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K APITEL III: G AIN MODULATION OF COMPASS SIGNALING BY SALIENT OBJECT MOTION IN AN INSECT BRAIN

(GAIN MODULATION VON KOMPASSANTWORTEN DURCH SALIENTE BEWEGUNGSREIZE)

Tobias Bockhorst und Uwe Homberg

Die vorigen Kapitel widmeten sich der Charakterisierung von Antworten auf polarisiertes Licht (Kompassantworten) bzw. auf das Auftreten bewegter Objekte (Objektantworten) bei Neuronen des Zentralkomplexes der Heuschrecke. Beide Antworttypen wurden in denselben Zellen unter

´unimodaler´ Stimulation gemessen – es wurde also bei jeder Messung entweder ein Kompassreiz oder ein Objektreiz dargeboten.

Durch eine dritte Reihe von Tests sollte ergründet werden, wie sich die Bimodalität dieser Zellen äußert, wenn tatsächlich Reize aus beiden Domänen zusammenfallen – wie es unter natürlichen Bedingungen etwa während des Fluges in einem Schwarm häufig der Fall sein dürfte. Zu diesem Zwecke wurde bei einigen CL1-, TB1-CL1-, CPU1- und CPU2-Neuronen zusätzlich zu den in Kapitel I und II beschriebenen Stimulationen eine kombinierte Stimulation mit stationären E-Vektor-Winkeln und bewegten Objekten durchgeführt. Bei allen zu echter polarization-opponency ´fähigen´ Zellen (also TB1, CPU1 und CPU2) umfasste dies sowohl erregende als auch hemmende E-Vektoren. Die Bewegungsreize wurden erst dargeboten, nachdem die Kompassantworten wie in Kapitel I beschrieben durch E-Vektor-spezifische Adaptation abgeklungen waren. Insgesamt kommt die Stimulation damit einem Szenario nahe, in welchem die Heuschrecke nach einigen Sekunden der Fortbewegung in dieselbe Richtung mit dem Erscheinen eines bewegten Objektes konfrontiert wird.

Um diesen Effekt zu quantifizieren, wurden während der kombinierten Stimulation

auftretende Raten gemessen. Diese Spike-Raten wurden mit jenen der vorangehenden nicht-adaptierten (frühen) E-Vektor-Antwort verglichen (jeweils 5 Sekunden Fensterlänge).

Beide Spike-Raten wurden hierbei zunächst auf einen gemeinsamen Vergleichswert, nämlich die Spike-Rate der adaptierten E-Vektor-Antwort, normalisiert.

CL1-Neurone antworteten auf kombinierte Stimulation wie bei alleiniger Präsentation des bewegten Objektes mit Inhibition. Dieses Antwortverhalten bringt mit sich, dass bei hemmenden E-Vektoren unter kombinierter Stimulation wiederum eine Antwort auftritt, welche der ursprünglichen, abgeklungenen E-Vektor-Antwort entspricht. Bei nicht-hemmenden E-Vektor-Winkeln führt diese lineare Integration (´Addition´) der abgeklungenen Kompassantwort und der hemmenden Objektantwort dagegen zu einem aus der Warte des Kompasssinnes

´widersprüchlichen´ Ergebnis: die kombinierte Antwort ist hemmend, während der neutrale E-Vektor eigentlich Hintergrundaktivität ´fordert´.

Es kommt hier also zu einer Art destruktiver Interferenz durch lineare Integration von Kompass- und Objektantwort. Ein vergleichbares Antwortverhalten wurde auch bei zwei TB1-Neuronen und einem CPU1-Neuron beobachtet, welche im Gegensatz zu CL1-Zellen polarization opponency zeigten. Dementsprechend traten bei den TB-Neuronen (exzitatorische Objektantwort) bei hemmenden E-Vektoren und im Falle des CPU1-Neurons (hemmende Objektantwort) beim erregenden E-Vektor ´paradoxe´ Antworten auf kombinierte Stimulation auf.

28 Sechs weitere Neurone (3 TB1-Neurone, ein CPU1-Neuron und zwei CPU2-Zellen) zeigten ein völlig anderes Antwortverhalten. Bei diesen traten keine deutlichen Antworten auf alleinige Präsentation des bewegten Objektes auf; ihre Antworten auf hemmende und erregende E-Vektor-Winkel waren eher phasisch-tonisch als phasisch – sie klangen also nicht vollständig auf das Niveau der Hintergrundaktivität ab. Bei kombinierter Stimulation kam es zu einem nicht-linearen Effekt: Das Auftreten des bewegten Objektes führte zu einer Wieder-Verstärkung der residualen Kompassantwort. Hierbei hatte also derselbe Objektreiz einen hemmenden Effekt bei gleichzeitiger Darbietung eines hemmenden E-Vektors und einen erregenden Effekt bei gleichzeitiger Darbietung eines erregenden E-Vektors. Bei intermediären, also ´neutralen´ E-Vektor-Winkeln trat keine Antwort bei kombinierter Reizpräsentation auf.

