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Archiv "Anhörung im Bundestag zu anonymen Geburten: Ethische Konflikte schwerer lösbar als Rechtsprobleme" (08.06.2001)

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ie nennen sich Babykörbchen, Pro- jekt Findelbaby oder Lebenspforte – jene rund 20 unterschiedlichen In- itiativen von Hamburg bis Augsburg, die es Müttern in Not ermöglichen wol- len, anonym zu gebären oder ihr Neu- geborenes anonym abzugeben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ha- ben so genannte Babyklappen einge- richtet oder nehmen das Kind an einem Treffpunkt in Empfang. Sie beraten Schwangere, die anrufen, vermitteln Klinikplätze, stellen Kontakte her zu Privatpersonen und Einrichtungen, die werdende oder frisch gebackene Müt- ter für begrenzte Zeit aufnehmen und deren Anonymität wahren.

In der vergangenen Woche befassten sich gleich drei Ausschüsse des Deut- schen Bundestags mit dem Thema. Die CDU/CSU-Fraktion hat vor kurzem ei- nen Gesetzentwurf zur Änderung des Personenstandsgesetzes vorgelegt. Der- zeit müssen alle Geburten angezeigt werden, weshalb im Grunde alle Baby- klappen in einer rechtlichen Grauzone arbeiten. Die Union schlägt vor, die Meldefrist bis zu zehn Wochen nach der Geburt auszusetzen, falls die Mutter sich einer geeigneten Schwangerenbe- ratungsstelle anvertraut und nach einer Lösung ihres Konflikts sucht.

So unterschiedlich die Meinungen der eingeladenen Sachverständigen zur Möglichkeit der anonymen Geburt wa- ren – der Ansatz der Union erschien den meisten unzureichend. Prof. Dr. jur.

Reinhard Hepting, Mainz, kritisierte, dass er keine wesentliche Verbesserung bedeute und es der Mutter nicht ermög- liche, ihre Anonymität dauerhaft zu wahren. Als wenig hilfreich wurde auch die vorgeschriebene Beratung angese-

hen. „Beratung ist ein Kind der Frei- heit“, betonte Christoph Pompe, stell- vertretender Vorsitzender der Evange- lischen Konferenz für Familien- und Lebensberatung. Ähnlich argumentier- te Dr. Jürgen Moysich, Hamburg, von SterniPark – Projekt Findelkind: Die Frauen brauchten eine anonyme Bera- tung vor, während

und nach der Ge- burt. Nur so könn- ten anonyme Ge- burt und Babyklap- pen sinnvolle Ein- richtungen werden.

Grundsätzlich ablehnend stehen Wissenschaftlerin- nen und Vertrete- rinnen der Organi- sationen einer Ge- setzesänderung ge- genüber, die lang- jährige Erfahrun- gen mit Adoptiv- kindern und -el- tern sowie abge- benden Müttern gesammelt haben.

„Beschließen Sie keine Gesetze, die

Halbwahrheiten und Familienlügen sanktionieren“, appellierte Ines Kurek- Bender, Vorsitzende des Bundesver- bandes der Pflege- und Adoptivfamili- en, an die Abgeordneten. Pompe er- gänzte, aus psychotherapeutischer Sicht sei es für einen Menschen wichtig, dass er eine rekonstruierbare Her- kunftsgeschichte habe.

Am schärfsten argumentierte die Er- ziehungswissenschaftlerin Prof. Dr.

Christine Swientek, Hannover, gegen

Babyklappen und anonyme Geburt. Sie unterstellte, dass beides derzeit so stark befürwortet werde, weil der Druck des

„Adoptionsmarktes“ groß sei. Durch eine Zunahme anonymer Adoptionen schaffe man aber Zustände wie in Drit- te-Welt-Ländern, die problematisch für adoptierte Kinder seien. Ihren eigenen Studien zufolge wünschen sich nämlich 70 bis 85 Prozent aller Adoptierten spä- ter Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie, ebenso 90 Prozent der abgebenden Mütter zum Kind. Swientek regte an, das Jugendhilfegesetz zu verbessern.

Anders argumentierte Dr. med. Ralf Ackermann, Ärztlicher Direktor einer Flensburger Frauenklinik: „Frauen müs- sen das Recht haben, in Kliniken an- onym zu gebären.“ In Deutschland wür- den zehn bis 30 Prozent der Geburten operativ beendet. Eine Schwangerschaft und Geburt ohne Betreuung sei ein Risi- ko für Mutter und Kind. Konflikte zwi- schen dem Recht auf Leben und dem Recht auf Kenntnis der eigenen Ab- stammung leugnete er nicht, meinte je- doch: „Erst muss ein Kind auf die Welt kommen, dann kann es fragen, wer seine Eltern sind.“

Einige Sachver- ständige verwiesen auf die Erfahrun- gen in Frankreich.

Dort ist die anony- me Geburt seit lan- gem möglich, je- doch rückläufig.

1990 seien 780 Kin- der anonym zur Welt gekommen, 1999 noch 560, be- richtete Hepting. Derzeit werde das Ver- fahren jedoch modifiziert: Eine Zen- tralstelle für anonyme Geburten stellt der Mutter eine Beraterin zur Verfü- gung. Ihr gegenüber kann sie Angaben oder Gegenstände hinterlegen, um ihr Kind später zu informieren. Möchte die Mutter dies nicht, soll die Beraterin zu- mindest allgemeine Informationen zu- sammentragen, die dem Kind später ei- nen gewissen Einblick in seine Her- kunft gewähren. Sabine Rieser P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 23½½½½8. Juni 2001 AA1521

Anhörung im Bundestag zu anonymen Geburten

Ethische Konflikte schwerer lösbar als Rechtsprobleme

In Deutschland gibt es inzwischen zahlreiche Einrichtungen, deren Mitarbeiter Frauen bei einer anonymen Geburt helfen.

Sie arbeiten jedoch in einer rechtlichen Grauzone.

Im Hamburger Stadtteil Altona wurde im ver- gangenen Jahr von der Organisation „Sterni- Park“ die erste so genannte Babyklappe in Deutschland vorgestellt. Foto: ddp

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