Sachstandsbericht
„Partizipation in der offenen Kinder- und Jugendarbeit“
Anfang des Jahres 2015 wurde im Bereich Kinder- und Jugendförderung des Jugendamtes unter Beteiligung von freien Trägern der Jugendhilfe in Dortmund ein Arbeitskreis zum Arbeitsschwerpunkt „Partizipation in der offenen Kinder- und Jugendarbeit“ eingerichtet.
Hintergrund war der Beschlussvorschlag des Rates, drei Jugendfreizeitstätten zukünftig in Selbstverwaltung durch Jugendliche an einen freien Träger der Jugendhilfe zur pädagogischen Begleitung zu übergeben (vgl. Vorlage DS 14029-14). Die dabei zu Grunde liegende Vorlage mit ihren Ausführungen wurde vom Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie in der
damaligen Fassung nicht mitgetragen.
Dies führte zur Einrichtung des oben genannten Arbeitskreises im Bereich der Kinder- und Jugendförderung des Jugendamtes Dortmund, der vor allem die Beteiligung in
Jugendfreizeiteinrichtungen im Blick haben sollte. In mehreren Sitzungen formulierte der Arbeitskreis daher gemeinsame Grundannahmen zum aktuellen Stand von
Partizipationsangeboten in Dortmunder Jugendfreizeiteinrichtungen. Hierzu wurde neben der Berücksichtigung eigener Erfahrungen und fachlicher Analysen eine Tagesexkursion zu zwei, durch Jugendliche selbstverwaltete Einrichtungen, in Düsseldorf im Haus „Spilles“ und in Monheim im „Rheincafe“ durchgeführt. Hierbei konnte festgestellt werden, dass der Betrieb selbstverwalteter Einrichtungen nur durch die intensive Begleitung von Fachkräften möglich scheint. Kinder und Jugendliche benötigen auch hier die Beratung und Begleitung durch geschultes Personal. Dies wurde auch durch weiteren Recherche bei „juz-united“, dem Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V. sowie durch eine
Erfahrungsabfrage zu verschiedenen Beteiligungsprojekten unter den Dortmunder Trägern der Jugendhilfe bestätigt.
Bisherige Erfahrungen und aktuelle Entwicklungen:
Die Diskussion über Mitwirkung und Mitbestimmung von jungen Menschen in der offenen Kinder- und Jugendarbeit wird seit Jahrzehnten mit unterschiedlichen Schwerpunkten geführt.
Der aktuelle Blickwinkel ist dabei eher auf projektorientierte Partizipation und zielgerichtetes Engagement für aktuelle, übergeordnete Themen im Bereich des Natur- und Tierschutzes, der Friedenspolitik und der Willkommenskultur gelegt. Hinzu kommt ein weiterer großer
Bereich, der die Optimierung sozialräumlich relevanter Lebensbedingungen, wie Initiativen für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, Anti-Rassismus Projekte, Spielraumplanung und der Thematik „Mein Jugendheim“ vor Ort beinhaltet.
Zwischen Selbstorganisation von Jugendlichen, der Selbstverwaltung von Jugendzentren sowie der Teilhabe und Mitbestimmung von Jugendlichen in Jugendfreizeiteinrichtungen und Jugendverbänden besteht ein breites Spektrum, in dem sich die Debatte um Jugendbeteiligung bewegt. Wesentliche Aspekte dieser Debatte sind nach wie vor gültig:
1. Die Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) sind Orte, die ihrem Anspruch nach von Kindern und Jugendlichen mitbestimmt und mitgestaltet werden.
Wie weit und umfassend dieser Anspruch umgesetzt wird, ist von den gegebenen Rahmenbedingungen abhängig und muss kontinuierlich hinterfragt werden.
2. Die Einrichtungen der OKJA sind öffentliche Schutzräume, in denen sich Kinder und Jugendliche erproben und ihre Fähigkeiten und Kompetenzen ausprobieren und
weiterentwickeln können. Als öffentliche Räume wirken Jugendfreizeiteinrichtungen so in den Sozialraum bzw. das Lebensumfeld ihrer Besucherschaft hinein, wie sie umgekehrt die Entwicklungen und Veränderungen im Sozialraum aufnehmen und sich somit in der pädagogischen Arbeit widerspiegeln.
