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Anti-Diskriminierung als berufsethische Verpflichtung

Grundsätzlich ist auf das dritte bzw. politische Mandat Sozialer Arbeit zu verweisen (vgl. Staub-Bernasconi 2007). Es beinhaltet neben der wissenschaftlichen Fundierung der Profession die ethischen Richtlinien bzw. Zielsetzungen der Einhaltung der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit. Gemäß dem Beschluss der International Federation of Social Workers (IFSW) und der International Association of Schools of Social Work (IASSW) aus dem Jahr 2004 gehört es zur „Pflicht“ von Professionellen, Diskriminierung entgegenzuwirken (DBSH 2014, S. 30). Auch der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) hat in seinen „berufsethischen Prinzipien“ festgehalten, dass „Professionsangehörige“ die „Pflicht“ haben, „jegliche Diskrimi-nierung zu unterlassen und der DiskrimiDiskrimi-nierung durch andere ent-gegenzuwirken und diese nicht zu dulden“ (DBSH 2014, S. 33).

Erfahrungen aus Fortbildungen zeigen, dass Pädagog*innen häufig unsicher sind, ob es zu ihrer beruflichen Aufgabe gehört, auf Aussagen – insbesondere von Erwachsenen – zu reagieren, die sie als problematisch wahrnehmen. So werden Positionen, die sich bei genauerer Analyse als demokratiefeindlich, diskriminierend, den Nationalsozialismus verherrlichend herausstellen, als private Meinung eingeschätzt, die es zu akzeptieren gilt. Eine Positionierung unterbleibt.

Dies verdeutlicht, dass die berufsethische Verpflichtung, Diskriminie-rung und NS-Verherrlichung entgegenzutreten, zentraler Bestandteil von Aus- und Fortbildung werden sollte (vgl. Amadeu Antonio Stiftung 2018). Dabei braucht es eine Auseinandersetzung damit, wie diskrimi-nierende Aussagen als solche zu erkennen sind und inwiefern sie einer Menschenrechtsorientierung und Gleichwertigkeit aller entgegenste-hen. Solche Angebote sollten auch Reflexionen zu Macht- und Herr-schaftsverhältnissen beinhalten und Kenntnisse über die Gesetzeslage zum Themenbereich (Anti-)Diskriminierung vermitteln.

7. Welcher Grad des persönlichen Einstehens kann bzw. sollte Fachkräften zugemutet werden, wenn …

FAQ – Frequently Asked Questions

8. Wie zeigt sich Rechtsextremismus in der Praxis der Kinder-tagesbetreuung?

Antwort von Heike Radvan

Seit mehreren Jahren ist in verschiedenen Regionen der alten und neuen Bundesländer zu beobachten, dass rechtsextreme Erschei-nungsformen in Kindertageseinrichtungen und anderen Einrichtun-gen frühkindlicher Pädagogik vermehrt auftreten. Diskriminierende, demokratiefeindliche Positionen und Erscheinungsformen von Rechtsextremismus zeigen sich in der Praxis auf folgenden Ebenen:

(1.) Elternarbeit, (2.) pädagogische Arbeit mit Kindern, (3.) Umgang mit rechtsextrem orientierten oder engagierten Erzieher*innen sowie (4.) Betreuungsangebote aus der rechten Szene. Es handelt sich hierbei auf den ersten Blick um ein relativ neues Problem, das pädagogische Fachkräfte vor Herausforderungen stellt (vgl. Radvan/Lehnert 2015).

In der pädagogischen Arbeit stehen Erzieher*innen, aber auch Sozial-assistent*innen, Integrationshelfer*innen sowie andere Berufsgrup-pen aus der Sozialen Arbeit, die in Kitas tätig sind, vor verschiedenen Herausforderungen, wenn sich Kinder diskriminierend äußern. Zu allererst lässt sich festhalten, dass Kinder Einstellungen und Ver-halten erlernen und somit diskriminierende Aussagen und Praxen im Alltag auch von ihnen vertreten werden. Im Zusammenhang mit rechtsextremen Erscheinungsformen können Fachkräfte damit konfrontiert sein, dass Kinder in der Kita Kleidung tragen, auf denen neonazistische Symbole abgebildet sind und Ideologie auch via Text vermittelt wird. Zudem zeichnen Kinder rechtsextreme Symbole und können deren Verwendung als legitim darlegen. Kinder verhal-ten sich abweisend oder gewalttätig und spielen nicht mit Kindern, die sie als „Ausländer“, als „behindert“ bezeichnen oder wollen diese – zum Beispiel im Morgenkreis – nicht anfassen. Gleichzeitig fallen einige Kinder dadurch auf, dass sie besonders gut „gehorchen“

