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HOMAS

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LADIS

Zum Schutz der natürlichen Biodiversität in der Agrarlandschaft (Ackerbegleitflora und -fauna) sind ertragsbeschränkende Extensivierungsmaßnahmen unerläßlich.

Sie werden derzeit über zwei Modelle ver-wirklicht, das Ackerrandstreifenprogramm und die Bewirtschaftung von Feldflorenre-servaten. Beide Varianten ergänzen einan-der; sie erfüllen aber grundsätzlich ver-schiedene Aufgaben, da ihnen unter-schiedliche Schutzstrategien zugrunde lie-gen.

Das Randstreifenprogramm ermöglicht eine weiträumige Vernetzung von Lebens-räumen. Die Feldränder weisen aber hin-sichtlich der Trägerkulturen, Reihenab-stände und der mechanischen Bodenbear-beitung keine Unterschiede zum Feldinne-ren auf. Die Fruchtfolge wird vom Eigentü-mer oder Pächter festgelegt, Düngung und Pestizideinsatz sind meist stark redu-ziert.

Demgegenüber sind kleinflächige Feldflo-renreservate isolierte Standorte gefährde-ter Arten und Gesellschaften. Sie können jedoch als „Trittsteine” fungieren. Die Wahl der Trägerkulturen und die Frucht-folge werden ausschließlich von den För-derungsvorhaben und den Schutzzielen bestimmt. Wirtschaftliche Erwägungen spielen eine untergeordnete Rolle. Der

Landwirt wird für seine Tätigkeit als Land-schaftspfleger entlohnt, nicht für die Quantität der erzeugten Feldfrüchte.

Grundsätzlich neue Möglichkeiten erge-ben sich durch die Einrichtung großflächi-ger Schutzgebiete, hauptsächlich der Bio-sphärenreservate. Für sie ist die Verzah-nung von Natur- und Kulturlandschaften typisch. Fischerei, Forstwirtschaft und landwirtschaftliche Produktion bleiben unter ökologischen Vorzeichen erhalten und prägen den Charakter der betreffen-den Gebiete entscheibetreffen-dend mit.

Eine Rekultivierung und umweltverträgli-che Landnutzung mit genetisch stark ein-geengten, auf Höchstertrag getrimmten Rassen und homogenen Sorten ist unse-riös. Die Verwendung dieser von intensi-ven Bewirtschaftungsmethoden abhängig gewordenen Züchtungen ist mit dem Schutz und der Pflege gewachsener Kul-turlandschaften nicht vereinbar. Die Ver-wendung von Hochzuchtsortenmischun-gen, z.B. bei Getreide, ist keine wirklich alternative Lösung, aber eine interessante Variante für den intensiv betriebenen kommerziellen Anbau mit reduziertem Chemikalieneinsatz.

Welche Kulturpflanzen und Haustiere soll-ten also verwendet werden? Es gibt wohl keine stichhaltigen Vernunftsgründe, die

gegen die Verwendung alter, ihrerseits Schutz genießender „Genreserven” spre-chen würden. Diese Forderung ist bereits in den 1986 formulierten allgemeinen Schutzzielen für Schutzäcker (Feldfloren-reservate) erhoben worden (Punkt 5.1.).

Die achte These (Punkt 6) sollte daher lau-ten: „Einbeziehung von gebietstypischen älteren Kulturpflanzensorten, so von Ge-treide, Lein, Linsen, Buchweizen oder Hirse;” (vgl. HILBIG et al. 1986, SUKOPP et al. 1993).

In den ausgewiesenen Großschutzgebie-ten wird sehr bald ein steigender Bedarf an angepaßten, relativ ertragssicheren und robusten (Land-)Sorten zu verzeichnen sein. Diese werden zwar kaum den heute noch modernen Anforderungen an Homo-genität und Ertrag gerecht, dafür sichern sie den Fortbestand einer ordnungs-gemäßen, möglicherweise subventions-freien Landwirtschaft, die nicht im Wider-spruch zu einer ressourcenschonenden Landschaftspflege ohne Pestizideinsatz steht.