Ich betrachte dieses Antwortverhalten als eine weitere Form kontextabhängiger Kompassaktivität neben E-Vektor-spezifischer Adaptation, Antizipation und Maskierung (Kapitel I) und als einen ungewöhnlichen Fall von

´gain modulation´. Dieser Begriff bezeichnet für gewöhnlich Prozesse, bei welchen Verhaltenszustände (z.B. ruhend im Gegensatz zu fliegend) einen Einfluss auf die Amplitude sensorischer Antworten haben (siehe unten).

Diese Effekte waren länger anhaltend als die bei linearer Integration beobachteten Objektantworten. Genauer gesagt entsprach ihre Dauer etwa jener der starken, frühen (noch nicht-adaptierten) E-Vektor-Antwort.

Zur quantitativen Analyse wurde untersucht, ob eine Korrelation zwischen den Spike-Raten der nicht-adaptierten E-Vektor-Antworten und jenen der zugehörigen Antworten auf kombinierte Stimulation besteht. Dies wurde sowohl für jede einzelne Zelle als auch für den Gesamtdatensatz durchgeführt (Einschlusskriterium war eine Mindestzahl von 10 kombinierten Stimulationen der Zelle, welche sowohl erregende als auch hemmende E-Vektor-Winkel beinhalten musste).

Bei 5 der 6 Zellen zeigten sich signifikante (p<0.05), starke Korrelationen mit 33 bis 85%

erklärter Varianz. Eines der CPU2-Neurone zeigte zwar keine signifikante Korrelation, jedoch einen entsprechenden Trend. Der Gesamtdatensatz der fünf übrigen Zellen (101 Messungen) ergab erneut eine signifikante Korrelation, welche insgesamt etwa 34% der Varianz erklärte.

Die durch gain modulation sozusagen wieder-erweckten Kompassantworten erschienen stark und langanhaltend genug, um mit den nicht-adaptierten Kompassantworten zu Beginn der Präsentation eines stationären E-Vektors vergleichbar zu sein. Sie sollten also eine

´adäquate´ Repräsentation von

Kompassinformation bieten. Diese könnte etwa der Planung von Ausweichmanövern unter gleichzeitiger Berücksichtigung einer weiterhin angestrebten Bewegungsrichtung dienen. Eine kurz vor einem Ausweichmanöver erneut auftretende Repräsentation der bisherigen Bewegungsrichtung könnte die Grundlage für eine Art Gedächtnisspur dieser Richtungsinformation bilden. Nach einem Ausweichmanöver könnte diese dann mit der veränderten Bewegungsrichtung verglichen werden, um sich wieder ´auf Kurs begeben´ zu können, sobald die Gefahr gebannt ist. Sollte tatsächlich ein Ausweichmanöver stattfinden, so würde dieses zu einer Bewegung der

Heuschrecke relativ zum

Himmelspolarisationsmuster führen. Die dabei ausgelösten Antworten auf sich verändernde E-Vektor-Winkel (s. Kapitel I) könnten dann mit der hypothetischen Gedächtnisspur verglichen werden. Dies würde zu einer bereits bei Fliegen gezeigten Rolle des Zentralkomplexes für das visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis passen (Neuser et al. 2008).

Eine lineare Integration von Kompass- und Objektantworten muss nicht zwangsläufig zu einer Störung der Kompassorientierung führen.

Antworten – oder Hintergrundaktivitäten – die

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´Ausgangskanälen´ des Zentralkomplexes ausgeglichen werden (siehe Anhang ADDENDUM TO CHAPTER III). Wenn hierbei die hemmend verschalteten Ausgänge entgegengesetzte E-Vektor Vorzugsrichtungen haben, so könnte die E-Vektor Information diesen Ausgleich

´überleben´, da sie in beiden Kanälen gegensinnig wäre – während die übrige, in beiden Kanälen gleichsinnige Aktivität

´weggehemmt´ werden könnte.

Mit Blick auf mögliche neuronale Mechanismen vermute ich weiterhin, dass sich sowohl lineare

Integration als auch gain modulation mittels des in Kapitel I eingeführten Verschaltungsmusters erklären lassen könnten. Sie würden dann auf zwei unterschiedliche ´Betriebszustände´ des Kompassnetzwerks zurückgehen und nicht etwa zwei verschiedenen Zellpopulationen entsprechen. Wie in Abbildung 8 gezeigt, würde gain modulation dann auftreten, wenn die Antworten auf stationäre E-Vektoren phasisch-tonisch und nicht rein phasisch sind. Tatsächlich ging die beobachtete gain modulation oft mit solchen phasisch-tonischen Antworten einher.

