• Keine Ergebnisse gefunden

Änderungsfreie Verarbeitung

Legal Deposit Libraries Act 2003 (LDLA) vom 30.10.2003, United King- King-dom

4. Prozessteil „Materialverarbeitung“

4.1 Änderungsfreie Verarbeitung

Den traditionellen Ausgangspunkt bibliothekarischer Tätigkeit - nicht zuletzt im Zu-sammenspiel mit dem Pflichtexemplarrecht - bildet die änderungsfreie Verarbeitung des Materials. Für museale Ansätze mit konservatorischem Einschlag gilt dies ebenso.

Allerdings wird dieses Grundmuster im Zusammenhang mit digitalem Material zu-nehmend verwischt, wie kurz aufgezeigt werden soll.

a) Handelt es sich um trägergebundenes digitales Material (zum Beispiel CDs oder DVDs), so ist dessen unveränderte Übernahme in den Sammelbestand einer Gedächtnisorganisation zum Zeitpunkt seines Eingangs fraglos möglich und auch üblich. Erst bei späteren pflegenden und/oder erhaltenden Maßnahmen stellt sich dann die Frage von Änderungen.

b) In jüngerer Zeit ist indes zu beobachten, dass etwa seitens der Musikindustrie anstelle kopiergeschützter CDs, welche in dieser Form in den Handel gelangen, eigens zu Zwecken der Pflichtabgabe bei zuständigen Gedächtnisorganisatio-nen CDs hergestellt und abgeliefert werden, deGedächtnisorganisatio-nen es an eben diesem Kopier-schutz fehlt. Dies mag - etwa weil die Musikindustrie einem Archiv das Anferti-gen von Sicherungskopien erleichtern möchte - durchaus auf ein wohlmeinen-des Motiv zurückgehen. Es ergibt sich jedoch das Problem, dass ein solches

„Werkstück“ nicht mit dem identisch ist, das normalerweise in den Verkehr ge-langt. Da beispielsweise auch eBooks als derartige „Sonderkopie“ an Gedächt-nisorganisationen gelangen können, stellen derartige Verfahren ein Problem dar, das nicht auf den Musikbereich begrenzt bleibt.

c) Schließlich nimmt aber nicht zuletzt das „trägerlose“ Angebot digitalen Materi-als im Verkehr zu, vor allem über Internet-Seiten15. Beschafft sich eine Gedächt-nisorganisation derartiges Material, so fertigt sie sich tatsächlich stets eine Ver-vielfältigung dieses Materials, denn dieses ist dann neben dem (ursprünglich singulären) Angebot auf einem bestimmten Server dann nochmals auf einem Träger (möglicherweise auch einem weiteren Server) vorhanden.

Die Frage ist daher zu stellen, ob die dargestellten Verfahren von den für die Phase der Verarbeitung digitaler Materialien typischerweise relevanten

15 Wirklich „trägerlos“ ist nur das Angebot; das Material als solches ist typischerweise auf der Festplatte eines Servers verkörpert, dort allerdings nicht mechanisch separierbar.

43

-quellen gedeckt sind. Die Frage soll anhand des DBiblG und des UrhG beant-wortet werden. Nicht berücksichtigt werden hier hingegen die Pressegesetze der Länder. Trotz eines teils weitgefaßten Begriffs von „Druckwerken“, der die Vervielfältigungsverfahren für deren Herstellung offenläßt, orientieren sich diese am Printbereich. Dies zeigt sich beispielweise an der Regelung des § 3 PflExplV Hessen, in welchem von dem für die allgemeine Verbreitung bestimmten Ein-band die Rede ist. Aber selbst § 3 Abs. (5) PflExplV Hessen, der eine eigens für den Bereich des Publishing-on-demand Regelungen trifft, beschränkt sich auf Aussagen zum Zeitpunkt des Verbreitungsbeginns, ohne vom Bild der Herstel-lung von Einzelstücken auf der Basis der Vorlage durch den Verleger oder Dru-cker abzugehen. Auch diese Sonderregelung kann daher zur Lösung der ein-gangs gestellten Frage kaum beitragen.

4.1.1 Der Erlaubnisrahmen des DBiblG

Problemlos erlaubt ist die 1:1-Verarbeitung, wie sie oben unter 4.1.a) angesprochen wird, denn Die Deutsche Bibliothek hat nach § 2 Abs. (1) DBiblG die Aufgabe,

„Druckwerke zu sammeln und zu inventarisieren“, wobei alle in Vervielfältigungsver-fahren hergestellten und zur Verbreitung bestimmten Darstellungen in Schrift, Bild und Ton dem Begriff des Druckwerks unterfallen, § 3 Abs. (1) DBiblG.