und Anforderungen an Disziplin und Ordnung gewöhnt sind und befolgen. In manchen Fällen zeigt sich, dass diese Kinder in Eltern-häusern leben, die sich rechtsextrem orientieren oder organisieren.

Herausforderungen bestehen in der Praxis darin, das Problem als solches frühzeitig wahrzunehmen und auf verschiedenen Ebenen zu reagieren. Im Sinne einer anti-diskriminierenden Pädagogik steht im Vordergrund, entsprechende Aussagen/Handlungen als solche zu erkennen. In der Intervention geht es neben dem Kind, das sich diskriminierend äußert/verhält, darum, die gesamte Gruppe und vor allem diejenigen Kinder im Blick zu behalten, die von Diskriminie-rung betroffen sind. Häufig „übersehen“ Professionelle, dass es in unmittelbarer Reaktion auf diskriminierendes Verhalten wichtig ist, sich zuerst um das betroffene Kind zu kümmern und zu verhindern, dass es die Beschimpfung, Ausgrenzung auf seine Person bezieht, und es emotional zu stabilisieren. Gleichzeitig wird hiermit ein Signal an die Gruppe, einschließlich des tätlichen Kindes gesendet, dass die Solidarität und Zuwendung dem betroffenen Kind gilt. Zudem ist es notwendig, so zu reagieren, dass alle verstehen, warum Diskriminie-rung und menschenverachtende Symboliken nicht toleriert werden und anderes Verhalten in der Kindertagesbetreuung gelebt wird. 3 Auch in der Arbeit mit Eltern sind Kita-Mitarbeiter*innen mit alltags-diskriminierenden Aussagen konfrontiert, die durchaus von vielen geteilt werden und sich gegen „marginalisierte Gruppen“ richten (s. u.).

Hier ist es wichtig, diese Aussagen/Handlungen sensibel wahrzuneh-men und sich in jedem Falle zu positionieren. Hilfreich ist das Wissen um eine berufsethische Verpflichtung, Diskriminierung und anti-demokratischen Positionen entgegenzutreten und Betroffene davor zu schützen. Eine Aufmerksamkeit gegenüber Diskriminierungen im Alltag kann auch dabei unterstützen, Rechtsextremismus frühzeitig zu erkennen. So bringen sich Mütter – in rechtsextrem orientierten oder organisierten Kontexten sind es in der Regel Frauen, die Erziehungs-aufgaben wahrnehmen – sehr strategisch mit ihrer Ideologie in die Kita ein. Häufig sind diese Mütter nicht auf den ersten Blick mit ihren

8. Wie zeigt sich Rechtsextremismus in der Praxis der Kindertagesbetreuung?

3 Arbeitet man mit einem Kind, das in einem rechtsextrem organisierten Elternhaus lebt, ist es wichtig, im Blick zu behalten, dass das Kind nicht in einen überfordernden Widerspruch zu den Einstellungen im Elternhaus bzw. in Loyalitätskonflikte gerät. Unter

