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Abschiebungspraxis in Niedersachsen

Im Dokument Geschäftsbericht 2010 (Seite 51-54)

3.3 Abschiebung/Rückkehr

3.3.1 Abschiebungspraxis in Niedersachsen

Trotz steigender Flüchtlingszahlen hat sich im Jahr 2010 der Trend sinkender Abschiebungszahlen weiter fortgesetzt. Im Zeitraum von Januar bis Dezember 2010 wurden 532 Personen auf Geheiß des niedersächsischen Innenministeri-ums in ihren (vermeintlichen) Herkunftsstaat oder einen Drittstaat abgeschoben.

2009 waren es noch 561, ein Jahr zuvor 620 Personen gewesen, 1993 sogar 4.720 Abschiebungen. Dies ist freilich weniger auf eine größere Zurückhaltung der Ausländerbehörden zurückzuführen als vielmehr auf faktische Vollzugsprob-leme. Die meisten Abschiebungen des vergangenen Jahres erfolgten in den Ko-sovo (62) und die Türkei (50).

18 Verfügbar unter http://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2011/03/Mahrenholz-Brief.pdf

Die gestiegene Zahl der Abschiebungen in den Kosovo im Jahr 2010 (62) ge-genüber 2009 (38) sticht ins Auge, während die Zahl der Abschiebungen nach Syrien – gemessen an der Zahl der in Niedersachsen geduldeten Syrer/innen (1.392) – mit 10 Abschiebungen niedriger ausfiel als befürchtet. Für Abschiebun-gen gab das Land insgesamt über 2 Millionen Euro aus. Rund zwei Drittel dieser Kosten entfielen auf Personal- und Sachkosten bei der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (1,37 Mio. €), ein Drittel entfiel auf Flugbuchungen und medizini-sche Begleitung (0,64 Mio. €).19

Die Abschiebung von Roma in den Kosovo war eines der großen Themen im Jahr 2010. Bereits im September 2009 hat der Flüchtlingsrat mit einer Unterschriftenkampagne unter dem Titel: „Keine Abschiebung von RomaFlüchtlingen -Bedingungsloser Schutz für Sinti und Roma“ gemeinsam mit der VVN/BdA das Thema anzuschieben versucht. Ab 2010 begann die Kampagne zu laufen: Immer mehr Organisationen und Einzelpersonen schlossen sich den Protesten an. Ein

„Delegationsbericht“ des niedersächsischen Innenministeriums zu den angebli-chen Perspektiven für Abgeschobene im Kosovo beantworteten wir mit ausführli-chen Gegengutachten. In einem neuen „Osterappell“ appellierte der ehemalige Minister und Sonderbeauftragte der Bundesregierung Christian Schwarz-Schilling (CDU) in einer Pressekonferenz am 8.4.2010 im Rathaus Hannover gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat, PRO ASYL und weiteren Abgeordneten und Prominenten an die Bundesregierung, Abschiebungen in den Kosovo zu stoppen. Etliche Kommunen verabschiedeten Resolutionen gegen die Abschiebung von Roma.

Zwei Kirchen in Rotenburg und Göttingen gewährten von Abschiebung bedrohten Roma Kirchenasyl. Zeitungen berichteten in großen Schlagzeilen über Einzelfälle und dokumentierten mit Interviews und Reportagen die Situation der Abgescho-benen vor Ort. In einer Reihe von Kundgebungen und Demonstrationen erklärten

19 Landtags-Drucksache 16/3364, Antwort der Landesregierung vom 18.02.2011 auf eine Kleine Anfrage der Linken

Flüchtlingsorganisationen und Wohlfahrtsverbände ihren Protest. Kulturveran-staltungen und Aktionen – etwa zu den Innenministerkonferenzen am 8. April und am 18. November – rundeten das Bild ab.

