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Atypische Arbeitsverhältnisse als Indikatoren von Unsicherheit

3.2 Operationalisierung atypisch prekärer Arbeitsverhältnisse

3.2.2 Atypische Arbeitsverhältnisse als Indikatoren von Unsicherheit

Nicht jedes atypische Arbeitsverhältnis bringt auch zwingend eine Hauptunsicherheit mit sich.

Beispielsweise ist eine projektbezogene Stelle in einem über mehrere Jahre dauernden Projekt zwar befristet, deren zeitliche Unsicherheit ist jedoch nicht höher als bei einem Normalarbeits-verhältnis. Die Zuordnung der einzelnen atypischen Arbeitsverhältnisse zu den Hauptunsicher-heiten ist deshalb an Bedingungen geknüpft, auf die in den nachfolgenden Abschnitten kurz eingegangen wird.

a) Zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse (1. Hauptunsicherheit)

Zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse können über befristete Arbeitsverträge oder Temporär-beschäftigung operationalisiert werden.

Befristete Arbeitsverträge werden für eine bestimmte Dauer (in der SAKE messbar) oder eine bestimmte Aufgabe (nicht in SAKE messbar) abgeschlossen, d.h. vor Beginn des Ar-beitsverhältnisses ist der Zeitpunkt, an dem das Arbeitsverhältnis enden wird, bereits ver-einbart. Als problematisch werden insbesondere kurze Befristungen gesehen. Ein befriste-tes Arbeitsverhältnis wird deshalb nur dann als potenziell atypisch-prekäres Arbeitsverhält-nis eingestuft, wenn die Vertragsdauer maximal ein Jahr (365 Tage) beträgt.34 Diese Defi-nition umfasst auch Praktika, sofern sie auf maximal 365 Tage beschränkt sind. Zusätzlich gilt bei Praktika die Einschränkung, dass sie nicht während der Ausbildung stattfinden, da sonst – wie bei den Lehrlingen – der Ausbildungscharakter im Vordergrund steht. Ein Spe-zialfall befristeter Arbeitsverträge stellen die Kettenarbeitsverträge dar. Diese können mit der SAKE jedoch nicht identifiziert werden.

Temporärbeschäftigung35 ist – wie der Personalverleih generell – insofern eine spezielle Form von Arbeitsverhältnis, als drei Parteien vertraglich miteinander verknüpft sind: Eine Temporärfirma vermittelt einen Arbeitnehmer an eine Drittfirma, wobei der Arbeitnehmer rechtlich an die Temporärfirma, wirtschaftlich hingegen an die Drittfirma gebunden ist. In der SAKE werden sowohl Erwerbstätige, die aktuell in einer Temporärbeschäftigung tätig sind, als temporär bezeichnet, wie auch jene, die ihre aktuelle Arbeitsstelle (auch Festan-stellung) über ein Personalvermittlungsbüro gefunden haben. Für die vorliegende Studie werden hingegen nur Personen, die ihren heutigen Lohn direkt vom Temporärbüro erhalten, und somit aktuell in einer Temporärbeschäftigung tätig sind, als Temporärbeschäftigte be-trachtet. Hingegen werden Beschäftigte, die den Lohn direkt vom aktuellen Arbeitgeber er-halten, nicht als Temporärbeschäftigte eingestuft.36

34 Können keine Angaben über die Dauer der Befristung gemacht werden, wird davon ausgegangen, dass die Be-fristung über einen längeren Zeitraum gilt und diese deshalb nicht als kritisch betrachtet wird.

35 Der Begriff Temporärarbeit bezeichnet in der Schweiz jene Arbeitsverhältnisse, die in Deutschland als Leiharbeit bezeichnet werden. Obwohl diese häufig auch befristet ist, sind Temporärarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse nicht gleichzusetzen.

