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A UTHENTIZITÄT DER P ROTOKOLL -L ITERATUR

2. PROTOKOLL-LITERATUR

2.3 A UTHENTIZITÄT DER P ROTOKOLL -L ITERATUR

Weiter legt Wolf dar, wie Maxie Wander in einzelne Protokolle eingegriffen hat. Sie hat die Protokolle vom Tonband auf keinen Fall nur mechanisch übernommen: „Maxie Wander hat ausgewählt, gekürzt, zusammengefasst, umgestellt, komponiert, geordnet – niemals aber verfälscht.“47

Erika Runge beschreibt ihre Bearbeitung der gesammelten Stoffe mit den Worten „meine Dramaturgie“48 und ihre Aussage „So sind die Protokolle letzten Endes doch mein Werk, obgleich sie nicht mein Werk sind.“49 könnte auf alle Protokollsammlungen unterschiedlicher Autoren bezogen werden.

Manchmal sind die Eingriffe der Schriftsteller in den Protokollen nur mit Schwierigkeiten erkennbar, ein anderes Mal sind sie allerdings ganz markant und unübersehbar, wie zum Beispiel im Fall von Sarah Kirsch. Die Persönlichkeit von Sarah Kirsch ist in ihrer Protokollsammlung Die Pantherfrau in jedem Protokoll deutlich. Am Ende jedes Protokolls werden die nach Ihrer Meinung für das Schicksal der Frau wichtigsten Sätze betont und nochmals in knapper Form wiederholt.

2.3 Authentizität der Protokoll-Literatur

In dem hervorgehobenen Zusammenhang kann also der autobiographische Anspruch der Protokoll-Literatur in Frage gestellt werden.50 Es zeigt sich nämlich fehlerhaft die Protokoll-Literatur nur als eine historische Auskunftsquelle zu verstehen, die bestimmte Zeitverhältnisse spiegelt und die ästhetischen Ansprüche (z.B. die Form) dieser Literatur vernachlässigt. Die Protokoll-Literatur wird vor allem „zur Erforschung von Stimmungen und Trends in der DDR-Gesellschaft herangezogen und etwa auf Aussagen zur Situation der Frauen oder zum Entwicklungsstand des Individuums in der DDR hin befragt.“51 Es fehlten in den 80er Jahren nämlich literaturwissenschaftliche Buchbesprechungen, die sich den inhaltlichen und formalen Schwerpunkten dieser Literatur widmeten. Das kann nach Püschel dadurch verursacht werden, dass es die literaturwissenschaftlichen Instrumente zur Beschäftigung mit dieser Art der

47 WANDER, Maxie. Guten Morgen, du Schöne : Frauen in der DDR, Protokolle. Luchterhand. S. 14

48 ANDRESS, Reinhard. Protokolliteratur in der DDR : der dokumentierte Alltag. S. 32

49 Ebenda, S. 34

50 Ebenda, S. 27

51 SCHMIDT, Sabine. Frauenporträts und –protokolle aus der DDR : Zur Subjektivität der Dokumentarliteratur. S.

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Literatur fehlten.52 “So stehe man ständig in der Gefahr, statt des Buches das Leben der darin erzählenden Menschen zu rezensieren.”53

Der Authentizitätsanspruch der Protokoll-Literatur ist doch sehr markant. Sie will als eine Tatsache gelesen werden. Zu dieser Leseart trägt der Ich-Erzähler bei, in dem sich die

„Trennung zwischen Autor, Protagonist und Erzähler“54 auflöst. Der Erzähler ist meistens nicht näher bekannt oder versteckt sich hinter einem Pseudonym. Infolgedessen wird noch der Wahrheitsgehalt der Geschichte gesteigert, weil seitens des Lesers ein Gefühl ausgelöst wird, dass sich der Autor/Erzähler/Protagonist wirklich verbergen muss, mindestens vor der gesellschaftlichen Herabsetzung und Demütigung.

Ein wichtiges Vertrauenswürdigkeitselement bildet dabei auch ein Vorwort oder eine Anmerkung zum Werk. „Der Autorkommentar wurde zu einem konstitutiven Moment der DDR-Reportagen; er sorgte für die politisch korrekte Einordnung des Geschilderten und dafür, dass die Rezeption nicht in eine falsche Richtung abglitt.“55 S. Schmidt benutzt hier die Bezeichnung des journalistischen Genres – Reportage, denn sie zählt die Protokoll-Literatur (gemeinsam mit dem literarischen Porträt) zu den journalistischen Genres, und die Beschreibung der Hauptmerkmalen dieses Genres dient Schmidt als Grundlage für die Charakterisierung der Protokoll-Literatur.

