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Ansichten eines sensitiven Erzählers

Im Dokument Geschichte und Geschichten (Seite 42-59)

1. Pis'ma russkogo pu tešestven nika

1.2. Ansichten eines sensitiven Erzählers

Kunst sei Denken in Bildern, postulierte der Literaturkritiker Belinskij. Grundsätzlich gilt das auch für die Reisebriefe. Noch treffender könnte der Satz im sentimentalistischen Kontext der Pis*ma jedoch heißen, Kunst sei Fühlen in Bildern. Die R eisebriefe bestehen aus einer (scheinbar losen ) Aneinanderreihung von (Sinn -)B ildcm und Betrachtungen, in sich abgeschlossenen Geschichten und Anekdoten, die im wesentlichen allein durch die Person bzw.

Persönlichkeit des Erzählers miteinander verklammert sind. Der Erzähler beschreibt in diesen Bildern vornehmlich seine Gefühle und Stimmungen, er vermittelt seine Emotionen und Affekte über Bilder.

Nachdem der Erzähler im Vorwort bemerkt hatte, er w olle in den R e ise b rie fe n das beschreiben, was er "gesehen, gehört, gefühlt und gedacht" habe, scheint ein erster flüchtiger Blick auf die Pis'ma zu bestätigen, daß die angegebene Reihenfolge der Wahrnehmungen nicht zufällig gewählt ist. Es hat den Anschein, als spiele das visuelle Moment, das Sehen, die dominierende Rolle für den Erzähler vor allen anderen Sinneswahmchmungen. Schon 1787 hatte N.M . Karamzin in einem Brief an den Schweizer Moraltheologen J.C. Lavater, in dem er sich über die Lebensnotwendigkeit von Wissen äußerte, das Streben nach Erkenntnis vor allem an das visuelle Moment als Auslöser für weitere Nachforschungen angebunden:

"Ich bin mit einem Streben nach Erkenntnis geboren; ich sehe, und sogleich will ich w issen, was in meinen Augennerven eine Erschütterung hervorgebracht hat: daher schließe ich, daß das Wissen fur meine Seele nothwendig ist, fast eben so nothwendig. als die Nahrung für meinen Körper, darnach ich mich umsah, sobald ich in die Welt geboren war." (Perepiska 1893, 27 (Brief vom 25.7.1787]).

Auch der Erzähler in den Pis'm a war ausdrücklich mit dem Wunsch nach W esteuropa1 gekommen, sich dort umzusehen, Neues zu erfahren, zu erleben, aber vor allem zu sehen. "Mit eigenen Augen"2 w olle er sich umschaucn. vor Ort überprüfen, was er zuvor über Europa gehört und gelesen habe. Von allem möglichen wolle er sich nun selbst ein Bild machen, gibt er

*Solche Reisen nach Westeuropa, wie sic der Erzähler in den Briefen beschreibt, galten in bestimmten westlich orientierten Kreisen Rußlands als “Pilgerfahrten" /и den Quellen der Aufklärung und waren entsprechend ideologisch besetzt. Vgl. Lotm an/U spcnskij (1977b. 36): "W ährend im mittelalterlichen Bewußtsein die heiligen Länder (der ()sten) die Quelle waren, aus der ,der Funken der Frömmigkeit bis in das russische Reich gekom m en ist', begann man um 1800 mit der dem onstrativen Behauptung, dass der neue A ufklärer der russischen Erde eine Pilgerfahrt in den Westen unternehmen m uß - und zwar seit der *großen Gesandtschaft*

Peters I. Später gewinnt die Reise nach Paris für den russischen Adeligen des 18. Jahrhunderts gcwisscrwcisc den Charakter einer Reise zu den heiligen Stätten. Nicht zufällig sehen die Gegner des westlichen Kurses gerade in solchen Reisen die Hauptquclle des Übels."

2Vgl.: ”Ч то б ы л о м не и звестн о по о п и сан и ям , виж у теп ерь собственны ми глазами |.. . |. " (1.305).

an und läßt permanent neugierig, wißbegierig seine Blicke schweifen, ist bereit, sich mit allem zu beschäftigen, worauf zuällig sein Blick fällt3. Umfassend interessiert, sammelt er Eindrücke scheinbar so, w ie sie sich ihm spontan darbieten, ohne planvoll, systematisch oder selektiv vorzugehen:

" |...| я пош ел бродить куда глаза глядят.'' (1,428).

"[...] дал глазам своим волю перебегать от предмета к предмету." (1,234).