FAQ – Frequently Asked Questions

Einstellungen zu erkennen, sie engagieren sich für Verbesserungen in der Kita, z. B. die Sanierung des Spielplatzes, und aktivieren hierfür andere Eltern. Wenn eine vertrauensvolle Beziehung entstanden ist, versuchen sie, ihre ideologischen Ziele direkter zu verfolgen. Es kann sein, dass diese Eltern ihren Kindern Bücher in die Kita mitgeben, deren Inhalte rassistisch sind. Eltern laden zum Kindergeburtstag ein und verteilen Geschenke an Kinder, wie z. B. T-Shirts auf denen neonazistische Symbole oder entsprechende lebensweltliche Aus-sagen abgedruckt sind. Nicht selten thematisieren Mütter in der Elternversammlung Forderungen, die sehr schnell und durchaus von vielen Eltern Zustimmung erhalten. Diese betreffen auf den ersten Blick durchaus kitarelevante Fragen; bei genauerer Betrachtung steht dahinter jedoch die Strategie, rechtsextreme, ideologische Themen einzubringen und zu normalisieren. So verweist in einem Beratungs-fall eine Mutter auf die Bürgerinitiative, die sich gegen die Einrichtung einer Unterkunft für Geflüchtete unweit der Kita engagiert und verteilt Flyer. Nicht selten wird hier mit dem rassifizierten Bild des „sexuell übergriffigen Fremden“ gearbeitet, wie sich auch in der Instrumenta-lisierung der Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht 2015/2016 (nicht nur) durch Neonazis zeigte (vgl. Amadeu Antonio Stiftung 2016).

Kita-Leitungen sind seit dem Herbst/Winter 2016 offenbar fallbezo-gen damit konfrontiert, dass solche Forderunfallbezo-gen in einer Mehrheit der Elternschaft Zustimmung erhalten können und auch Kolleg*innen diese teilen. In diesen Beispielen zeigt sich: Geflüchtetenfeindliche, alltagsrassistische Aussagen werden – das bestätigt Ergebnisse der Einstellungsforschung – von vielen Menschen vertreten. Neben all-tagsrassistischen betrifft dies zudem Aussagen, die sich z. B. als (Hetero-)Sexismus sowie in der Ablehnung von Gender Mainstrea-ming und Vorstellungen genderreflektierender sowie (queer-)feminis-tischer Ansätze in Wissenschaft und Praxis benennen lassen. So sind Kita-Mitarbeiter*innen beispielsweise verunsichert, ob sie Kinder, die sich geschlechtlich nicht eindeutig als Mädchen oder Junge zuordnen, hierin unterstützen sollen. Eltern fordern, dass ihre Kinder in der Kita (ver)eindeutige(nde) Angebote für eine implizit oder explizit biolo-gisch begründete, geschlechtsspezifische „Identität“ erhalten, um sich

als „richtiger Junge“ und „richtiges Mädchen“ entwickeln zu können. Es werden hierfür „Argumente“ verwendet, die sich in entsprechenden Forderungen der AfD (Kemper 2016; Andresen 2018, S. 777) und Organisierungen wie den sogenannten „besorgten Eltern“ oder der

„Demo für alle“ finden (Schmincke 2016).

Im Team, auf Ebene der Leitung und des Trägers stellen sich Fragen für einen präventiven Umgang mit den beschriebenen Problemen.

Das betrifft aktuell insbesondere Situationen, in denen sich keine Mehrheit unter Eltern für demokratische Positionen finden lassen bzw. in denen geflüchtetenfeindliche Aussagen von vielen geteilt werden. Zudem gibt es wiederholt Fälle, in denen bekannt wird, dass eine Kollegin oder ein Kollege sich rechtsextrem engagiert (vgl.

Lehnert/Radvan 2016, S. 68ff.). Häufig wird dies erst Thema, wenn journalistisch – sozusagen „von außen“ – darüber berichtet wird.

Auch hier besteht die Herausforderung darin, frühzeitig zu erkennen, welche Einstellungen eine Person vertritt und zu vereinbaren, wie hiermit umzugehen sei. Oft ist das Erstaunen der Kolleg*innen groß;

es wird versichert, dass die betreffende Kollegin fachlich qualifiziert und „nett“ zu den Kindern sei, ihre Einstellung also nicht in die Arbeit mit den Kindern eingebracht habe. Häufig besteht keine Einigkeit darüber, ob es pädagogisch sinnvoll und somit tragbar ist, mit einer Person (weiter) zusammenzuarbeiten, die sich in rechtsextremen Szenen engagiert.

Welche Handlungsstrategien gibt es im Umgang damit?

