Berichte zu den Seminaren „Neo-Geographie und Metakartosemiotik“
Eugene Eremchenko (Moskau/Protvino), Gennady Molodan, Igor Semichastny, Viktor Sirenko (Donetsk/Mariupol) & Alexander Wolodtschenko (Dresden)
<alexander.wolodtschenko@tu-dresden.de >
0. Einleitung
Vorliegender Bericht dokumentiert einige der neuen Ideen und Projekte, die sich mit der Synthese von Neogeographie und Metakartosemiotik, ubiquitären Karten und Atlanten, Atlassing und Atlassemiotik usw. befassen, und die in vier internationalen neogeo- semiotischen Seminaren im Jahr 2013 vorgestellt wurden.
Anstoß für die neogeo-semiotischen Seminare gab ein Interview von Alexander Wolodtschenko „Quo vadis? oder Erinnerungen an die Zukunft der Kartographie“ für das russische Informations-Portal „Neo-Geographie/Неогеография/“ im November 2012 (http://www.neogeography.ru/rus/news/articles/quo-vadis-remebering-the-future-of-
cartography.html).
Das erste Seminar „Protvino 2013“ fand am 5. März in Technopark der Science City Protvino bei Moskau statt; das zweite Seminar „Zeichenwelt der Azov-Region“ wurde von 17.-19. Mai in der Donetsk-Region der Ukraine veranstaltet; ein drittes Seminar mit dem Motto „Ubiquitäre thematische Atlanten“ wurde am 19. Oktober am Touristischen Institut in der Stadt Donetsk organisiert; das letzte, vierte Seminar wurde in Kiew im Ministerium für Umwelt und Natur am 22. Oktober abgehalten.
1. Protvino 2013
Das Seminar „Protvino 2013“ war die erste Veranstaltung des neuen Zyklus.
Schwerpunkte waren die Anpassung der Neogeographie für semiotische Modelle und Methoden, sowie die anschließende Konvergenz von zwei wissenschaftlichen Bereichen (Abb. 1).
Abbildung 1a: E. Eremchenko eröffnet das Seminar Abbildung 1b: Vorlesung im MIIGAiK
Das Programm des Seminars „Protvino 2013“ schloss vier Präsentationen ein:
• Alexander Wolodtschenko (Dresden): Metakartosemiotische Intervention in der Neogeographie
• Eugene Eremchenko (Moskau/Protvino): Semiotische Aspekte der Neogeographie
• Juri Golubchikov (Moskau): Digitale Technologien und Metawissenschaft
• Alexander Orlovski (Moskau): Über die neuen GFE-Daten von „Kanopus-B“
Die abschließende Diskussion brachte einen Meinungsaustausch über mögliche Perspektiven für die neogeo-semiotischen Seminare und gemeinsame Projekte sowie für ein Forschungsprogramm.
Für die Teilnehmer des Seminars wurde ein neuer Bildatlas „Prähistorische Karten der Ukraine“ präsentiert (Autoren:
A. Wolodtschenko und V.O. Schevchenko, Dresden 2013). Abbildung 2 zeigt eine Titel-
seite des Bildatlas. Abbildung 2: Titelseite des Bildatlas
Der Bürgermeister der Stadt Protvino, Andrei Bazhenov, besuchte das Seminar und begrüßte die Teilnehmer. Hierbei betonte er die Bedeutung, Aktualität und Relevanz für die Entwicklung in Protvino nicht nur in Bezug auf Technologien, sondern auch hinsichtlich neuer Wissenschaftsrichtungen.
Im Rahmen der Veranstaltung wurde eine Reihe kartosemiotischer Gastvorlesungen von A. Wolodtschenko an folgenden Moskauer Universitäten festgesetzt:
• am 4. März für Studenten der Geographischen Fakultät der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität;
• am 5. März für Studenten der International University of Nature, Gesellschaft und Mensch
„Dubna“ in Protvino;
• am 6. März für Studenten der Moskauer Universität für Geodäsie und Kartographie (MIIGAiK).
2. Seminar „Zeichenwelt der Azov Region“
Das zweite internationale Seminar
„Zeichenwelt der Azov Region“ fand vom 16. bis 18. Mai in der Donetsk-Region statt. Das Seminarprogramm schloss drei Sessionen an unterschiedlichen Veranstaltungsorten mit insgesamt 15 Präsentationen ein.