A lles - M enschen, Landschaften, Städte, Bau- und andere Denkm äler, touristische Sehenswürdigkeiten betrachtet er ohne Unterschied mit der gleichen Aufmerksamkeit. Man könnte sagen, er "konsumiere" die verschiedenartigsten Eindrücke4, reihe sie aneinander, ohne sie intellektuell zu verarbeiten, gibt aber an. sie in seinem Gedächtnis zu speichern, um sie eventuell bei späterer Gelegenheit wieder hervorholen und dann rational verarbeiten, kritisch analysieren und ordnen zu können:

"Душа моя наполнена живыми впечатлениями, но я не могу сам ому себ е дать в них отчета и не в состоян и и сказать вам ничего св я зн ого [...]. П усть лю бы пы тство мое насыщ ается, а после будет время рассуж дать, описывать, хвалить, критиковать." (1,305).

Der Blick des Erzählers bleibt immer an der Oberfläche. Er schöpft die Möglichkeiten, die der Gesichtssinn bietet, ־ z.B. die Wiederholbarkeit des Blicks und damit die Chance zu einem genaueren, detaillierteren Hinsehen -, nicht aus, sondern verharrt beständig im Stadium des ersten Blicks, der relativ unscharf das große Ganze erfaßt, aber keine Einzelheiten erkennt, wie er selbst intuitiv bemerkt, eher ahnt als erkennt:

“Ош ибаю сь или нет, но мне к аж ется, что первый взгляд на гор од дает нам лучш ее, ж ивей ш ее об нем понятие, н еж ел и дол говр ем ен н ое пребы вание, в котором занимаясь частями, теряем чувство целого. С в еж ее л ю боп ы тство ловит главные, отличительны е знаки м еста и л ю д ей , то, что, со б ств ен н о , называется характером и что при долгом , повт орит ельном рассм атривании затемняется в душе наблюдателя." (1,437).

3In einer Zusammenfassung der H eisebńeff für den “Spcciaieur du Nord" umreißt Karamzin die breitgefächcrten Interessen des jungen Reisenden folgendermaßen: “Это молодой человек, стр ем ящ и й ся увидеть природу т а м , где она п р ед ст ает более с и я ю щ е й , б о л ее в е л и ч еств ен н о й , чем у нас, и о н о с о б о ал ч е т у в и д еть в е л и к и х п и с а т е л е й , чьи с о ч и н е н и я п р о б у д и л и в нем п е р в ы е д в и ж е н и я д у ш и . О н вы ры вается из о б ъ я т и й друзей и о т п р ав л я етс я в путь один на один со своим ч у в стви тел ь н ы м сердцем . Все и н тересует его: д о с то п р и м е ч а те л ь н о с ти городов, м е л ь ч а й ш и е р а з л и ч и я в о б р азе ж и з н и их о б и т а т е л е й , м он ум ен ты , в о с к р е ш а ю щ и е в его п а м я т и р а з л и ч н ы е з н а м е н а т е л ь н ы е с о б ы т и я ; сл ед ы в е л и к и х л ю д е й , к о т о р ы х у ж е н е т на с в е т е ; п р и я т н ы е л а н д ш а ф т ы , в и д плодородных полей и безбреж ного м оря." (11,93).

4Der Erzähler bezeichnet die ständig neuen Gegenstände und Eindrücke als notwendige ”Scclennahrung":

" Ч е л о в е к у с ж и в ы м чувством и с л ю б о п ы т н ы м д у х о м т р у д н о у ж и т ь с я на о д н о м м е с те ; неограниченная деятельность душ и его требует всегда новых предм етов, новой п и щ и .” (1,105).

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Der Erzähler bemüht sich, dieses eigentlich flüchtige Stadium des ersten (Uber-)Blicks, die Lebendigkeit des ersten Eindrucks im schriftlichen Text zu fixieren und zu konservieren. Daß sich die Intensität des unmittelbaren Erlebens und der Versuch, dieses Erlebnis in seiner Präsenz schriftlich festzuhaltcn. eigentlich gegenseitig ausschließen. da die schriftliche Fixierung Distanz zum Erleben und bewußte Reflexion impliziert, wird vom Erzähler ausgeblendet, bzw. er gibt nur einen vagen Hinweis darauf, daß diese Paradoxie auch seine Darstellung mitsamt ihrem Anspruch auf Unmittelbarkeit und Authentizität tangiere, wenn er angesichts eines ihn überwältigenden Anblicks aufhört zu schreiben:

"Нет, я не могу писать; красоты, меня окруж аю щ ие, отвлекают глаза мои от бумаги." (1,173).

Der Erzähler beschreibt in den Reisebriefen das, was er sieht, erlebt und wie er das Gesehene genießt. Dabei geht sein Blick, wie gezeigt, nicht in die Tiefe, sondern bleibt permanent an der Oberfläche, an den Konturen haften. Er sieht also keine Details, sondern das große Ganze.

