussetzungen der zehn mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer hinsichtlich ihrer Möglichkeiten zur Ausnutzung des Catching-Up-Potenzials infolge der internationalen bzw. in erster Linie transeuropäischen Technologie-diffusion im Rahmen der Integration in den Europäischen Wirtschaftsraum.

Kapitel 6 untersucht zu diesem Zweck die „social capability" der MOEL. In Anlehnung an die Idee des Wirtschaftshistorikers Moses Abrarnovitz wird mit Hilfe verschiedener Studien zur Messung der Humankapitalbasis und der Imita-tions- bzw. Innovationsfähigkeit versucht, einen Eindruck über die Fähigkeit der MOEL zu gewinnen, ausländisches Wissen zu absorbieren, um zunächst durch Imitation und bei fortschreitender Entwicklung durch eigene Innovation einen dauerhaften Wachstumsprozess in Gang zu bringen, der nicht nur ein Aufholen,

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sondern langfristig vielleicht sogar ein Überholen der westeuropäischen Volks-wirtschaften ermöglicht. Neben dieser „absorptive capability" sind es jedoch auch bestimmte Rahmenbedingungen, die darüber entscheiden, ob überhaupt neues Wissen, z.B. in Form ausländischer Direktinvestitionen, in die Beitritts-länder gelangt. Eine entscheidende Rolle spielen dabei zusammen mit den Aus-gangsbedingungen und den Erfolgen bei der makroökonomischen Stabilisierung der Volkswirtschaften vor allem die jeweiligen Fortschritte bei der Umsetzung der Strukturreformen.

Aufbauend auf diesen Ergebnissen zeigt Kapitel 7 einen möglichen Ansatz zur Berechnung eines Zeitrahmens, innerhalb dessen die zehn mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer das durchschnittliche Einkommensniveau der Europäischen Union jeweils erreichen könnten. Im Anschluss an eine Zusam-menfassung der theoretischen Erkenntnisse endet diese Arbeit daraufhin mit ei-ner kurzen Einschätzung der vergangenen Konvergenzperformance der zehn MOEL und ihrer voraussichtlichen Perspektiven in dem Bestreben das europäi-sche Wohlstandsgefälle zu verringern.

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28 Kapitel 2: Osteuropa in Zahlen

Kapitel 2: Osteuropa in Zahlen