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CHÖNFELDER

1. Die Ausgangssituation

Die Veränderungen, die sich auch im Kernbereich des „Feuchtgebietes von internationaler Bedeutung“ in der Unteren Havelniederung seit Ende der sechziger Jahre vollzogen haben, führten zu Proble-men für den praktischen Naturschutz.

Noch bis in die siebziger Jahre hinein waren unter mäßig eutrophen Verhältnis-sen vitale Krebsscheren-Schwimmdecken in den windgeschützten großen Röhricht-buchten am Nordufer des Gülper Sees vor-handen, die von Trauerseeschwalben (Chlidonias niger) als Nistplatz und von der Grünen Mosaikjungfer (Aeshna viri-dis) als Eiablagehabitat genutzt wurden.

Laichkraut-Tauchfluren aus Potamogeton perfoliatus und Potamogeton lucens und strukturreiche Tausendblatt-Seero-sen-Schimmblattrasen (Myriophyllo-Nu-pharetum) bedeckten als Laichhabitat für Fische, Einstand für Hechte, Nahrungs-grundlage für Wasservögel und natürlich

als Lebensraum einer artenreichen Was-serflohfauna großflächig den sandigen Gewässergrund (Abb. 1). Mit dem Zusam-menbrechen der Wasserpflanzenvorkom-men, das vor allem durch fast ganzjährige Massenentwicklung des Phytoplanktons verursacht wurde, verschwanden alle diese aus Naturschutzgesichtspunkten wertvollen und aus der Sicht der biozöno-tischen Regulation notwendigen Kompar-timente. Viele spezialisierte (stenöke) Tier-arten sind seither verschollen (z.B. Aeshna viridis) oder akut gefährdet. Die Hechte, als derzeit wichtigste Raubfische im Gebiet der Unteren Havel, sind unter der Bedin-gung eines äußerst geringen Bestandes an submersen Makrophyten starker innerart-licher Konkurrenz um Einstände ausge-setzt. Junghechte werden offenbar in hohem Maße durch Kannibalismus dezi-miert, da sie kaum mehr zwischen Wasser-pflanzen Schutz und Deckung finden kön-nen. Zudem sind die Junghechte wahr-scheinlich auch für größere Artgenossen

leichter zu erbeuten als der zur Schwarm-bildung neigende, sehr zahlreiche Nach-wuchs der karpfenartigen Fische. Ohne die Wiederherstellung einer höheren Aufnah-mekapazität wäre ein zusätzlicher Besatz mit Junghechten als Ansatz einer Biomani-pulation in diesem durch Polytrophierung degradierten und überdies hydrologisch sehr offenen Ökosystem damit wenig erfolgversprechend.

Um nach weiteren Möglichkeiten zur Steuerung der Folgen des Eutrophierungs-geschehens zu suchen, wurden deshalb 1984 im Gebiet der Havelaue bei Gülpe und an dem von der Havel beeinflußten Gülper See Untersuchungen zum Artenin-ventar, zur Biologie und zu den ökologi-schen Ansprüchen der Cladocera begon-nen. Die Ergebnisse dieser mehrjährigen Untersuchungen sollen dazu beitragen, die Störungen der natürlichen Regulations-fähigkeit der Biozönose des Flachlandflus-ses infolge von Eutrophierung und Was-serbau zu beschreiben, um in die Lage zu

Abb. 1

Großflächige Flutrasen sind als Habitat für auentypi-sche Clodocerengemein-schaften erforderlich.

Zugleich stellen sie Laich-plätze für Fische und Nah-rungshabitate für Wasser-und Watvögel dar. Blick in Richtung Westen über die Gülper Havelaue (März 1994).

Foto: J. Schönfelder

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kommen, biozönologische Zusammen-hänge auf der Grundlage der besseren Kenntnis der Autökologie und Reprodukti-onsbiologie auetypischer Arten für Rena-turierungsansätze zu nutzen.

2. Cladocera als Glieder des Nahrungsnetzes

Hinsichtlich ihrer Nahrung sind die meisten Wasserflöhe nicht sehr wählerisch. Viele planktische Arten und einige der großen Litoralformen filtrieren mit ihren Brustbei-nen, die feine, doppelt gekämmte Borsten tragen, Schwebstoffe aus dem Wasser.

