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Annahmen über den Aufholprozess Ost

2. Zur Nachhaltigkeit des deutschen öffentlichen Sektors

2.2. S. Berücksichtigte Reformen

2.3.4. Sensitivitätsanalysen

2.3.4.3. Annahmen über den Aufholprozess Ost

Wie im Datenteil bei der Ost-Westaufteilung bereits angedeutet, hängen die quantitativen Ergebnisse der Indikatoren auch maßgeblich von der Geschwin-digkeit des unterstellten Aufholprozess der ökonomischen und fiskalischen Leistungsfähigkeit ostdeutscher Individuen an diejenige ihrer westdeutschen Altersgenossen ab. Bislang ist im Standardfall davon ausgegangen worden, dass dies bis zum Jahr 2040 vollständig gelingt. Wie in den Sensitivitätsanalysen zuvor werden in Tabelle A-6 im Anhang fünf verschiedene Aaronfaktoren

unter-schieden. Bei den Demographieszenarien werden neben der mittleren Variante fünf und dem Szenario ,,keine Demographie" nur noch die Variante drei, welche die zukünftig jüngste, und die Variante sieben, welche die zukünftig älteste Bevölkerung aufweist, verwendet, da die Ergebnisse der restlichen Varianten, wie die vergangenen Abschnitte gezeigt haben, stets zwischen diesen beiden Varianten liegen.

Tabelle A-6 zeigt die Nachhaltigkeitsindikatoren für Szenarien der vollständigen Anpassung des Ostens an den Westen bis 2010, 2020, 2040 bzw.

2060 und für ein Szenario, in welchem überhaupt keine Anpassung stattfindet.

Grau hinterlegt sind dabei die Nachhaltigkeitslücken des Standardszenarios ( mit g = 1,5 Prozent und r = 3 Prozent sowie der Bevölkerungsvariante fünf) für Wie die quantitativen Werte der Nachhaltigkeitslücke verraten, hängt deren Höhe entscheidend von der Dauer des Aufholprozesses ab: Gelänge es den ostdeut-schen Individuen bis 2010 die fiskalische Leistungsfähigkeit ihrer westdeut-schen Altersgenossen zu erreichen, so läge die Nachhaltigkeitslücke bei 150,5 Prozent des BIP, also gut ein Viertel unter dem Niveau des Referenzszenarios.

Wird die vollständige Anpassung im Jahr 2020 erreicht, liegt die Nachhaltig-keitslücke mit 168,6 Prozent des BIP bei rund 85 Prozent des Niveaus im Refe-renzfall. Wird hingegen die vollständige Anpassung erst 2060 erreicht, so ist die Nachhaltigkeitslücke mit 218,5 Prozent des BIP rund zehn Prozent höher als im Referenzfall. Bleibt alles wie es ist, d.h. die bestehende Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland verharrt bis in alle Ewigkeit, so ist die Nachhaltigkeitslücke mit 346,l Prozent des BIP um 75 Prozent größer als im Standardszenario.

Auch die anderen Indikatoren mit unendlichem Zeithorizont bestätigen die Abweichungen der Nachhaltigkeitslücke im Standardszenario bei anderen Zeit-räumen des ostdeutschen Aufholprozesses. Das Niveau der Indikatoren beim kürzesten Anpassungszeitraum bis 2010 liegt bei diesen Indikatoren bei etwa 75 Prozent und für den Fall, dass keine Anpassung stattfindet, ungefähr beim Doppelten des Referenzfalls und ist dabei relativ unabhängig von den Parametern -sowohl von der verwendeten Bevölkerungsvariante als auch von den unterstell-ten Aaronfaktoren.

