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Auf Interaktionsrisiken bezogene Umgangsmuster

5.3. Bewertung des Kontaktes mit Fremden und/oder Erwachsenen

5.4.5. Auf Interaktionsrisiken bezogene Umgangsmuster

Lag der Fokus in den vorherigen Kapiteln stets darauf, einen Überblick über einzelne the-matische Aspekte zu erhalten, wie zum Beispiel die Risikowahrnehmung oder Handlungs- und Unterstützungsoptionen, sollen im Folgenden stärker Zusammenhänge zwischen die-sen Aspekten dargestellt werden, um auf den Umgang mit Interaktionsrisiken bezogene Muster herauszuarbeiten. Hierfür werden nun die Einzelfälle umfassend bezüglich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede verglichen. Um die 14 Kinder und Jugendlichen mit-einander vergleichen zu können, wurden die Einzelfälle hinsichtlich folgender Fragen im Zusammenhang betrachtet:

• Welche Medienangebote nutzt die junge Person und was macht sie dort?

• Hat die junge Person Kontakt zu Fremden und wenn ja, in welchen Angeboten?

• Welche Risiken nimmt sie wahr?

• Hat sie eigene Erfahrungen mit Interaktionsrisiken gemacht?

• Welche Handlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten kennt die junge Person?

• Wie bewertet sie Handlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten?

• Welche Handlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten sind für die junge Person relevant?

• Welche Hinweise auf relevante Einflüsse der familiären Medienerziehung für das Verständnis von Interaktionsrisiken (inklusive Handlungsoptionen und Bewertungen) sind identifizierbar?

Betrachtet man alle Interviewpartner*innen bezüglich dieser acht Fragestellungen, ergibt sich die stärkste übergreifende Differenzierung zwischen ihnen entlang der Frage, wie aufgeschlossen die Kinder und Jugendlichen dem Kontakt zu Fremden gegenüber sind und in welchem Ausmaß sie ihn suchen. In diese Dimensionierung fließen also Bewertungen (vgl. 5.3), Erfahrungen und Verhalten ein.

Entlang dieser Dimension lassen sich drei Muster identifizieren: Es finden sich einerseits Heranwachsende, die eher eingegrenzt17 (und behütet) wirken, selbst also kaum Kontakt zu Fremden haben. Oftmals wünschen sie diesen nicht oder vermissen ihn zumindest nicht. Andererseits gibt es eine Gruppe, die dem Kontakt zu Fremden zwar offen gegen-übersteht, jedoch dennoch eher vorsichtig agiert. Darüber hinaus ist die dritte Gruppe von Kindern und Jugendlichen nicht nur offen für Kontakt zu Fremden, sondern sucht diesen auch aktiv und aus eigener Initiative. Sie lässt sich nochmals unterteilen – abhängig von der Mediennutzung. So gibt es Heranwachsende, die den Kontakt zu Fremden vor allem in Online-Games suchen. Bei anderen läuft der Kontakt vorrangig über Social-Media- Angebote. Die für die drei Muster typischen Aspekte werden im Folgenden jeweils anhand eines Beispiels erläutert.

17 Mit dem Begriff wird auf den Text von Brüggen/Schemmerling (2014) rekurriert, in dem das Medienhan-deln von Kindern und Jugendlichen auf der Plattform Facebook betrachtet wird.

Muster I: eingegrenzt

Steckbrief von Muster I:

• Anzahl an Kindern und Jugendlichen: 5 (D, G, J, L, M)

• Altersspanne: 9–10 Jahre

• Geschlecht: vier Mädchen und ein Junge

• Mediennutzung:

Drei Heranwachsende nutzen WhatsApp und/oder spielen (Online-)Games, zum Beispiel über Roblox oder Minecraft.

Zwei Kinder und Jugendliche verwenden YouTube.

Einzelne nutzen darüber hinaus Threema, IPod-Nachrichten, MS Teams oder TikTok.

• Kontakt zu Fremden: Der Kontakt zu Fremden wird eher vermieden/einge-schränkt – durch die Eltern und/oder die Kinder selbst – und/oder die Kinder haben keinen Bezug zu damit verbundenen Risiken.

• Handlungs- und Unterstützungsoptionen: Die Kinder und Jugendlichen bezie-hen sich vor allem auf Optionen, die auf sozialer Ebene liegen und/oder im Vermeiden bestehen.

Insgesamt zeichnet sich das Muster I vor allem dadurch aus, dass die Kinder sowohl auf der Ebene des Medienspektrums als auch der Ebene der sozialen Online-Kontakte stark eingegrenzt sind. Dies bedeutet, dass sie die Möglichkeiten des Kontaktes zu Fremden entweder nicht beziehungsweise wenig nutzen oder bewusst einschränken (beziehungs-weise die Eltern dies tun). Das muss nicht unbedingt mit einem Risikobewusstsein für Kontakt zu Fremden zusammenhängen. Häufig fokussieren sich die Kinder und Jugendli-chen – alle sind neun oder zehn Jahre alt – eher auf ihren Freundeskreis, auch bei der Me-diennutzung. (Relevante) Handlungsoptionen liegen am ehesten auf sozialer Ebene oder haben einen vermeidenden/ausweichenden Charakter.