Aus dem ersten Ansatz folgt die aktuelle Debatte, Partizipation projekthaft zu gestalten und diese nach Themen oder Interessen der Besucherschaft auszurichten. Aus dem zweiten Ansatz folgt, dass Themen und Interessen der Besucherschaft auch immer einen politischen Bezug haben. Politisch bezieht sie sich hier auf die Gemeinschaft oder Gesellschaft „die Polis“.
Zielgruppe:
Beteiligung in Dortmunder Jugendeinrichtungen soll möglichst viele junge Menschen im Alter von 6 - 27 Jahren erreichen. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass mehrheitlich die Altersgruppe der 10 - 18 jährigen als Zielgruppe erreicht wird, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und ihrer Nationalität. Gerade deshalb muss die Beteiligung in Dortmunder
Einrichtungen einem inklusiven bzw. integrativen Anspruch, abhängig vom sozialräumlichen Umfeld, Rechnung tragen. Dementsprechend sind auch die Informationen über das
pädagogische Angebot multilingual und multimedial zu gestalten. Diese Informationen müssen über die lokalen Medien, im Internet, an Schulen, in Vereinen und bei den Verbänden verbreitet werden. Somit bestünde die Möglichkeit, dass alle jungen Menschen einen Zugang bekommen, um sich zu beteiligen.
Jugendfreizeiteinrichtungen sind offen für alle jungen Menschen in ihrem sozialräumlichen Umfeld. Gleichwohl haben manche Einrichtungen der offenen Jugendarbeit überwiegend sogenannte „bildungsbenachteiligte Jugendliche“ als Besucher/innen.
Ebenso gehören Jugendliche dazu, die Schwierigkeiten haben, sich an verbindliche Strukturen zu halten sowie Jugendliche, die in anderen Zusammenhängen Ausgrenzungserfahrungen gemacht haben. Die Exklusionserfahrungen erschweren es der oben genannten Gruppe, sich an partizipativen Angeboten zu beteiligen. Sie benötigt z.B. einen niedrigschwelligen Zugang zu den Angeboten.
Pädagogische Erfahrungen und Konsequenzen:
Aus fachlicher Sicht ist festzustellen, dass Beteiligung von Kindern und Jugendlichen immer aus dem Blickwinkel der Lebenswelt der unterschiedlichen Zielgruppen betrachtet werden muss. Dabei ist anzumerken, dass hier das „Freiwilligkeitsprinzip“ der offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) und zeitlich begrenztes und prozesshaftes Engagement junger
Menschen für bestimmte Teilhabeangebote, ein kennzeichnendes Merkmal in unserer Zeit ist.
Gerade seitens der Kinder und Jugendlichen in benachteiligten Sozialstrukturen scheint hierbei die pädagogisch angeleitete und begleitete Beteiligung immer mehr gewünscht und je nach Status der Zielgruppe auch fachlich erforderlich zu sein. Diese Einschätzung resultiert aus Erfahrungen, die mit jungen Menschen aus „schwierigen“ Milieus in
Jugendfreizeiteinrichtungen gemacht wurden, wobei die „verbal intellektuelle“
Auseinandersetzung mit Problemen und Konflikten (auch die Beteiligung selbst) nicht an vorderer Stelle der Freizeitangebote und -aktivitäten steht. Dies widerspricht nicht der
positiven Resonanz auf Beteiligungsprozesse durch Jugendliche mit anderen Bildungsniveaus, bei denen viel selbstständiger präsentable Ergebnisse erzielt werden konnten.
Der Arbeitskreis befürwortet in diesem Kontext eine kontinuierliche, gezielte pädagogische Begleitung. Hierdurch kann auch bei problematischen Jugendszenen ein direkter
professioneller Zugang entstehen und die Möglichkeit gezielter Unterstützung zeitnah und
Deshalb ist die Entwicklung von Konzepten zur Partizipation junger Menschen für die pädagogischen Fachkräfte eine stete Herausforderung. Hier gibt es zwar standardisierte Handlungsschritte für Themen und Inhalte (hinhören, aufgreifen und sichtbar machen bzw.