Lebende Planktonalgen, Protozoen oder auch Detritus und Bakterien werden auf-genommen, wenn sie nur in Form und Größe für die Tiere greifbar sind. Benthi-sche Arten ernähren sich vom Aufwuchs auf Wasserpflanzen und Steinen (MESCH-KAT 1933), die Neustonformen nehmen an der Unterseite des Oberflächenhäut-chens haftende Algen und Mikroorganis-men auf (SCHWOERBEL 1987). Drei auch im Plankton Brandenburger Seen vorkom-mende Cladocera-Arten - Leptodora kind-ti, Bythotrephes longimanus und

Polyphe-mus pediculus - sind ausgesprochene Räu-ber, die sich von tierischen Planktonorga-nismen, zum großen Teil von nicht räube-rischen Wasserflöhen ernähren und damit direkt auf deren Populationsentwicklung einwirken.

Seit mehr als drei Jahrzehnten ist bekannt, daß Wasserflöhe durch ihre Filtertätigkeit in der Lage sind, wenn sie sich ungehindert vermehren können, in Teichen Klarwasser-verhältnisse herbeizuführen und aufrecht-zuerhalten (UHLMANN 1959). In Seen gehören Klarwasserphasen zur normalen saisonalen Rhythmik (LAMPERT u. SCHO-BER 1978), die jedoch bei zu starker Nähr-stoffbelastung gestört wird. Auch in eutro-phierten Seen können von Daphnien Klar-wasserverhältnisse geschaffen werden, wenn die Friedfischbestände durch Raub-fischbesatz oder Abfischung (sogenannte Nahrungsketten- oder Biomanipulation) klein gehalten werden (SHAPIRO et al.

1975). Da Klarwasser mit sehr viel gerin-geren Kosten für Trinkwasserzwecke ge-reinigt werden kann als phytoplanktonrei-ches Oberflächenwasser und klare Seen für die Erholung und zum Baden bei wei-tem attraktiver sind als die heute vielfach

von Planktonalgen grün bis blaugrün gefärbten mitteleuropäischen Binnenge-wässer, wird seit mehreren Jahren auch in Mitteleuropa nach Möglichkeiten der Steuerung der Phytoplanktonentwicklung durch Wasserflöhe gesucht (BENNDORF et al. 1984, BENNDORF et al. 1988 u.

KASPRZAK et al. 1988). Dabei wurde erkannt, daß einer Massenvermehrung der relativ großen und wirksam filtrierenden Daphnia-Arten im Gewässer insbesondere die meist in großen Beständen vorhande-nen karpfenartigen Fische (Cyprinidae) entgegenstehen. Diese ernähren sich in ihrem ersten Lebensjahr überwiegend von Zooplankton, und auch mehrsömmerige Fische nehmen noch sehr gern Wasser-flöhe als Futter auf. Der Fraßdruck auf die Freiwassercladocera wirkt dabei größense-lektiv (KASPRZAK 1990). Die kleineren und zu einem effektiveren Fluchtverhalten befähigten Ruderfußkrebse (Copepoda), die ebenfalls wesentliche Anteile an den Kleinkrebsen des Planktons stellen, wer-den dagegen weniger stark von Fischen dezimiert. Im übrigen ernähren sich nicht nur die heimischen Cyprinidae in ihrer Jugend von Zooplankton, sondern auch Jungfische anderer Arten, einschließlich der Brut unserer Raubfische, wie der von Hecht, Zander und Flußbarsch. Die heimi-schen Fische sind daher als die Hauptfreß-feinde der Cladocera anzusehen.

Langjährige Freilandexperimente ergaben, daß eine Nahrungskettenmanipulation in stark eutrophierten Seen selbst bei ausge-prägter Schonung der Raubfische oder zusätzlichem Besatz und gleichzeitiger starker Befischung der Friedfischbestände nur zu geringen Erfolgen bei der Schaffung von Klarwasserverhältnissen führt, da ins-besondere die Dichte fädiger Blaualgen bei der Nahrungskettenmanipulation unter stark eutrophierten Verhältnissen zunimmt (KOSCHEL et al. 1993). Fadenbildende Blaualgen können jedoch von filtrierenden Cladocera kaum als Futter verwertet wer-den.