Qualitative Einbußen sind wegen der Robustheit der verwendeten älteren Sip-pen bei richtiger Sortenwahl nicht zu befürchten. Die aus heutiger Sicht durch-aus wünschenswert erscheinenden niedri-geren Erträge müssen zu einer steigenden

48 NATURSCHUTZ UNDLANDSCHAFTSPFLEGE INBRANDENBURGSONDERHEFT1/1994, NATURSCHUTZ IN DERAGRARLANDSCHAFT

Abb. 2

Alter Dauergarten, Blick in das Kräutersortiment der Genbank

Foto: H. Ernst

Nachfrage bei regional spezifischen, un-verwechselbaren und „chemiefrei” produ-zierten Erzeugnissen führen. Sie wird ihrer-seits berechtigte Forderungen hinsichtlich einer Ausdehnung derartiger Produktions-methoden nach sich ziehen. Kürzlich still-gelegte Flächen kommen wieder unter den Pflug.

Die heutige Pflanzenzüchtung wird sich hoffentlich bald auf diese Gegebenheiten einstellen und geeignete Lösungen anbie-ten. Derzeit kann jedoch bereits auf das in Genbanken lebend erhaltene Material pflanzengenetischer Ressourcen zurück-gegriffen werden. Im Falle der Genbank des Institutes für Pflanzengenetik und Kul-turpflanzenforschung (IPK) Gatersleben sind das rund 95 000 verschiedene Sippen.

Nur ein vergleichsweise geringer Teil davon stammt aus Mitteleuropa, und nur diese Herkünfte sollten bei Wiedereinbür-gerungen verwendet werden. Historische Nachweise sind in jedem Fall eine wün-schenswerte Voraussetzung dafür.

Mit der Wiedereinbürgerung bereits aus-gestorbener Landsorten von Kulturpflan-zen gibt es im Gegensatz zu den Bemühungen um ältere Haustierrassen kaum Erfahrungen. Doch gerade darin besteht langfristig eine reale Chance für die Landwirtschaft in den hochindustriali-sierten Ländern, vielleicht die einzige. Der vermutlich größte Vorversuch in Deutsch-land, diesen Gedanken mit allen zugehöri-gen Konsequenzen in die Tat umzusetzen,

existiert im brandenburgischen Luckau (vgl. ILLIG 1993). Hier werden nicht nur Sorten und Rassen am Leben erhalten, sondern auch systematisch genutzt und züchterisch bearbeitet.

Agrarhistorische und Freilichtmuseen kön-nen etwas dokumentieren und gegenenfalls auch demonstrieren, z.B. be-stimmte Verfahren oder einen festgeleg-ten Entwicklungsstand der Landwirtschaft.

Ähnlich verhält es sich mit spezifischen Lokalsorten und Rassen. Sie werden zur Schau gestellt. Eine reguläre Nutzung und die nicht minder notwendige Selektion sind u.a. wegen der geringen Populations-größen nur ausnahmsweise anzutreffen (ansatzweise z.B. Museumsdorf Hösserin-gen, Rheinisches Freilichtmuseum in Kom-mern, Museumsdorf Berlin-Düppel). Ge-rade darin aber besteht die Gewähr für ein langfristiges Überleben gesunder und viel-fältiger Agroökosysteme (KÜHN 1992).

SUKOPP weist schon 1985 darauf hin, daß es nicht genügt, „dörfliche Ruderalvegeta-tion in Bauerngärten in einzelnen Freilicht-museen zu konservieren oder neu zu schaffen. Die Nivellierungs-tendenzen im Dorf müssen wirksam aufgehalten wer-den.”

In den Biosphärenreservaten müssen daher umgehend Beispiele geschaffen werden, Refugien für die heute in irgend-einer Weise interessanten und wettbe-werbsfähigen alten europäischen Kultur-pflanzensippen und Haustierrassen. Mit

der Verwirklichung dieses Anliegens kom-men Genbanken und Naturschützer ihrem gemeinsamen, ureigensten Interesse an einem ganzheitlichen Schutz von Natur-und Kulturlandschaften näher - oder genauer, sie können ihn indirekt (z.B.

