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Archiv "Körperliche Bewegung zur Prävention und Behandlung der Adipositas" (24.03.2000)

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dipositas wird heute als eine chronische Krankheit defi- niert, die auf einem polygeneti- schen Hintergrund basiert, aber auch das Ergebnis einer Lebensweise mit nicht angepasster überkalorischer Ernährung und Bewegungsmangel ist, mit erhöhter Morbidität und Morta- lität einhergeht und ein langfristiges in- terdisziplinäres Behandlungskonzept erfordert (51). Die Klassifikation er- folgt nach dem Body Mass Index (BMI

= Quotient aus Körpergewicht in kg und Körpergröße in Metern im Qua- drat). Danach liegt eine Adipositas bei einem BMI ✞ 30 kg/m² vor, be- reits bei einem Übergewicht mit BMI 25 bis 29,9 kg/m² besteht ein erhöhtes Gesundheitsrisiko (26). Eine kalorien- angepasste, insbesondere fettarme Ernährung und die Steigerung der kör- perlichen Bewegung sind die beiden wichtigsten Maßnahmen zur Prä- vention und Behandlung von Überge- wicht und Adipositas (22, 38, 51).

Während zahlreiche mehr oder weni- ger sinnvolle Diäten und Ernährungs- konzepte propagiert und angewandt werden (25), ist der Stellenwert der körperlichen Aktivität vielen Ärzten und Patienten unklar und soll daher in diesem Beitrag herausgestellt werden.

Risikofaktor

Bewegungsmangel

Die Prävalenz der Adipositas ist in den letzten Jahren weiter angestie- gen, obwohl die durchschnittliche Ka- lorienaufnahme und insbesondere der hohe Fettverzehr auch in Deutschland seit einiger Zeit leicht rückläufig ist (53). In den USA ist es zwischen 1976 bis 1980 und 1988 bis 1991 zu einer Ab- nahme des Fettverzehrs von 41,0 auf 36,6 Prozent der Gesamtkalorien so- wie der Gesamtenergieaufnahme um vier Prozent gekommen. Im gleichen Zeitraum stieg jedoch die Prävalenz der Adipositas in der erwachsenen Be- völkerung von 25,4 auf 33,3 Prozent an (28). Auch wenn keine Vergleichsda- ten für den korrespondierenden Ener- gieverbrauch vorliegen, lässt sich die- ses Paradox nur durch den zunehmen-

den Bewegungsmangel erklären. Für diese Annahme gibt es eine Reihe indi- rekter Hinweise: So sank beispielswei- se die aktiv zu Fuß oder mit dem Fahr- rad zurückgelegte tägliche Wegstrecke bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren deutlich (14), während gleichzeitig der Fernsehkonsum be- trächtlich zunahm und eng mit der Zu- nahme des Körpergewichts verbunden war (23). Nach verschiedenen Befra- gungen und Schätzungen sind etwa zwei Drittel der Erwachsenen in Nord- amerika und Mitteleuropa körperlich inaktiv, das heißt sie bewegen sich im Alltag nur wenig und betreiben keiner- lei Sport. In Deutschland erreicht von der Bevölkerungsgruppe der 18- bis 55-Jährigen höchstens ein Drittel den Aktivitätsumfang an Sport (36), für den heute eine signifikante präventive Wirkung angenommen wird. Dabei bringt bereits körperliche Aktivität moderater Intensität und Häufigkeit einen kardiovaskulären Nutzen. Bei aktiver Lebensweise in der Freizeit und zusätzlicher sportlicher Bewegung (zum Beispiel dreimal 30 Minuten bei 100 Watt Dauerleistung) lässt sich problemlos ein Wochenenergieumsatz erreichen, der die epidemiologisch de- finierte und präventionsmedizinisch

Körperliche Bewegung zur Prävention und

Behandlung der Adipositas

Hans Hauner

1

Aloys Berg

2

Bewegungsmangel ist heute die Hauptursache für die weitere Zunahme der Adipositas. Dementsprechend sollte die Steige- rung der körperlichen Aktivität eine essenzielle Komponente jedes Präventions- und Gewichtsreduktionsprogramms sein.