Infolge der anthropogenen Nährstoffüber-frachtung der Gewässer sind die zuvor bestehenden Gleichgewichte zwischen den Beständen von Raubfischen, Friedfi-schen und Cladocera als wichtigste Fischnährtiere im Pelagial gestört. Im Laufe der Untersuchungen wurde jedoch auch immer klarer, daß in einem Überflu-tungsgebiet, wie dem der Unteren Havel, die anthropogenen Veränderungen der Überflutungsdynamik des Flusses infolge von Ausbau, Entwässerung und Meliorati-on eine entscheidende Rolle für die Degra-dierung des Auenökosystems spielen.

Abb. 2 Flutrasen auf der Hünemörderinsel oberhalb des Gülper Nadelwehres. Vor dem Austrocknen der Flut-rasen muß die Ent-wicklung der Dauereier abgeschlossen sein.

Algenentwicklung (im Vordergrund) ist ein Hinweis auf ein Über-angebot an Pflanzen-nährstoffen (April 1993).

Foto: J. Schönfelder

3. Die Cladocera-Fauna der Havelaue

3.1 Lebensformen der Wasserflöhe

Die Wasserflöhe (Cladocera) sind kleine Krebstiere von 0,1 bis 18 mm Länge. Eine Anzahl von Arten kann im Freiwasser von Seen und langsam strömenden Flachland-flüssen leben. Sie sind damit typische For-men des Planktons - d.h. sie sind unab-hängig von Festsubstraten als Ruheplatz.

Einige andere Arten, u.a. auch Vertreter der bekannten Wasserflohgattung Daph-nia,besiedeln als Plankter bevorzugt fla-che, tümpelartige Gewässer. Die Mehrzahl der Cladocera-Arten ist jedoch auf Struk-turen im Gewässer als Anheftungsfläche angewiesen. Sie werden deshalb dem Benthon zugerechnet. Die größte Formen-fülle findet sich zwischen den in der Ufer-zone, dem Litoral, wachsenden Wasser-pflanzen. Einige Arten haben im Laufe der Evolution ihr Vermögen zu freiem Schwim-men stark eingeschränkt und haben sich als Benthonten auf ein Leben auf dem san-digen oder schlammigen Gewässergrund spezialisiert. Die „Kahnfahrer“ (Gattung Scapholeberis) heften sich mit den Borsten des ventralen Schalenrandes an die Unter-seite des Oberflächenhäutchens der Wohngewässer und zählen demnach zum Neuston.

3.2 Das Untersuchungsgebiet

In der Nähe des Gülper Sees wurde von der damaligen Pädagogischen Hochschule Potsdam in der zweiten Hälfte der siebzi-ger Jahre ein ehemaliges Bauerngehöft (die Hünemörder Stelle) zu einer wissen-schaftlichen Außenstation ausgebaut, die, auf einer Talsandinsel im Zentrum weiträu-miger Überflutungsflächen gelegen, gün-stige Möglichkeiten für freilandökologi-sche Untersuchungen bietet. Das Umland der Havel im Bereich des Gülper Sees besteht vorwiegend aus Grünland und Feuchtwiesen, die von alten, mehr oder minder verlandeten, schmalen, teilweise verschilften alten Flußarmen durchschnit-ten werden. Stellenweise überragen flache Talsanddünen die Feuchtwiesen.

Anders als in heute von Deichen begrenz-ten Flußregionen Mitteleuropas können Überschwemmungen in der Unteren Ha-velniederung immer noch als ein die Bio-zönosestruktur wesentlich prägender Um-weltfaktor wirksam werden. Vergleichba-re, in früheren Zeiten regelmäßig über-schwemmte Auenflächen sind in den

letz-ten Jahrhunderletz-ten an unseren anderen großen Flüssen bis auf wenige Reste durch Flußausbau, Melioration und großflächige Entwässerungen dem regelmäßigen Hoch-wassereinfluß entzogen worden. Im Um-feld des Gülper Sees existiert noch eine bis heute jahreszeitlich geprägte Überflu-tungsdynamik der Havel, wie sie einstmals für alle unsere Fließgewässer der Niede-rungen charakteristisch gewesen sein muß. Allerdings ist auch in diesem Gebiet die Gewässerstruktur stark verändert wor-den, vor allem durch den technischen Aus-bau des Hauptlaufes, der Stromhavel, zum Schiffahrtskanal. Im Zuge des Havelaus-baus wurde der Fluß begradigt und meh-rere Wehranlagen im Hauptstrom und an durchflossenen Nebenarmen errichtet. Es kam zu umfangreichen Eindeichungen;

streckenweise wurden Buhnen eingebaut.