MÜLLER 1993) oder direkt materiell untersetzen (vgl. HAMMER und KNAPP 1993).

Inwieweit die Zusage fachlicher Unterstüt-zung eingehalten werden kann, hängt sicher auch von der Akzeptanz und dem Stellenwert der Aufgabe im Bewußtsein der Öffentlichkeit ab. Ganzheitlicher Schutz von Natur und Kulturlandschaften kann nur mit speziell ausgebildeten Personen betrieben werden. Verlorene Kenntnisse müssen wieder erlernt und ständig prakti-ziert werden.

Zunächst jedoch ist es unbedingt erforder-lich im Naturschutzgesetz zu verankern, daß für den Anbau und Handel von Pro-dukten der Extensivwirtschaft (Saat- und Pflanzgutvertrieb, Verwendung von Land-rassen; besondere Handels- und Güteklas-sen) sich am Naturschutzrecht orientieren-de Sonorientieren-derbestimmungen gelten sollten.

Sie finden zunächst in den Schutzgebieten mit extensiver landwirtschaftlicher Nut-zung Anwendung. Gerade hier wird der Bauer nicht mehr an der Menge seiner Produkte, sondern an deren Vielfalt und Qualität gemessen werden. Eine Wieder-belebung traditioneller Gewerbe, auch im Zusammenhang mit alten Teich- und

THOMASGLADIS: VIELFALT IST GEFRAGT! ÜBER DENWERT ALTERKULTURPFLANZENSIPPEN FÜR DENSEGETALARTENSCHUTZ 49

Waldbewirtschaftungsformen wird die Folge sein. Natur- und Kulturlandschaften erhalten reale Chancen, sich zu erholen, zu regenerieren und zu gesunden.

Wäre es nicht vorstellbar, daß in allen Landkreisen Musterbauernhöfe geschaf-fen werden, in denen die Koordinierung und die Vorvermehrung des kostenlos zur Verfügung gestellten Ausgangsmaterials (Genbanken, Agrarhistorische Museen, Botanische Gärten) im Rahmen eines Ver-gleichsanbaus erfolgt? Jeder Bauer, der dem zu gründenden Erzeugerverband

„Erhaltung genetischer Vielfalt durch extensive Landwirtschaft im Biosphärenre-servat” angehört, kann dort das Saatgut der ihn persönlich interessierenden Partien zum Selbstkostenpreis erwerben. Der Nachbau erfolgt dann bei den Einzelbau-ern, die ihre Produkte möglichst direkt ab Hof vermarkten. Die Nähe Berlins begün-stigt im Falle von Brandenburg, daß sich die Käufer unabhängig von der durch den Verband abgesicherten Kontrolle schon während ihres Urlaubs und bei Wochen-endausflügen von der Einhaltung extensi-ver Bewirtschaftungsrichtlinien persönlich überzeugen können, gewissermaßen „ihr Brot” wachsen sehen.

Ohne die gesetzlich gestützte enge Bin-dung der bäuerlichen Landpfleger an ihre Höfe, ihre Produktionsweisen, die eben nur bei ihnen anzutreffenden, ererbten, vielleicht selbst weiterentwickelten Sorten und Rassen bleibt die gegenseitige Abhän-gigkeit und das Interesse an wirklich lang-fristiger Sicherung dieser essentiellen Le-bensgrundlagen auf der Strecke. Demge-genüber fördert die Sorten- und

Rassen-vielfalt das Entstehen regional typischer Erzeugnisse bei Fleisch, Gemüse, Obst, Getreide und daraus hergestellten Produk-ten. Deren lokal begrenzte Herstellung und geringe Verfügbarkeit schließt ein Überangebot an begehrter „Öko-Ware”

von vornherein aus. Sollten tatsächlich Überschüsse produziert werden, können sie direkt auf Wochenmärkten angeboten werden (gleichzeitig Werbung). Diese neuartige Wirtschaftsweise schafft die fundamentalen Voraussetzungen dafür, daß irgendwann einmal nicht nur verschie-dene Verpackungen gekauft werden kön-nen, sondern deutlich unterscheidbare Inhalte.