Obwohl der gewichtssenkende Effekt begrenzt ist, werden da- mit das Risikofaktorenprofil und das langfristige kardiovas- kuläre Risiko günstig beeinflusst. Bereits eine niedrige Bela-

stungsintensität scheint für diese Wir- kungen auszureichen. Immer deutli-

cher zeichnet sich ab, dass eine gezielte Steigerung der kör- perlichen Aktivität im Alltagsleben genauso wirksam ist wie strukturierte Sport- und Bewegungsprogramme.

Schlüsselwörter: Adipositas, Adipositasprävention, Alltagsaktivität, körperliche Aktivität

ZUSAMMENFASSUNG

The Role of Physical Activity in the Prevention and Management of Obesity

Lack of exercise and leisure time activities are main causes for the development of obesity. Therefore, increasing physical activity should be an essential component of each prevention and weight reduction program. Although the weight-lowering effect is limited there is growing evidence that regular physical activity improves the

cardiovascular risk profile and, subsequently, reduces cardiovascular morbidity and mortal-

ity. Low to moderate intensity is sufficient to reach these goals. It becomes more and more evident that leisure time activities provide similar health benefits as structured exercise programs.

Key words: Obesity, prevention, daily activity, lifestyle physical activity

SUMMARY

A

1 Klinische Abteilung des Diabetes-For- schungsinstituts (Direktor: Prof. Dr. med. Wer- ner A. Scherbaum) der Heinrich-Heine-Uni- versität, Düsseldorf

2 Abteilung Prävention, Rehabilitation und Sportmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Josef Keul) der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg

(2)

sinnvolle Schwelle von 2 000 kcal über- schreitet (12).

Übergewichtige sind in der Regel körperlich weniger aktiv als schlanke Menschen. Dies lässt aber keineswegs den Schluss zu, dass Bewegungsman- gel die Ursache von Übergewicht ist, da körperliche Aktivität für Überge- wichtige mühsamer ist und daher meist gemieden wird. Es gibt mehrere pros- pektive Beobachtungsstudien zur Be- ziehung zwischen körperlicher Akti- vität und Körpergewicht, die allerdings keine konsistenten Ergebnisse er- brachten (52). Die Ursache dafür liegt nicht zuletzt in den methodischen Limi- tationen, körperliche Aktivität quan- titativ zu erfassen beziehungsweise Ur- sache und Wirkung zu unterscheiden (21). Die Bewegungsaktivität wird üb- licherweise mittels spezieller Fragebö- gen gemessen, deren Validität schwie- rig zu bewerten ist und nicht zu Un- recht angezweifelt wird. Im Trend zeig- te die Mehrheit dieser Studien, dass Erwachsene, die sich wenig bewegen, mehr an Gewicht zunehmen als kör- perlich aktive Erwachsene (52). Auch die Ergebnisse der kürzlich publizier- ten Tromso-Studie aus Norwegen be- stätigen einen solchen Zusammen- hang. Bewegungsmangel war vor allem

im höheren Lebensalter ein wichtiger Risikofaktor für eine Gewichtszunah- me, Änderungen in der Bewegungsak- tivität korrespondierten invers mit Ver- änderungen des Körpergewichts (47).

Körperliche Aktivität und Energiehaushalt

Physikalisch betrachtet ist Adipo- sitas das Ergebnis einer langfristig po- sitiven Energiebilanz. Der Energie- verbrauch des Menschen setzt sich aus den drei Komponenten Grundumsatz, nahrungsabhängige und bewegungs- abhängige Thermogenese zusammen (Grafik 1). Der Grundumsatz ist dabei der Energieverbrauch in Ruhe, der auf die metabolischen, energieverbrau- chenden Aktivitäten der Körpergewe- be zurückzuführen ist. Da das Fett- gewebe nur für circa vier bis zehn Prozent des gesamten Energiever- brauchs verantwortlich ist, entspricht der Grundumsatz im Wesentlichen dem Verbrauch der „fettfreien Körper- masse“ (insbesondere Muskulatur und Organe mit hoher metabolischer Akti- vität wie Herz, Leber, Nieren und Ge- hirn) und macht zwischen 50 und 70 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs

aus. Der Anteil der nahrungsabhängi- gen Thermogenese beträgt zwischen sieben und zehn Prozent. Der Energie- verbrauch für körperliche Bewegung schwankt am stärksten und wird vor allem vom Aktivitätsverhalten be- stimmt. Der Energieverbrauch adipö- ser Menschen ist in der Regel erhöht, da infolge der größeren fettfreien Kör- permasse auch der Grundumsatz ge- steigert ist. Kommt es zu einer signifi- kanten Gewichtsabnahme, sinkt auch der Energieverbrauch. Grundumsatz und damit Gesamtenergieverbrauch folgen im Wesentlichen dem Verlauf der Gewichtsentwicklung und der Körperzusammensetzung (45).