Die Ufer sind praktisch durchgängig mit Steinschüttungen verbaut. Dichte Graben-systeme und Drainageeinrichtungen ent-wässern das Umland des Flusses, das schon zu DDR-Zeiten immer intensiver landwirtschaftlich genutzt wurde.

Trotz des umfassenden Gewässerausbaus, z.T. aber auch nur noch durch gezielten Anstau als Maßnahme des Naturschutz-managements, tritt vor allem im März und April im Gebiet der Unteren Havel noch periodisch Hochwasser auf. Davon wer-den als Grünland genutzte Auenteile auch heute noch relativ weiträumig beeinflußt.

Für den Biologen, der das Gebiet im Som-mer bereist, erscheinen die Wasserlöcher, Tümpel, Sümpfe und Weiher im Umland der Havel in der Regel als Biotope mit eige-nem Charakter. Man hält sie unwillkürlich für einen eigenen Typus dauerhafter und relativ selbständiger Lebensräume. Erst beim Anblick eines starken Frühjahrshoch-wassers wird verständlich, daß die ge-nannten Biotope aus ökosystemarer Sicht einem größeren Biotopverbund ange-hören, der die Aue ganzheitlich erfaßt.

Faunistisch und ökologisch sind die an der Unteren Havel zum Glück noch zahlrei-chen perennierenden oder periodisch aus-trocknenden Kleingewässer Teile eines hochkomplexen fluviatilen Überflutungs-systems.

3.3 Faunistisch-ökologische Ergebnisse

Im Hinblick auf die Untersuchung der Ökologie der Cladocera also muß die gesamte Havelaue in ihrer hydrologischen Einheit als zusammenhängender Lebens-raum mit spezifischen ökologischen Bedin-gungen verstanden werden, von dem

Alt-wasser, Flutlöcher und Sümpfe ein unab-dingbarer Teil sind. In der nur etwa 15 000 Jahre umfassenden nacheiszeitlichen Ent-stehungsgeschichte des Gebietes konnten diesen Lebensraum vor allem solche Arten besiedeln, die sich in ihrem Reprodukti-onszyklus in einer seit Jahrmillionen an-dauernden Evolution an periodisch und in sehr unterschiedlicher Höhe und Ausdeh-nung wiederkehrende Überflutungen an-gepaßt haben, wie sie für Auenökosyste-me typisch sind. Viele im Frühjahr überflu-tete Flächen (Flutrasen und Röhrichte) fal-len natürlicherweise im Sommer trocken.

Die Populationen müssen also, um Trok-kenperioden zu überstehen, rechtzeitig im Frühsommer gegen Trockenheit und Frost unempfindliche Stadien bilden. Dies ge-schieht durch die Bildung von Dauereiern, die in einem Teil des Carapax sexueller Weibchen, dem Ephippium, eingeschlos-sen sind. Die Ephippien, verdickte, dunkle Schalenbildungen, werden von den Weib-chen bei der Häutung abgeworfen und vom nächsten Hochwasser verteilt. Nach einer Überschwemmung schlüpfen bei ausreichend hohen Temperaturen nach einer Reihe von Tagen stets nur aus einem mehr oder weniger großen Teil der Ephip-pien junge Exephippioweibchen, die sich parthenogenetisch fortpflanzen. Erst in einer späteren Generation entwickeln sich aus einer reinen Weibchen-Population in einer Sexualphase Männchen und mikti-sche Weibchen, die nach einer Befruch-tung Ephippien mit Dauereiern bilden.

Im Tal der Unteren Havel, das landschafts-genetisch zum Elbtal zählt, ist keine als

„kleingewässertypisch“ einzustufende Tier- und Pflanzenwelt herausgebildet worden, vielmehr hat sich die Auenbiozö-nose als spezifisch angepaßter Teil dieses großen und erdgeschichtlich dauerhaften Ökosystemtyps entwickelt. Ganz ähnliche Cladocera-Gemeinschaften bilden übri-gens die Fauna von im Winter trockenge-legten Fischteichen, die ja gleichfalls peri-odische Gewässer darstellen. Auch die von der Unteren Havel beeinflußten Seen, wie der Gülper See, haben einen Cladocera-Bestand, der zum großen Teil aus Arten des Flußsystems „entliehen“ ist. Einige wenige, nicht flußtypische Arten, die als Freiwasserplankter aus Seen ausge-schwemmt werden und in der Havel drif-ten, ergänzen das Artenspektrum der Flußaue.

