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Kapitel I. Der Gesetzesbegriff bei Grotius und Pufendorf

2.3 Abschluss

Bei Grotius finden wir einen Gesetzesbegriff, in dem sowohl das Wollen und die Vernunft des Menschen als auch Gott, sofern er der Schöpfer der Menschen ist, eine wichtige Rolle spielen. Der Mensch hat das Ziel, eine friedliche Gemeinschaft zu einzurichten. Die Vernunft hat dabei einen instrumentellen Charakter, d.h., sie etabliert nicht ihre eigene Gesetzgebung, sondern bestimmt die notwendigen Mittel, um eine ruhige und geordnete Gemeinschaft zu begründen. Das Naturrecht ist ein Gebot der Vernunft, welches eine moralische Notwendigkeit und Normativität hat.

Der Grund der moralischen Notwendigkeit des Naturrechtes liegt in der Rationalität seiner Gebote. Die Normativität des Naturrechtes hat eine doppelte Dimension.

Einerseits liegt die Notwendigkeit des Naturrechtes in einer Zweck-Mittel-Beziehung (wenn wir eine friedliche Gemeinschaft etablieren wollen, müssen wir nach dem Naturrecht handeln); andererseits liegt sie in der Drohung einer Bestrafung durch

57 Das ist die Position von Haakonssen, der behauptet, dass Grotius zur Autorität Gottes greift, um die Verbindlichkeit des Naturrechtes zu begründen(vgl. Haakonssen 1999, S. 48). Diese Interpretation ist m.E. falsch. Grotius sagt explizit, dass das Naturrecht „ein Gebot der Vernunft“ ist.Gegen die Rolle Gottes in der Verstärkung der Gebote der Vernunft ist außerdem einzuwenden, dass Grotius in der so genannten „gottlosen Hypothese“ Gottes Rolle ablehnt. Diese Hypothese, die in IBP formuliert wird, lautet:„Diese hier dargelegten Bestimmungen über das Naturrecht würden auch greifen, selbst wenn man annähme, was freilich ohne die größte Sünde nicht geschehen könnte, dass es keinen Gott gebe oder dass er sich um die menschlichen Angelegenheiten nicht bekümmere“ (IBP, Vorrede 11: „Et haec quidem quae iam diximus, locum aliquem haberent etiamsi daremus, quod sine summo scelere dari nequit, non esse Deum, aut non curari ab eo negotia humana“). Ein isoliertes Lesen dieses Textes, losgelöst vom Kontext, könnte zu einem Schluss wie dem folgenden führen: Das Naturrecht ist ontologisch unabhängig von der Existenz Gottes, d.h., wenn Gott nicht existiert, gäbe es dennoch ein Naturrecht. Gott würde zwar keine Rolle in der Moral spielen. Grotius sagt jedoch in IBP I. I. X., dass Gott der Schöpfer der Natur ist. Er versucht nicht, Gottes Existenz und Macht in Zweifel zu ziehen. Es hätte keinen Sinn, dem Naturrecht eine ontologische Vorrangstellung vor der Existenz Gottes zu geben, und zwar nur deshalb, weil es aus Grotius' Perspektive ohne Gott keine Schöpfung und damit kein Naturrecht gäbe. Der Einwand ist deshalb irrig.

Gott. In diesem Kontext ist Grotius' Sanktionsbegriff problematisch. Trotz der Etablierung eines Naturrechtes zur Strafe58 bleibt völlig im Dunklen, wie die Sanktion tatsächlich aussieht und wer eigentlich das Recht hat, diese auszuüben. Jenseits der Probleme in Bezug auf die Sanktion und die Normativität ist es zudem erforderlich, über Gottes Rolle in der Moralphilosophie nachzudenken. Obwohl bei Grotius' Gesetzesbegriff Gott eine begrenzte Rolle spielt, führt die Notwendigkeit einer starken Normativität zu einer Moralphilosophie, in der Gottes Rolle stärker ist. Das ist der Fall in Pufendorfs System, welches im Folgenden untersucht werden soll.