Körperlich aktive Menschen ha- ben auch unter Ruhebedingungen ei- nen höheren Energieverbrauch als in- aktive Menschen. So ergab kürzlich ei- ne Untersuchung, dass prä- und post- menopausale Frauen, die regelmäßig laufen oder schwimmen, bezogen auf die fettfreie Körpermasse, einen etwa zehn Prozent höheren Grundumsatz aufweisen als inaktive Frauen. Bei den sportlich aktiven Frauen wurde zudem eine geringere altersbedingte Abnah- me des Grundumsatzes beobachtet (49). Die gewichtssenkende Wirkung körperlicher Bewegung ist somit nicht nur auf die akute Steigerung des Energieverbrauchs zurückzuführen, sondern bewirkt über eine Vermeh- rung der fettfreien Körpermasse, ins- besondere der Muskelmasse, eine Erhöhung des Grundumsatzes (Text- kasten Erhöhter Energieverbrauch).

Selbst beim älteren Menschen lässt sich durch ein mäßig intensives Kraft- training über zwölf Wochen noch eine signifikante Zunahme der fettfreien Körpermasse mit Anstieg des basalen Energieverbrauchs um bis zu 15 Pro- zent und eine Abnahme der Fettmasse erreichen (13). Hinzu kommt, dass der Energieverbrauch nicht nur in der Pha- Bewegungsabhängige

Thermogenese 20–40 %

Nahrungsabhängige Thermogenese (10 %)

Grundumsatz 50–70 %

Komponenten Determinanten

• Alltagsaktivität

• Dauer und Intensität von sportlicher Aktivität

• Nahrungsmenge und -zusammensetzung

• fettfreie Körpermasse

• Alter

• Geschlecht

• genetische Faktoren

• Hormone (z. B. Schilddrüsenhormone)

• Sympathikusaktivität 100

90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Energieverbrauch in Prozent Grafik 1

Komponenten des Energieverbrauchs beim Menschen und wichtige Determinanten (Schema nach [45]).

Zusammensetzung des erhöhten Energieverbrauchs

durch körperliche Aktivität

❃akuter Energieverbrauch durch Muskelarbeit

❃langfristige Erhöhung des Grundumsatzes

❃„post exercise“-Thermogenese

(3)

se der aktiven Muskelarbeit gesteigert ist, sondern in geringem Umfang auch noch Stunden danach anhält. Dieser zusätzliche „post exercise“-Energie- verbrauch ist aber gering und hat wahr- scheinlich keinen signifikanten Ein- fluss auf die Energiebilanz.

Bewegung und Nahrungsaufnahme

Zur Frage, in welchem Maß kör- perliche Aktivität die Nahrungsauf- nahme beeinflusst, gibt es nur wenige Studien (42). Während schlanke Per- sonen einen erhöhten Energiever- brauch spontan durch eine erhöhte Kalorienaufnahme ausgleichen und damit ihr Gewicht stabil halten, scheint bei adipösen Personen ein erhöhter Energieverbrauch infolge von körper- licher Bewegung nur partiell durch ei- ne erhöhte Nahrungsaufnahme kom- pensiert zu werden. Kurzfristig kann ein körperliches Training hoher Inten- sität bei Adipösen sogar den Appetit völlig unterdrücken.

Körperliche Aktivität zur Gewichtsreduktion

Es gibt eine Reihe von Studien, in denen alleine mit einem Bewegungs- programm eine Senkung des Überge- wichts versucht wurde. Es handelte sich meist um Programme, die Bewe- gungsarten wie schnelles Gehen, Lau- fen oder Radfahren beinhalteten, mit zwei bis fünf Sitzungen pro Woche ab- gehalten wurden und selten länger als 20 Wochen liefen. Im Durchschnitt ließ sich damit lediglich eine Gewichtsab- nahme von 0,1 kg pro Woche erzielen (55). Dies entspricht ziemlich exakt dem energetischen Inhalt der einge- brachten Mehraktivität. Nimmt man pro Woche drei Trainingsblöcke à 30 Minuten bei etwa 100 Watt Dauerlei- stung an, so werden damit circa 700 kcal entsprechend 0,1 kg Energiespei- cher (Fettgewebe) abgebaut (5, 20).