Ein wesentlicher Umweltfaktor, der ver-schiedene Gemeinschaften innerhalb der Aue differenziert, ist der Sauerstoffgehalt des Wassers. Im Wasserkörper zwischen den mit Diatomeenaufwuchs bedeckten

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Grashalmen der flach überströmten Flutra-sen, am Ufer der Havel und des Rhins und im Einflußbereich der Wellenbewegung des Gülper Sees sind in der Regel mittlere Sauerstoffgehalte um den Sättigungswert, tagsüber sogar regelmäßig Übersättigun-gen meßbar. In schlammgefüllten Flutmul-den und besonders im stagnierenFlutmul-den Was-ser inmitten des breiten, dichten Schilfröh-richtgürtels am Nordufer des Gülper Sees sinkt der Sauerstoffgehalt bei Erwärmung ab Mitte Mai infolge des mikrobiellen Abbaus organischer Substanz unter 1 mg/l, an der Sedimentoberfläche wer-den 0,1 mg/l unterschritten. Das Sediment dieser Habitate ist mit einsetzender inten-siver Schwefelwasserstoffproduktion ab Mai anoxisch. In den Flutmulden, verlan-denden Altwasserresten und im landnahen Röhricht konnten sich deshalb nur solche Arten erfolgreich etablieren, die hinrei-chend tolerant gegenüber geringen Sauer-stoffkonzentrationen sind. Die physiologi-sche Voraussetzung für ein Leben unter geringen Sauerstoffkonzentrationen bildet ein roter, sauerstoffspeichernder Farbstoff, der im Blut dieser angepaßten Wasserflöhe vorkommt und den Tieren sauerstoffarmer Zonen eine braunrote bis tiefrote Farbe verleiht.

Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Cladocera-Gemeinschaften des Gülper Sees und angrenzender Überschwem-mungsflächen, die im Zeitraum 1988 bis 1994 gefunden wurden.

4. Faunistische Besonderheiten

Die landschaftliche Eigenart der Havelaue findet ihren Ausdruck auch in einigen regionalen Besonderheiten der Cladocera-Fauna. Als wärmeliebende, sauerstofftole-rante Arten kommen Scapholeberis kingi und Scapholeberis aurita in periodischen, flachen Gewässern der Aue vor (Abb. 3).

Als dominante Cladocera-Art ist im selben Habitat Daphnia curvirostris stets zu fin-den. Aus der Gattung Ceriodaphnia sind von uns insbesondere die durch den Besitz des roten Blutfarbstoffs physiologisch bevorteilten Arten C. laticaudata und in einzelnen Exemplaren C. rotunda in den Fluttümpeln und im landnahen Röhricht nachgewiesen worden. Von den Arten, die als typisch für die stark zurückgegangenen Wasserpflanzengesellschaften anzusehen sind, finden sich im Gülper See noch Camptocercus rectirostris, Acroperus har-pae, Peracantha truncata und die drei Pleuroxus-Arten P. trigonellus, P. uncina-tus und P. aduncus.

5. Habitatabhängige Abundanzunterschiede

Schon bald nach Beginn der Untersuchun-gen des Cladocera-Bestandes im Gülper Raum zeigte sich ein bemerkenswerter Gegensatz hinsichtlich der Abundanzen und der Wasserbeschaffenheit: Während alle größeren Gewässer des Bereichs Stromhavel, Gülper Havel, Gülper See und alle von Fischen besiedelten Altgewässer von Mai bis Oktober eine intensive Vege-tationsfärbung durch Phytoplankton mit Sichttiefen oft unter 30 cm zeigten, erwie-sen sich die fischfreien Kleingewässer, Flut-tümpel, kleine Altwässer und Gräben in aller Regel als ganzjährig klar. Die größe-ren Gewässer enthielten insbesondere in der warmen Jahreszeit große Mengen an Phytoplankton, vor allem Blaualgen (Cya-nobacteria), dagegen blieben die nach Rückgang des Hochwassers im Mai zurückbleibenden Kleingewässer trotz erheblicher Freisetzungen von Orthophos-phat aus dem schlammigen Sediment weitgehend frei davon. Genau umgekehr-te Verhältnisse zeigumgekehr-ten sich hinsichtlich des Cladocera-Bestandes: Während im Frei-wasser von Gülper See und Havel die Daphnienabundanzen im Juni unter 1 Exemplar je Liter sanken, kam es zur glei-chen Zeit in den Kleingewässern zu Mas-senentwicklungen mit teilweise mehreren hundert bis zu über tausend Individuen pro Liter. Diese in mehreren aufeinander-folgenden Jahren immer erneut bestätigte Beobachtung zeigt eindeutig, daß Clado-cera augenscheinlich tatsächlich in der La-ge sind, in fischfreien AuenstillLa-gewässern