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Abb. 8. Ein erweitertes Verschaltungsmodell des Zentralkomplexes erklärt Antworten auf kombinierte Reizung mit polarisiertem Licht und bewegten Objekten. Gezeigt ist ein putatives Muster von Verschaltungen und resultierenden Antworten von CL-, TB- und CPU-Zellen im Zentralkomplex (siehe Abbildung 7 für Details). Das Schlüsselelement bildet die gegenseitige (Ent-)Hemmung zweier TB-Neurone, welche Eingänge von CL1-Neuronen mit entgegengesetztem E-Vektor-Tuning erhalten (max=90°). Diese ‘antagonistische Integration’ erklärt, wie es bei TB-Neuronen zu echter ´polarization-opponency´ - d.h. zu erregenden und hemmenden E-Vektor-Antworten - kommt, während die vorgeschalteten CL1-Zellen lediglich eine hemmende Antwort bei ihrem jeweiligen min zeigen, nicht jedoch eine Erregung bei einem entsprechenden Gegenvektor (s. Kapitel I). CL1-Neurone wurden ebenso bei alleiniger Präsentation bewegter Objekte und bei Kombinationen von Kompass- und Objekt-Reizen gehemmt; unabhängig vom E-Vektor-Winkel. Verläuft die hemmende Kompassantwort des CL1-Neurons auf seinen min (schwarze Bahn) nicht rein phasisch, sondern phasisch-tonisch, so sollte die kombinierte Antwort dieses Neurons stärker ausfallen als jene der CL-Zelle mit entgegengesetztem E-Vektor-Tuning (graue Bahn), welche auf ihren ‘max’ neutral ´antwortet´. Durch die gegenseitige (Ent-)Hemmung der nachgeschalteten TB-Neurone bewirkt dieser Unterschied zwischen den Amplituden der CL1-Antworten die bei TB1- und CPU-Zellen beobachtete gain modulation. Dünne (dicke) Graphen symbolisieren die Antworten auf getrennte (kombinierte) Stimulation durch Kompass- und Bewegungsreize, ‘gemessen’ an den durch die kleinen Pfeile markierten Bereichen der Neurone. IN, OUT: Ein- bzw. Ausgänge des Schaltkreises; (UN)POL: Antworten auf (un-)polarisiertes Licht. Nicht dargestellt ist die Situation bei rein phasischer Kompassantwort der CL1-Neurone. Eine solche würde durch das vollständige Abklingen der Antwort auf das Niveau der Hintergrundaktivität zu gleich hoher Amplitude der kombinierten Antworten der CL-Neurone führen. Somit würde die Grundlage der gain modulation wegfallen und auch bei TB- und CPU-Zellen eine rein lineare Integration auftreten. Eine gewisse Variabilität der gain modulation könnte auf die ausgeprägte Dynamik der Hintergrundaktivität der vorgeschalteten CL1-Neurone zurückgehen (nicht dargestellt).

Hier gründet die gain modulation auf der Integration des Inputs von zwei verschiedenen Sinnen der Außenwahrnehmung: Kompasssinn und Objektsehen. Dies unterscheidet sich von Effekten des Bewegungszustandes auf die Höhe von Hintergrundaktivität und / oder visuellen Antworten von Zentralkomplexneuronen (Weir et al. 2014, Seelig and Jayaraman 2013, Homberg 1994). Unter Verwendung von Duftreizen konnte ebenfalls an Zentralkomplexneuronen der Fliege gezeigt werden, dass sensorische Antworten von internen Zuständen (Sattheit bzw. Hunger), sowie vom (unimodalen) exterozeptiven Kontext – etwa der gleichzeitigen Anwesenheit

verschieden wertiger Duftquellen – abhängen (Beshel and Zhong 2013). Ferner ist eine Bedeutung des Zentralkomplexes für das visuelle Objekt-, Arbeits- und Orts-Gedächtnis von Fliegen belegt (Liu et al. 2006, Pan et al. 2009, Neuser et al. 2008, Ofstad et al. 2011).

Zusammen mit den hier gewonnenen Erkenntnissen ergibt sich ein Bild des

Zentralkomplexes als höheres

Prozessierungszentrum des Insektengehirns, welches Verhaltensziele, interne Zustände des

Tieres und Reizeingänge der

Außenwahrnehmung vereint, um zielgerichtete Fortbewegung zu steuern.

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