Eventuell vorhandene visuelle Differenzen gelangen nicht in sein Bewußtsein und fließen folglich auch nicht in die Darstellung seiner Eindrücke ein. Da sein unendlich reproduzierter erster Blick die Gegenstände nur sehr ungenau und grob erfaßt, weisen im Ergebnis auch die Bilder, die er in den R e ise b rie fe n z.B . von Landschaften und Städten zeichnet, keine Tiefenschärfe und keine analytische Dctailgenauigkeit auf. Er sieht nur das Typische, die Umrisse. Alle (Landschafts-)Bilder ähneln sich so in gewisser Weise. In der Schweiz sieht es annähernd genauso aus wie in England oder Sachsen:

Kurland:

"!״ .) везде видиш ь п лодон осн ую зем л ю , луга, рощи; там и сям маленькие деревеньки или врозь рассеянные крестьянские домики." (1,66).

M arienburg:

" М еж д у т ем п р ек р асн ы й веч ер н астр ои л душ у м ою к п ри ятн ы м впечатлениям. На о беи х сторонах дороги расстилались богатые луга; воздух был свеж и чист; многочисленны е стада блеянием и ревом своим праздновали за х о ж д ен и е солнца. Кретьянки доили коров, вдыхая в себя целебны й пар молока." (1,80).

Frankreich:

"На о б еи х стор он ах реки простираю тся зелены е равнины; изредка видны пригорки и холмики; везде прекрасные деревеньки, [...]; сады, летние домики богаты х купц ов, дв ор я н ск и е зам ки с выокими баш ням и; в езде зем ля

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обработана наилучш им образом ; везде видно трудолю бие и богаты е плоды его." (1,298).

England:

"Какие места! какая земля! В езде богатые тем но-зелены е и тучные луга, где пасутся м ногочисленны е стада, бл естящ и е своею перловою и сер ебр я н ою воною; везде прекрасные деревеньки с кирпичными дом и к ам и , покрытыми светлою черепицею ; везде видите вы маленьких красавиц (в чистых белы х корсетах, с распущ енными кудрями, с откры тою сн еж н о ю грудью), которые д ер ж а т в руках корзинки и продаю т цветы; везде замки богаты х лордов, окруж енны е рощами и зеркальными прудами (1,432).

Das, was der Erzähler sieht, ist w esentlich von seiner Stim m ungslage beeinflußt. Seine jeweilige Stimmung, seine momentane seelische Verfassung koinzidiert mit den Bildern, die er in den R eisebriefen nachzeichnet. Die Umgebung hat auf ihn die selbe Wirkung, w ie sie Kulissen im Theater idealerweise auf das Publikum haben sollten. Wenn in den Reisebriefen beschrieben wird, wie Dekorationswechsel im Theater Stimmungsumschwünge beim Publikum herbeizuführen vermögen, dann hat diese Szene auch autoreferentielle Bezüge: Der Erzähler wählt ein Sinnbild, eine metaphorische Um schreibung, um seine eigene Reaktion auf Ortswechsel zu explizieren:

"Едва могу верить глазам своим, видя быструю перем ену декораций. В одно мгновение рай превращается в ад; в одно мгновение проливаю тся моря там, где луга зеленели , где цветы расцветали и где пастухи на свирелях играли;

светлое н ебо покрывается густым мраком, черные тучи несутся на крыльях ревущ ей бури, и зритель тр еп ещ ет в душ е своей; ещ е один миг, и мрак и сч езает, и тучи скры ваются, н бури ум олкаю т, и сер дц е ваше св етл еет вместе с видимыми предметами." (1,320).

In den R e is e b r ie f e n präsentiert sich der Erzähler fast durchweg als au sgeglich en e Persönlichkeit, deren vorherrschend positiv-freundliche Grundstimmung ihn die Dinge entsprechend friedlich und harmonisch sehen läßt. In K oinzidenz zu seiner seelisch en Prädisposition entwirft er von nahezu allen Landschaften, die er unterwegs sieht, angenehme, harmonische Bilder, denn:

״(...] душ а человека есть зеркало окруж аю щ их его предметов." (1,271).

Der geographische Raum wird für ihn zum inneren Erlebnisraum, zum Spiegel seiner inneren Verfassung. Unverkennbar ist der Einfluß idyllischer Topoi. Die Bilder in den R eisebriefen zeichnen nicht möglichst realistische Abbilder der Landschaften, wie aus den Beteuerungen des

Erzählers, bei den Briefen handle es sich um authentische Dokumente, eigentlich geschlossen werden könnte, sondern bei diesen Bildem handelt es sich um "Kunstwerke"5, die vornehmlich nach ästhetischen Kriterien komponiert und am sentimentalisischen Prinzip der prijatnost*

ausgerichtct wurden.