36 Temporäre Arbeitsverhältnisse sind häufig auch befristet. Dies hat nur eine Auswirkung auf die Anzahl der befris-teten Arbeitsverhältnisse und die Temporärarbeit, nicht aber auf die Anzahl potenzieller atypisch-prekärer Arbeits-verhältnisse (ohne Doppelzählungen), da beide zur selben Hauptunsicherheit gezählt werden.

b) Kurzfristig schwankendes Arbeitsvolumen (2. Hauptunsicherheit)

Von kurzfristig schwankenden Arbeitsvolumina sind insbesondere die beiden Arbeitsformen Arbeit auf Abruf und Heim-/Telearbeit betroffen.

Arbeit auf Abruf stellt eine der flexibelsten Formen von Arbeit dar, weil der Arbeitgeber die auf Abruf Arbeitenden bei Bedarf kurzfristig zur Arbeit aufbieten kann. Die SAKE unter-scheidet zwischen Arbeitsverhältnissen auf Abruf mit und ohne eine garantierte Mindestzahl von Arbeitsstunden. Während bei Arbeit auf Abruf ohne garantierte Mindestzahl von Ar-beitsstunden von einer beträchtlichen Unsicherheit auszugehen ist, vermindert sich diese Unsicherheit bei Arbeit auf Abruf mit garantierter Mindestzahl an Arbeitsstunden. Je höher der Anteil an garantierten Stunden, desto geringer ist die Unsicherheit. Da aus der SAKE jedoch keine Angaben zum Anteil der garantierten Stunden vorhanden sind, umfasst die Operationalisierung alle Arbeitsverhältnisse auf Abruf.

Heimarbeit zeichnet sich primär dadurch aus, dass sie nicht im Betrieb des Arbeitgebers, sondern in der Wohnung des Heimarbeitenden mit relativ grosser Autonomie erbracht wird.

Mit Hilfe der SAKE kann ein Heimarbeitsverhältnis ermittelt werden, wenn eine Person un-selbständig erwerbend ist und sich der übliche Arbeitsort in der eigenen Wohnung befindet.

Zusätzlich wird unterscheiden, ob ein Heimarbeitsverhältnis mit einer fixierten Anzahl von Arbeitsstunden oder mit einer schwankenden Stundenzahl gekoppelt ist. Heimarbeit per se kann nicht als atypisch-prekäres Arbeitsverhältnis betrachtet werden, da sich bei einer ga-rantierten Stundenzahl die Heimarbeit bezüglich den drei Hauptunsicherheiten nicht grund-legend von einem Normalarbeitsverhältnis (bzw. Teilzeitarbeit) unterscheidet. Schwankt die wöchentliche Arbeitszeit jedoch erheblich, verfügt die Heimarbeit über die gleichen Eigen-schaften wie Arbeit auf Abruf und beinhaltet eine erhöhte Unsicherheit.

c) Unterbeschäftigung mit Arbeitssuche (2. Hauptunsicherheit)

Unterbeschäftigung kann nur in Teilzeitarbeit vorkommen. Wesentlich für die Beurteilung von Unterbeschäftigung ist allerdings nicht die Teilzeitarbeit per se, sondern der Wunsch, mehr zu arbeiten. Deshalb gilt eine Person nur als unterbeschäftigt, wenn sie teilzeitbeschäftigt (unter 90%) ist und in der SAKE angibt, sie würde lieber mehr oder sogar Vollzeit arbeiten. Zusätzlich muss die unterbeschäftigte Person auch tatsächlich für Mehrarbeit verfügbar sein. Ist eine Per-son z.B. aufgrund familiärer Plichten nicht innerhalb von drei Monaten verfügbar, so kann dies nicht dem Arbeitsverhältnis zugeschrieben werden.

Eine geringfügige Unterbeschäftigung ist per se noch nicht problematisch. Für die Einstufung als atypisch-prekär muss aus der Unterbeschäftigung ein gewisser Leidensdruck entstehen.

