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Überprüfung der prognostizierten Gefahrenstufen

Die Tage vom 21. bis 23. Januar 2018 waren die intensivste dreitägige Lawinenperiode seit der Lawinenaktivitätsindex berechnet wird, und damit wohl seit Februar 1999. Sowohl die 3-Ta-ges- und die 7-Ta3-Ta-ges- als auch die 25-Ta3-Ta-ges-Neuschneesumme bis zum 23. Januar 2018 wiesen Jährlichkeiten von etwa 10 bis 40 Jahren auf, wobei die höchsten Werte im Wallis und teils im nördlichen Graubünden erreicht wurden. In den oberen Vispertälern war die Jährlichkeit lokal noch höher. Dabei erreichten die Niederschläge ähnlich hohe Werte wie in früheren, durch Nord-weststaulagen verursachten Lawinenperioden. Damit scheint die Verwendung der Gefahrenstu-fe 5 (sehr gross) auch im Nachhinein gerechtGefahrenstu-fertigt, selbst wenn das Ereignis in Bezug auf die Niederschlagsmenge und besonders in Bezug auf die Schäden klar hinter dem Februar 1999 zurückblieb.

Ein Vergleich der kartierten Lawinen mit dem Lawinenaktivitätsindex AAI zeigt, dass der Anteil der vom SLF-Beobachternetz erfassten Lawinen in der Grössenordnung von 10 Prozent lag. Dies zumindest was die mittleren bis sehr grossen Lawinen (Grösse 3 bis 5) betraf. Dieser Wert mag auf den ersten Blick klein erscheinen, doch gilt es zu berücksichtigen, dass viele Lawinen in ab-gelegenen Gegenden abgingen oder bei der schlechten Sicht aus dem Tal nicht erkennbar waren.

Auch wenn von den Beobachtern längst nicht überall alle Lawinen erfasst werden können, zeigen die Beobachtermeldungen doch eindeutig, dass die höchste Lawinenaktivität vom Abend des 21.

bis am Morgen des 23. Januar auftrat. Sie wurde damit richtig vorhergesagt, genauso wie der schnelle Rückgang danach.

In welchen Gebieten, Expositionen und Höhenlagen wurde die Gefahr richtig prognostiziert?

Die erfasste Lawinenaktivität erlaubt eine diesbezügliche Verifikation. Gemäss Definition der EAWS (2017) sind bei Stufe 5 «Spontan viele grosse (Grösse 4), mehrfach auch sehr grosse (Grösse 5) Lawinen zu erwarten». Dabei bleibt allerdings offen, was unter «viele» und «mehr-fach» zu verstehen ist, und auf welchen Zeitbereich und welche Gebietsgrösse Bezug genom-men wird. In Ermangelung einer klaren Definition, verwenden wir für die einzelnen Warnregio-nen die folgenden Kriterien: mindestens «mittlere» Aktivität von grossen LawiWarnregio-nen (mehr als 29 grosse Lawinen, Grösse 4, pro 250 km2, Abb. 50) oder mindestens «mittlere» Aktivität von sehr

73 Wetter, Schnee und Lawinensituation

grossen Lawinen (mehr als 0,7 sehr grosse Lawinen, Grösse 5, pro 250 km2, Abb. 51). Ob sich diese Kriterien allgemein bewähren, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen, weil bisher keine weiteren, vollständigen Lawinenkartierungen zur Verfügung stehen. Über die gesamte Dauer des Ereignisses ergibt sich Folgendes (Abb. 66):

– Mit obigen Kriterien zur Lawinenaktivität war die Gefahrenstufe 5 (sehr gross) in 47 der 54 Warnregionen, in denen sie prognostiziert wurde, gerechtfertigt. Anhand der Lawinenaktivität nicht erreicht wurde sie in folgenden sieben Warnregionen: Génépi, Val d’Entremont–Val Ferret, Martigny–Verbier, Untere Vispertäler, südliches Simplongebiet, Iffigen sowie südliches Prätti-gau. Auffallend ist, dass zwei dieser sieben Warnregionen sehr klein sind (Génépi und Iffigen), so dass dort evtl. auch der Zufall eine grössere Rolle gespielt haben könnte. Zwei weitere Warnregionen (Martigny–Verbier und Untere Vispertäler) haben zudem grössere, tief gelegene Bereiche, welche die Lawinendichte reduzieren. Im südlichen Simplongebiet war die Gefahr im Abendbulletin vom 21. Januar mit Stufe 5 prognostiziert und bereits am Morgen des 22. Janu-ars wegen nicht ganz so intensiver Schneefälle wieder auf Stufe 4 heruntergestuft worden.