Leider ist es uns nicht gelungen, die Abschiebungsmaschinerie zu stoppen. An-gesichts von nach wie vor rund 3.000 in Niedersachsen lebenden geduldeten Roma kann jedoch festgestellt werden: Die meisten Roma sind noch hier.

Weitere Themen im Kontext von Abschiebungen waren 2010

• der fragwürdige Handel einzelner Ausländerbehörden mit Passpapieren, für die im Einzelfall 2.500 € in bar gezahlt wurden;

• der Umgang mit gesundheitlichen Abschiebungshindernissen: Immer wie-der wurde ein pensionierter Psychiater aus Lüneburg von Auslänwie-derbe- Ausländerbe-hörden beauftragt, Gutachten über kranke Flüchtlinge zu erstellen, die schwere fachliche Mängel aufwiesen und regelmäßig die Reisefähigkeit eines Patienten bestätigten. Es gelang uns hier, durch die Bestellung von Obergutachten und den Nachweis der fachlichen Unhaltbarkeit dieser Gefälligkeitsgutachten sowie eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit die Glaubwürdigkeit des Dr. V. so weit zu schwächen, dass dieser nicht mehr mit Gutachten beauftragt wird;

• die Abschiebung von Flüchtlingen nach Syrien: Seit Inkrafttreten des Rückübernahmeabkommens mit Syrien bemühen wir uns intensiv darum, die Fälle der von Abschiebung betroffenen Flüchtlinge aufzuklären und zu begleiten. In einer Reihe von Fällen konnten wir Abschiebungen in letzter Sekunde verhindern, in anderen kam jede Hilfe zu spät. Anfang 2010 be-schloss das BAMF, bis zur Aufklärung über das Schicksal einiger aus Deutschland abgeschobener, in Syrien Berichten zufolge misshandelter und inhaftierter Flüchtlinge durch das Auswärtige Amt keine Entscheidun-gen über Folgeanträge zu treffen. Dies hatte zur Folge, dass Abschiebun-gen bei Folgeantragstellung in der Regel nicht vollzoAbschiebun-gen werden konnten.

Daraufhin intervenierte das niedersächsische Innenministerium und er-reichte schließlich, dass das BAMF seinen Entscheidungsstopp wieder aufhob, obwohl der inzwischen vorliegende Ad-hoc-Lagebericht des Aus-wärtigen Amtes die Vorwürfe einer menschenrechtswidrigen Behandlung von abgeschobenen Flüchtlingen in Syrien nicht entkräften konnte. Noch im Februar lobte die niedersächsische Landesregierung das diktatorische Gewaltregime im Rahmen einer Wirtschaftsdelegationsreise nach Syrien in unfassbarer Weise als modern und tolerant. Erst im Zuge der neuerli-chen Eskalation der staatlineuerli-chen Gewalt gegen die Proteste hat nun auch Niedersachsen die Durchführung von Abschiebungen gestoppt, jedoch ohne einen förmlichen Abschiebungsstopp zu verhängen. Mit diesem Griff in die Trickkiste wollen Bund und Länder offenbar die damit verbundenen Rechtsfolgen vermeiden und jederzeit in der Lage sein, Abschiebungen

nach Syrien wieder aufzunehmen. Selbstredend bleibt auch das Rück-übernahmeabkommen mit Syrien weiterhin in Kraft.

Im ersten Quartal 2011 hat sich die Zahl der Abschiebungen wieder erhöht. Laut Aussage von Uwe Schünemann sind im ersten Quartal 179 Menschen abge-schoben worden. Die meisten Menschen sind nach Serbien zurückgeführt wor-den (23 Personen). In die Türkei und nach Polen sind jeweils 12 Personen zu-rückgeführt worden.20

Die nachfolgenden, exemplarischen Beispiele verdeutlichen die Problematik von Abschiebungen nach Syrien und Kosovo sowie die Tragik einer Familientren-nung:

Im Dokument Geschäftsbericht 2010 (Seite 51-54)