Die Nachhaltigkeitsindikatoren im Zeitablauf (Entwicklung der Schulden-quote, Defizitquote und Primärdefzzit-Einnahmen-Relation) weisen Abweichun-gen bei kürzeren oder längeren Anpassungszeiträumen (bzw. bei gar keiner Anpassung) vom Referenzfall in einem noch größeren Korridor auf. Diese Indikatoren reagieren also noch sensitiver auf die Annahme des Autholprozes-ses. Dies gilt allerdings nicht für die Primärdefizit-Einnahmen-Relationen nach Beendigung des Autholprozesses. Diese sind nämlich völlig unabhängig von der Länge des Autholprozesses, da für die Zahlungsströme nach dem Endzeitpunkt des Autholprozesses immer die ursprünglich reskalierten westdeutschen Profile maßgeblich sind.

70 2. Zur Nachhaltigkeit des deutschen öffentlichen Sektors

Am besten verdeutlicht aber das Szenario ,,keine Demographie", dass die Nachhaltigkeit des gesamten fiskalischen Sektors Deutschlands entscheidend von der Geschwindigkeit des ostdeutschen Aufholprozesses abhängt. War näm-lich im Referenzfall des Aufholprozesses bis 2040 - beim Aaronfaktor des Standardszenarios von 1,5 Prozent (g = 1,5 und r = 3 Prozent)- noch ein Nach-haltigkeitsvermögens von 144,4 BIP akkumuliert worden, so ergibt sich für den Fall, dass kein Aufholprozess stattfindet, eine Nachha/tigkeitslücke i.H.v. 70,l Prozent des BIP. Offensichtlich wird durch die Annahme eines Aufholprozesses langfristig ein positiver Primärsaldo erreicht, denn die implizite Staatschuld ist nichts anderes als der Barwert aller zukünftigen Primärdefizite (also negative Primärsalden) und ohne Aufholprozess läge die implizite Staatschuld bei 8,7 Prozent des BIP, wohingegen das implizite Staatsvermögen beim Referenzfall der Anpassung bis 2040 bei 206,3 Prozent des BIP liegt.

Die durchgeführten Sensitivitätsrechnungen zum Aufholprozess Ost verdeut-lichen also, dass es für die Quantifizierung von fiskalischer Nachhaltigkeit in Deutschland von entscheidender Bedeutung ist, mit welcher Geschwindigkeit zukünftig das ,,Zusammenwachsen was Zusammengehört" stattfindet. Aller-dings zeigen die Ergebnisse auch, dass das qualitative Ergebnis der Nicht-nachhaltigkeit der deutschen Fiskalpolitik selbst bei Annahme eines so unrealis-tisch optimisunrealis-tischen Zeitraums der vollständigen Anpassung bis 2010 bestehen bleibt. Angesichts der immer noch vorhandenen großen Unterschiede in der ökonomischen Entwicklung erscheint der Zeitraum einer vollständigen Anpas-sung bis 2040 eher realistisch. 73 Deswegen wird wie schon in den vorherigen Abschnitten bei den Berechnungen der folgenden Kapitel dieser Zeitpunkt für die vollständige Anpassung der fiskalischen Leistungsfähigkeit ostdeutscher Individuen an diejenige ihrer westdeutschen Altersgenossen unterstellt. Aller-dings wird im nächsten Abschnitt, in welchem die Basisjahrabhängigkeit der Ergebnisse getestet wird, aus Vergleichbarkeitsgründen das Szenario, in wel-chem überhaupt keine Anpassung stattfindet, verwendet.

2.3.4.4. Basisjahrabhängigk.eit

Wie im Abschnitt 2.1.4 schon erläutert, besteht einer der wesentlichen Kritik-punkte an der Methode der Generationenbilanzierung an der auf Basis eines bestimmten Jahresbudgets errechneten Pro-Kopf-Größen. Diese Vorgehens-weise kann zu einer starken Basisjahrabhängigkeit der Ergebnisse führen. Um diesem Kritikpunkt zu begegnen, sollen in diesem Abschnitt Sensitivitätsanaly-sen zur Verwendung des Basisjahres durchgeführt werden. Dazu werden elf verschiedene Basisjahre von 1993 bis 2003 verwendet. Für die Vergleichbarkeit der Indikatoren zwischen verschiedenen Basisjahren sind aber noch zusätzliche