*

Die Wahrnehmung von Personen und Dingen wird also in den Pis'ma permanent durch die Stimmungen des Erzählers determiniert:

״В ообщ е все сю ренскис ж ители казались мне умными и счастливыми, м ож ет быть от веселого располож ения душ и моей." (1,369).

"Сердце м ое бы ло довольно и весело ־ (...) и все, что встречалось глазам наш им, занимало меня приятным образом." (1,303-4).

Von sich selbst entwirft er das Bild eines sensitiven Menschen, der seine Umwelt vor allem emotional mitfühlend erlebe und seine innere Ausgeglichenheit in der Natur widergespiegelt finde6:

"Как ясно бы ло н ебо, так ясна была душ а моя. Я видел везде благоденствие, счастье и мир. Птички, которые порхали и плавлаи по чистому воздуху над головою м оею , изображ али для меня веселье и беспечность." (1,117).

In den Bildem , die er in den Pis'ma nach seinen Wahrnehmungen zeichnet, offenbart er eine Affinität zu allem Schönen*7:

"П рекрасны й л у ж о к , прекрасная рощ ица, прекрасная ж ен щ и н а - одним словом , все прекрасное меня радует, где бы и в каком бы виде ни находил его." (1,111).

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5Der Erzähler wcisi z.B. bei einem dieser Bilder exira auf die ״künstlerische Symmetrie" hin: Т о о б ш и р н ы е п оля с п р е к р а с н ы м х л еб о м , т о зелен ы е луга, т о м ал ен ьк и е рош ицы и кусты , как будто бы в искусственной си м м етр и и р асп о л о ж ен н ы е, представлялись глазам наш им ." (1,68).

^Vgl. im sentimentalistischen Kontext M.A. Dmitriev in M eloči іг zapasa m oej pam jati. Moskau 1869. S.

15f. (zit. n. KoOetkova (1986. 95): " f ...| природа сущ ествует тол ько для того, кто умеет ее видеть.** ־ und M .N. M urav’cv: O b ita tcl' prcdm cstija. In: O rlov (1979, 74). über den Z u sam m en h an g von N aturw ahm chm ung und Moral: "В ели колеп и е и вся красота природы вкуш аю тся тол ько н еви нн ы м с е р д ц е м . С о х р а н я й т щ а т е л ь н о н е п о р о ч н о с т ь с е р д ц а с в о е г о ; б у д ь к р о т о к , п р а в е д е н , б л а г о т в о р и т е л е н , п о с т а в л я й себя всечасн о в присутстви и в ы ш н его сущ ества. ( ...| С п о к о й н а я совесть твори т природу прекрасную.**

7Die Einheit des Schönen und Guten betonte Karamzin auch 1818 in seiner Rede vor der russischen Akademie:

~B сам ы х м н и м ы х красотах п о р очн ого есть б езо б р ази е, оскорбительное не т о л ь к о д л я чувства н равствен н ого, но и д ля вкуса в и зя щ н о м , коего единство с добром тайно для разума, но известно сердцу.'* (11,175-6).

־ und entsprechend sieht er auf seiner Reise auch nur Schönes: Natur, Menschen. Landschaften.

Städte. Gebäude. Sehenswürdigkeiten. Denkmäler nimmt er analog zu seiner ausgeglichenen seelischen Prädisposition* als schöne, in sich harmonische, malerische Bilder wahr. P rijatnyj avanciert zu einem oft verwendeten Epitheton: Ohne deskriptive Funktion, kennzeichnet es allein die Einstellung des Erzählers zu den geschauten Dingen, die Effekte der Gegenstände auf seine Seele bzw. den Eindruck, den er entsprechend seiner Stimmung von den Gegenständen gewinnt:

- "М естополож ение Веймара и зрядн о. О крестны е деревеньки с полям и и рощицами составляют приятный вид." (1,135).

- "Места, через которые мы проезж али, очень приятны." (1,68).

Genauso wie sich die verschiedenen Landschaften in der Beschreibung des Erzählers kaum voneinander unterscheiden (s.o.)* gibt es auch nur wenige Variationen in seinen emotionalen Reaktionen auf das Geschaute. Stille Freude und ästhetisches Vergnügen sind die nahezu immergleichcn Wirkungen und Effekte, die die Dinge bei ihm hervomifen:

־ "Сколько я видел прекрасных мест! И при всем том см отрю на новы е с самым ж ивейш им удовольствием." (1,224).