Abbildung 3: Teilnehmer des Seminars vor dem Touristischen Institut in Donetsk
Im Rahmen einer Konferenz im Touristischen Institut (Abb. 3) in der Stadt Donetsk am 16. Mai wurden in einer ersten Session die folgenden beiden Präsentationen vorgestellt:
• Alexander Wolodtschenko (Dresden): Thematische ubiquitäre Bildatlanten
• Igor Semichstny (Donetsk): Sakraler Tourismus in der Donetsk Region
Eine zweite Session im Schutzgebiet „Steinerne Gräber“ am 17. Mai umfasste drei Vorträge:
• Alexander Wolodtschenko (Dresden): Zum neuen Forschungsprogramm „Neogegraphie und Metakartosemiotik“
• Eugene Eremchenko (Moskau/Protvino): Metakartosemiotik und Neogeographie: einige Berührungspunkte.
• Viktor Sirenko und Sergei Dediakin (Mariupol): Über eine Inschrift im Naturschutzgebiet
„Steinerne Gräber“
Abbildung 4: Teilnehmer des Seminars im Schutzgebiet „Steinerne Gräber“
Eine abschließende dritte Session des Seminars „Zeichenwelt der Azov Region“
fand im Landschaftspark „Meotida“, am 18.
Mai statt. Es wurden 10 Präsentationen gegeben, welche nachfolgend aufgelistet sind.
Ein Runder Tisch mit interessanten Diskussionen interdisziplinärer Aspekte beendete das dreitägige neogeo-semiotische
Seminar. Abbildung 5: Seminarteilnehmer in Meotida
• Alexander Anoprienko (Donetsk): Neogeographie des Azov Region im Kontext der astro- und anthropomorphen Archeokartographie
• Vladimir Isaev und Irina Isaev (Donetsk): Neogeographie: neue Aufgaben bezüglich der ariden Landschaften
• Alexander Olefirenko (Moskau): Fernerkundung heute und morgen: neue Tendenzen
• Olexa Kovalev (Kharkow): Tages-Oberfläche wie eine Karte: die ontologischen Wurzeln der Kartosemiotik
• Alexei Michno (Kiew): Neogeographie: Raster-Modell als die Quelle von neuem Wissen
• Alexander Evglevski (Donetsk): Religiöse Denkmäler der Polovtsian Zeit: geographische Aspekte und semiotische Analyse
• Juri Golubchikov (Moskau): Über das Situationsbewusstsein und touristische Methoden
• Igor Semichstny (Donetsk): Neogeographische Prinzipien im Tourismus
• Alexander Wolodtschenko (Dresden): Ubiquitäre Mini-Atlanten als kultur-semiotisches Erbe.
Die wissenschaftlichen und kulturellen Events im Rahmen des Seminars „Zeichenwelt der Azov Region“ wurden in Form von zwei Bildatlanten für Tablets bzw. Smartphones realisiert. Abbildung 6 zeigt die zugehörigen Titelseiten. Der erste Bildatlas „Seminar Neogeographie und Metakartosemiotik. Zeichenwelt der Azov Region“ hat ausschließlich das diesbezügliche Seminar dokumentiert. Der zweite Bildatlas „Schutzgebiet Steinerne Gräber“ wurde für die Darstellung eines eintägigen Events am 17. Mai mit zwei Exkursionen, Photoausstellung, drei Präsentationen und Diskussion konzipiert. Das Projekt von zwei Bildatlanten reflektiert einen neuen Trend des Iconic Atlassing oder Bildbezogenen Atlassing.
Abbildung 6: Titelbilder zweier Bildatlanten über das Schutzgebiet „Steinerne Gräber“
Es wurde auch eine Serie von Postkarten der Schutzgebiete bzw. Landschaftsparks erarbeitet. Abbildung 7 zeigt einen Entwurf:
Abbildung 7: Entwurf der Postkarten
Wie das Seminar „Protvino 2013“ gezeigt hat, ist eine ausschließliche Fokussierung auf Technologien nicht zielführend. Die Bildung eines neuen interdisziplinären Pilotprogramms basierend auf der Synthese von Neogeographie und Metakartosemiotik als zwei Strömungen von Wissen, nämlich technologischem und theoretischem Wissen, wurde im Rahmen des Seminar „Zeichenwelt der Azov Region“ diskutiert. Das Pilotprogramm (Tab. 1) enthält drei Bereiche technologischer, theoretisch-konzeptioneller und organisatorischer Art.