73 Eine ausführlichere Diskussion der Zeiträume für den „Aufholprozess Ost" findet sich in Ehrentraut und Fetzer (2003). Zur ursprünglichen Vorstellung über die Konvergenz des Ostens an den Westen vgl. Sinn und Sinn (1993) sowie Raffelhüschen (1994). Zum allgemeinen Konvergenzwachstum integrierter Wirtschaftsräume vgl. Barro und Sala-i-Martin ( 1991 ).

Annahmen bei der Berechnung notwendig: Erstens sind in den bisherigen Be-rechnungen die absehbaren zukünftigen finanziellen Entwicklungen bereits beschlossener Reformen (vgl. Abschnitt 2.2.5) enthalten. Würden nun diese für alle Basisjahre vor 2003 entsprechend modelliert, gäbe es bei den Indikatoren, die auf den Intertempora/ Pub/ic Liabi/ities beruhen, schon deswegen Unterschiede zwischen den verschiedenen Basisjahren, weil die refonninduzierten Wirkungen um so höher abgezinst werden, je weiter das Basisjahr von den Reformwirkungen entfernt ist. Deswegen wird für den anschließenden Vergleich von den berücksichtigten Reformen vollständig abstrahiert. 74

Zweitens ist - wie im letzten Abschnitt gezeigt - das quantitative Ausmaß der Ergebnisse maßgeblich von der Dauer des ostdeutschen Aufholprozesses abhän-gig. Bei Verwendung des Basisjahres 2003 findet die Anpassung aber zehn Jahre schneller statt als bei einem Basisjahr 1993 und deswegen kann es bei einem Vergleich der Basisjahre zu Verzerrungen aufgrund des gewählten Zeit-punktes der vollständigen Anpassung kommen. Im Folgenden wird daher, wie bereits im letzten Abschnitt angekündigt, das hypothetische Szenario, in wel-chem überhaupt keine Anpassung stattfindet, verwendet.

Drittens ist die Bevölkerungsprognose auch maßgeblich von der Bevölke-rungszusammensetzung des Basisjahres abhängig. Um hier ein Mindestmaß an Sicherheit zu gewährleisten, wird in den Jahren von 1993 bis 2003 der tatsächli-che Bevölkerungsbestand und ab 2003 dann die in Abschnitt 2.2.1 beschriebene Bevölkerungsprognose verwendet. Da die Prognose somit unabhängig vom Basisjahr ist, wird im Folgenden ausschließlich die Standardvariante fünf ver-wendet.

Viertens sind die Ergebnisse auch davon abhängig, welche Ausprägungen die verwendeten Profile haben. Um auch hier möglichen Unsicherheiten aus dem Weg zu gehen, werden für alle Basisjahre diejenigen verwendet, welche in Abschnitt 2.2.4 beschrieben und im Anhang in Abbildung A-1 dargestellt sind.

Durch die gewählte Vorgehensweise soll insgesamt garantiert werden, dass sich die Sensitivitätsanalyse auf die Verwendung der Basisjahraggregate be-schränkt und andere Wirkungseinflüsse weitestgehend ausgeblendet werden. 75 Im Folgenden werden die Indikatoren auf Basis der VGR-Konten des Staates für die Basisjahre 1993 bis 2003 erstellt. Sie sind im Anhang in Tabelle A-7 aufge-führt. Für die Basisjahre 1995 und 2000 wurden zwei Budgets verwendet. Ne-ben dem normalen Budget wurde hier alternativ noch die Berechnung auf Basis eines bereinigten Budgets durchgeführt (in Tabelle A-7 mit 1995b bzw. 2000b gekennzeichnet). Damit sollen die in diesen Jahren auftretenden Einmaieffekte

74 Aus den gleichen Gründen werden auch die im Standardszenario bislang berücksichtigten

Aggre-~ate des Jahres 2004 beim Basisjahrvergleich vernachlässigt.