־ плывя по озеру, я с удовольствием смотрел на горы (1,218).

־ "Вид, который открывается с вершины пригорка, веселит глаза и душ у."

(1,410).

ln die ausgeglichen positive Grundstimmung, die wohltemperierte Freude und Neugier auf alles Neue9 mischen sich nur gelegentliche Anflüge von Melancholie, die der Erzähler aber ebenfalls mit ästhetischem Vegnügen goutiert und als angenehm erlebt und beschreibt:

־ "Я погрузился в приятную задумчивость..." (1,304).

־ "Осень делает меня меланхоликом. Вершина Юры покрылась снегом; дерева ж елтею т, и трава сохнет. Брожу sur la Treille, с унынием см отрю на развалины лета; слуш аю , как шумит ветер, ־ и горесть меш ается в сердце м оем с каким•

то сладким удовольствием." (1,242).

*Vgl. Karamzin in M yšti ob uedinem i: "П ри рода нем а д л я х о л о д н о го р ав н о д у ш и я. Ее к а р т и н ы и ф еном ен ы без о тн о ш ен и й к миру нравственному не имею т н и к ак о й ж и в о й прелести. М о ж е м л и пленяться то р ж е с тв е н н ы м восходом солнца, или кр о тки м св ети л о м ночи или п есн и ю со л о в ья, когда солнц е не о с в ещ ает д л я нас ничего м и л о го ; когда м ы не п и таем в себе н е ж н о с т и под н еж ны м влиянием луны; когда в песнях ф и л о м ел ы не сл ы ш и м голоса л ю бви ?" (11,121).

9 Vgl.: )...ן п ерем ен а м еста - м ы сль о т о м , что скоро увиж у, - все э т о п р и в ел о м ен я в сам ое счастливейш ее расп олож ен ие, и каж ды й новый предмет о ж и в л я л мою р а д о с т ь /' (1,271).

Über dic beschriebenen "malerischen" Landschaftsbildcr hinaus, die in erster Linie als Medium.

Spiegel oder Externalisation der seelischen Disposition ihres "Malers" / des Erzählers fungieren, wird in den Reisebriefen signifikant häufig Bezug genommen auf Verfahren und Begriffe der bildenden Kunst, insbesondere der Malerei: In seinem Text plant der Erzähler beispielsweise, eine "Galerie bemerkenswerter Persönlichkeiten"10 zusammcnzustellen, oder er gibt an, Porträts berühmter Schriftsteller zeichnen zu wollen, wobei er tatsächlich auch auf Physiognomie und Statur der von ihm besuchten Personen cingeht, um, etwa im Fall Herders, einen Zusammenhang zwischen Werk und Äußerem, zwischen Körper und Geist herzustellen:

*,Дух ваш, - сказал я, прощаясь с ним, ־ известен мне по вашим творениям; но мне хотелось иметь ваш образ в душ е м оей, и для того я приш ел к вам ־ теперь видел вас и доволен." (1,140).

Nach traditionellem Verständnis verfügen Wortkunst wie bildende Kunst über einen speziellen Zuständigkeitsbereich, sowohl was das Sujet, aber auch was die jew eiligen Darstellungs- m öglichkciten betrifft, wodurch die Übertragung eines Themas in ein anderes Medium problematisch, wenn nicht gar unmöglich erscheint. In den Reisebriefen jedoch sollen, so der Erzähler, solche Grenzen nicht gelten. Er selbst strebe im Gegenteil eine synthetisierende Annäherung bzw. Durchdringung an und empfehle beiden, Malerei wie Wortkunst, bei der jeweils anderen in die Lehre zu gehen.

"А сколько раз было сказано, что худож ество не угоняется за п оэзией? В изображ ении сердца для сердца, конечно; но во веем картинном для глаз поэт ־ ученик артиста и д о л ж ен трепетать, когда худож н и к б ер ет в руки его сочинение.1,395) ״).

Ansatzpunkt bei der Aufweichung der Grenzen von Wort- und Bildkunst könne die Wahrnehmung bzw. Wirkung ihrer jeweiligen Werke sein: Denn Bild w ie Gedicht sollten entgegen aller traditionellen Implikationen11 idealerweise eine gleichermaßen eindringliche Wirkung auslösen. Der Erzähler versucht in diesem Zusammenhang, die mit der Einführung der alphabetischen Schrift einsetzende anthropologische Entwicklung zu unterminieren, in deren

10* И счи сл ен и е здеш н их монумеігтов искусства | . . . | , редких вещ ей в разны х родах, п редм ето в вел и колеп и я, вкуса имеет, конечно, свою цену; но десять таких оп исан ий , и самы х подробны х, отдал бы я за одну краткую характеристику, или за галерею примечания дост ойных лю дей (1,373).