In der Beratungspraxis der Amadeu Antonio Stiftung wird zum Um-gang mit Rechtsextremismus bzw. zur Primär-, Sekundär- und Tertiär-Prävention 4 empfohlen, ein demokratisches Leitbild für die eigene Einrichtung zu entwickeln (vgl. Radvan/Leidinger 2017). Dabei wird oft

8. Wie zeigt sich Rechtsextremismus in der Praxis der Kindertagesbetreuung?

4 Unter primärer Prävention wird das Verhindern problematischer Handlungsweisen im Vorfeld verstanden; mit sekundärer Prävention sind Ansätze gemeint, die eine Verstärkung bereits bestehender problematischer Einstellungen und Handlungsweisen zu verhindern suchen; tertiäre Prävention reagiert auf bereits manifeste Handlungen (vgl.

FAQ – Frequently Asked Questions

nach einer (Kopier-)Vorlage für ein solches Selbstverständnis gefragt.

Demgegenüber zielt die Idee der Leitbild-Entwicklung jedoch nur sekundär auf das Ergebnis eines ausgearbeiteten Leitbildes. Vielmehr geht es um den kommunikativen Prozess der Auseinandersetzung über (potentielle) Inhalte eines Leitbildes innerhalb der Einrichtung, also Diskussionen, damit verbundene Wissensaneignungen und Reflexionen unter den Mitarbeitenden. Im Zentrum steht, sich über Grundsätze, Werte, den Rahmen der eigenen Arbeit(sgestaltung), Ziele sowie etwaige Verhaltenskodizes zu verständigen und Umset-zungspraxen zu überlegen. Ohne einen solchen gemeinsamen Diskussions- und Selbstverständigungsprozess wäre ein Leitbild nicht mehr wert als ein beliebiges Stück Papier. Dies ist auch der zentrale Grund, weshalb keine Vorlagen erstellt und ausgegeben werden.

Insbesondere die – hier empfohlene – Entwicklung von demo-kratischen Leitbildern, die auf eine Auseinandersetzung mit und Ablehnung verschiedener Formen von Gewalt, Diskriminierung sowie Macht- und Herrschaftsverhältnissen abzielt, erfordert die Kompetenz, ebendiese Problemlagen in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen erkennen zu können. Ohne Wahrnehmungs- und Analysekompetenz ist es kaum oder gar nicht möglich, eine kritische Haltung zu entwickeln, auf deren Basis eine Intervention bei Diskriminierung, oder demokratiefeindlichen Aussagen erarbei-tet werden kann. Neben Wissensaneignung ist eine Reflexion der eigenen gesellschaftlichen Positionen und den damit verbundenen De-/Privilegierungen notwendig, die damit einhergehenden Verstri-ckungen in verschiedene Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie deren Überkreuzungen, was in der geschlechterforscherischen sowie (queer-)feministischen Forschungsdebatte Intersektionalität oder Interdependenzen genannt wird (vgl. z. B. Riegel/Scharathow 2012).

Um eine sensibilisierte und frühzeitige Wahrnehmung von Diskri-minierung, aber auch von rechtsextremen Erscheinungsformen zu ermöglichen, ist es wichtig, im Leitbild oder in ergänzenden Hand-reichungen festzuhalten, was unter Rechtsextremismus, insbesondere unter den verschiedenen Einstellungsmustern, verstanden wird und

wie dies sprachlich zu erkennen ist. Das bedeutet u. a., die sprach-lichen Konstruktionen von „Wir“- und „Fremd“-Gruppen zu beschrei-ben und im Diskussionsprozess im Team gemeinsam zu beraten, wie dies zu identifizieren und wie zu intervenieren ist.

8. Wie zeigt sich Rechtsextremismus in der Praxis der Kindertagesbetreuung?

FAQ – Frequently Asked Questions 9. Demokratie und Vielfalt in der Kita seien eine Frage der „Haltung“ pädagogischer Fachkräfte – was ist …

9. Demokratie und Vielfalt in der Kita seien

eine Frage der „Haltung“ pädagogischer Fachkräfte –