Öffentlichkeit herstellen), aber keine allgemeingültigen Handlungsmodelle. Daher sind hier Fachkräfte gefragt, die im Rahmen von Beteiligung individuell einsetzbare und zu erprobende Module im fachlichen Diskurs und mit der Zielgruppe entwickeln. Bei diesem
anspruchsvollen Arbeitsszenario bleibt festzuhalten, dass die Förderung von Beteiligung umfassende pädagogische Kompetenzen erfordert und partizipative Handlungskonzepte daher kaum geeignet sind finanzielle oder personelle Ressourcen einzusparen.
Beteiligungsformen und -verfahren:
Um dem beschriebenen Auftrag einer Reform des Gesamtsystems nachzukommen, ermittelte der Arbeitskreis die in den Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit bisher
eingesetzten partizipativen Methoden und Techniken. Hierzu wurden in einem ersten Schritt eine Abfrage in Modelleinrichtungen durchgeführt und die bereits gelebten Formen
„geclustert“ und anschließend analysiert. In den Sitzungen des Arbeitskreises wurde deutlich, dass vielfältige Möglichkeiten bereits jetzt und teilweise schon seit Jahren Anwendung finden.
Hier verschiedene Beispiele:
Mitbestimmung der Raumgestaltung
(Wandfarbe, Material, Mobiliar, Sitzsäcke…)
Beteiligung bei der Auswahl an Angeboten für die Mädchen- und Jungengruppe (Kreativangebote, Turniere, Themenfindung)
Anschaffungen werden gemeinsam entschieden und beschlossen (Wünsche wie ein Boxsack, eine Playstation 4 etc. wurden erfüllt)
Durchführung eigener Turniere im offenen Treffbereich
(Tischtennisturniere werden selbstständig von Besucherinnen und Besuchern durchgeführt)
Inhalte der Arbeitsgruppe „JFS gegen Rassismus“ werden von den teilnehmenden Jugendlichen mitgestaltet
(Talkrunde „Die Bundeswehr – ein Arbeitgeber wie jeder andere?!“, Diskussionsrunde
„Fluchtgründe“)
Weitere Beteiligungsprojekte bei Ausflügen, Übernachtungen und Projekten (Projekt „Mein Lebens(t)raum“, Ausflug in den Movie Park)
Mitbestimmung der Öffnungszeiten (samstags ab 14:30 Uhr, Veränderung in der Sommerzeit für Teens bis 12 Jahre)
Ferienspielprogramm durch direkte Wahl über Fragebögen zweimal jährlich in allen Bereichen
Meckerbox, als Möglichkeit der anonymen Beteiligung.
Beteiligung in einer dafür angelegten „Whats App“ Gruppe
Besuch der Sitzung der Bezirksvertretung, Einbringen von Forderungen, Vorschläge, Ideen und Fragen der Jugendlichen
Jugendliche gründen ein Ortsjugendwerk
Jugendforenarbeit
Beteiligungsprojekte, auch drittmittelfinanziert, z. B. DemokraTEENAGER, ein Projekt, das sich mit Kinderrechten und Lebensumständen von Kindern und Jugendlichen in anderen Ländern beschäftigte
Schlussfolgerungen:
Ausgehend von den vielfältigen Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte, die in Dortmund freie Träger und das Jugendamt in ihren Einrichtungen und in verschiedenen Projekten gemacht haben, sollen Handlungsvorschläge für die Weiterentwicklung von Mitbestimmung in Jugendfreizeiteinrichtungen vorbereitet werden, um so eine mitbestimmte und tragfähige Reform des Gesamtsystems der offenen Kinder- und Jugendarbeit einzuleiten und zu gestalten. Dabei gilt es auch Wege zu finden, wie direkte budgetrelevante
Beteiligungsentscheidungen von jungen Menschen mit verwaltungs- und förderrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen sind. Dies gilt teilweise auch für Projekte, welche sich aus Drittmitteln (z. B. LWL-Mittel) finanzieren.