– In den folgenden vier Warnregionen wurde die Gefahr mit der Stufe 4 prognostiziert, doch wäre im Nachhinein betrachtet in diesen Gebieten gemäss den obigen Kriterien die Gefahrenstufe 5 gerechtfertigt gewesen: Glarus Nord und Mitte, Flims, Davos, nördlicher Teil des Val Suot. Ob die Gefahrenstufe 5 im Nachhinein betrachtet auch noch in weiteren Warnregionen gerechtfer-tigt gewesen wäre, lässt sich nicht abschliessend beurteilen, weil die Satellitenbilder nur wenig über die Gebiete mit prognostizierter Stufe 5 hinaus aufgenommen wurden. Anhand der Scha-densbilanz und der Beobachtermeldungen muss aber nicht davon ausgegangen werden.

– Im Bulletin wurde prognostiziert, dass trockene Lawinen vor allem in Höhenlagen über 2000 m ü. M. anreissen. Diese Höhenlage wurde im Nachhinein bestätigt, rissen doch drei Viertel

Abb. 66: Kontrolle der prognostizierten Lawinengefahr anhand der Lawinenkartierung pro Warnregion. Weiss mit schwarzem Rahmen in der blau umrandeten Fläche: Stufe 5 prognostiziert und bestätigt. Gelb: Stufe 5 prognostiziert, aber von der Lawinenaktivität her nicht bestätigt. Rot: Stufe 4 prognostiziert, anhand der Lawinenaktivität wäre im Nachhinein aber Stufe 5 gerechtfertigt gewesen.

Untersuchungsgebiet 2018

sehr grosse Lawinengefahr (Stufe 5) Warnregionen

Bulletin zu hoch (Stufe 4 statt 5) Bulletin zu tief (Stufe 5 statt 4)

74 Ereignisanalyse Lawinensituation im Januar 2018

der Lawinen oberhalb dieser Höhenlage an (Abb. 61). Es wird davon ausgegangen, dass ein Grossteil der in tieferen Lagen angerissenen Lawinen nass oder zumindest feucht war. Verifi-zieren lässt sich dies aber nicht, weil die Beobachter meistens nur die Feuchte der Ablagerung und nicht des Anrisses sahen, und die Kartierung zwar den Lawinentyp, nicht aber die Feuchte liefert.

– Gleitschneelawinen wurden vor allem für Höhenlagen unter 2200 m ü. M. prognostiziert. Die Lawinenkartierung zeigt, dass dieser Wert eher etwas hoch war, rissen doch drei Viertel der Gleitschneelawinen unterhalb von rund 2000 m ü. M. an (Abb. 61).

– Gewarnt wurde vor Lawinen an allen Expositionen. Gemäss Kartierung war die Lawinenaktivi-tät an Süd- und Osthängen deutlich grösser als in Nord- und Westhängen, doch war der Anteil an grossen und sehr grossen Lawinen (Grösse 4 und 5) in allen Expositionen ähnlich. Damit kann nicht schlüssig beurteilt werden, ob es richtig war, vor Lawinen aus allen Expositionen zu warnen. Offensichtlich wurde der Einfluss des an Nordhängen schwächeren Schneedecken-aufbaus in der letzten, aktivsten Phase etwas überschätzt.

Insgesamt dürfen die während dieser Zeit herausgegebenen Lawinenwarnungen im Nachhinein betrachtet als gesamthaft sehr zutreffend eingestuft werden. Wesentlich dazu beigetragen ha-ben sicherlich die guten Prognosen der numerischen Wettermodelle Cosmo 1 und Cosmo E von MeteoSchweiz.

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