Ein Nebeneffekt soll nicht unterschlagen werden: Die ersten Genbanken sind vor weniger als 100 Jahren gegründet wor-den, um dem unwiederbringlichen Verlust wertvoller Genreserven vorzubeugen. Es war die seinerzeit einzige praktikable Methode. Landwirtschaft gibt es seit ca.

100 x 100 Jahren. Niemand kann dafür garantieren, daß sich die Mannigfaltigkeit des „lebenden kulturellen Erbes” der ge-samten Menschheit an wenigen Konzen-trationspunkten auf der Welt für die Ewig-keit sicher bewahren läßt. Die bloße Exi-stenz von Genbanken stellt keine Legiti-mation für die Ausrottung der Sortenviel-falt dar. Gerade die gegenwärtige Ent-wicklung hat vielmehr bewiesen, daß auch

„uralte” Kulturpflanzensammlungen poli-tische Wirren nicht immer schadlos über-stehen. Die Genbanken sollten sich vom 21. Jahrhundert an auf die Kulturpflanzen-forschung konzentrieren dürfen, auf den Erhalt lebender Sicherheitsduplikate, auf

ei-ne internationale Kooperation, Beratungs-, Dokumentations- und Informationsfunk-tionen.

Literatur

HAMMER, K. und H.D. KNAPP (Hrsg.) 1993: Erhaltung und Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen -eine internationale Aufgabe für Naturschützer, Gen-banken und Pflanzenzüchter (Tagungsber. 27./31.

Okt. 1992 Putbus) Vortr. Pflanzenzüchtg. 25: 263ff.

HILBIG, W.; ILLIG, H. und E. LANGE 1986: Thesen zum Schutz von Ackerwildkräutern. -Naturschutzar-beit Berlin und Brandenburg 22(2): 57-59

ILLIG,H.1993: Zehn Jahre FeldflorareservatbeiLuckau-Freesdorf. Naturschutz und Landschaftspflege in Bran-denburg. Sonderheft 1

KÜHN, F. 1992: Geschichte der Kulturpflanzen in der C`´SFR. Verh. Zool.-Bot. Ges. Österr. 129: 271-285 MÜLLER, K.-J. 1993: Das Projekt Speisegerste für bio-logischen Anbau und Vollwerternährung. Projektber.

Ges. Förd. Goeth. Forsch.: 11 ff.

SUKOPP, H. 1985: Naturschutz in Dörfern und Städ-ten - die Rolle der Freilichtmuseen.-Int. Symp. Rhein.

Freilichtmus. Kommern 2.-3. Sept. 1985. Aus Liebe zur Natur. Stiftung zum Schutze gefährdeter Pflanzen. 4:

16-26

SUKOPP, H.; SCHNEIDER, Chr. u. U. SUKOPP 1994:

Biologisch-ökologische Eigenschaften gefährdeter Segetalpflanzen erfordern den Schutz in Ackerreserva-ten. Naturschutz und Landschaftspflege in Branden-burg. Sonderheft 1

VELLVE, R. 1993: Lebendige Vielfalt, Biodiversität, pflanzengenetische Ressourcen. - Agrarkult. Reihe.

Wachstumslandwirtschaft und Umweltzerstörung. Bd.

4: 187 ff.

Verfasser

Dr. Thomas Gladis

Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Genbank

Corrensstraße 3 06466 Gatersleben

Abb. 3

Ähren verschiedener Weizensippen Foto: H. Ernst

50 NATURSCHUTZ UNDLANDSCHAFTSPFLEGE INBRANDENBURGSONDERHEFT1/1994, NATURSCHUTZ IN DERAGRARLANDSCHAFT: 50-54