• Keine Ergebnisse gefunden

Die Archäologie des Wissens: Zur Entfaltung eines diskursanalytischen Forschungsprogramms

Im Dokument Kritik mit Methode? (Seite 37-43)

Michel Foucaults interpretative Analytik und das unbestimmte Ethos der Kritik

3. Die Archäologie des Wissens: Zur Entfaltung eines diskursanalytischen Forschungsprogramms

Die Archäologie des Wissens(Foucault 1997) ist kein Methodenbuch im eigent-lichen Sinn. Foucault überdenkt die Forschungswege seiner vorhergegangenen Studien und zukünftige Möglichkeiten werden ersonnen. Die möglichen Perspek-tiven auf den Forschungsgegenstand »Diskurs« werden überprüft. Die zentrale Aufgabe dieser Selbstreflexion der Methode ist es, die Analyseebene des Diskur-ses abzugrenzen.

In einem ersten Schritt werde ich die Methodologie und die diskurstheoretischen Elemente der Archäologie des Wissensdiskutieren und dann zweitens auf die For-schungspraxis im engeren Sinn eingehen. Der erste Punkt wird in mehreren Teil-schritten erarbeitet: 1.1. Zuerst wird Foucaults Kritik bestehender Forschungspro-gramme dargestellt. Hieraus ergibt sich die Frage nach der Möglichkeit eines anderen Wirklichkeitszugangs und Rekonstruktionsrahmens. Im Abschnitt 1.2.

wird aufgezeigt, dass die Rekonstruktion eines Diskurses immer auch ein kon-struktiver Akt ist. Dies hat Konsequenzen für die Bedeutung der diskurstheoreti-schenVoraussetzungen der Diskursforschung. Unter den Punkten 1.3. und 1.4.

werden die theoretischen Konzepte der »Regelmäßigkeit« und der »Aussage« dis-kutiert. Dabei wird gezeigt, wie die Strukturiertheit von diskursiven Formationen gedacht werden kann. In Schritt 1.5. muss dann die Beziehung von diskursiver Wirklichkeitsebene zur (umfassenderen) sozialen Realität bestimmt werden.

Schließlich werden unter Punkt 2 Schritte der methodischen Praxis benannt.

(1.1) Die archäologische Haltung und Analyseebene wird in kritischer Abgren-zung von anderen Forschungstraditionen, deren Interpretationsrahmen und Ge-genstandskonstruktionen entfaltet. Vorgegebene Deutungsrahmen, wie der Satz, der Text, der Autor, das Autorenwerk, die Idee, die Wissenschaft oder die Ideolo-gie, werden zurückgewiesen, um gegenüber den zu analysierenden Dokumenten eine methodische Distanz zu ermöglichen. Auch zeitliche Modelle, wie das der Epoche und anderer Kontinuitätslinien, werden dekonstruiert, um die Frage nach historischer Diskontinuität stellen zu können. Die poststrukturalistische Perspek-tive geht nicht davon aus, dass es keine Strukturen gäbe. Sie eröffnet vielmehr durch das Aufbrechen kultureller Gewissheiten (Fortschritt, Entelechie, Teleolo-gie), durch die Gegenüberstellung von Kontinuität und Bruch im Diachronen, von Homogenität und Heterogenität im Synchronen einen unbestimmten ZeitRaum.

Dessen Struktur wird offen gelassen und zum Gegenstand der empirischen For-schung. Damit wird die Einheit der Geschichte zerbrochen. Geschichte und Ge-sellschaft wird folglich als Totalität nicht mehr rekonstruierbar. So werden neue Fragen aufgeworfen: Welche Begriffe ermöglichen »das Denken der Diskonti-nuität«? Wie können zeiträumliche Einheiten bestimmt werden? Was ist die, der Fragestellung angemessene, Ebene der Analyse und folglich der angemessene In-terpretations- und Rekonstruktionsrahmen für die Analyse von Texten (vgl.

Fou-38

cault 1997: 13)? Die Rekonstruktion der Wirklichkeit ist jedenfalls perspekti-visch. Es kann also nicht (mehr) darum gehen, die Wirklichkeitsebene aufzufin-den, die der Wahrheit näher ist oder die Wirklichkeit in letzter Instanz determi-niert. Stattdessen kann es nur darum gehen, Analyseebenen zu isolieren, um bestimmte Fragen stellen zu können.