Bereits die oben unter 4.1.b) darstellten Beispielsfälle der Ablieferung eigens herge-stellter „kopierschutzfreier“ Exemplare sind jedoch vom gesetzlichen Auftrag an Die Deutsche Bibliothek nicht mehr gedeckt: § 3 Abs. (1) DBiblG spricht ausdrücklich von solchen Druckwerken, die „zur Verbreitung bestimmt sind“, setzt also selbstverständ-lich nur „Originale“ voraus. Gerade speziell ohne Kopierschutz hergestellte und ab-gelieferte Exemplare eines „Druckwerks“ sind dies nicht. Im Gegenteil würde sich der Verleger, der sie abgeliefert hat, gegen ihre weitere Verbreitung in der kopiergeeig-neten Form eher heftig zur Wehr setzen. Die angesprochene „Sonderform“ findet, was deren weitere Verarbeitung etwa durch Die Deutsche Bibliothek angeht, keine gesetzliche Stütze im DBiblG (wohl aber selbstverständlich im zumindest konkludent erklärten Einverständnis des Abliefernden). Umgekehrt genügt auch die Ablieferung eines solchen abweichenden Einzelexemplars nicht zur Erfüllung der Pflichtstückab-gabe nach § 18 Abs. (1) DBiblG, der auf dem Druckwerksbegriff des § 3 DBiblG auf-setzt.

Festzustellen ist deshalb, dass die - hier als Beispiel angeführten - Regelungen des DBiblG den wohlverstandenen Interessen des Ablieferungspflichtigen ebensowenig entsprechen wie denjenigen der betreffenden Gedächtnisorganisation. Während letzterer daran gelegen ist, ein im weiteren Umgang möglichst einfach zu handha-bendes Werkexemplar zu erhalten (wozu dessen Kopiereignung gehört), will ersterer

mit der Ablieferung eines solchen Exemplars selbstredend seinen Pflichten auch ge-nügt haben. Beides wird mit der derzeitigen Regelung nicht erreicht.

Die unter 4.1.c) dargestellte Verfahrensweise der Anfertigung einer Vervielfältigung digitalen Materials zu Verarbeitungszwecken wird im DBiblG auch nicht ansatzweise angesprochen. Da aber die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke (von diesen wird vorliegend ausgegangen) zu den Verwertungsrechten gehört, die grundsätzlich den Urhebern vorbehalten sind und in die nur in eng begrenzten Aus-nahmefällen zulasten des Urhebers eingegriffen werden darf, verbietet sich eine ausweitende Auslegung der allgemeinen Reglungen des DBiblG im Hinblick auf ein diesbezügliches Vervielfältigungsrecht der Deutschen Bibliothek.

4.1.2 Der Erlaubnisrahmen des UrhG

Zu klären ist aufgrund des bisher erzielten Ergebnisses weiterhin, ob die Vervielfälti-gung „trägerlosen“ digitalen Materials durch eine Gedächtnisorganisation auch oh-ne ausdrückliche (sonder-) gesetzliche Regelung, etwa aufgrund der Erlaubnistatbe-stände der UrhG, gestattet ist.

Weiter wäre auch zu fragen, ob möglicherweise das Urheberrecht zwischen dem

„Original“ eines Werkes und dessen Vervielfältigung in einer Art und Weise unter-scheidet, die das Abspeichern eines „trägerlosen“ digitalen Materials durch eine Gedächtnisorganisation als zulässig erscheinen läßt.

Wie bereits angedeutet, gehört das Recht zur Vervielfältigung zu den urheberrechtli-chen Verwertungsrechten, die ausschließlich dem Urheber vorbehalten sind, § 15 UrhG. Das UrhG definiert dieses Vervielfältigungsrecht als „das Recht, Vervielfälti-gungsstücke des Werkes herzustellen“, wobei weder Anzahl noch Verfahren eine Rol-le spieRol-len, § 16 Abs. (1) UrhG. Diese Legaldefinition beantwortet indessen nicht, was urheberrechtlich unter einem „Original“ zu verstehen ist. Die wohl herrschende urhe-berrechtliche Meinung versteht aber unter einem Original „jede reproduktionsfähige Erstfixierung“, die entweder unmittelbar vom Urheber selbst stammt oder unter seiner Aufsicht von Dritten hergestellt wurde16. Diese Begriffsdefinition, die ursprünglich für Werke der bildenden Künste entwickelt worden ist, wird auch auf andere Werkarten übertragen17. Folgt man dieser Definition, so muß man festhalten, dass das zum Bei-spiel auf einem Server befindliche Angebot digitalen Materials ein „Original“ des be-treffenden Werks darstellt, sofern das Angebot vom Urheber selbst oder mit dessen Wissen und Wollen eingerichtet wurde.

16 Fromm/Nordemann, Urheberrecht, Kommentar, 9. Auflage 1998, Anm. 2 zu § 26 UrhG.

17 wie vor, Anm. 2 zu § 44 UrhG.