Die Aufmerksamkeit des Lesepublikums von inhaltlicher Seite wird ebenso nicht durch die formale Darstellung abgelenkt. Die formale und zugleich sprachliche Ebene sind durch die Simplizität gekennzeichnet (es gibt hier keine komplizierte Komposition, keine gehobene und bildhafte Sprache), denn die Texte bemühen sich „die Literarität zu verschleiern“56. Zu der authentischen Leseart tragen auch die subjektiven Ansichten, persönliche Anregung und Emotionalität bei, mit denen erzählt wird.

Die sprachlichen Besonderheiten, die die Umgangssprache spiegeln, bilden ein wesentliches Merkmal dieser Literatur. Die Bewahrung des gesprochenen Stils trägt zu der Authentizität des Textes bei, aber auf der anderen Seite verursacht sie die Schwierigkeiten bei dem Lesen. Man

52 PÜSCHEL, Ursula. (1987). Dreizehn arbeitende Menschen oder Betrachtungen, die neuere dokumentarische Literatur betreffend. In: NDL 1/87.72-91. Zitiert nach: SCHMIDT, Sabine. Frauenporträts und –protokolle aus der DDR : Zur Subjektivität der Dokumentarliteratur.

53 SCHMIDT, Sabine. Frauenporträts und –protokolle aus der DDR : Zur Subjektivität der Dokumentarliteratur. S.

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54 KEITEL, Evelyne. "Verständigungstexte: Form, Funktion, Wirkung." The German Quarterly 56.3 (01.05.1983):

431-455., unter: https://www.jstor.org/stable/405445?seq=1#page_scan_tab_contents (abgerufen am 13. 10.

2019). S. 437

55 SCHMIDT, Sabine. Frauenporträts und –protokolle aus der DDR : Zur Subjektivität der Dokumentarliteratur. S.

42

56 KEITEL, Evelyne. "Verständigungstexte: Form, Funktion, Wirkung." The German Quarterly 56.3 (01.05.1983):

431-455., unter: https://www.jstor.org/stable/405445?seq=1#page_scan_tab_contents (abgerufen am 13. 10.

2019). S. 438

muss bestimmte Stellen mehrmals lesen, denn die gesprochene Sprache und manchmal auch regionale Dialekte weichen von der in der Schule gelehrten hochdeutschen Sprache ab. Dessen sind sich die Autoren bewusst, wie es die Äußerung von E. Runge belegt: „Die für den Leser ungewohnte Ausdrucksweise bewirkt obendrein eine Verfremdung des Inhalts, so dass er zu einer anderen, vielleicht aufmerksameren Art der Rezeption gezwungen wird.“57 Doch verteidigt E. Runge die Bewahrung der Mundart, denn nach ihr ist „Dialekt Ausdruck einer bestimmten Denk- und Gefühlswelt, oftmals die Sprache des Herzens. In aufgeregten, aufgebrachten Passagen tritt er gerne zutage.“ H. J. Schröder macht drauf Aufmerksam, dass gerade für Pantherfrau von S. Kisch der Wechsel zwischen Mundart und Hochdeutsch sehr oft hervorvortritt, wobei Dialekt nicht von Anfang an verwendet wird, sondern allmählich mit dem langsamen Übergang eingesetzt wird.58

Zur Sprache der Protokolle äußert sich auch eine der interviewten Frauen im Buch Guten Morgen, du Schöne von M. Wander. Gleich am Anfang des Protokolls sagt sie: „Das Band läuft schon? Ach je. Wenn ich mich nicht beobachte, habe ich eine sehr läppische Aussprache. Da kriege ich Zustände, wenn ich mich selber höre. Man muss sich kontrollieren.“59

Die authentische und objektive Wirkung wird auch dadurch erreicht, dass die gesteuerten Fragen, die von den Autoren gestellt werden, in den Protokollen nur implizit zu lesen sind, weil sie entfernt werden. Nur ab und zu kommt es dazu, dass die protokollierten Personen die Fragen selbst wiederholen und dann antworten. So kann man ein fremdes Element im Text beobachten.

Man kann aber nicht aus dem Text ablesen, in wie fern die interviewten Personen auf bestimmte Themen, auf die sie eingehen, gelenkt wurden, inwiefern sie gesteuert wurden.60

Auf der Grundlage der genannten stilistischen Mittel wird die Glaubwürdigkeit der Protokoll-Literatur versichert. Trotzdem ist zu betonen, dass „[d]ie Vorstellung der Objektivität in diesem Zusammenhang nur eine Fiktion [ist].“61

57 RUNGE, Erika. Frauen. Versuche zur Emanzipation. S. 271

58 SCHRÖDER, Hans Joachim. Zwei Klassikerinnen der Interviewliteratur : Sarah Kirsch und Maxie Wander. S. 14

59 WANDER, Maxie. Guten Morgen, du Schöne : Frauen in der DDR, Protokolle. S. 38

60 SCHRÖDER, Hans Joachim. Zwei Klassikerinnen der Interviewliteratur : Sarah Kirsch und Maxie Wander. S. 24

61 Ebenda, S. 24