**Ong (1987. 75) beschreibt dic Unterschiede von Sehen (= der Malerei zuzuordnenede W ahrnehmung) und Hören (= der Musik und der Poesie zuzuordnende Wahrnehmung) folgendermaßen: "Das Sehen isoliert, das Hören bezieht ein. Während das Sehen den Beobachter außerhalb des Betrachteten hall, dringt ein Klang in den Hörer ein. (...) Im Gegensatz zum Sehen, dem zergliedernden Sinn, ist somit das Hören ein vereinender Sinn.

Ein typisches visuelles Ideal ist Schärfe und Deutlichkeit, die Zerlegbarkeit ( ...|. Das auditive Ideal dagegen ist Harmonie, das Zusammenfügcn."

Verlauf das Sehen, der zergliedernde, trennende Gesichtssinn, immer mehr an Dominanz über die anderen Sinne gew ann und das für oral geprägte G esellschaften kennzeichnende Gleichgewicht der Sinne, die Synästhesie außer Kraft setzte12. Dieser Prozeß wird in den Reisebriefen insofern ignoriert bzw. außer Kraft gesetzt, als der Erzähler beispielsweise der Malerei synästhetische Wirkungen zuzuschreiben, d.h. die Wirkung ihrer Darstellungen im Raum mit denen der Poesie oder Musik, also von Klangereignissen in der Zeit, zu synthetisieren versucht. Die Vermischung der Kategorien wird besonders deutlich, wenn der Erzähler beim Besuch der Mannheimer Bildhauer-Akademie angesichts einer Laokoon- Skulptur bewundernd über den Bildhauer bemerkt: "Фиднас был поэт." (1,160).

In der ersten Ausgabe der Reisebriefe, die 1791-92 im "Moskovskij Žumal" erschienen war, war diese eher lakonische Bemerkung noch wesentlich detaillierter ausformuliert gewesen. Der Erzähler hatte da die plastische Laokoon-Darstellung ausführlich mit der dichterischen Version Vergils verglichen und anhand dieses V ergleichs die unterschiedlichen Gestaltungs- möglichkeiten von Poesie und bildender Kunst aufgezeigt. Sein Fazit lautete:

"П оэт у д а л и л ся о т х у д о ж н и к а . Он оп и сы вает последст венн ое и л и разноврем енное дей стви е (action successive), а худож ник представил ־ и по законам н еобходи м ости долж ен был представить ־ купное или единовременное (action simultanee). В стихах Виргилиевых змеи растерзали прежде двух сынов Л аокооновы х, а по том уж е его сам ого, бросивш егося на помощ ь к своим детям; но Ф идиас соединяет сии два момент а, а драконы схватывают у него вместе и отца и детей.** (Karamzin 1984а. 424).

Wohl nicht zufällig ist es der Anblick einer Laokoon-Skulptur, der den Erzähler in den Pis'ma anregt, sich Gedanken über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Poesie und bildender Kunst zu machen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist vielmehr anzunehmen, daß Karamzin hier

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auf einen berühmten Prätext, G.E. Lessings Aufsatz aus dem Jahre 1766 Laokoon oder U ber die Grenzen der M alerei und Poesie, rekurriert, der im folgenden näher betrachtet werden soll, und zwar insbesondere im Hinblick darauf, wie Lessing und Karamzin jeweils ihr gemeinsames Thema angehen und entfalten.

Lessing klassifiziert in seinem Artikel zunächst die unterschiedlichen Darstellungsbereiche und -möglichkeiten von Wort- und Bildkunst:

"Es ist wahr, beides sind nachahmende Künste; und sie haben alle die Regeln gemein, w elche aus dem Begriffe der Nachahmung zu folgern. Allein sic brauchen ganz verschiedene Mittel zu ihrer Nachahmung, und aus dieser Verschiedenheit fließen die besonderen Regeln für eine jede.

*2Vgl. McLuhan (1995. 30): "[...] jeder Sinn kann, falls er bis zur höchsten Intensität gesteigert wird, sich auf die anderen Sinne betäubend auswirken.״

Dic M a l e r e i braucht Figuren und Farben in dem R a u m e . Di e D i c h t k u n s t artikuliert Töne in der Z e i t .

Jener Zeichen sind n a t ü r l i c h , dieser ihre sind w i l l k ü r l i c h . Und dieses sind die beiden Quellen, aus welchcn die besondem Regeln für eine jede herzuleiten.