45

-Gerade letzteres trifft aber sicher nicht zu auf digitales Material, das eine Gedächt-nisorganisation über ein derartiges Angebot erlangt und auf eigenen Speicherme-dien sichert, um es weiter zu verarbeiten. Weder kann insoweit positive Kenntnis des Urhebers über diesen Vorgang noch dessen Einverständnis mit diesem Vorgang ohne Hinzutreten besonderer Indizien hierfür angenommen werden. Mithin kann auch über den urheberrechtlichen „Original“-Begriff nicht fingiert werden, die Gedächtnisorga-nisation stelle über den Speichervorgang nicht etwa eine (erlaubnispflichtige) Ver-vielfältigung, sondern lediglich ein (weiteres) „Original“ her.

Es bleibt daher zur Beurteilung der Zulässigkeit eines derartigen Verarbeitungsverfah-rens nur die Orientierung an den Vorgaben des § 16 Abs. (1) UrhG und den zugehö-rigen Ausnahmetatbeständen. Letztere finden sich in Abschnitt 6 des UrhG, der die Schranken des Urheberrechts zum Inhalt hat. Von diesen kommt allenfalls § 53 UrhG in Betracht, der Vervielfältigungen zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch in bestimmten Fällen gestattet.

Ein privater Gebrauch scheidet vorliegend bereits offenkundig aus. Naheliegend scheint hingegen zunächst ein Eingreifen des Ausnahmetatbestandes des § 53 Abs.

(2) Nr. 2 UrhG, wonach die Herstellung einzelner Vervielfältigungsstücke zur Aufnah-me in ein eigenes Archiv zulässig ist. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass diese Vervielfältigung nach der genannten Vorschrift zu dem Archivzweck geboten sein (dies ließe sich möglicherweise noch bejahen) und als Vorlage für die Vervielfälti-gung ein eigenes Werkstück benutzt werden muß. Gerade letzteres liegt aber nicht vor, sondern soll durch die fragliche Vervielfältigung quasi erst entstehen. Darüber hinaus ist der in § 53 Abs. (2) Nr. 2 UrhG genannte Archivzweck wesentlich anders zu verstehen als gemeinhin angenommen. Während Bibliotheken unter einem „Archiv“

einen zur Nutzung bereitstehenden Bestand verstanden wissen wollen (und eine sol-che Nutzung des digitalen Materials vorliegend auch gewollt ist), verwendet die ge-nannte Vorschrift den Archivbegriff äußerst restriktiv. Dies bedeutet, dass aus einer für ein Archiv gefertigten Vervielfältigung keine zusätzliche Verwertung des Werks er-wachsen darf18. Das Archivierungsexemplar darf vielmehr nur der Sicherung dienen.

Genau dies ist hier jedoch nicht vorgesehen: Man möchte das digitale Material zur Nutzung bereitstellen - besser: die Vervielfältigungen dieses Materials. Dies entspricht jedoch nicht dem von § 53 Abs. (2) Nr. 2 UrhG verwendeten Archivbegriff; als Erlaub-nistatbestand für die hier in Rede stehenden Vervielfältigungen greift die Vorschrift deshalb nicht ein.

Im übrigen würde dem vorliegend auch § 53 Abs. (5) UrhG entgegenstehen, soweit es sich bei dem digitalen Material um „Datenbankwerke, deren Elemente einzeln mit Hilfe elektronischer Mittel zugänglich sind“, handelte. Für diese greift der Ausnahme-tatbestand des § 53 Abs. (2) Nr. 2 UrhG generell nicht ein, was im Effekt dazu führt,

18

dass das Vervielfältigungsprivileg nur für Archive herkömmlicher Art zum Tragen kommen kann19.

Weitere Ausnahmetatbestände sind nicht ersichtlich, so dass festzuhalten bleibt, dass die mit der Speicherung zunächst trägerlos angebotenen digitalen Materials ver-bundene Vervielfältigung nur mit entsprechender Erlaubnis des jeweiligen Urheber-rechtsinhabers zulässig wäre.

Als Zwischenergebnis ist somit festzustellen, dass nur die „klassische“ 1:1-Verarbeitung trägergebundener digitaler Materialien problemlos zulässig ist. Bereits die Verarbei-tung speziell aufbereiteter Träger, die beispielsweise auf einen Kopierschutz verzich-ten, der in den vertriebenen Exemplaren eigentlich enthalten ist, stößt auf Probleme, weil diese dem Sammelauftrag einer Gedächtnisorganisation möglicherweise nicht mehr entsprechen. Die Verarbeitung ursprünglich trägerlosen digitalen Materials schließlich ist nur über die Anfertigung einer Vervielfältigung möglich, die jedoch oh-ne ausdrückliche Einwilligung des Urheberrechtsinhabers unzulässig ist.

Bereits in der Phase der „änderungsfreien“ Verarbeitung zeigen sich damit im Hin-blick auf die von den Gedächtnisorganisationen beabsichtigte Langzeitarchivierung digitalen Materials urheberrechtliche Lücken, die nur durch entsprechend gesetzli-che Änderungen zu schließen wären.