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ANFANG DER 1930ER JAHRE:

Im Dokument IN BOTTROP STOLPERSTEINE (Seite 64-68)

ZWANZIG JÜDISCHE KINDER FEIERN DAS PURIM-FEST IN BOTTROP. WAS IST AUS IHNEN GEWORDEN?

Bernhard Brenner?

Martha Dortort

Markus Preker

Bertha Kleinbrod

Hermann Kleinberger

Fritz Kleinbrod

Leo Redisch

Emil Dortort?

Beate Karmell

Max Lerner

Abraham Sperling?

Siegfried Preker?

Das Gruppenfoto, Anfang der 1930er Jahre gemacht, zeigt 20 kostümierte Kinder, die zwischen 1918 und 1925 geboren wurden. Auch ein Erwachsener ist zu sehen: Marjan Sperling, der Herr mit dem Schlips in der hinteren Reihe. Er war seit 1929 Schächter und seit 1932 Lehrer der Talmud-Tora-Schule der Synago-gengemeinde Bottrop-Osterfeld. Von den 20 Kindern im Alter zwischen fünf und 12 Jahren konnten 17 na-mentlich identifiziert werden, wobei fünf nicht sicher benannt werden konnten.

Das Foto stammt aus dem Privatbesitz von Miriam Herman. Sie brachte es Anfang der 1990er Jahre mit nach Bottrop. Miriam Herman wurde als Minna Reder 1927 in Bottrop geboren. Sie ist die Schwester von Dina Reder (*1923), die auf dem Gruppenfoto zu sehen ist. Minna Reder wurde mit ihren Eltern am 28. Oktober 1938 zwangsweise nach Polen „abge-schoben“. Nach der deutschen Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg ist sie in das Konzentrationslager Bergen-Belsen verschleppt worden. Sie überlebte als einzige ihrer Familie die Shoah, wanderte 1947 nach Palästina aus und ging später in die USA.

Wahrscheinlich haben die Kinder Purim gefeiert. Das Purim-Fest am Ende des Winters hat einen ernsten, religiös-historischen Hintergrund. Es erinnert an die Rettung der Juden in der persischen Diaspora vor über 2.500 Jahren. In den jüdischen Gemeinden und Familien wird traditionell das Überleben gefeiert, mit Essen, Trinken und Tanzen, mit Theaterspiel und Kostümierung. Die beiden Jungen mit den Kronen auf dem Kopf (Bildmitte oben) sind die ältesten Kinder (*1918 bzw. 1920), die jüngsten Kinder sind im Jahr 1925 geboren.

Was ist aus diesen ernst dreinschauenden Kindern, die Anfang der 1930er Jahre noch gemeinsam das Purim-Fest gefeiert haben, geworden? Was ist den Bottroper Kindern in der nationalsozialistischen Unrecht- und Gewaltherrschaft in Deutschland und in Europa, im Verlauf der Verfolgung und Vernichtung der Juden widerfahren? Wer hat überlebt, wer ist ermordet worden?

Marjan Sperling

Erwin Preker

Samuel Brenner?

Jenny Kleinberger

Erich Scheinmann

Dina Reder

Sechs Kinder sind, zusammen mit ihren Eltern, in der „Polenaktion“ am 28. Oktober 1938 in das noch unbesetzte Polen in das Internierungslager Zbąszyń (Bentschen) zwangsweise „abgeschoben“ worden:

Die Brüder Bernhard Brenner (*1921) und Samuel Brenner (*1923) sind nach der Besetzung Polens durch das Nazi-Regime im Ghetto Litzmannstadt (Łódź) ermordet worden, Bernhard am 28. Mai 1943.

Der Lebensweg von Siegfried Preker (*1923) im unbe-setzten und beunbe-setzten Polen liegt weitestgehend im Dunkeln. Er hat die Shoah überlebt und gelangte nach Palästina. Im Unabhängigkeitskrieg Israels ist Siegfried Preker 1948 als Soldat gefallen.

Dina Reder (*1923) hielt sich zum Zeitpunkt der gewaltsamen Ausweisung ihrer Eltern und ihrer Schwester Minna als Lehrmädchen in Bielefeld auf.

Mitte 1939 war ihr Vater in Bottrop, um private An-gelegenheiten zu regeln. Am 12. Juni 1939 kehrte der Vater nach Zbąszyń zurück, in Begleitung der Tochter Dina. Sie ist mit ihrer Familie 1941 im Ghetto Dębica interniert worden. Dina hat nicht überlebt, ohne dass die Umstände bislang bekannt sind.

Die Schicksale von Leo Redisch (*1921) und Erich Scheinmann (*1923) sind ungeklärt, doch ist davon auszugehen, dass auch sie ermordet worden sind.

Ein Mädchen ist, inzwischen zur jungen Frau herangewachsen, am 27. Januar 1942 über Gelsenkirchen und Dortmund nach Riga ins besetzte Lettland deportiert worden:

Martha Dortort (*1922) war in Riga im besetzten Lettland erst im „Reichsjudenghetto“, später im nahegelegenen KZ Kaiserwald interniert und hatte Zwangsarbeit zu leisten. Am 19. Juli 1944 kam sie im KZ Stutthof in der Nähe von Danzig im besetzten Polen an, wo sich ihre Spur verliert.