(1.2) Die Dekonstruktion der epistemischen Gewissheiten hat erst die Frage nach der Formation von diskursiven Wissensfeldern eröffnet. Dieser erkenntnis-theoretische Akt ist aber zugleich das zentrale Problem der Wissensarchäologie.

Wie sollen nun Rekonstruktionskriterien bestimmt werden? Es bedarf neuer Prä-missen, nun: diskurstheoretischer Begriffe, die die Analysepraxis anleiten. Denn die WissensarchäologInnen werden maßlos überfordert, wenn sie von der Arbeits-hypothese ausgehen, dass alle Aussagen frei und ungeordnet im Raum des Dis-kursiven verstreut seien (Foucault 1997: 34) und es gelte, ihre Strukturprinzipien aufzudecken. Die tradierten Ordnungsprinzipen (Idee, Epoche, wissenschaftliche Disziplin, Paradigma etc.) werden insofern verworfen, als zu ihnen eine metho-disch-kritische Distanz eingenommen wird. Dennoch können sie in der konkreten Diskursanalyse als Kontrastfolien für einen ersten Zugang dienlich sein und so Orientierungsstützen bieten.

Sich von diesen Ordnungsmustern absetzend, formuliert Foucault ein begriff-lich-diskurstheoretisches Raster. Vier Bereiche werden angegeben, in denen die Formierung der Wissensfelder stattfindet: die Gegenstandskonstruktion, die Äuße-rungsmodalitäten des Subjekts, die strukturierenden Begriffe und die möglichen Strategien. Ich denke nicht, dass mit diesen Begriffen eine schlüssige oder gar ab-geschlossene Diskurstheorie mitgeliefert ist oder von Foucault überhaupt inten-diert wurde.2Stattdessen sind es eher Orientierungspunkte der Rekonstruktion.

Foucault verweist selbst auf die divergierenden Ausgangspunkte seiner Studien.

Die je besondere Fragestellung (und ihre Perspektivität) muss daher vorgeben, welches die angelegten Begriffsraster sein werden. Das Forschungsinteresse muss darüber entscheiden, ob die Rekonstruktion entlang eines Begriffes, eines Gegen-standfeldes, einer Strategie der Wahrheitsproduktion oder etwas Anderem verläuft.

Das Forschungsinteresse, der zeitliche Untersuchungsrahmen und die theoreti-schen Orientierungsstützen sollen flexibel angelegt sein, um auf die (abduktive) Entdeckung von Unerwartetem reagieren zu können. Da sich im Forschungspro-zess solche Entdeckungen in Form schwacher Ahnungen zeigen, ist eine detektivi-sche Haltung notwendig. Für das Erspähen schwacher Spuren ist eine »starke«

Diskurstheoriekontraproduktiv. Die Abschwächung oder Dezentrierung der Theo-rie zielt auf das, was J. Reichertz (1995: 279) bezüglich der qualitativen Sozialfor-schung »die Ausschaltung des bewußt kontrollierenden und planenden Verstandes«

bezeichnet.

2 Anderer Meinung ist diesbezüglich R. Diaz-Bone, der davon ausgeht, dass durch die diskursive Praxis eine Ver-netzung der diskursformierenden Elemente hergestellt wird und dadurch ein Systemcharakter erzeugt wird.

Diese Tiefenstruktur zu erarbeiten, wäre dann die Aufgabe der Diskursanalyse (Diaz-Bone 2007: 25).