Nachahmende Zeichen nebeneinander können auch nur Gegenstände ausdrückcn, die nebeneinander, oder deren Teile nebeneinander existieren. Solche Gegenstände heißen K ö r p e r . Folglich sind Körper und ihre sinnlichen Eigenschaften der eigentliche Gegenstand der Malerei.

Nachahmcnde Zeichen aufeinander können auch nur Gegenstände ausdrückcn. die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen. Solche Gegenstände heißen überhaupt H a n d l u n g e n . Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie."

(Lessing O.J., 206f.).

Diese Differenzierung wird in den Reisebriefen insofern nachvollzogen, als der Poesie die Darstellung einer "action su ccessive״ und der Malerei die einer "action simultanée"13 zugeordnet wird. Im Unterschied zu Karamzin sicht Lessing in der Poesie die weitere, reichere Kunst, die über Mittel und Schönheiten verfüge, die der Malerei nicht zur Verfügung stünden14 und die Dichtkunst damit über die Möglichkeiten der bildenden Künst hinaushöben:

"Der Dichter, der einen Gegenstand so schildert, daß ihm der Maler mit dem Pinsel folgen kann, verleugnet die eigentümlichen Vorrechte seiner Kunst und unterwirft sich Schranken, in welchen sic ihrem Mitbuhlendcn unendlich nachsteht." (Lessing о 207 ,.(״).

Karamzin setzt andere, eigene Schwerpunkte. Der Vergleich der Vergilschen Bearbeitung des Laokoon-Themas mit der plastischen Darstellung des Bildhauers Phidias führt bei ihm zu folgendem Ergebnis:

*’Виргилисво описание конечно хорош о; но оно есть самая сухая история против Ф иди асовой поэм ы ־ так по справедливости м о ж н о назвать его трогательную группу, в которой видим сильное и стройное в ообр аж ен и е, необыкновенную чувствительность и великое искусство художника, находить и показывать изящное в самом уж асном и возмутительном."

(Karamzin 1984а. 424).

Interessant und aufschlußreich erscheint hier in der ersten Fassung der Reisebriefe vor allem die (paradox anmutende) Differenzierung zwischen der als "Poem" bezcichncten Arbeit des

13Bei Lessing (O.J.. 207) heißl es: **Die Malerei kann in ihren koexistierenden Kompositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen und muß daher den prägnantesten wählen, aus w elchem das Vorhergehende und Vergangene am begreiflichsten wird."

,4 Vgl. Lessing (O.J., 67).

Bildhauers und der als "trockene Geschichte" (ab-)qualifizierten dichterischen Fassung, wobei der Begriff "Poem" im Sinne von poetisch. künstlerisch als Antagonismus zur prosaisch en, profanen Geschichte des Dichters gebraucht wird. Karamzin argumentiert rezipientenorientiert, wirkungsästhetisch: Der Bildhauer habe, so der Erzähler, ein Werk geschaffen, das deshalb als wahre Poesie bezeichnet werden könne, weil es den Betrachter rühre, ihn unmittelbar emotional involviere und nicht "kalt" lasse, wie das die Vergilsche Version des Stoffes tue, die seinem rezeptionsästhetischen Ideal nicht gerecht wird. Der Erzähler führt weiter aus, wahre Kunst sei grundsätzlich daran zu erkennen, daß sie Emotionen, Empfindsamkeit. Rührung, kurz: eine eindringliche ganzheitliche, das Bewußtsein mit seinen analytischen Vermögen ausschaltcnde Wirkung zu evozieren vermöge, wie das das Werk des Bildhauers tue, nicht aber das des Dichters.

Eine solche eindringliche Wirkung, die traditionell mit Wortkunst oder Musik, also einem Klangerlebnis assoziiert ist. appliziert der Erzähler in dem vorliegenden Beispiel der Bildkunst, indem er die Skulptur als "Poem" bezeichnet und ihr eine synästhetische Wirkung zuschreibt, so, als wende sie sich nicht vordringlich an die Sehnerven des Betrachters, sondern wirke ganzheitlich erlcbnishaft auf alle seine Sinne und evoziere zuallererst Emotionen und Rührung.