Sechs der Kinder bereiteten sich als Jugendliche in den 1930er Jahren in Deutschland in zionistischen Ausbildungsstätten auf ein Leben und Arbeiten in Palästina vor. Die Hachschara-Kurse (‚Vorbereitung‘) sollten sie für die Aliyah (‚Rückkehr‘, ‚Einwanderung‘) ertüchtigen, um am Aufbau eines zukünftigen

„Judenstaates“ (Th. Herzl) mitzuwirken. Nach Palästi-na konnten folgende Kinder und Jugendliche zwis-chen 1935 und 1942 flüchten:

Die Geschwister Hermann Kleinberger (*1920) und Jenny Kleinberger (*1923) haben sich in ihrer Schul-zeit in jüdischen Jugendorganisationen engagiert.

Hermann Kleinberger arbeitete Mitte der 1930er Jahre in einem Bottroper Gartenbaubetrieb, um sich auf ein Leben in Palästina vorzubereiten, wo er dann als 16-Jähriger im Februar 1937 ankam. Unmittelbar nach dem Pogrom des 9./10. November 1938 nahm Jenny Kleinberger in Rüdnitz bei Berlin an einem Hachschara-Kursus teil. Während ihre Eltern schon im Februar 1939 nach Palästina fliehen konnten, gelang es der nun 15½-jährigen Jenny Kleinberger erst Mitte April 1939, über Triest Palästina zu erreichen.

Der Schüler Fritz Kleinbrod (*1918) gehörte der zionistischen Jugendorganisation Habonim an. Zur Vorbereitung der Auswanderung war er 1935 wenige Monate in Berlin, bevor er dann im Juni 1935, im Alter von 17 Jahren, Palästina erreichte und in einen Kibbuz ging. Bislang konnte der Lebensweg seiner Schwester Bertha Kleinbrod (*1923) nur bruchstückartig erfasst werden. Sie wohnte 1942 in Hamburg und flüchtete im selben Jahr als 19-Jährige über Amsterdam nach Palästina.

Die Brüder Markus Preker (*1921) und Erwin Preker (*1923) gehörten als Schüler ebenfalls der zionis-tischen Jugendorganisation Habonim an. Markus wurde auf dem Gut Winkel in Spreenhagen (Brandenburg) in der Landwirtschaft für den Aufent-halt in Palästina ausgebildet. Im Juni 1936 erreichten die Eltern, die beiden Brüder Markus und Erwin sowie ihr jüngerer Bruder von Marseille aus per Schiff, Palästina. Da waren Markus 15 und Erwin 13 Jahre alt.

Drei Kinder konnten noch vor der „Polenaktion“ im Oktober 1938, der Pogromnacht im November 1938 und der Deportation im Januar 1942 ins Ausland gebracht werden:

Beate Karmell (*1925) konnte schon sehr früh Bottrop verlassen. Laut Eintrag in der Karteikarte des Ein- wohnermeldeamtes soll sie mit ihrer Mutter am 11. Juli 1934 „nach Südamerika ausgewandert“ sein, mit dem Zusatz „amtl. n. unbekannt“ (amtlich nach unbekannt).

Max Lerner (*1924) wurde am 24. September 1937 abgemeldet, als Ziel wird New York angegeben. Er war gerade einmal 13 Jahre alt. Seine Mutter war 1936 verstorben, sein Vater und sein jüngerer Bruder wurden in der „Polenaktion“ 1938 „abgeschoben“.

Emil Dortort (*1924), der in der Pogromnacht 1938 im Polizeigefängnis Bottrop inhaftiert war, gelangte am 10. Februar 1939 zu Verwandten im noch nicht be-setzten Brüssel, noch nicht einmal 15 Jahre alt. Nach der Besetzung Belgiens kam er in einem Kinderheim in Südfrankreich am Rande der Pyrenäen unter. Am 6. März 1943 ist er vom Sammellager Drancy bei Paris in das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek bei Lublin im besetzten Polen verschleppt worden. Emil Dortort überlebte nicht.

Der Lehrer Marjan Sperling verließ die jüdische Ge-meinde und Bottrop im Februar 1936, um nach Polen zurückzukehren, zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen, darunter Abraham Sperling (*1925).

Betrachtet man die Bottroper Kindergruppe vom Ende der Shoah und des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 her und fragt nach ihren Schicksalen, so ergibt sich für die 17 namentlich bekannten Kindern folgende Bilanz:

Sieben Kinder sind ermordet worden: Fünf Kinder sind infolge der „Polenaktion“ dem späteren Massen-mord im Lagersystem im besetzten Polen zum Opfer gefallen. Ein Mädchen ist nach der Deportation nach Riga im besetzten Polen ermordet worden. Ein Junge, der nach Belgien fliehen konnte und in Frankreich unterkam, wurde später ins besetzte Polen deportiert und ermordet.

Neun Kinder konnten überleben: Für sechs Kinder erwies sich die Flucht nach Palästina zwischen 1935 und 1942 als lebensrettend. Sie hatten sich in Bottrop zionistisch orientierten Jugendgruppen angeschlos-sen, die die Aliyah nach Palästina vorbereiteten.

Ein Junge, der mit der „Polenaktion“ ins noch nicht besetzte Polen „abgeschoben“ wurde, hat die Jahre der Shoah, wo und unter welchen Umständen auch immer, überleben können, bevor er zu einem noch un-bekannten Zeitpunkt nach Palästina gelangen konnte.

Ein Mädchen konnte 1934 Südamerika erreichen, ein Junge 1937 die USA.

Ein Schicksal ist noch völlig ungeklärt: Was ist mit dem in Bottrop geborenen Abraham Sperling nach 1936, als die Familie nach Polen zurückging, passiert?

Im Dokument IN BOTTROP STOLPERSTEINE (Seite 64-68)