Aus Sicht einer poststrukturalistischen Wissenschaftshaltung sollte die Dis-kurstheorieunabgeschlossen bleiben. Die Rekonstruktion von Diskursen bringt Diskurse hervor, die nicht per se einen höheren Wirklichkeitsanspruch behaupten oder Wahrheitswert beanspruchen können. Auch die interpretative Rekonstruktion von Diskursen verbleibt, wie jegliche Rekonstruktionsverfahren, in spezifischen Horizonten. Auch wenn das Sagbare und Unsagbare aufgedeckt und diese Gren-zen überschritten werden sollen, bewegen sich auch DiskursanalytikerInnen in-nerhalb des historischen Archivs und sind in methodischerzeugten Perspektiven befangen. Sie erzeugen spezifisches Wissen und damit zugleich auch Nicht-Wis-sen, das es zu reflektieren gilt. Die Rekonstruktion eines Diskurses ist also immer auch ein Konstruktionsakt. Diskurs ist daher immer nur als eine Vielzahl von Dis-kursen denkbar. Um die poststrukturalistische Haltung einnehmen zu können, müssen alle Vorstellungen von der Möglichkeit einer »umfassenden Gesellschafts-analyse« aufgegeben werden, weil ansonsten das Perspektivische und das Kontin-gente der konkreten Praxis der Diskursrekonstruktion und damit die Haltung der Skepsis gegenüber den (epistemischen) Evidenzen über die Hintertür wieder durch neue, verschobene Evidenzen ersetzt werden. Das Diskursive ist daher nicht als Realität eigener Art zu denken, das unabhängig von anderen Ebenen so-zialer Wirklichkeit prozessiert. Diskursen ist auch kein systemischer Charakter zuzuschreiben, der deshalb einer festgefügten Diskurstheorie folgend analysiert werden müsste. Die Rekonstruktion von Diskursen zu leisten, bedeutet hingegen die Welt auf eine bestimmte Art denkend zu ordnen, die immer auch selbstreflexiv hinterfragt werden muss, weil Diskurse stets auch andersdenkend geordnet wer-den können.3Dies ist insoweit wichtig, als der später zu erörternde Schritt zur Analyse von Dispositiven die diskursanalytische Forschungsperspektive nicht einfach überwindet. Im Rahmen einer poststrukturalistischen Forschungslogik sind Perspektivenverschiebungen erlaubt und konsequent.

(1.3) Die Ordnung diskursiver Formationen wird konstituiert durch die Regeln des Aussagens. Foucault benutzt den Begriff der Regelmäßigkeit. Hierdurch wird festgestellt, dass die Redepraxis nicht von äußerlichen Vorschriften bestimmt wer-den kann. Zugleich setzt sich Foucault aber von der Annahme ab, Diskursstruktur und -dynamik würden allein im Innerdiskursiven produziert, und damit auch von dem Forschungsprogramm, das er in Die Ordnung der Dingeverfolgt hat. Be-trachtet man die Verwandlung der Forschungsinteressen Foucaults, erscheint die textualistische Diskursanalyse, wie sie in Die Ordnung der Dingedurchgeführt wurde, als kurzes Intermezzo. Die Diskursanalyse vor und nach diesem Versuch ist eine »Aufgabe, die darin besteht, nicht – nicht mehr – die Diskurse als Gesamt-heit von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte oder

Re-3 Vgl. hierzu die nichtthematisierte Spannung zwischen der Haltung des Misstrauens und einer strukturalistischen Lesart der Diskursanalytik als Gesellschaftstheorie (Bublitz 1999: 14, 27) bzw. der von einem wissenschaftstheo-retischen Strukturalismus ausgehenden Deutung der Wissensarchäologie (Diaz-Bone 1999: 120 f.).

40

präsentation verweisen), sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.« (Foucault 1997: 74)

Es sollen die praxeologischen Regelmäßigkeiten aufgedeckt werden, die den Diskurs ordnen und konstituieren (und unterlaufen und transformieren).