Nur bei intensiver körperlicher Bela- stung ist ein deutlicherer Gewichtsver- lust möglich (31). Tabelle 1beinhaltet Angaben zum Kalorienverbrauch von ausgewählten Alltags- und Sportaktivi- täten in Abhängigkeit vom Körperge- wicht. Der Energieverbrauch während

einer körperlichen Belastung lässt sich bei bekannter Wattleistung auch er- rechnen. Die Sauerstoffaufnahme er- gibt sich aus Ruhebedarf (0,3 l/min) und Belastungsbedarf (Watt/min x 0,0113). Pro Liter Sauerstoff werden 5 kcal benötigt. Bei einer Leistung von 125 Watt/min resultiert ein Energie- verbrauch von 8,5 kcal pro Minute oder 510 kcal pro Stunde.

Der diätetischen Kalorienbegren- zung wird bei der Behandlung der Adi- positas wegen des schnelleren und größeren Gewichtserfolgs meist der Vorzug gegeben und die Steigerung der körperlichen Aktivität eher als Be- gleitmaßnahme gesehen. Mit dieser Kombination fällt die Gewichtsabnah- me in der Regel stärker aus als mit ei- ner Ernährungsumstellung alleine. Die zusätzliche Gewichtssenkung beträgt im Mittel 2 bis 3 kg (55). Der entschei- dende Vorteil der kombinierten The-

rapie liegt darin, dass die körperliche Aktivität den diätetisch bedingten, nicht erwünschten Verlust an fettfreier Körpermasse etwa auf die Hälfte redu- ziert (3) (Grafik 2)und damit auch das Ausmaß der gleichzeitigen Absenkung des Grundumsatzes in Grenzen hält.

Gewichtsstabilisierung durch körperliche Aktivität

Das Hauptproblem jeder Adipo- sitastherapie stellt die langfristige Sta- bilisierung des neuen Körpergewichts dar. Bei reduzierter Körpermasse muss die Kalorienzufuhr angepasst, das heißt dauerhaft gesenkt werden (33, 45). Die Rezidivraten sind auch bei multidisziplinär angelegten Program- men außerordentlich hoch. Bei dra- stisch kalorienreduzierten Kostfor- men, wie zum Beispiel Formuladiäten, Tabelle 1

Kalorienverbrauch pro Stunde (kcal/h) bei ausgewählten Alltagsaktivitäten und Sportarten in Abhängigkeit vom Körpergewicht*

60 kg 80 kg 100 kg 150 kg

Tätigkeit kcal/h kcal/h kcal/h kcal/h

Gehen 3 km/h 150 180 230 300

5 km/h 200 240 300 400

6,5 km/h 300 360 450 600

Hausarbeit 150 180 230 300

Gartenarbeit 250 300 380 500

Tanzen 200 240 300 400

Radfahren 15 km/h 300 360 450 600

Laufen 8 km/h 300 360 450 600

10 km/h 450 550 700 900

12 km/h 600 750 950 1200

Tennis und andere

Ballsportarten 300 360 450 600

Schwimmen

(langsam) 300 360 450 600

Bergwandern 300 360 450 600

Skilanglauf 450 550 700 900

* Die Werte können nach Intensität, Alter und Trainingszustand deutlich variieren.

Frauen haben im Vergleich zu Männern bei gleichem Körpergewicht einen um 10 bis 20 Prozent niedrigeren Kalorienverbrauch. Angaben nach (25) und (11).

(4)

sind sie in der Regel höher als bei mäßig kalorienreduzierter Mischkost.

Infolge der günstigen Effekte auf die Körperzusammensetzung und den En- ergieverbrauch scheint sich regelmäßi- ge körperliche Aktivität besonders für die Stabilisierung des Gewichtserfol- ges zu eignen. In der klassischen Studie von Pavlou et al. (40) wurde erstmals eindrucksvoll gezeigt, dass regelmäßi- ge körperliche Aktivität die Langzeit- ergebnisse 18 Monate nach Abschluss von zwei Diätprogrammen deutlich verbessern kann. In einer anderen Stu- die hatten die Teilnehmer zunächst durch eine Formuladiät im Mittel 28 kg abgenommen. Zwei Jahre später hat- ten die Teilnehmer im Durchschnitt wieder 57 Prozent des Gewichtsverlu- stes zugenommen. Diejenigen Perso- nen, die pro Woche durch regelmäßi- ges „Walking“ zusätzlich 1 500 kcal verbraucht hatten, hatten nur 24 Pro- zent, diejenigen mit einem zusätzlichen Verbrauch von 2 000 kcal pro Woche, lediglich 13 Prozent des verlorenen Gewichts wieder zugelegt (19). In ei- ner retrospektiven Analyse erfolgrei- cher Langzeitabnehmer stellte sich heraus, dass neben der dauerhaften Kalorienbegrenzung die regelmäßige körperliche Bewegung den Therapie- erfolg bestimmt (30).