In diesem Zusammenhang soll auch ein gesonderter Blick auf die Chancen der Kooperation der OKJA mit unterschiedlichen Schulformen zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und der demokratischen Teilhabe junger Menschen gerichtet werden (z. B. „Projekt
Schülerhaushalt“).
Der Arbeitskreis stellte sich die Frage, ob Partizipation unter den genannten Problemlagen noch umsetzbar ist. Die Frage wurde mit einem (optimistischen) „ja“ beantwortet. Jedoch muss der Ansatz von Beteiligung weiter gefasst und zielgruppengerechter verbindlich gestaltet werden.
Hierbei sollen auch die folgenden Punkte und Fragestellungen Berücksichtigung finden:
- Welche Aspekte von Partizipation sollen berücksichtigt werden?
- Wie sollen Kinder und Jugendliche erreicht werden?
- Demokratieförderung soll thematisch dargestellt werden
- Das Themenfeld der Schule und die Kooperation mit Schule, aber auch die Unterschiedlichkeit zwischen Schule und der freiwilligen Teilnahme an den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe soll aufgezeigt werden
- Es soll eine Definition von „Inklusion“ in Beteiligungsverfahren entwickelt werden (Teilhabe für Alle an der Gesellschaft)
- Eine gemeinsame Stellungnahme zur Beteiligung wird durch die freien und den kommunalen Träger entwickelt
- Schaffung und Erweiterung von Angeboten zur Unterstützung von vorhandenen Beteiligungsformaten junger Menschen, sowie eine Vermittlung von Kompetenzen zur Beteiligung an öffentlichen Veranstaltungen, z.B. Demonstrationen
- Eine Relativierung der möglichen politischen Erwartungshaltung wird angestrebt Die OKJA ist der Bereich, der die erlebten Ungerechtigkeiten und die von Jugendlichen wahrgenommenen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen zur Sprache bringt und auch bis in politische Gremien hinein weiter diskutiert. Die Jugendeinrichtung ist der geschützte Ort, der es Jugendlichen ermöglicht, die Probleme und Konflikte, mit Ursachen und Hintergründen zu verstehen und in kleinen, für sie nachvollziehbaren Schritten zu diskutieren, zu bearbeiten oder gar zu lösen.
Institutionalisierte Wege, wie z. B. Jugendparlamente, werden häufig von eher „politiknahen oder -affinen“ Jugendlichen besucht. Diese sind oft geübter in Hochsprache und politischer Abstraktion.
Die Beteiligung von Jugendlichen aus politikfernen Schichten wird eher über die
Beziehungsarbeit erreicht, die ihre Exklusionserfahrung zum Anlass nimmt, sie zu politischer Aktivität zu motivieren. Sie fördert Partizipation, indem sie diese Exklusionserfahrung ernst nimmt, sie benennt und um Kompensation ringt. Der pädagogische Auftrag sollte vor allem
besonderen Angeboten, die beziehungsorientiert, mit parteiergreifendem Engagement und einer zeitnahen Erfolgs- und Anreizstrategie für Beteiligung angesprochen werden.
Fazit:
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Weiterentwicklung der Beteiligung von jungen Menschen nicht nur mit dem Fokus auf die Jugendfreizeiteinrichtungen betrachtet werden kann. Auch andere Bereiche der Arbeit mit jungen Menschen in der gesamten Stadt müssen miteinbezogen werden. Dazu sollen Akteure wie Jugendring, Jugendverbände und das Büro für Kinder- und Jugendinteressen sowie Schule einbezogen werden. Kinder und Jugendliche sollten aktiv an diesem Entwicklungsprozess beteiligt werden.
Die zuvor genannten, durch den Arbeitskreis zusammengestellten Grundannahmen sollen als Ausgangspunkt einer Konzeptentwicklung für „mehr Beteiligung“ in der offenen Kinder- und Jugendarbeit stadtweit dienen. In einem, durch eine externe Moderation begleiteten, Prozess soll dieses Konzept erarbeitet und in den Planungsprozess „Demokratieförderung für
Dortmunder Kinder und Jugendliche“ eingebunden werden.