(1.4) Der Imperativ der skeptischen Haltung gegenüber einer theoretischen Vorstrukturierung des Forschungsprozesses soll also nicht behaupten, es gäbe keine diskurstheoretischen Elemente in der Wissensarchäologie. So beinhaltet der Begriff der Aussage eine grundlegende diskurstheoretische Feststellung: Nichts Gegenständliches kann einfachdargestellt (repräsentiert) werden. Aussagen pro-duzieren sowohl den Sprechenden als auch das Ausgesprochene. Damit wird so-wohl ein naturalistisches Verständnis von Wirklichkeit (»Gegenstände an sich«) wie auch ein anthropologischer Begriff des Menschen (»Subjekt der Erkenntnis«) unterwandert. Aussagen werden dabei nicht im Sinne des methodischen Individu-alismus als die konkrete Äußerung eines Subjekts, sondern als typische Aussage-praktiken erfasst. Es sind verregelmäßigte Handlungsroutinen der Wissenspro-duktion. Um eine Aussage und ihre Funktion bestimmen zu können, muss also ein Feld von Aussagen, ein Wissensgebiet, rekonstruiert werden. Die entscheidenden Fragen der Diskursanalyse betreffen folglich die homogenen oder heterogenen Möglichkeiten, (a) wie durch die Aussagepraxis Gegenstände konstruiert werden, (b) wie von bestimmten Sprecherpositionen ausgehend und mit bestimmten Me-thoden arbeitend Wissen erzeugt werden kann. Das beinhaltet auch die Frage da-nach, wie sich ein Mensch subjektivieren muss, um in einem Diskurs sprechen zu können und gehört zu werden. Dieses Sprechen hat eine eigene Materialität, die entlang folgender Fragen rekonstruiert werden kann: Wie ist das arbeitsteilige Feld der Wissensproduktion beschaffen? Welche institutionellen Positionen haben SprecherInnen inne? Welche materiellen und zeitlichen Ressourcen stehen ihnen zur Verfügung? Unter welchen Bedingungen können spezifische Aussagen an welche Publikumskreise adressiert werden und wie wird dadurch die Rezeption gerahmt? Bei solchen Fragen muss schließlich berücksichtigt werden, dass die materielle Situation des Aussagens bestimmte Aussageweisen ermöglicht oder verunmöglicht, dadurch aber nicht die spezifische Qualität der Aussage im Aussa-gegeflecht determiniert sein kann. Anhand der Aussageregelmäßigkeiten soll be-stimmbar werden, was in einer diskursiven Wissensordnung sagbar und unsagbar ist. Es soll die immanenteOrdnung der Streuung der Aussagen unddie ihrer Sel-tenheit gefunden werden. Damit unterscheidet sich die rekonstruktive Methode der Diskursanalyse, welche dekonstruiert, um rekonstruieren zu können, von der dekonstruktivistischen Methode J. Derridas, welche die unabschließbare Bedeu-tungsfestlegung und die polysemische Uneindeutigkeit von Sprache zum Vor-schein bringt. Diskursanalyse versucht die diskursimmanenten Regeln der Be-grenzung des Sagbaren und die darin begründeten Möglichkeiten des Auftauchens neuer Aussagen zu entdecken. Das diskursanalytische Interesse richtet sich so-wohl auf die Homogenität der Aussagen (Wiederholungen, Zitate, Ähnlichkeiten),

als auch auf die Heterogenität der Aussagen (gleichzeitige Differenzen, diachrone Umbrüche). Dieses forschungspraktische Interesse kann sich aber auch auf Wech-selwirkungen zwischen unterschiedlichen Spezialdiskursen konzentrieren und in-terdiskursive Vergleiche anstellen. Bei intradiskursiven, wie bei inin-terdiskursiven Analysen sollen Leitaussagen aufgedeckt werden. Aber auch Widersprüche, Para-doxien und/oder Kontingenzen innerhalb oder zwischen Aussagen sind für die Beschreibung von Diskursverläufen und hinsichtlich einer deutenden Erklärung von Diskurstransformationen von Relevanz. Aber genau bei dem Anspruch – über die archäologische Beschreibung hinaus – eine plausible Erklärung diskursiven Wandels liefern zu können, stößt das Forschungsprogramm der Diskursanalyse an seine Grenzen.