Eine distanziert-analytische Betrachtung, wie sic für visuelle Wahrnehmungen charakteristisch ist, werde diesem Kunstwerk nicht gerecht, erfasse nicht sein Wesen, seine metaphysischen Dimensionen. In dem anzustrebenden idealen Akt der Rezepion werde die Statue zum Leben erweckt und spreche direkt ohne Umweg über die Sehnerven das Herz, die Empfindungen des Betrachters an, involviere ihn emotional, das heißt in sentimentalistischer Terminologie, die Darstellung läßt den Rezipienten nicht "kalt". Eine solche unmittelbare eindringliche Wirkung, wie sie mündlicher Rede bzw. lautlichen Ausdrucksformen zugeschrieben wird, möchte der Erzähler, laut seinen Anmerkungen zur Laokoon-Darstellung, auf die bildende Kunst übertragen sehen. Er zeigt sich überzeugt davon, daß eine solche Synästhesie die ideale Wrikung einer jeden Kunst darstclle, unabhängig davon, ob die jew eilige Kunstform sich primär an das Hör- oder Sehvermögen des Rezipienten wende.

Ein entscheidendes Kriterium für die Qualität von Kunst, für den von ihr erreichten Grad an Vollkommenheit, über die sie an göttlicher Weisheit und Wahrheit partizipiere, sieht der Erzähler in der Inspiration ihres Schöpfers, die sich auf den Rezipienten übertrage. Wissen allein, beispielsw eise über die Anatomie des menschlichen Körpers, reiche nicht aus, um ein schönes, ansprechendes Bild zustandezubringen. Denn der Maler sei nicht der alleinige Schöpfer seines Werks, er male nicht aus eigenem Antrieb und nach eigener Maßgabe, sondem unter dem Einfluß göttlicher Impulse:

"Никто из живописцев не вникал столько в красоты антиков, никто не учился анатом ии с такою прилеж ностью , как Рафасль, - и потому никто не мог превзойти его в рисовке. Но знания, которые сим средством приобрел он в ф орм е человеческой, не сделали бы его таким великим ж ивописцем , если бы

натура не одарила его творческим духом, без которого ж ивописец есть не что иное, как бедный копист. Небесный огонь ож ивляет черты кисти его [...]"

( 1, 112).

Fehle der "schöpferische Geist”, könne auch eine noch so gute Beherrschung des Handwerks nicht über die mangelnde "Poesie" (sic!) der bildenden Kunst hinwegtäuschen:

"Я, не будучи знатоком, смотрел на фигуры, - на ту, на другую, на третью ־ и был в своем сердце так холоден, как мрамор, из которого они сделаны. | . . . | К оротко сказать, Пигаль, по моему чувству, есть искусный худож н и к , но худой поэт." (1,163).

Für den Erzähler in den Reisebriefen stellt Ästhetik eine sinnliche Erfahrung dar, die mit der

"Sprache des Herzens" zu tun habe und der mit Logik und bewußten Verstandesurteilen nicht beizukommen sei. Daher spiele auch das verwendete Material keine große Rolle für die Wirkung eines Kunstwerks, stellt er fest. Entscheidend sei allein die Inspiration des Künstlers, der Geist, aus dem heraus ein Kunstwerk entstanden sei. Bestätigt sicht er sich beispielsweise durch einen Vorfall in Frankreich, als er mit eigenen Augen gesehen habe, wie ein Obelisk aus dem vergänglichen Material Schnee eine viel eindringlichere und authentischere Wirkung zu entfalten vermocht habe als seine marmorne und damit dauerhafte Nachbildung15.

In den Reisebriefen beklagt der Erzähler floskelhaft immer wieder, daß er kein wirklicher Maler sei, weil dieser die Schönheit der Landschaft mit dem Pinsel viel besser nachzeichnen könne, als ihm das mit Worten gelinge16. Damit scheint er wieder auf einer Linie mit Lessing zu liegen, der in seinem Laokoon-Aufsatz die Auffassung vertreten hatte, die Darstellung körperlicher Schönheit sei allein der Malerei bzw. der bildenden Kunst Vorbehalten und könne vom Dichter nicht adäquat geleistet werden:

"Körperliche Schönheit entspringt aus der ü b e r e i n s t i m m e n d e n Wirkung m a n n i g f a l t i g e r Teile, die sich auf einmal übersehen lassen. Sie erfordert also, daß diese Teile nebeneinander liegen müssen; und da Dinge, deren Teile nebeneinander liegen, der eigentliche Gegenstand der Malerei sind, so kann sie. und nur sie allein, körperliche Schönheit nachahmen.

"Körperliche Schönheit entspringt aus der ü b e r e i n s t i m m e n d e n Wirkung m a n n i g f a l t i g e r Teile, die sich auf einmal übersehen lassen. Sie erfordert also, daß diese Teile nebeneinander liegen müssen; und da Dinge, deren Teile nebeneinander liegen, der eigentliche Gegenstand der Malerei sind, so kann sie. und nur sie allein, körperliche Schönheit nachahmen.

Im Dokument Geschichte und Geschichten (Seite 42-59)