Dieser kann insbesondere dann nachgewiesen werden, wenn eine unterbeschäftigte Person aktiv nach Arbeit sucht. Für die Operationalisierung in der vorliegenden Studie gilt eine

Unter-beschäftigung dann als potentiell atypisch-prekäres Arbeitsverhältnis, wenn die betroffene Per-son im Monat vor dem SAKE-Interview Arbeit gesucht hat mit dem Ziel, mehr Stunden zu ar-beiten.37

d) Unsicherheit betreffend Sozialleistungen (3. Hauptunsicherheit)

Die Scheinselbständigkeit unterscheidet sich von „normaler“ Selbständigkeit dadurch, dass der Dienstleistende zwar formell als „Selbständigerwerbender“ tätig ist, bezüglich persönlicher Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die betriebliche Organisation des Auftraggebers oder Werkbestellers aber ähnlich abhängig ist wie ein Arbeitnehmer, weshalb er eben nur zum Schein selbständig erwerbend und ebenfalls als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist. Dies ist vor allem dann gegeben, wenn die selbständige Person nur oder mehrheitlich für einen Auftragge-ber arbeitet. Die Scheinselbständigkeit ist gegenüAuftragge-ber einer normalen Anstellung deshalb als problematisch zu bezeichnen, weil Selbständigerwerbende nicht über die gleichen Sozialleis-tungen wie Angestellte verfügen. Ausserdem besteht durch den Status der Selbständigkeit kein Arbeitnehmerschutz, der für Angestellte durch die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes und des Obligationenrechtes gewährleistet wird.

Zwischen 2001 bis 2009 wurden selbständige Personen in der SAKE nach der Anzahl Auftrag-geber bzw. Kunden befragt. Dadurch konnte die Scheinselbständigkeit identifiziert und ausge-wertet werden. Ab 2010 wurde diese Frage nicht mehr gestellt. Eine Operationalisierung der Scheinselbständigkeit ist mit der SAKE seither nicht mehr möglich.

Eine alternative Möglichkeit zur Messung der Schutzunsicherheit wäre die Solo-Selbständig-keit, also Selbständige und Erwerbstätige mit eigener Firma, aber ohne Angestellte. Diese Operationalisierung ginge aber sehr weit, und würde auch viele nicht potentiell atypisch-pre-käre Arbeitsverhältnisse betreffen. Eine weitere Eingrenzung ist jedoch mangels geeigneter verfügbarer Kriterien nicht möglich. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Studie auf die Operationalisierung der 3. Hauptunsicherheit verzichtet. Da zu erwarten ist, dass sich die Ar-beitsverhältnisse in der Plattformökonomie teilweise innerhalb der Solo-Selbständigkeit finden, so wird diese in einem gesonderten Abschnitt in die Analyse miteinbezogen.

e) In SAKE nicht messbare Unsicherheiten

Wie bereits in der Abbildung 3-1 aufgezeigt wurde, können auf Basis der SAKE-Daten nicht alle Unsicherheiten identifiziert werden. Neben der Scheinselbständigkeit nicht identifiziert wer-den können:

• Kurzfristige Arbeitspläne

• Hoher variabler Lohnanteil mit tiefen Fixum

• Verletzung der Schutzbestimmungen

37 Die Definition der Unterbeschäftigung wurde in der vorliegenden Studie gegenüber 2010 und 2003 angepasst, da in der Zwischenzeit rückwirkend auf 2004 die Unterbeschäftigung in der SAKE mit einer eigenen Variable gemes-sen wird.

• Vertretungs-Unsicherheit (keine gewerkschaftliche Organisation)

• Fehlende Kontrollen der Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz

Zudem wird für die Analyse nur die Haupterwerbtätigkeit berücksichtigt. Zur Nebenerwerbstä-tigkeit liegen in der SAKE nur wenige Merkmale vor, sodass keine Operationalisierung der Hauptunsicherheiten möglich ist.