Bewegung und kardio- vaskuläre Risikofaktoren

Die Adipositas ist eng mit dem Auftreten von Insulinresistenz und kardiovaskulären Risikofaktoren wie Hypertonie, Dyslipoproteinämie und Diabetes mellitus Typ 2 assoziiert (6, 26) (Tabelle 2). Diese Störungen sind nach Gewichtsreduktion weitgehend reversibel. Selbst wenn bei Adipösen mit Bewegungssteigerung keine größe- re Gewichtsabnahme gelingt, kommt es dennoch zu einer günstigen Beein- flussung der assoziierten Risikofakto- ren (29, 47). Regelmäßige körperliche Aktivität verbessert gewichtsunabhän- gig die Plasmalipoproteine und das Fettverteilungsmuster, da bevorzugt die abdominellen Fettdepots mobili- siert werden (27). Dies gilt besonders für die viszeralen Fettdepots, deren Größe maßgeblich das Risiko für me- tabolische Komplikationen und Hy- pertonie bestimmt und die bei körper-

lich inaktiven Personen vergrößert sind. Bereits ein moderates Krafttrai- ning führte bei adipösen Frauen auch ohne Änderung von Körpergewicht und Körperzusammensetzung zu einer präferenziellen Reduktion der mittels Computertomographie gemessenen viszeralen Fettdepots (48). Andere Daten belegen, dass selbst ein Training niedriger Intensität (zum Beispiel Bowling, Badminton, Spazierengehen) beziehungsweise regelmäßige körper- liche Bewegung unter Alltagsbedin- gungen (beispielsweise leichte Haus- oder Gartenarbeit) die Insulinwirkung des Organismus auf den Glukosestoff- wechsel steigert (35, 41).

Körperliche Fitness und Mortalität

Grundsätzlich besteht ein enger Zusammenhang zwischen Körperge- wicht und Fitness; so nimmt mit zuneh- mendem BMI die körperliche Lei- stungsfähigkeit, messbar über die ma- ximale aerobe Kapazität (VO2max in ml/kg/min) deutlich ab (8). Eine niedri- ge körperliche Fitness gilt heute als wichtiger Risikofaktor für Tod durch kardiovaskuläre Ursachen. In einer kürzlichen Auswertung der Aerobic Center Longitudinal Study von Blair

und Mitarbeitern wurde ein- drucksvoll gezeigt, dass Männer mit einem BMI ✞27,8 kg/m² ihr erhöhtes Sterberisiko durch ei- ne hohe körperliche Fitness deutlich senken können und im Vergleich zu inaktiven schlan- ken Männern mit einem BMI zwischen 19,0 und 24,9 kg/m² so- gar günstiger abschneiden (32).

Eine neuere Studie bestätigte, dass bereits eine bescheidene Verbesserung der körperlichen Fitness von einem signifikanten Abfall des Sterberisikos beglei- tet wird (18).

Regelmäßige körperliche Aktivität, im Alltag oder auch zusätzliche sportliche Betäti- gung, hat somit nicht nur günsti- ge Auswirkungen auf Risikofak- toren und chronische Begleit- erkrankungen, sondern senkt auch das Mortalitätsrisiko. Die damit verbesserte körperliche Fitness lässt sich in Form der maximalen Sauerstoffaufnahme sowie über das Herzfrequenz- und Laktat- verhalten unter standardisierter Ergo- meterbelastung individuell bestimmen (4). Auch adipöse Männer und Frauen können durch regelmäßige körperliche Bewegung über eine verbesserte kör- perliche und metabolische Fitness ihre Lebenserwartung erhöhen, selbst oder gerade wenn gleichzeitig keine nen- nenswerte Gewichtsabnahme gelingt.