58 Diese Idee eines Naturrechts zur Strafe muss im Kontext einer verträglichen Theorie der Souveränität begriffen werden, in der die Souveränität sowie die individuellen Rechte als eine moralische Fähigkeit, d.h. eine moralische Macht über den Willen anderer Personen, die aus einem freiwilligen Konsens stammt, betrachtet werden (vgl. IBP I III. IV. 1; Haakonssen 1999, S. 41 f.). In diesem Zusammenhang spricht Grotius über die Gefahr eines Backenstreichs oder eines ähnlichen Übels: „[...] denn wenn auch der Backenstreich und der Tod einander nicht gleichstehen, so gibt mir der Gegner durch seinen Angriff doch das Recht, d.h. eine gewisse moralische Gewalt gegen sich, und zwar unbegrenzt, so weit ich in anderer Weise das Übel nicht abwehren kann“ („Quanquam enim inaequalia sunt mors et alapa, tamen qui iniuria me parat afficere, is mihi eo ipso dat ius, hoc est facultatem quandam moralem adversus se in infinitum, quatenus aliter malum illud a me arcere nequeo“, IBP II. I. X. 1.) In diesem Kontext ist ferner Grotius’ Theorie des gerechten Krieges zu sehen. Nach Grotius gibt es drei gerechte Gründe für einen Krieg: die Verteidigung, die Wiedererlangung des Genommenen und die Bestrafung.

3 Der Gesetzesbegriff bei Pufendorf

3.1 Vorbemerkungen

Samuel Pufendorf ist neben Grotius und Cumberland ein wichtiger Vertreter der Tradition des modernen Naturrechts, der in De Iure Naturae et Gentium (ING)59 eine umfassende Theorie des Naturrechts entwickelt. Obwohl er stark von Grotius beeinflusst war, stellt er eine völlig voluntaristische Theorie des Gesetzes auf, in der er die Ideen der moralischen Notwendigkeit und der Sanktion in eine andere Richtung entwickelt.

Pufendorf unterscheidet zwischen entia physica und entia moralia. Entia physica sind alle physikalischen oder biologischen Entitäten60. Entia moralia, so Pufendorf in De Iure Naturae et Gentium, sind „certain modes (qualities), added to physical things or motions, by intelligent beings, primarily to direct and temper the freedom of the voluntary acts of man, and thereby to secure a certain orderliness and decorum in civilized life“61. Diese Eigenschaften (qualities) existieren nicht per se, sondern sind durch eine impositio von Gott oder vom Menschen hergestellt. Alle Entitäten, die nicht physikalisch oder biologisch sind, wie z.B. gesellschaftliche Klassen, Rollen etc., sind entia moralia62. Sie leiten freie Handlungen des Menschen an und führen zu Regeln und zu Ordnung mit dem Ziel der Vollkommenheit des Menschenlebens.

Es ist an dieser Stelle zu betonen, dass die Idee der impositio eine neutrale Welt voraussetzt. Daraus folgt, dass es in der Natur keine Moral gibt. Die

59 De Iure Naturae et Gentium, The photographic reproduction of the edition of 1688, Buffalo N. Y.

1995 (engl. De Iure Naturae et Gentium, Übersetzung von W. A. Oldfather, Buffalo N. Y. 1995).

60 Vgl. Schneewind 2007, S. 120.

61„Exinde commodissime videmur entia moralia posse definire, quod sint modi quidam; rebus aut motibus physicis superadditi ab entibus intelligentibus, ad dirigendam potissimum et temperandam libertatem actuum hominis voluntariorum, et ad ordinem aliquem ac decorem vitae humanae conciliandum“ (ING I. I. I. 3).

62 Schneewind 2007, S. 120.

moralischen Gesetze sind von einem göttlichen oder menschlichen Willen erlassen.

Es gibt keine Verbindung zwischen Natur und Moral und keine Moral ohne Gesetz.

Tötungen oder Diebstähle sind nicht „von Natur aus“ unmoralisch. Sie sind unmoralisch, weil ein Gesetz diese Handlungen verboten hat. Leben und Eigentum können natürliche Güter sein, d.h., sie können zur Glückseligkeit und zum Nutzen der Menschen beitragen63, aber sie werden zu etwas moralisch Gutem nur wegen der Gesetze64. In diesem Punkt finden wir einen zentralen Unterschied zu Grotius. Dieser denkt, dass einige Handlungen „wegen ihrer Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit der vernünftigen Natur selbst eine moralische Notwendigkeit haben65. Bei Pufendorf hingegen verweist die moralische Notwendigkeit auf den Willen Gottes. Weiter unten wird auf diesen Punkt weiter eingegangen.