Tabelle 1: Pilotprogramm mit ausgewählten Aufgaben
Bereiche des Pilotprogramms
technologisch theoretisch-konzeptionell organisatorisch - Aktualisierung der technischen
und methodischen Ziele - Design, Implementierung und Nutzung der neuen Informations- Produkte (z. B. E-atlas-basierte mobile Smartphones und Tablets) - Erstellen von ubiquitären Mini-Atlanten, personellen und VIP-Atlanten, usw.
- Schaffung eines neuen
Strukturmodells der Neogeographie - Begründung einer inter-
disziplinären Atlassing-Forschung mit einem Schwerpunkt auf praktischen und theoretischen Problemen
- die Entwicklung und Lösung von theoretischen Fragen bezüglich der Zeichenevolution im 21. Jahrhundert
- Popularisierung neogeo- semiotischer Aktivitäten durch Zeitschriften und Portale - Durchführung von neogeo- semiotischen Seminaren und Konferenzen
- Projekt „Neogeo-semiotisches Forum und Vereinigung“
3. Seminar „Ubiquitäre thematische Atlanten“ in Donetsk
Mitte Oktober 2013 war das Donetsk Institut für Tourismus (DITB) Gastgeber für mehrere wissenschaftliche Events. Das DITB wurde 1992 als ein Privatinstitut in der
Ein Crash-Kurs „Ubiquitäre Bildatlanten“ wurde von 15. bis 18.Oktober für Magister- Studenten des Instituts für Tourismus gehalten. Der Kurs schloss vier Lehrveranstaltungen und zwei praktische Seminare ein. Drei Studenten haben ihre Projekte als Berichte für das Institutsseminar vorbereitet.
Am 19. Oktober wurde im Institut das dritte neogeo-semiotische Seminar „Ubiquitäre thematische Atlanten“ organisiert. Das Seminarprogramm schloss zwei Begrüßungen (Rektor des Institutes, Prof. V.F. Danilchuk und E. Eremchenko, Gruppe Neogeographie, Moskau) und zwei Sessionen mit folgenden Präsentationen ein:
Session 1
• Alexander Wolodtschenko (Dresden): Ubiquitäre Atlanten für Smartphones und Tabletts:
Konzeptionen und Realisierungen
• Eugene Eremchenko (Moskau/Protvino): Von ubiquitären Ideen zum Forschungsprogramm Neographie/Metakartosemiotik
• Alexander Anoprienko (Donetsk): Neocomputing und kognitive Atlanten
• Igor Semichastny (Donetsk): Lehrkurs „Ubiquitäre Atlanten“ im Donetsker Institut für Tourismus
Session 2
• Rostyslav Sossa und I.Kichkiruk (Kiew): Herstellung von kartographischen Produkten für mobile Geräte
• Eugene Eremchenko (Moskau) und Alexander Wolodtschenko (Dresden): Präsentation des Bildatlas „Steinerne Gräber“
• Alexei Bibikov (Donetsk): Bildatlas für Wolodarsk Region, Donbass
• Alexei Bibikov, Pavel Goncharov, Nikita Elecki (Donetsk): Studentische Serie von Bildatlanten: Industrie in Donetsk; Sport in Donetsk und Sakrales Donetsk.
Der Höhepunkt des Seminars war ein „Runder Tisch“ mit Diskussionen über grundlegenden Veränderungen in der Geographie und Kartographie.
Abbildung 8a: Teilnehmer des Crash-Kurs Abbildung 8b: Teilnehmer des Seminars
Mini-Seminar in Kiew
Als eine Fortführung des Seminars in Donetsk wurde ein Mini-Seminar „Netcentrics und Situationsbewusstsein“ in Kiew realisiert. Teilnehmer des Seminars (Abb. 9) waren staatliche Behörden, führende GIS- und Fernerkundungs-Fachleute sowie Doktoranden der Ökologischen Akademie, welche zwei Präsentationen beiwohnten:
• Eugene Eremchenko (Moskau): Über die theoretischen und praktischen Aspekte des Situationsbewusstseins
• Alexander Wolodtschenko (Dresden): Ubiquitäre Konzeption und Kreation von e-Bild- atlanten im Kontext des Situationsbewusstseins.