Wieviel körperliche Aktivität ist sinnvoll?

Bei mäßig adipösen Frauen ver- besserte bereits regelmäßiges Gehen, abhängig von seiner Intensität, die körperliche Fitness (15). In dieser Studie wurde außerdem unabhängig vom Ausmaß der körperlichen Akti- vität und der Steigerung der körperli- chen Fitness bei allen aktiven Frauen ein Anstieg des HDL-Cholesterins beobachtet. Auch nach eigenen Da- ten korrelieren bei Herzgruppenpati- enten Freizeitaktivitäten und HDL- Cholesterin-Werte positiv (7). Be- merkenswert ist außerdem, dass die unter Ernährungsumstellung (Kalori- en- beziehungsweise Fettrestriktion) zu beobachtende Senkung des HDL- Cholesterins durch eine körperliche Männer Frauen

Diät Diät und Bewegung

Männer Frauen Gewichtsverlust als FFM in Prozent

35 30 25 20 15 10 5 0

*

Grafik 2

Wirkung von körperlicher Aktivität auf den Verlust an fettfrei- er Körpermasse im Rahmen von Gewichtsreduktionsprogram- men nach (3). FFM, fettfreie Körpermasse;

*

statistisch signifi- kant verschieden

(5)

Mehraktivität kompensiert werden kann (54).

Eine körperliche Belastung hoher Intensität scheint bei adipösen Men- schen keine entscheidenden Vorteile gegenüber einer solchen von niedriger oder mittlerer Intensität zu bieten. Die günstigen Effekte auf Körperzusam- mensetzung und Risikofaktoren sind kaum größer, die Akzeptanz einer ho- hen Belastung dagegen deutlich gerin- ger. Darüber hinaus sprechen auch an- dere Argumente eher für eine regel- mäßige körperliche Bewegung niedri- ger Intensität (Textkasten Vor- und Nachteile). Hervorzuheben ist in die- sem Kontext, dass bei körperlicher Aktivität niedriger Belastung haupt- sächlich Fettsäuren aus dem Fettgewe- be oxidiert werden (44). In einer Grup- pe adipöser Frauen hatte eine hohe Arbeitsbelastung (80 bis 90 Prozent der maximalen Sauerstoffaufnahme) zusätzlich zu einer hypokalorischen Kost von 1 200 kcal/Tag nach acht Wo- chen keinen stärkeren Effekt auf BMI, fettfreie Körpermasse und Fettmasse als eine Belastung niedriger Intensität (40 bis 50 Prozent der maximalen Sau- erstoffaufnahme) (2). Die gewünschten positiven Wirkungen hängen nicht von der Dauer der einzelnen Trainingsein- heit ab, sodass Intensität und Dauer der körperlichen Aktivität auf die individu- ellen Bedürfnisse und Möglichkeiten des übergewichtigen Patienten abge- stimmt werden können.

Alltagsaktivität versus Bewegungsprogramme

In den letzten Jahren zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Steige- rung der Alltagsaktivität einen ähnlich hohen gesundheitlichen Nutzen hat wie strukturierte Sportprogramme (10, 43). In zwei kürzlich publizierten kon- trollierten Studien wurden die Auswir- kungen einer Steigerung der Alltags- aktivität mit denen strukturierter Be- wegungsprogramme hinsichtlich Kör- pergewicht, Körperzusammensetzung, Risikofaktorenprofil und Fitness ver- glichen. Die günstigen Effekte auf die- se Parameter waren mit beiden Stra- tegien ähnlich (1, 16). Bezüglich der langfristigen Gewichtssenkung erwies sich die Steigerung der Alltagsaktivität sogar als etwas günstiger. ✁

Vor- und Nachteile einer körperlichen Belastung niedriger Intensität gegenüber hoher Intensität

Vorteile:

❃lässt sich bei stark adipösen Patienten leichter praktisch umsetzen (be- sonders zu Beginn der Gewichtsreduktion)

❃lässt sich häufig (zum Beispiel täglich) durchführen

❃wird besser toleriert und erreicht eine bessere Compliance

❃die Verletzungsgefahr ist deutlich geringer

❃größere medizinische Voruntersuchungen sind nicht notwendig

❃die günstigen Veränderungen von BMI und Körperzusammensetzung sind annähernd gleich

❃es werden vorzugsweise im Fettgewebe gespeicherte Fettsäuren mobilisiert und oxidiert