Für Muster I ist kennzeichnend, dass die meisten Kinder und Jugendlichen vergleichswei-se wenig verschiedene Medienangebote nutzen. Gerade das Spektrum an Angeboten, in denen Kontakt zu Fremden leicht möglich ist, ist eher eingegrenzt. Ein Beispiel dafür ist ein zehnjähriges Mädchen, das vor allem WhatsApp nutzt. Dort ist sie ausschließlich mit ihren Freund*innen und ihrer Familie in Kontakt. Sie spielt zwar digitale Spiele, meidet jedoch Multiplayer, sodass dort Kontakt zu anderen Personen ausgeschlossen ist. Aus dieser Art der Nutzung resultiert, dass sie bislang keine Erfahrung mit dem Kontakt zu Fremden gemacht hat. Auch das Risiko Lästern, auf das sie sich vorrangig bezieht, hat sie selbst noch nicht erlebt. Darauf wird sie zum einen durch die mediale Berichterstattung in der Kindernachrichtensendung logo aufmerksam. Zum anderen haben ihre Geschwister in einem Online-Game Erfahrungen mit Lästerei gemacht. Wenn es um Handlungsoptionen geht, so ist für sie vor allem die Vermeidung von Angeboten relevant, in denen Kontakt zu anderen Personen möglich ist. Diese vermeidende Haltung, die Fokussierung auf den eigenen Freundeskreis und die Tatsache, dass sie kaum eigene Erfahrungen mit Risiken gemacht hat, sind Aspekte, die sie mit mehreren Kindern in Muster I teilt. Auch der Fo-kus auf risikobezogene Handlungsmöglichkeiten, die auf sozialer Ebene liegen, eint viele Fälle in Muster I, wenn auch nicht alle Kinder und Jugendliche deutlich machen, wie rele-vant diese Optionen für sie sind. Auf jeden Fall sprechen alle Kinder und Jugendlichen der Gruppe entweder Unterstützung von Eltern und/oder Freund*innen an oder können sich

vorstellen, das Gespräch mit Beleidiger*innen zu suchen. Dies ist wiederum vor dem Hinter-grund zu sehen, dass die Kinder und Jugendlichen erlebte Situationen von Beleidigung be-schreiben bzw. sich solche vorstellen, in denen es um den Kontakt zu ihnen Bekannten geht.

Viele der genannten Punkte hat ein zehnjähriger Junge mit dem Mädchen gemein. Wie das Mädchen wünscht auch er keinen Kontakt zu Fremden. Das zeigt sich in seiner Mediennut-zung, da er ebenfalls WhatsApp zum Kontakt mit ihm bekannten Personen nutzt. Zudem hat er statt eines Smartphones eine Smartwatch in Gebrauch, auf der Anrufe unbekannter Nummern automatisch blockiert werden. Anders als das Mädchen hat er bereits Erfah-rungen mit dem Kontakt zu Fremden gemacht, dies jedoch ungewollt. Er wurde auf Whats-App von einer fremden Nummer kontaktiert. Seine Reaktion darauf spiegelt ebenfalls eine ausweichende Strategie wider, da der Kontakt – in Absprache mit den Eltern – gelöscht wurde. Auch er erscheint demnach eingrenzend, obwohl er bereits in eine Situation ge-kommen ist, in der präventive Maßnahmen nicht ausreichend waren. Ähnlich liegt der Fall auch bei einem weiteren Mädchen. Sie kommentiert zwar manchmal auf YouTube – ob darauf allerdings schon jemand reagiert hat, bleibt unklar. Für sie sind aber ebenfalls vor allem Messenger wichtig, um beispielsweise mit Freund*innen in Kontakt zu bleiben. Auch sie hat somit kaum bis keinen Kontakt zu Fremden. Als Handlungsoptionen sind für sie vor allem soziale Lösungen – in Bezug zu Beleidigung – relevant. Möglichkeiten auf sozialer Ebene waren auch für den Jungen relevant und auch das andere Mädchen kennt solche Lösungen und bewertet sie positiv (auch wenn sie selbst vor allem vermeidende Strategi-en anwStrategi-endet).

Die beiden Mädchen, die online (auch) mit Fremden spielen, befinden sich schon eher am Übergang zu Muster II – deren Mitglieder offen, aber vorsichtig sind. Denn im Gegensatz zu den übrigen Kindern in Muster I sind sie (potenziell) für Kontakt zu Fremden offen.

Während sich ein Mädchen anscheinend auch beim Online-Spielen eher auf seinen Freun-deskreis fokussiert und damit in Bezug auf die Eingrenzung auf das soziale Umfeld mit den drei bereits dargestellten Befragten wiederum einiges gemein hat, ist der Kontakt zu Fremden bei einem neunjährigen Mädchen vergleichsweise stark ausgeprägt. Sie spielt ausschließlich mit virtuellen Freund*innen, von denen sie allerdings annimmt, Alter und Namen zu kennen. Dem Muster I ist sie zuzuordnen, weil in diesem Fall die Eltern durch technische Jugendmedienschutzeinstellungen für eine Eingrenzung sorgen, indem das Mädchen beispielsweise nicht privat von Fremden angeschrieben werden kann und sie auch ein Auge darauf haben können, was das Mädchen im Chat schreibt. Das Mädchen macht dementsprechend einen behüteten Eindruck, auch wenn es Kontakt zu Fremden hat.

Wie das Mädchen zu Beginn hat auch sie bisher kaum Erfahrungen mit Risiken gemacht und rät anderen Kindern dazu, Beleidigungen – was sie vor allem als Risiko wahrnimmt – zu ignorieren. Diese vermeidende Strategie gekoppelt mit dem Rat, sich Unterstützung von den Eltern zu holen, verbindet sie wiederum mit den übrigen Kindern des Musters I.