Abbildung 9:
Teilnehmer des Seminars in Kiew
Die Teilnehmer des Seminars hatten die Möglichkeit, das Zentrum für kosmisches Monitoring des Ministeriums für Umwelt und Natur zu besuchen. Es wurde ein Vorschlag diskutiert, ein neogeo-semiotisches Seminar 2014 in Kiew zu organisieren. Ein Arbeitsmotto des Seminars wäre wie folgt: Semiotische Analyse der Medien-Infographik mit ökologischen Themen.
Fazit
Die im Jahr 2013 durchgeführten vier neogeo-semiotischen Seminare reflektieren einen neuen und interessanten inter- bzw. transdisziplinären Fokus von forschungsbezogenen Ideen und Projekten in Europa. Dazu gehören u. A. folgende paradigmatische, interdisziplinäre und europäisch-projektorientierte Aspekte:
- in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts konkurriert ein kartographisch- technologisches Paradigma (Neokartographie) mit einem neogeo-semiotischen Paradigma (Neogeographie + Metakartosemiotik);
- neogeographische technologische Komponenten (Situationsbewusstsein, Netcentrics und Google-ähnliche Plattformen ) und karto-atlassemiotische Komponenten (neue mediale Informationsprodukte für Smartphones und Tablets wie ubiquitäre Atlanten, Bild-Atlanten, Mini-Atlanten usw. mit kartographischen und außer-kartographischen Traditionen) reflektieren eine neue interdisziplinäre Synthese;
- die neogeo-semiotischen Traditionen reflektieren einen breiten Nutzerkreis vom VIP- bis zum Massenbereich. Für die „Massennutzer“ sind Themen wie Tourismus, Heimatkunde, Ökologie, Archäologie usw. sehr attraktiv;
- in einem semiotischen Koordinatensystem von Meta-Variablen können neue mediale Informationsprodukte (Internetprodukte) wie z.B. „Maps + Miniatlases“ eine neue Atlaskultur bilden;
- 2011 hatte das ICA/IKV Executive Committee eine Chance, eine Working Group
„Mini-Atlanten“ zu genehmigen. Leider wurde ein diesbezüglicher Vorschlag mindestens auf vier Jahre bis 2015 verschoben;
- neogeo-semiotische Aktivitäten (in Europa) vs. neogeographische Aktivitäten (in der USA). Seit 2011 sind neogeographische Aktivitäten in den USA gesunken. So z.B. ging die Anzahl neogeographischer Beiträge auf den Jahreskonferenzen des Association of American Geographers (AAG) von 27 im Jahr 2010 auf 5 im Jahr 2013 zurück.
Einer der Initiatoren der Neogeographie in den USA, Andrew Turner, trat 2011in die neue gegründete ICA Kommission „Neocartography“ ein. Bislang hat diese Kommission ihr Profil nicht gefunden und kooperierte mit anderen ICA Kommission (z.B. „Map Design“) in Fragen der Kartengestaltung in Web- und mobilen Umgebungen. Zwei Sitzungen in Los Angeles 2013 und in Dresden 2013 beweisen diese Situation.
Geographisch gesehen, kann man einen neogeo-semiotischen Forschungsfokus in Ost- Europa platzieren. Tabelle 2 veranschaulicht die entsprechenden Aktivitäten 2013. Basierend auf der inter- bzw. transdisziplinären Synthese werden neogeo-semiotische und europäisch- projektorientierte Traditionen im Jahr 2014 weitergeführt.
Tabelle 2: Neogeo-semiotische Seminare 2013
Motto des Seminars bzw. Workshops Staat
1. „Protvino 2013“ Russland, Moskau
2. „Zeichenwelt der Azov-Region“ Ukraine, Donbass
3. „Ubiquitäre thematische Atlanten“ Ukraine, Donetsk
4. „Netcentrics und Situationsbewusstsein“ Ukraine, Kiew