(1.5) Obwohl Foucault feststellt, dass seine Methoden die klassischen histori-schen Methoden sind,4gibt es doch eine grundlegende Differenz zu diesen. Sie liegt darin, wie das Dokument behandelt wird. Die traditionelle Geschichtswis-senschaft liest die historischen Quellen »als die Sprache einer jetzt zum Schweigen gebrachten Stimme [...], als deren zerbrechliche, glücklicherweise aber entziffer-bare Spur« (Foucault 1997: 14). Im Unterschied dazu begreift die Diskursfor-schung diese Produkte als Monumente. Auf den kultur- und sozialwissenschaftli-chen Rahmen angewandt, bedeutet dies, kulturelle Objektivationen nicht als Ausdruck des sozialen Wandels, sondern als Eingriff in sozialen Wandel zu inter-pretieren. Der Begriff des Monuments soll eine skeptische Haltung befördern: Die archäologische Beschreibung, so Foucault, interpretiert das Diskursive, nicht um eine Geschichte des Bezeichneten (Realgeschichte), sondern um eine Geschichte des Bezeichnens zu schreiben (Foucault 1997: 71 f.). Der Kurzschluss von der Praxis des Bezeichnens zum Bezeichneten, vom Dokument auf die historische Wirklichkeit oder vom Produkt der Kulturindustrie auf das Bewusstsein der Men-schen soll vermieden werden. Das ideologiekritische Konzept der Präformation wird durch das der Performanz ersetzt. Dadurch eröffnet sich erst die entschei-dende empirische Frage: Wie wirkt vorgegebenes Wissen auf die Subjekte von Diskursen und auf Akteure der sozialen Praxis? Performativ-zitatförmige Effekte auf die Subjekte von Diskursen können wissensarchäologisch nachgezeichnet werden. Die Effekte auf soziale (nicht-diskursive) Praxis – auf leiblich materiali-sierte AkteurInnen und ihre Handlungsroutinen, sowie auf konstituierte Praxisfel-der und Praxisfel-deren gesellschaftliche Ordnung – können mit dem diskursanalytischen Instrumentarium nicht untersucht werden. Ebenso wird die Relevanz nicht-dis-kursiver Praxis für die Praxis disnicht-dis-kursiver Wissensproduktion im Rahmen der

Ar-4 »Das Problem der Wahrheit dessen, was ich sage, ist für mich ein sehr schwieriges, ja sogar das zentrale Pro-blem. [...] Gleichzeitig benutze ich jedoch ganz klassische Methoden: die Beweisführung oder zumindest das, was in historischen Zusammenhängen als Beweis gelten darf – Verweise auf Texte, Quellen, Autoritäten und die Herstellung von Bezügen zwischen Ideen und Tatsachen; Schemata, die ein Verständnis ermöglichen, oder Er-klärungstypen. Nichts davon ist originell. Insoweit kann alles, was ich in meinen Büchern sage, verifiziert oder widerlegt werden [...]« (Foucault 1996: 28).

42

chäologie des Wissens noch nicht berücksichtigt. Wenn die diskursanalytische Rekonstruktion »eine solche kausale Analyse in der Schwebe hält, [...] dann nicht, um die souveräne und einsame Unabhängigkeit des Diskurses zu sichern, sondern um den Existenz- und Funktionsbereich einer diskursiven Praxis zu entdecken.

[...] [S]ie versucht zu zeigen, wie die Autonomie des Diskurses und seine Spezi-fität ihm dennoch kein Statut reiner Idealität und völliger historischer Unabhän-gigkeit geben; was sie ans Licht bringen will, ist die eigenartige Ebene« (Foucault 1997: 235) diskursiver Erfahrungs- und Sprechräume. In der bedingten Abhängig-keit und begrenzten WirkmächtigAbhängig-keit liegt die Eigenart diskursiver Praxis. Dis-kurse müssen somit als Vermittlungsinstanzenbegriffen werden. Die Übertragung sozialpraktischer Erfahrung auf die diskursive Ebene und die Übertragung diskur-siv erzeugten Wissens in die Praxis erfordert Übersetzungsleistungen.

Die analytische Isolierung der Ebene des Diskursiven ist ein wichtiger Schritt.

Die nächsten Schritte der Ausarbeitung der Machtanalytik verlangen sodann die Erörterung der Naht- und Schnittstellen mit anderen Bereichen und Ebenen der sozialen Realität. Obwohl selbstverständlich der Wandel von symbolischen Wis-sensordnungen für SozialwissenschaftlerInnen von höchster Relevanz ist, deckt dieser Wandel nur einen begrenzten Bereich des umfassenderen sozialwissen-schaftlichen Interesses für sozialen Wandel. Damit ist klar, dass sich ein diskurs-analytisches Interesse und Vermögen, wie es in der Archäologie des Wissens arti-kuliert wird, nicht mit einem sozialwissenschaftlichen Interesse decken kann.