Nachteile:

❃der Gewinn an körperlicher (kardiorespiratorischer) Fitness ist geringer

❃eventuell geringerer Gewinn an Lebenserwartung (?) Tabelle 2

Kardiovaskuläre Risikofaktoren bei adipösen im Vergleich zu schlanken Männern.

schlank (n = 82) adipös (n = 14)

BMI (kg/m2) 21,4 ⫾0,6 31,2 ⫾2,9

VO2max (ml/kg/min) 56,44 ⫾8,3 33,0 ⫾4,3

RRsyst(mmHg) 121 ⫾13 149 ⫾14

RRdiast(mmHg) 77 ⫾10 90 ⫾13

Cholesterin (mg/dl) 203 ⫾65 267 ⫾67

Triglyzeride (mg/dl) 97 ⫾44 355 ⫾141

LDL-Cholesterin (mg/dl) 118 ⫾55 133 ⫾31

LDL6-Cholesterin (mg/dl)* 14 ⫾7 36 ⫾18

HDL-Cholesterin (mg/dl) 51 ⫾13 38 ⫾13

Nüchternblutglukose (mg/dl) 88 ⫾13 107 ⫾19 Nüchternseruminsulin (µE/ml) 8,7 ⫾5,5 15,3 ⫾8,9

Fibrinogen (mg/dl) 244 ⫾43 320 ⫾83

Angaben nach (6); Mittelwert Standardabweichung;

* Anteil des Cholesterins in kleinen dichten LDL-Partikeln

Empfehlungen zur Steigerung der Alltagsaktivität

❃Treppensteigen statt Aufzüge und Rolltreppen benutzen

❃zu Fuß oder mit dem Fahrrad Einkaufen gehen

❃bei Busfahrten immer eine Haltestelle vorher aussteigen

* bei konsequenter Umsetzung zusätzlicher Energieverbrauch von etwa 200 kcal pro Tag

(6)

Praktische Empfehlungen

Adipöse Menschen haben in der Regel eine geringe Belastungstoleranz und stoßen sehr schnell an ihre körper- lichen Leistungsgrenzen. Sie sind kaum gewohnt, sich körperlich anzustrengen und lassen sich häufig nur schwer moti- vieren. Generell sollte bei Übergewich- tigen noch stärker als bei inaktiven Normalgewichtigen auf folgende Re- geln geachtet werden:

❃ Immer mit einfachen Aktivitä- ten auf niedriger Belastungsstufe be- ginnen. Geeignete Bewegungsarten sind beispielsweise Gehen, Schwim- men, Radfahren.

❃ Als besonders günstig für Über- gewichtige ist die Aktivitätsform Ge- hen anzusehen. Zügiges Gehen ist für ein moderates Trainingsprogramm sehr gut geeignet, zum Beispiel 30 Mi- nuten bei einer Gehgeschwindigkeit von 5 bis 6 km/h (entsprechend 75 bis 100 Watt Dauerleistung) bedeutet ei- nen Energieverbrauch um 200 kcal und sollte an wenigstens fünf Tagen pro Woche praktiziert werden (38, 39).

❃ Um die körperliche Fitness zu erfassen und gegebenenfalls kardiovas- kuläre Vorerkrankungen sicher auszu- schließen, sollte vor Beginn eines Akti- vitätsprogramms eine Belastungsprü- fung (EKG-Aufzeichnung, Registrie- rung von Blutdruck- und Herzfre- quenz-Verhalten unter Ergometrie, eventuell mit Laktatdiagnostik) durch- geführt werden.

❃ Die körperliche Belastung kann nach Trainingsfortschritt und Motivation schrittweise gesteigert wer- den. Mit verbesserter körperlicher Fitness kommen auch anstrengendere Bewegungsarten infrage, wie zum Bei- spiel Jogging oder Aerobic. Aktivitä- ten mit anaeroben Spitzen, hoher Ge- lenkbelastung und damit erhöhtem Verletzungsrisiko wie Squash, Tennis, Fußball sollten dagegen nur mit Vor- sicht ausgeübt und ärztlich nicht emp- fohlen werden.

❃ Übergewichtigen sollte auch geraten werden, sich am Wohnort bei- spielsweise nach Sportvereinen oder Fitness-Studios zu erkundigen, die Sportprogramme unter Anleitung von Physiotherapeuten oder Sportlehrern anbieten (11).