5 Alternativ könnte man auch die Basisjahre unter Einbeziehung basisjahrabhängiger Faktoren, wie z.B. der im Basisjahr geltenden Reformen, vergleichen. Allerdings wäre dies dann eher ein Vergleich der Basisjahrpolitik als eine Sensitivitätsanalyse hinsichtlich der verwendeten Basisjahraggregate.

72 2. Zur Nachhaltigkeit des deutschen öffentlichen Sektors

durch die Übernahme der Schulden der Treuhandanstalt und eines Teils der Altschulden der ostdeutschen Wohnungswirtschaft in den öffentlichen Sektor (Basisjahr 1995) bzw. den Verkauf der UMTS-Lizenzen (Basisjahr 2000) elimi-niert werden. In den folgenden Ausführungen werden deshalb nur noch die bereinigten Budgets betrachtet.

Beim im Standardfall unterstellten Aaronfaktor von 1,5 Prozent beträgt die Nachhaltigkeit des Basisjahres 2003 529,5 Prozent des BIP. Wie bereits er-wähnt, ist bei der Berechnung von sämtlichen Reformen abstrahiert worden und es wurde kein Aufbolprozess des Ostens unterstellt. Da - wie im vorangegange-nen Abschnitt dargestellt - die Nachhaltigkeitslücke ohne Aufbolprozess des Ostens aber mit Berücksichtigung der Reformen bei 346,1 Prozent des BIP liegt, kann der Schluss gezogen werden, dass die Reformen unter den getroffenen Annahmen die fiskalische Nachhaltigkeit um 180 Prozent des BIP verbessern.

Die Nachhaltigkeitslücke des Basisjahres 2003 i.H.v. 529,5 Prozent des BIP stellt beim Vergleich der verschiedenen Basisjahre die zweithöchste dar, die höchste wird im Jahr 1996 mit 530,8 Prozent des BIP erreicht, die niedrigste im Jahr 2000 (bei bereinigtem Budget). Sie beträgt 380,3 Prozent des BIP. Offen-sichtlich schwankt also die Nachhaltigkeitslücke in Abhängigkeit des unterstell-ten Basisjahres um fast ein Drittel. Dieses Ergebnis der starken Basisjahrab-hängigkeit, die zu maximalen Unterschieden von etwa einem Drittel führt, bestätigen im Prinzip alle dargestellten Indikatoren. Dabei resultieren aus den Basisjahren 2000 und 1999 aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten relativ gute Indikatorwerte, aus den Basisjahren 1996, 2002 und 2003 relativ schlechte Indikatorwerte.

Obwohl es - wie in der Kritik an der Methode der Generationenbilanzierung 2.1.4 bereits angesprochen - zu einer Konjunkturabhängigkeit der Ergebnisse kommt, zeigen die Ergebnisse aber deutlich, dass die deutsche Fiskalpolitik nach Maßstäben der Methode der Generationenbilanzierung unabhängig vom ge-wählten Basisjahr nicht nachhaltig ist. Auch erscheint die Abweichung von maximal einem Drittel zwischen den Basisjahren (bei Verwendung der berei-nigten Budgets 1995 und 2000) nicht soviel, wenn man bedenkt, dass die im Standardszenario berücksichtigten Reformen die Nachhaltigkeitsindikatoren in etwa demselben Maße verändern oder die Unterstellung des vollständigen Auf-holens Ostdeutschland bis 2040 die Nachhaltigkeitslücke um Dreiviertel ver-kleinert. Von daher kann insgesamt der Schluss gezogen werden, dass die Ver-wendung des Basisjahres 2003 mit keinen grundsätzlichen Problemen behaftet ist.