Oben habe ich bereits gezeigt, dass (auch) die (frühen) Studien Foucaults von ei-nem Interesse für sozialen Wandel und soziale Machtzusammenhänge motiviert sind. Allein auf der Ebene der expliziten Methodenreflexion ist dieses For-schungsinteresse zum Zeitpunkt der Archäologie des Wissensvon Foucault noch nicht expliziert. (Die explizite, niedergeschriebene und veröffentlichte, Metho-denreflexion verläuft also nicht synchron mit den materialen Studien.) Wie Fou-cault sein Forschungsprogramm als sozialwissenschaftliche Machtanalytik aus-formuliert, wird im Abschnitt über die Genealogie der Macht-Wissens-Regime gezeigt. Zuvor werden noch einige praktische Fragen der Methode behandelt. Da sich Foucault zu konkreten methodischen Schritten kaum äußert, fällt dieser Teil leider spärlich aus.

(2) In der Archäologie des Wissensgeht Foucault nur kurz auf Fragen der Methode ein (Foucault 1997: 20 f.). Die Zusammenstellung eines Dokumenten-korpus wird als ein Teilschritt der Diskursanalyse benannt. Hierzu muss ein Aus-wahlprinzip in Abhängigkeit von der Fragestellung, der Reichweite des Untersu-chungsgebietes, dem Ziel, das gesteckt wird, und den Antworten, die gegeben werden sollen, gefunden und begründet werden. Die zentralen Forschungsfragen müssen formuliert werden, wobei zwischen speziell diskurstheoretischen und the-matischen Fragen unterschieden werden muss. Ferner muss die Methode der Da-tenerhebung und -auswertung benannt und ausgearbeitet werden. Dabei stellt sich die Frage, ob der Problemstellung ein quantitatives oder ein qualitatives Vorgehen

oder eine Kombination beider besser entspricht. Wobei zu beachten bleibt, dass sich aus der Sicht einer poststrukturalistischen Wissenschaftshaltung die her-kömmliche Logik quantitativer Forschung nicht einfach übernehmen lässt. Die zentrale Aufgabe, die sich dem/der Forschenden stellt, ist die Entwicklung eines Analyserasters. Damit ist ein offenes Kategorienschema mit mehreren Dimensio-nen gemeint, das beim Sichten der ausgewählten Texte fortlaufend entwickelt wird. Die oben genannten diskurstheoretischen Begriffe reichen für eine Analyse der konkreten Texte keineswegs aus. Für jede Diskursanalyse muss, um die ein-zelnen Texte analysieren und in Beziehung setzen zu können, ein feingliedriges Set von Suchbegriffen entwickelt werden. Je nach Bedarf kann die Visualisierung des Analyserasters in mindmapsoder fuzzy cognitive mapshilfreich sein. Die je-weiligen inhaltlichen Ausprägungen und die Muster dieser Aussagen können dann miteinander verglichen werden. So zeigt sich, wo (Un-)Regelmäßigkeiten in der diskursiven Praxis auftreten. In den meisten methodischen Konzeptionen, so z. B.

von A. Waldschmidt (2003: 158 f.), wird eine mehrstufige Lektüre der Texte vor-geschlagen: Eine diskurs-orientierte Lektüre dient der ersten Vorauswahl von re-levantem Material und zur Konstruktion eines Textkorpus, wobei der Textkorpus im Laufe des Interpretationsprozesses durchaus erweitert und verändert werden kann. Daraufhin folgen fokussierte Analysen ausgewählter Schlüsseltexte, die wiederum auch mehrstufig angelegt sein können. Dabei werden konkrete Fra-gestellungen bezüglich der materialen Kontexte sowie der sprachlich-formalen und inhaltlichen Struktur von Aussagen entwickelt (Keller 2004: 93).

Da Foucault keine methodischen Rezepte liefert, müssen diese aus den mate-rialen Studien – sofern dies möglich ist – herausgelesen, von anderen Traditionen empirischer Sozialforschung angeeignet und selbst ausgearbeitet werden. Letzt-lich kann mittlerweile auch auf eine Reihe spezifisch diskursanalytischer Aus-arbeitungen von Methoden der Datenauswahl, der Interpretation und der Darstel-lung zurückgegriffen werden (siehe hierzu bspw. Keller et al. 2003).

4. Die Machtanalytik und die Genealogie von Macht-Wissens-Regimen

Im Dokument Kritik mit Methode? (Seite 37-43)