❃ Wichtig für die Langzeitcompli- ance ist, dass die Mehrbewegung auch

Spaß macht und sich möglichst pro- blemlos in den Alltag einfügen lässt.

❃ Übergewichtige Menschen soll- ten angehalten werden, besonders ihre Alltagsaktivitäten zu erhöhen. Bei kon- sequenter Beachtung lässt sich über Alltagsaktivitäten ein zusätzlicher En- ergieverbrauch von etwa 200 kcal pro Tag erreichen (Textkasten Empfehlun- gen).

❃ Nach eigenen Erfahrungen be- währt sich ein Bewegungstagebuch, das wochenweise geführt wird, oder die wiederholte Kontrolle des Akti- vitätsumfangs über Fragebogen, zum Beispiel den Freiburger Aktivitätsfra- gebogen (21).

❃ Als untere Grenze empfehlen wir übergewichtigen Patienten neben einer Steigerung der Alltagsbewegung einen zusätzlichen Energieverbrauch durch Freizeitaktivitäten von 1 000 kcal pro Woche, sodass eine Gesamtakti- vität von wenigstens 2 000 kcal pro Wo- che zustande kommt.

❃ Praktische Empfehlungen zur Bewegungstherapie bei Adipositas wurden kürzlich in Ratgebern detail- liert dargestellt (11, 25).

Prävention und Behandlung im Kindesalter

Kinder und Jugendliche haben im Vergleich zu Erwachsenen meist einen starken natürlichen Bewegungsdrang.

Präventionsbemühungen, die sich auf Bevölkerungsebene als außerordent- lich schwierig erwiesen haben, schei- nen bei Kindern erfolgreicher zu sein.

So haben Programme, die möglichst frühzeitig (im Grundschulalter) begin- nen und in einem familienorientierten Ansatz auf eine Steigerung der körper- lichen Aktivität abzielen, durchaus be- achtliche Erfolge (17, 34, 46).

Die bisher vorliegenden Ergeb- nisse zum Freiburger Interventions- programm (FITOC = Freiburg Inter- vention Trial for Obese Children) zei- gen bei 70 Prozent einer Stichprobe von 237 Kindern nach acht Mona- ten nachweisbare Gewichtsverbesse- rungen. Zusätzlich finden sich sig- nifikante Veränderungen von Fitness (+ 22 Prozent), Aktivitätsverhalten (wöchentliche Freizeitaktivität: + 62 Prozent), und metabolischem Profil (LDL-Cholesterin: – 10 Prozent, HDL-

Cholesterin: + 8 Prozent) (9). Bezüglich der Verbesserung des Lipidprofils ge- winnen dyslipämische Kinder deutlich mehr durch die Intervention als nor- molipämische Kinder. Ein besseres Ansprechen auf die Intervention kann bei frühem Therapiebeginn, männ- lichem Geschlecht und bei hohem LDL-Cholesterin verzeichnet werden (9). Ähnlich ermutigende Ergebnisse bei adipösen Schulkindern wurden kürzlich auch von der Kieler Adipo- sitas-Präventions-Studie (KOPS) be- richtet (37).

Ausblick

Die heutige Datenlage lässt kei- nen Zweifel, dass regelmäßige körper- liche Aktivität in der Prävention und Therapie der Adipositas einen hohen Stellenwert einnimmt. Im Rahmen der Gewichtsreduktion bei manifester Adipositas ist der Gewichtseffekt zwar eher moderat, es zeigen sich aber deut- liche Vorteile für die Stabilisierung des Gewichtserfolgs. Bereits eine konse- quente Steigerung der Alltagsaktivität wirkt sich ausgesprochen günstig aus.

Daneben sollte versucht werden, durch Freizeitaktivitäten wie zum Bei- spiel Sport den Energieverbrauch zu- sätzlich zu erhöhen. Bewegungssteige- rung gilt heute als unverzichtbare, es- senzielle Komponente jedes Präventi- ons- und Therapieprogramms, sollte aber nach den Wünschen und Erfor- dernissen des Übergewichtigen gestal- tet werden, um möglichst gute Lang- zeitergebnisse zu erzielen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-768–774 [Heft 12]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonder- druck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Hans Hauner Klinische Abteilung

Diabetes-Forschungsinstitut an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Auf’m Hennekamp 65 40225 Düsseldorf

E-Mail: hauner噝dfi.uni-duesseldorf.de

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