selbst bei Nährstoffüberangebot Wasser-blüten des Phytoplanktons zu unterdrük-ken und ein „Daphnien-Klarwasserstadi-um“ während der gesamten Vegetations-periode aufrechtzuerhalten, vorausge-setzt, eine Massenentwicklung ist möglich.

6. Biologie und Ökologie der wirksamsten

Filtrierer

6.1 Daphnien des Freiwassers

Eine Massenentwicklung einer Art in einem Habitat ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Zum einen muß die Art selbst evolutiv an ein rasches Populationswachstum bei Eintritt günsti-ger Umweltverhältnisse angepaßt sein (r-Strategie). Zum zweiten müssen, zumin-dest zeitweise, die artspezifisch optimalen Reproduktionsbedingungen, insbesondere günstige Nahrungs- und Temperaturver-hältnisse gleichzeitig realisiert sein. Drit-tens ist während dieser potentiellen Ver-mehrungsphasen der Population eine im Verhältnis zur Geburtenrate viel niedriger liegende Mortalitätsrate als Voraussetzung anzusehen. Der letztgenannte Parameter hängt für Cladocera, wie oben erwähnt, in besonders großem Maße von der Bestandsdichte planktivorer Fische ab, wobei in den verschiedenartigen Gewäs-sern der Flußaue auch das Vorhandensein oder Fehlen von Schutzzonen für die Populationsentwicklung der Cladocera eine entscheidende Rolle spielen kann.

Deshalb sollen die diesbezüglichen

Ergeb-Abb. 3

Unter faunistischem Gesichtspunkt ist das Vorkommen der wärmeliebenden Scapholeberis aurita in den Auenstillgewässern bemerkenswert (19.6.1990).

Foto: J. Schönfelder

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nisse kurz vorgestellt und diskutiert wer-den.

Wie aus Tabelle 1 ersichtlich ist, dominie-ren im Freiwasser der Havel und des Gül-per Sees andere Daphnia-Arten als in den Litoralbereichen und den Kleingewässern der Aue.

Im Pelagial der von Mai bis Oktober durch extreme Blaualgenblüten gekennzeichne-ten Unteren Havel und im Freiwasser des Gülper Sees kommen fast ausschließlich zwei wenig pigmentierte, transparente und dadurch für Fische schlecht erkennba-re Daphnia-Arten vor: Daphnia galeata SARS und in geringerer Anzahl die sehr kleine D. cucullata SARS.

Auffällig war bei den Untersuchungen, daß beide Plankter die Nähe zum Röhricht in Ufernähe meiden. Im Gülper See ent-wickelt sich im Mai im wellenschlagbeein-flußten Kontaktbereich von Röhricht und Freiwasser die stark pigmentierte und damit für Fische gut erkennbare Daphnia longispina O. F. MÜLLER. Begleitet wird sie von der sehr durchsichtigen Daphnia hyalinaLEYDIG, die z.T. aus dem Litoral in das röhrichtnahe Freiwasser vordringen kann, da sie infolge ihrer Transparenz dem Fraßdruck durch Fische weniger stark aus-gesetzt ist.

Für die Beurteilung des möglichen Zustan-dekommens einer die Phytoplanktonver-mehrung hemmenden Populationsent-wicklung von Daphnien ist außer dem unterschiedlichen Fischfraßdruck, der aus der verschiedenen Größe und Transparenz der Tiere resultiert, noch die von Art zu Art unterschiedliche Reproduktionsrate zu beachten.

Die deshalb vorgenommenen Auswertun-gen zu Eizahlen ergaben folAuswertun-gendes Bild:

Die deshalb vorgenommenen Auswertun-gen zu Eizahlen ergaben folAuswertun-gendes Bild: